Der nächste Morgen verlief ruhig. Leider angespannt-ruhig und nicht
harmonisch-ruhig. Unsere Stimmen klangen freundlich, die Worte wurden
sorgfältig gewählt, die dazugehörenden Lächeln erschienen gezwungen und
berühren taten wir uns nicht mehr, nachdem wir aufgestanden waren. Irgendwie
scheiße, aber ändern konