Sein Schlafzimmer. Wir beide. Ich blieb.
Nein, ich war nicht nervös. Wozu auch? Weshalb
sollte ich schon nervös sein? Ich kannte Mischa, Mischa kannte
mich – und noch dazu war soweit alles geplant. Ich hatte mit Anitas
Hilfe einen schönen Italiener gefunden, dort einen Tisch reserviert, dazu eine
Cocktailbar in der Nähe ausfindig gemacht, falls es gut lief und wir danach
noch etwas trinken gehen wollten – nein, falsch, neu formuliert: Ich
hatte eine Cocktailbar in der Nähe ausfindig gemacht, falls wir nach dem Essen
noch etwas trinken gehen wollten. So.
Und ich hatte das Boxtraining trotz Muskelkater in
Schultern und Rücken überstanden. Es war nicht unbedingt gut fürs Ego, der
Unerfahrenste in einer Anfängergruppe zu sein, aber Ecki hatte gemeint, das
würde sich schnell geben. M-hm. Wenigstens bewegte sich der verdammte Sandsack
bei den anderen auch kaum einen Zentimeter. In dem Filmen sah man immer, wie
der Trainer oder ein Kumpane das Ding halten musste, weil es sonst wegfliegen
würde, aber bei mir und den anderen fünfen bestand da absolut keine Gefahr.
Das Beste: Mischa war da gewesen. Er war gegen
Ende der Stunde aufgetaucht und hatte auf mich gewartet – vor der
Umkleide, diesmal, und ich hatte so schnell geduscht und mich angezogen wie
noch nie in meinem Leben. Wir hatten die Zeit bis zu seinem Training zusammen
auf dem Sofa vorne bei der Theke des Studios verbracht. Am liebsten hätte ich
ihn schon da einfach mit mir gezerrt, denn es war so verdammt schwer, sich
zurückzuhalten – und das musste ich, denn für das, was ich am
liebsten mit ihm angestellt hätte, war das Studio auch heute zu
öffentlich – und das würde das Restaurant nachher leider auch sein.
Aber gut Ding wollte ja bekanntlich Weile haben – und manchmal eben
auch blaue Kronjuwelen.
Ich atmete tief durch und wischte die Hand an
meiner Hose ab. Wie gesagt, es gab absolut keinen Grund zu Nervosität. Mischa
hatte es sich vorhin im Studio noch nicht anders überlegt gehabt und daran
hatte sich auch jetzt nichts geändert. Garantiert nicht. Nichts mit ‚Morgen
wieder‘.
Ich klingelte und kurz darauf ertönte der Summer.
Es war ein wenig seltsam, hier klingeln zu müssen. Auch wenn ich nicht lange in
der WG gewohnt hatte, war es doch kurzzeitig mein Zuhause gewesen.
Mischa wartete bereits in der Tür, als ich
hochkam, und strahlte mir entgegen. Und das Strahlen ließ das Restaurant schon
wieder wie eine ganz schlechte Idee erscheinen. Sein Zimmer war ja auch
näher. Und bequemer. Privater. Mit Bett.
Hmm, Bett.
„Hey“, machte er, als ich vor ihm stehen blieb. Er
trug ein schwarzes Hemd, das so passgenau saß, als hätte er es schneidern
lassen und das seine Augen im wärmsten Haselnussbraun leuchten ließ. Und die
Hose, scheiße, die saß fast noch besser als das Hemd! Außerdem lächelte er
so – so zärtlich und – und er sah einfach
unglaublich aus. Definitiv schon wieder besser als gestern oder nur
schon vorhin noch. Wie unfair war das denn? Und gleichzeitig: Wie geil
war das denn?
„Na?“ Ich konnte nicht anders, ich musste
einfach eine Hand in seinen Nacken legen und ihn zu einem Kuss hinunterziehen.
Und weil ich ungeduldig war, reckte ich mich ihm so weit wie möglich entgegen.
Mischa zog mich an sich und seine Lippen schmusten
über meine, sanft, zärtlich und fast ein bisschen träge. Es war ein Kuss, der
nichts weiter wollte als Kuss sein; kein Nachholen, was wir bisher verpasst
hatten, wie vorhin im Studio, aber auch kein Heißmachen, kein Vorspiel, kein
Ausdruck von Gier oder Besitzansprüchen. Ich wusste, dass all diese Küsse noch
kommen würden, aber jetzt gerade war dieser hier perfekt. Weil Mischas Küsse offenbar
nicht immer erregend sein mussten, um mir angenehme Schauer über den Rücken zu
schicken – Erkenntnis des Abends Nummer eins.
Als ich mich von ihm löste, nahm ich die andere
Hand hinter dem Rücken hervor und hielt ihm die DVD hin.
„Hier. Eigentlich müssten es ja Blumen sein, aber
ich weiß nicht, ob du mit denen was anfangen kannst – ich jedenfalls
nicht. Und ich dachte … na ja …“ Ich zuckte mit den Schultern.
Ein bisschen peinlich war das ja schon, aber – aber ich wollte so
gern ein ‚richtiges‘ Date und dazu gehörte ein Mitbringsel. Oder? Wirklich
Ahnung hatte ich ja nicht davon, wie Dates normalerweise abliefen, aber
… jedenfalls hatte ich mich für ein Mitbringsel entschieden, allerdings
eines, das ein bisschen an uns angepasst war.
Mischa nahm sie überrascht entgegen und dann, als
er den Titel las, weiteten sich seine Augen, bevor sich ein Grinsen auf sein
Gesicht legte.
„Rec 2?“, fragte er ein wenig ungläubig,
„Ist das ein Angebot?“
Das war ja wohl offensichtlich. Und ich wollte
eine Chance, die Fehler, die ich nach dem Gucken des ersten Teiles gemacht
hatte, auszubessern.
„Damit das von vornherein klar ist“, erwiderte ich
murrend, „mehr als ein Zombiefilm pro Monat ist nicht drin!“
„Für mich oder für dich?“
„Für uns. Wie viele du ohne mich guckst,
kann mir egal sein.“ Solange sich seine Zombiefilm-Mitgucker nicht an ihn
kuschelten. Aber … vielleicht lag es an den Glückshormonen und an der
berüchtigten rosaroten Brille, aber der Gedanke machte mir keine Angst. Im
Gegenteil, ich war mir sicher, dass Mischa, sogar wenn ein Mitgucker sich an
ihn kuscheln sollte, nicht zurückkuscheln würde. Und das war das Wichtige. Die
Handlungen von anderen konnte er nicht steuern, aber seinen – seinen
vertraute ich.
Nun sah er mich wirklich ungläubig an, auch wenn
sein Mund bereits lächelte. Es war eine seltsame Mischung, stand ihm aber gut,
meiner Meinung nach. „Du würdest dir einen Zombiefilm im Monat antun?“
Ich zuckte erneut mit den Schultern. „Thomas will
ja nicht, hast du letztes Mal gesagt. Und alleine macht so was doch nur halb so
viel Spaß.“
Er legte die Hände auf meine Hüften und zog mich
an sich. Diesmal war es nicht nur ein Kuss, sondern ein Versprechen auf
mehr – nein, auf ‚Mehr‘, mit großem M. Meine Hände fanden seinen
Rücken, ich schloss die Augen und gab mich ganz seinen Berührungen, seinem
Geruch und seiner Wärme hin. Eindeutig: Restaurants waren überbewertet.
„Ich bin froh, dass Michael dumm genug war, dich
gehen zu lassen“, murmelte er ohne mich loszulassen. Und dann gefror er eine
Sekunde lang und fügte rasch hinzu: „Also, nicht dass ich froh wäre, dass er
dich …“
Ich unterbrach ihn mit einem weiteren Kuss. „Schon
gut, ich hab verstanden, was du gemeint hast.“
„Na, ihr Turteltäubchen?“ Thomas erschien hinter
Mischa in der Tür, grinste mich an und bemerkte dann die DVD in Mischas Hand.
„Mensch, Milo“, rügte er mich gleich darauf, „du solltest seinen schlechten
Geschmack echt nicht noch unterstützen!“
Ich grinste nur. „Schön, dich zu sehen.“
„Ebenso, du hast keine Ahnung, wie sehr!“ Sein
Lächeln wurde übertrieben gequält. „Bitte, bitte sag mir, dass das Drama
jetzt ein Ende hat! Ich hab keine Lust, weiterhin mit dem personifizierten
Leiden Christi zusammenzuwohnen.“
„Mh … das muss ich mir noch überlegen“,
erwiderte ich so ernst, wie mir möglich war. Der Avada Kedavra-Blick, den ich
dafür von ihm bekam, brachte mich zum Lachen. „Nee, im Ernst: Ich hoffe es doch. Ich zumindest hab vor,
die nächste Zeit über so richtig eklig glücklich zu sein.“
„Guter Plan“, brummte Mischa, drehte mich in
seinen Armen, so dass ich mit dem Rücken an ihm stand und küsste meine Schläfe,
„verdammt guter Plan.“
„Find ich auch“, erwiderte Thomas, nahm die DVD an
sich und reichte Mischa im Gegenzug seine Jacke, „dann fangt mal damit an!“ Er
schob uns aus der Tür und wollte diese gerade schließen, als er plötzlich
innehielt. „Ach übrigens: Ich gebe Alessandro eine Packung Oropax. Damit ihr’s
wisst.“ Ein Zwinkern, ein freches, dreckiges Grinsen, dann standen wir alleine
im Hausflur.
Mischa zog die Jacke an und wir gingen die Treppen
hinunter. In der Mitte der ersten streifte mein Handrücken seinen und ich griff
nach ihm, bevor ich es mir anders überlegen konnte. Unsere Finger verschränkten
sich wie selbstverständlich und Mischa schenkte mir ein weiteres, warmes
Lächeln.
Warum hatte ich vor einer gefühlten Ewigkeit noch
mal gedacht, dass das mit uns eine schlechte Idee wäre? War echt ganz schön
dumm gewesen.
***
Das Restaurant hielt, was es versprochen hatte:
Gedämpftes Licht, ruhige Atmosphäre, schöne Stofftischdecken, Kerzen. Kerzen!
Aber gut, Kerzen. So ganz klar, was genau mein Problem mit Essen bei
Kerzenschein war, wusste ich selbst nicht, aber da Mischa zufrieden mit allem
schien, ließ ich die Dinger, wo sie waren, und widerstand dem Drang, sie auszupusten.
Der einzige Störfaktor war die Gruppe am großen
runden Tisch einige Meter entfernt, die mit fortschreitendem Abend immer mehr
Hauswein intus hatte und dies durch Anheben des Geräuschpegels auch kund tat.
Aber Störfaktoren konnte man ausblenden – mit ein bisschen Fantasie,
ein bisschen innerer Ruhe und ganz viel Mischa.
Schwieriger gestaltete es sich für mich, völlig zu
akzeptieren, dass ich hier war, zusammen mit Mischa, der mir wirklich noch eine
Chance gab. Nicht nur das, offenbar hatte er es ernst gemeint, als er damals
gesagt hatte, er würde mir seine Freunde vorstellen wollen, sollten wir
zusammenkommen. Gerade erzählte er mir nämlich, dass der feste Freund seines
Kumpels Jan – Felix hieß er – der Meinung war, ich würde ihm
einen Drink schulden, weil ich ihm Silvester den Tanzpartner stibitzt
hatte – und wenn ich vorhätte, den dauerhaft zu stibitzen, dann würde
es noch einen zweiten Drink benötigen. Es war seltsam, dass ich vor etwas mehr
als vierundzwanzig Stunden noch nicht gewusst hatte, ob er überhaupt mit mir
reden würde, und dass jetzt alles so … selbstverständlich erschien.
Nein, nicht selbstverständlich: natürlich. Sicher, der Großteil von mir war
außer sich von Freude und hätte ihn am liebsten über den Tisch zu mir gezogen und
ihn statt des Tiramisus als Nachtisch vernascht – oder zusammen mit
dem Tiramisu. Mischa und Tiramisu war sicher eine verdammt leckere
Kombination! – aber da war dennoch dieser winzige Teil, diese leise
Stimme, die zweifelte. Nicht an ihm, sondern an mir – bevorzugt
entweder an meiner Fähigkeit, nicht gleich alles wieder zu verbocken, oder an
meinem Verstand. Vielleicht war das alles nur ein Fiebertraum, der durch den lang
anhaltenden Mischa-Entzug verursacht worden war – oder ich war
einfach komplett gaga geworden und hatte mich in eine perfekte Traumwelt
zurückgezogen. Denn perfekt schien mir gerade alles: Das Essen war lecker,
Mischa war Mischa und Thomas und der Neue hatten Ohrstöpsel. Was wollte ich
mehr?
„Dann kannst du ihn beruhigen“, erwiderte ich,
„ich hab’s nicht so mit Tanzen; dazu fehlt mir einfach das Rhythmusgefühl.“
Ganz abgesehen davon, dass ich es auch nicht mit Clubs hatte. Mischa durfte
gerne hin, aber ich hatte garantiert nicht vor, ihn jedes Mal zu begleiten.
Eher so einmal alle Schaltjahre.
„Da kann Boxen helfen …“
„Heute hatte ich eher das Gefühl, es wäre
verlorene Liebesmüh“, erwiderte ich grinsend, bevor mir auffiel, dass er mich
ernster ansah als zuvor. Und ein bisschen – zögerlich? „Was ist?“
Bitte, ich hatte es doch nicht jetzt schon geschafft,
etwas Falsches zu sagen, oder? Worüber sprachen wir noch mal? Übers Tanzen und
Boxen und über Rhythmusgefühl – alles keine schwerwiegenden Dinge,
oder? Ganz ehrlich, wenn meine Unfähigkeit in einem der drei
Dinge – oder allen dreien zusammen – für ihn ein Grund
wäre, das hier abzubrechen, hätte er spätestens gestern, als er mich beim
Einführungstraining sah, wissen sollen, dass es nichts werden würde. Aber wer
hatte schon solche Abbrechgründe?
Dennoch: Warum hatte er diese kleine Falte neben
der rechten Augenbraue, die er immer bekam, wenn ihn etwas beschäftigte?
„Machst du weiter? Mit Boxen?“, fragte er viel zu
neutral, um wirklich neutral zu sein.
„Äh …“, machte ich und bewies spätestens
damit einen IQ, der dem von Albert Einstein Konkurrenz machen könnte,
„ich … weiß nicht?“
Ich hatte es mir nicht genauer
überlegt – gestern während des Trainings, als Mischa Ärger mit seinem
Trainer bekommen hatte, war ich kurzzeitig überzeugt gewesen, dass ich besser
abbrach, ihm zuliebe – aber wir hatten das jetzt ja geklärt, also
gab’s keinen triftigen Grund, aufzuhören; andererseits hatte ich nur
angefangen, um mit ihm reden zu können, und da das besser gelaufen war, als ich
mir hätte erträumen können, hatte ich ebenso keinen triftigen Grund,
weiterzumachen.
„Wieso fragst du?“, wollte ich schließlich wissen.
Vielleicht wollte er das Studio gerne wieder für sich. Von wegen Rückzugsort
und so.
„Ecki hat mich gefragt“, erwiderte Mischa immer
noch verräterisch unbeteiligt, „Er meinte, du seiest dir gestern nicht sicher
gewesen und er hätte vergessen, dich heute zu fragen. Er wusste nicht, ob er
dich für Freitag eintragen sollte oder nicht und ich – na ja, du hast
gestern gesagt, du seiest nicht wegen des Boxens gekommen …“
Ich zuckte mit den Schultern. „Ich wäre wahrscheinlich
Freitag hingegangen ohne groß darüber nachzudenken. Heute war’s ja ganz
erträglich und irgendeinen Sport hatte ich sowieso anfangen wollen.“
„Also machst du weiter?“
„Wenn es dich nicht stört …?“
Er sah mich verdutzt an. „Wieso sollte es?“
„Weil es dein Hobby ist?“
„Ich hab kein Exklusivrecht drauf“, sagte er mit
einem amüsierten Grinsen, dass mir Schauer über den Rücken jagte, „außerdem
fände ich es … schön.“
„Wenn ich Kampfsport mache?“
„Wenn du bei uns boxt. Ich fände es schön, Tage zu
haben, wo wir uns garantiert sehen.“ Mischa zögerte, ließ seine Stimme beim
Weitersprechen sanfter werden. „Versteh das nicht falsch, aber du bist ja nicht
gerade der Extrovertierteste – das stört mich nicht, überhaupt nicht,
aber jetzt, wo Alessandro in deinem Zimmer wohnt, sehen wir uns ja nicht mehr
automatisch. Und wenn du beim Boxen bleibst, dann würde ich dienstags so wie
heute früher kommen und freitags könnten wir nach dem Training zusammen nach
Hause. Ich würde dich also immer spätestens dann sehen.“
Huh.
Über was er sich so Gedanken machte. Ich
meine – er hatte schon mitbekommen, dass ich heute im Studio die
Lippen nicht von ihm hatte lassen können, oder?
Dann blitzte plötzlich eine Erinnerung in meinem
Kopf auf, von ihm und mir in meinem Bett in der WG, am Morgen nach dem
Zombiefilm, als er mir seine Bedingungen erklärte. ‚Nähe‘ war eine davon
gewesen.
„Ich dachte, eine ‚Beziehung, wo man sich nur
zweimal die Woche sieht‘, ist nichts für dich?“
Im ersten Moment schien er überrascht, dass ich
mich noch so genau an seine Worte erinnerte, dann lächelte er.
„Ich habe ja auch ‚spätestens‘ gesagt. Dienstag
und Freitag ist eine gute Ausgangsposition, vor allem, wenn du freitags mit mir
nach Hause kommst.“ Seine Augen blitzten schelmisch auf. „Dann müsste ich
nämlich nur noch dafür sorgen, dass du vor Montagmorgen nicht einmal daran denkst,
zu deinen Freunden zurückzugehen – und bämm! Wir hätten
eine Situation, mit der ich leben könnte, bis Alessandro im Sommer zurück nach
Palermo geht.“
Ich schmunzelte über die spitzbübische Freude, mit
der er das gesagt hatte, doch dann fielen mir zwei Dinge auf.
„Moment mal“, begann ich, „wir gehen zu dir nach
Hause? Jeden Freitag?“
„Nur solange, bis ich deine Anita von mir
überzeugt habe. Ich dachte, bis dahin ist es für alle angenehmer, denn Thomas
und Alessandro stören sich sicher nicht an deiner Anwesenheit.“ Er sah mich an,
der Blick entschlossen. „Glaub mir, ich habe vor, sie von mir zu
überzeugen. So bald wie möglich. Aber wenn sie dir auch nur ein bisschen ähnelt,
dann wird das ein Haufen Arbeit.“
Ich zog eine Schnute. Unrecht hatte er nicht, aber
ich hatte mich doch schon dafür entschuldigt, ein Volltrottel gewesen zu sein.
Und mehr, als mir Mühe zu geben, von nun an kein Volltrottel mehr zu sein,
konnte ich doch momentan nicht tun, oder? Und Anita …
„So schlimm wird’s mit Anita wahrscheinlich
nicht“, versuchte ich ihn zu beruhigen, „sie hat mir sogar geholfen, das
Restaurant hier auszusuchen.“ Er hob seine Augenbrauen und ich zuckte mit den
Schultern. „Klaus hat Vorarbeit geleistet.“
Wahrscheinlich würde ich im Leben nie genug von
seinen Lächeln bekommen.
„Dann schulde ich ihm wohl ein Bier.“ Mischa
machte ein kurze Pause und hängte dann an: „Oder fünfzig.“
Ich nahm eine Gabel Tiramisu und ließ es mir auf
der Zunge zergehen. Dann erinnerte ich mich daran, dass er noch etwas so ganz
nebenbei gesagt hatte, das mir so gar nicht nebensächlich erschienen war.
„Was genau hast du gemeint mit ‚bis Alessandro
geht‘?“
„Na ja“, begann er und trank erst mal einen
Schluck – es sah verdächtig danach aus, als wolle er etwas Zeit
schinden, „Alessandros Austauschjahr geht im Sommer zu Ende und ich
dachte – ich weiß ja nicht, wie lange du vor hattest, bei deinen
Freunden zu bleiben, aber … Thomas würde sich auch freuen. Und eigentlich
ist es doch perfekt, wenn wir in einer WG wohnen, oder?“
„Inwiefern?“ Ich verstand, was der Vorteil daran
war, zusammenzuwohnen, aber so, wie er das sagte, hörte es sich an, als sei
eine WG besser als eine gemeinsame Wohnung – zumindest für den Anfang.
Nicht, dass ich ihm da widersprach, aber …
„Insofern, dass man sich in das eigene Zimmer
zurückziehen kann, wenn man keinen Bock auf Gesellschaft oder gar Streit
miteinander hat. Und wenn nicht, dann muss man nicht durch die halbe Stadt
fahren, um einen gemütlichen Abend miteinander zu verbringen.“
Ich wusste nicht genau, wieso, aber mir wurde
warm, von Innen heraus. „Das ist natürlich praktisch, da hast du Recht“,
erwiderte ich und griff über den Tisch nach seiner Hand. „Alles in allem ist
das ein ziemlich detaillierter Plan für ein erstes Date.“
Seine Finger verschränkten sich auch diesmal
wieder wie automatisch mit meinen und er drückte kurz meine Hand. „Mag sein.
Ich hatte gestern Nacht viel Zeit um Pläne zu schmieden.“
Ich nicht. Obwohl ich aufgeregt und durcheinander
und überglücklich gewesen war, hatte ich das erste Mal seit Langem wieder
richtig, richtig gut geschlafen.
„Auch einen für heute Abend?“
„Tausend.“ Sein Lächeln wanderte in Richtung eines
Grinsens, kam aber nicht ganz dort an. „Und kein einziger läuft daraus hinaus,
dass du morgen früh alleine aufwachst.“
Ping!
Das war das Geräusch in meinem Kopf, als seine
Worte meinen Selbstbeherrschungsfaden zerrissen. Im ersten Moment sah ich ihn
noch ruhig an und im nächsten hob ich die freie Hand und rief laut genug nach
der Rechnung, um die Gesellschaft am großen Tisch zu übertönen.
„Ich lad dich ein“, sagte er, als ich nach meinem
Geldbeutel griff.
„Nichts da“, erwiderte ich und setzte eine
möglichst Strenge Miene auf, „Derjenige, der um die Verabredung gebeten hat,
darf bezahlen, wenn er denn will – und das war diesmal sehr eindeutig
ich. Ich halte mich hier nur an deine Regeln.“
Er brummte. „Die sind ja nicht in Stein
gemeißelt.“ Dennoch hielt seine Hand inne, die ebenfalls auf dem Weg zu seinem
Portemonnaie gewesen war.
„Das merke ich mir für das nächste Mal, wenn du
wieder eine aus dem Nichts erfindest.“
Ohne zu antworten hob er unsere verschränkten
Hände und drückte die Lippen auf meine Knöchel. Die Geste war viel eher
zärtlich als gierig, und dennoch hatte sie eine fast schon berauschend
erregende Wirkung auf mich. Als gleich darauf der Kellner mit der Rechnung kam,
gab ich ihm wahrscheinlich viel zu viel Trinkgeld, aber das war mir in dem
Moment egal. Ich hatte einen genial schönen Abend hier verbracht und war nun
drauf und dran, den in eine atemberaubende Nacht zu wandeln, während der arme
Kerl das Saufgelage ein paar Meter weiter bedienen musste; ich konnte
wenigstens versuchen, ihm so einen kleinen Teil von meinem Hochgefühl abzugeben.
Dennoch konnte ich es mir nicht verkneifen, die
beiden Kerzen auf dem Tisch auszupusten.
***
Der Bus zurück war nur mäßig geheizt, so dass ich
mich kurz vor der Entscheidung sah, entweder seine Hand weiterhin zu halten
oder aber meine in meiner warmen Jackentasche zu vergraben. Beides erschien mir
höchstens mittelmäßig zufriedenstellend, so dass ich schließlich einfach unsere
verschränkten Hände in meine Jackentasche führte. Das war ein wenig eng, ging
sich aber aus.
Mischa musterte mich von der Seite, lehnte sich
dann zu mir und küsste mich auf den Mund, kurz und kribbelnd.
„Das wollte ich schon immer tun“, brummte er gegen
meine Lippen, bevor er sich wieder zurückzog.
„Was? Jemanden im Bus küssen?“
„Nein, öffentlich Händchen halten.“
Ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte, und
so drückte ich nur meine Finger einen Moment lang fester gegen seine Haut.
‚Olli‘, erinnerte ich mich, der Ex im Schrank.
Mischas erste – und einzige? – Beziehung. Irgendwie
seltsam, dass ein Typ wie Mischa nicht gleich wieder jemanden gefunden hatte.
Ich meine, wenn man ihn ansah, würde man davon ausgehen, dass er keine Woche
allein bleiben würde. Und wenn man ihn kennenlernte, dann noch
mehr – ich konnte ja schließlich nicht der einzige sein, der bemerkt
hatte, wie toll er war. Dass da bei der Trennung von Olli nicht mindestens drei
Typen in den Startlöchern gewartet hatten, erschien mir in diesem Moment wie
ein kleines Weltwunder. Ein für mich überaus gutes und positives Weltwunder,
verstand sich – aber dennoch ein Weltwunder.
Händchen halten, also. Na, das konnten wir von mir
aus täglich tun. Lustig, wie eigentlich völlig unwichtige Dinge manchmal
Bedeutung gewinnen konnten. Mein Essen, sein Händchen halten.
Und dann hatte ich die Erkenntnis des Abends
Nummer zwei: Ich wollte nicht, dass Mischa sich nach etwas so Alltäglichem
sehnen musste. Nicht, wenn ich was daran ändern konnte.
„Gibt’s davon noch mehr?“
Er sah mich an, als hätte ich ihn aus seinen
Gedanken gerissen. „Hm?“
„Dinge, die du schon immer tun wolltest?“
Er schmunzelte. „Ein paar.“
Ich versuchte das Kribbeln in meinem Magen zu
ignorieren – ein bisschen unfair war es ja schon, dass er nur zu
schmunzeln brauchte, um solche Reaktionen hervorzurufen – und reckte
mich zu ihm hoch.
„Sind darunter noch welche, bei denen ich helfen
kann?“
Das Schmunzeln verweilte einen Moment, gab dann
die Bühne frei für ein Lächeln. „Ja.“
„Gut“, erwiderte ich, drückte seine Hand und gab
ihm einen Kuss auf den Hals, „dann bin ich dafür, dass wir die nach und nach in
Angriff nehmen. Man lebt schließlich nur einmal.“
Mischa sagte nichts, ließ aber die Haltestange los
und schlang dem Arm um mich. Als der Bus zuckelnd an der nächsten Haltestelle
hielt, musste ich mich zwar für zwei festhalten, aber das war okay. Mischa
war … warm.
***
Vor der Haustür drehte er sich zu mir und sah mich
an.
„Wenn das unser erstes offizielles Date war“,
begann er, tiefer als sonst, rauer, „heißt das, dass wir bis zum dritten warten
müssen, bis du mit hochkommst?“
Es war gar nicht so einfach, sich auf seine Worte
zu konzentrieren, wenn sie in dieser Tonlage ausgesprochen wurden. Ich bekam
gerade noch mit, dass seine Mundwinkel zuckten, den Rest meiner Aufmerksamkeit
hatte seine Stimme beschlagnahmt. Er hörte sich so …
„Wie kommst du darauf?“
„Macht ‚man‘ das nicht so?“
… so …
„Ich denke, du solltest in Zukunft die Finger von
schlechten Hollywood-Liebesschnulzen lassen“, murrte ich, „die geben dir noch
schlechtere Ideen. Bleib besser bei den Zombies.“ Ich griff nach seiner freien
Hand und drückte meine Lippen auf den Knöchel – jedoch nicht, ohne
ihn kurz meine Zunge spüren zu lassen. „Außer natürlich, du willst warten?“ Und
noch einmal, mehr Zunge diesmal. „… Es langsam angehen lassen?“ Zähne und
ein Blick direkt in seine Augen. „Ganz wie du möchtest.“
Er atmete geräuschvoll ein und erwiderte dann
leise: „Wenn wir es bis nach oben schaffen sollen, musst du eine meiner Hände
loslassen. So kann ich nicht aufschließen.“
Ich tat wie gebeten, konnte mir aber ein neckendes
„Also doch nicht warten?“ nicht verkneifen.
Schlüssel klirrten, Mischa machte ein Geräusch
zwischen Schnauben und Brummen.
„Meiner Meinung nach haben wir mehr als genug
gewartet.“
… so hungrig an. Das war das Wort.
Hungrig.
***
Wir kamen oben an, Mischa schloss die Tür auf, zog
mich rein, schubste sie zu, streifte die Schuhe ab und wartete, bis ich meine
ebenfalls los war, bevor er mich durchs Wohnzimmer auf sein Zimmer zuführte.
„Durst?“
„Nein.“
„Klo?“
„Nein.“
„Super.“
Die Wohnung war dunkel, aber ich sah Licht unter
der Tür meines ehemaligen Zimmer durchscheinen und vernahm ganz leise
Schießgeräusche. Und dann ein sehr lautes „Minchia! Brutto figlio di puttana
bastardo!“.
„Der braucht die Oropax wohl nicht“, sagte ich grinsend,
als Mischa seine Zimmertür aufstieß.
„Nee“, erwiderte er amüsiert, „wenn er zockt,
braucht er nichts außer dem Computer und bekommt auch nichts außer dem Computer
mit.“ Er warf einen Blick zur Tür. „Sonst flucht er auch nie.“ Dann war das
Thema Alessandro offenbar für ihn abgeschlossen und er trat eine Schritt
rückwärts in sein Zimmer, so weit er konnte, ohne meine Hand loszulassen oder
mich zu ziehen.
Ich trat ein, tastete nach dem Lichtschalter und
kickte die Tür zu, als das Deckenlicht anging. Den Blickkontakt hielt ich dabei
aufrecht – ich wollte ihn sehen, den Anblick in mich aufsaugen. Jedes
verdammte Detail.
Einen Moment lang taten wir genau das: Uns
ansehen, einen halben Meter voneinander entfernt, die verschränkten Hände
zwischen uns. In der nächsten Sekunde hatten wir die Hände das erste Mal seit
dem Restaurant losgelassen, rissen an dem Reißverschluss der Jacke des jeweilig
anderen und stolperten auf sein Bett zu, er rückwärts, ich drängend. Dass dabei
das Küssen nicht richtig funktionierte, hielt uns nicht davon ab, es dennoch zu
versuchen.
Mischas Jacke landete als erste auf dem Boden,
gerade, als wir beim Bett angekommen waren. Ich gab ihm einen leichten Schubs
und er ließ sich auf die Matratze fallen.
Heiß. Er. Und mir.
Sex in Winterkleidung war allerdings nicht auf der
Liste der Dinge, die ich noch vor meinem Tod tun wollte, deshalb machte
ich kurzen Prozess und stand gleich darauf mit nacktem Oberkörper da.
Eigentlich hatte ich vorgehabt, es für den Moment dabei bleiben zu lassen und
ihm auf die Laken zu folgen, doch sein Blick nagelte mich förmlich an Ort und
Stelle fest. Erkenntnis des Abends Nummer drei: Haselnussbraune Augen konnten lodern.
Er sah von meinem Gesicht über meine Brust zu
meinem Bauch und wieder zurück in meine Augen. Ich ließ mein Hemd, das ich
immer noch in der Hand hielt, fallen und legte die Finger auf den Knopf meiner
Hose. Sein Blick ruckte nach unten und er leckte sich über die Lippen. Ich
konnte die Bewegungen seines Brustkorbs deutlich sehen, als ich, statt die Hose
zu auszuziehen, erst nur an dem Stoff zupfte.
„Milo …!“
Ich erschauderte. Seine Stimme klang rau,
ungeduldig, mühsam beherrscht, aber er sah nicht hoch, als hätte er Angst, es
zu verpassen. Mir wurde auf mehrere verschiedene Arten gleichzeitig
schwummrig.
Noch nie im Leben hatte ich einen Knopf so
sorgfältig und eine Reißverschluss so langsam, Zahn für Zahn, geöffnet. Ich war
noch nicht ganz fertig, als sich Mischa plötzlich aufsetzte, sich nach vorne
beugte und mich am Arm packte. Für eine Sekunde kniete ich über ihm, dann lag
ich mit dem Rücken auf der Decke und erhaschte einen flüchtigen Blick in grüne
Sprenkel, bevor er seine Lippen auf meine drückte und meine Lider zufielen.
Seine Hände auf meiner Haut zu spüren war
berauschend, vor allem, als er mir die Hose ausgezogen hatte, seine Finger um
meine Knöchel legte und sie dann nach oben schob. Als er bei meinen Knien
ankam, hob er das rechte an, sah zu mir hoch und drückte ohne den Blickkontakt
zu unterbrechen einen federleichten Kuss auf die Haut gleich oberhalb des
Gelenkes.
„Mehr!“, keuchte ich und spreizte die Beine
weiter, damit er besser herankam.
„Du willst mehr?“
Oh verdammt, wie konnte er plötzlich wieder so
ruhig klingen? Er hatte mich gerade innerhalb von wenigen Augenblicken auf
halben Weg in den Himmel geschickt und nun fragte er überflüssiges Zeug, statt
der Aufforderung nachzukommen – unfair!
„Ja“, presste ich hervor und erschauderte, als
sein Daumen begann, leichte Kreise auf der Innenseite meines Oberschenkels zu
zeichnen.
„Wie viel mehr?“
„Alles!“ Es brauchte mehr Kraft als logisch war,
mich auf die Ellenbogen zu stützen, damit ich auf einer Augenhöhe mit ihm war,
aber irgendwie kriegte ich es dennoch hin. „Ich will alles“, wiederholte ich
fest.
Mischa grinste beinahe verrucht. „Kannst du
haben.“ Und dann wanderten seine Hände weiter in Richtung meiner Körpermitte,
seine Lippen kehrten zu meiner Haut zurück und ich verfluchte unsere
Gesellschaft für die unnötige Angewohnheit, Unterwäsche zu tragen.
***
Die Welt war in Ordnung. Ich wusste nicht, wieso
die Welt in Ordnung war oder wieso sie es nicht sein sollte, aber das war egal.
Die Welt war in Ordnung und mir ging es fantastisch. Alles war
fantastisch.
Ich seufzte zufrieden und kuschelte mich näher an
Mischa.
Mischa.
Hinter mir.
Mischas Arm um meinen Bauch. Mischas Atem in
meinem Nacken.
Mischa. Mischa und ich. Zusammen. Gestern, beim
Date, nach dem Date, in der Nacht – mehrmals. Hrrm.
Er hatte Recht behalten: Ich war nicht alleine
aufgewacht.
Plötzlich verspannte sich mein ganzer Körper und
wurde steif wie ein Brett. Ich hatte Sex gehabt, mit Mischa, für den Sex
und Beziehung untrennbar waren. Und Beziehung bedeutete für ihn Nähe und
Zusammensein und Teil-des-anderen-Lebens-Sein und – und ich hatte
Sex mit Mischa gehabt, der Michael so …
…
… so überhaupt nicht ähnlich
war. Mal ehrlich? Kein bisschen. Nicht in den Dingen, die wirklich zählten.
Ich atmete tief ein und langsam wieder aus und
zwang mich dazu, mich zu entspannen. Es funktionierte zu etwa achtzig Prozent.
Sex mit Mischa. Beziehung mit Mischa. Mal
ehrlich? Das war, ganz unabhängig von Michael, an sich schon
angsteinflößend. Weil wir so verschieden waren und weil ich wusste, dass er
beziehungsmäßig keine halben Sachen machte. Und weil ich mich unweigerlich fragte,
ob ich ihm die Nähe geben konnte, die er brauchte. Ich war nun mal eher
einzelgängerisch und Mischa – nicht. Im Gegenteil, er brauchte noch mehr
Nähe als Michael und da hatte es schon nicht geklappt, weil ich offenbar nicht
in der Lage gewesen war …
Und jetzt?, unterbrach ich meine
Gedanken. Aufstehen und gehen? Davonlaufen und Mischa verlieren?
Nein. Das hatte ich versucht und es war definitiv
ein Irrtum gewesen. Mächtig großer Fehler.
Und aus Fehlern sollte man bekanntlich lernen.
Also.
Dennoch schlug mein Herz nervös mit
Formel-Eins-Geschwindigkeit und meine Schultern widersetzten sich dem
wiederholten mentalem Befehl, dass sie sich verdammt noch mal endlich
entspannen sollten.
Was, wenn ich es vergeigte? Ihn verletzte? Was,
wenn wir einfach nicht zusammen passten? Was, wenn da nicht mehr war als
oberflächliche Anziehung und guter – okay, richtig verdammt
guter – Sex? Was, wenn ich ihm in kürzester Zeit schon auf die Nerven
ging?!
Ja, was dann?
… Dann würden wir daran arbeiten müssen, so
wie andere auch.
Und wenn das nichts brachte? Dann würden wir uns
wohl trennen. Wäre scheiße, wäre unsagbar beschissen,
aber … aber noch beschissener wäre es, es gar nicht erst zu
versuchen. Wenn es wirklich nicht passte, dann passte es eben nicht, aber
jetzt, im Moment, sah es doch ganz und gar danach aus, als würden wir zusammen
passen, oder? Das Date war ja gut verlaufen. Und ich war glücklich
aufgewacht, was nach den letzten Monaten mal was ganz Neues war.
So ganz ließen sich die Zweifel nicht beseitigen,
aber ich beschloss, dass sie zweitrangig waren. Über zukünftige Katastrophen
wollte ich mir keine Gedanken machen – nicht jetzt, jetzt wollte ich
erst mal die Gegenwart genießen.
Es wäre schön gewesen, wenn mit dieser Erkenntnis
und mit diesem Entschluss die leichte Panik dahin verschwunden wäre, wo sie
hergekommen war, aber es dauerte eine ganze Weile, bis mein Puls sich beruhigt
und meine Schultern sich richtig entspannt hatten. Babyschritte, eben.
Schließlich hob ich träge ein Augenlid an und
spähte ins Zimmer. Es war hell, viel zu hell für meinen Geschmack. Auf der
anderen Seite war es dafür unter Mischas schwerer Decke herrlich warm. Also tat
ich das Naheliegende: Ich drehte mich weg vom Fenster mit seinem unerwünschten
Sonnenlicht und hin zu Mischa mit seiner sehr wohl erwünschten Wärme. Dann
rutschte ich noch ein wenig näher, küsste auf gut Glück seinen Hals und hoffte,
meinen-seinen Lieblingsleberfleck auch mit geschlossenen Augen getroffen zu
haben. Mein nächster Seufzer war sehr, sehr zufrieden.
Ja, das war definitiv eine Gegenwart, die genossen
werden wollte. Und ein bisschen mehr Schlaf morgens in den Ferien, wenn man
gerade mit dem frischgebackenen Freund im Bett lag, das hatte bestimmt noch
niemandem geschadet.
Zehn, vielleicht zwanzig Sekunden vergingen, bevor
er leise mit vom Schlaf rauer Stimme fragte: „Du bleibst?“
„Ja.“
Der Arm, den er bisher locker um mich gelegt
hatte, drückte mich plötzlich fest an ihn und ich spürte, wie er tief
durchatmete.
„Milo?“
„Hm?“
„Ich hab dich auch vermipßt.“
***
Als wir nach einer
ausführlichen gemeinsamen Dusche schließlich die Küche betraten, hatte ich
keine Ahnung, wie spät es war.
Thomas saß am Esstisch und
grinste mich breit an. „Vielleicht sollten wir eure Zimmer schalldicht machen;
die Oropax haben nicht ausgereicht.“
Ich verzog mein Gesicht.
Nicht im Ernst, oder?
„Hör nicht auf ihn“, sagte
Mischa und drückte mich kurz an sich, „wäre das wahr, würde er nicht so
ausgeschlafen aussehen.“
Thomas lachte.
„Wahrscheinlich nicht, nein. Aber der Gesichtsausdruck war Gold wert!“
Nett. Äußerst, überaus nett.
Ich warf ihm einen versucht-verärgerten Blick zu, der natürlich nicht gelang.
Nicht einmal Leonardo DiCaprio hätte es geschafft, an einem so schönen, absolut
positiven Morgen spontan verärgert auszusehen.
„Morgen, Thomas“, nuschelte
ich und überprüfte, dass die von Mischa geliehene Sporthose auch fest genug saß
und nicht gleich runterfiel, wenn ich mich bewegte. Ein bisschen lächerlich kam
ich mir darin zwar vor, aber andererseits – ich trug seine
Sporthose! Das war ein geniales Gefühl und ich war mehr als bereit, dafür
wie jemand auszusehen, der die eigene Kleidergröße weit
überschätzte – oder aber geschrumpft war.
„Nachmittag, Milo“,
erwiderte Thomas mit einem Zwinkern, „Schokopops stehen im Schrank.“
Hm. Sogar mein Frühstück war
vorhanden. Viel besser konnte der Tag wirklich nicht werden!
„Was möchtest du?“, fragte ich Mischa und angelte
bereits nach der Verpackung der Pops.
„… Pancakes?“, fragte er zurück und sah mich
mit einem verflucht guten Welpenblick an.
Seit wann hatte er den den drauf? Das war
doch … gemeingefährlich! Große, gut aussehende Männer sollten
generell keine Welpenblicke anwenden dürfen, verdammt noch mal! So fanden
neunundvierzig Prozent meines Hirns nämlich plötzlich, dass es eh schon zu spät
fürs Frühstück war und wir deshalb auch gleich wieder zurück ins Bett und dort
bis zum nächsten Frühstück bleiben konnten. Neunundvierzig Prozent meines Hirns
und einhundert Prozent eines anderen Körperteils.
Aber nein. Eigentlich hatte ich Hunger. Und eine
Stärkung konnte nur positive Auswirkungen haben. Und Mischa wollte Pancakes.
Ich räusperte mich möglichst unauffällig.
„Wenn ihr frische Eier habt?“
„Haben wir“, antwortete Thomas und versuchte, den
Blick zu imitieren, „krieg ich auch welche?“ Bei ihm wirkte das überhaupt
nicht.
Dennoch nickte ich. „Klar. Einmal Pancakes für
alle.“
Ich stellte die Pops zurück, nahm zwei Schüsseln
aus dem Küchenschrank und suchte dann die Zutaten zusammen. Mir wurde bewusst,
dass ich das hier ebenfalls vermisst hatte: Mit den beiden einfach nur zusammen
in der Küche sitzen und essen. Mit Anita und Klaus aß ich zwar auch meistens
zusammen – und es war auch mit ihnen schön – aber das hier
war irgendwie noch mal was anderes. Vielleicht war es wirklich keine schlechte
Idee, im Sommer wieder einzuziehen. Aber das zu entscheiden hatte noch Zeit.
Apropos Anita und Klaus …
„Hast du am Wochenende Lust, bei uns
vorbeizukommen und … keine Ahnung, vielleicht zu viert was zu Abend zu
essen oder so?“
Mischa schmunzelte. „Damit ich anfangen kann,
Anita zu bezirzen, meinst du?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Je schneller du
anfängst, desto schneller werden wir Ergebnisse sehen, oder?“ Auch wenn ich
wirklich nicht mit großen Schwierigkeiten rechnete. Nicht mehr.
„Warum warten?“, fragte
Thomas, „Es sind ja noch Weihnachtsferien – lad sie doch zum
nachmittäglichen Pancake-Essen ein, dann lerne ich die ominöse Anita auch mal
richtig kennen.“ Er grinste. „Bis ich sie in ihrer Wohnung gesehen hatte, war
ich mir nicht sicher, ob du sie nicht nur erfunden hast. Manche sollen ja ihre
unsichtbaren Freunde bis ins hohe Alter bewahren.“
Ich teilte ein Ei und ließ
das Eiweiß in die kleinere der beiden Schüsseln fließen. „Noch so ein Spruch“,
sagte ich mit einem warnenden Blick über die Schulter, „und du kriegst nur die
verbrannten ab!“
„Nee“, machte er, „dafür bist
du zu gut gelaunt.“
Wo er Recht hatte …
Mischa schlang seine Arme um
mich und schmiegte sich an meinen Rücken. Hmm, er roch frisch. Und lecker.
„Kann ich dir helfen?“
Ich wollte bereits den Kopf
schütteln – Pancakes kriegte ich gerade noch alleine
hin – doch dann nickte ich. „Kannst du das Eiweiß zu Schnee schlagen?
Dann ruf ich mal eben Anita an.“
„Natürlich.“ Ein Kuss auf
meine Schläfe, ein Streicheln über meinen Rücken, dann nahm er den elektrischen
Schneebesen, den ich bereitgestellt hatte.
Ich verließ die Küche, die
nun vom Geräusch des Schneebesens erfüllt war, wählte die Nummer und lauschte
drei langen Tuttönen, bevor es in der Leitung klickte.
„Merz.“
„Klaus? Ich bin’s. Sag mal,
kannst du dich heute für ein paar Stunden von deinem Computer losreißen? Ich
würde euch gerne jemanden vorstellen.“
*** *** ***
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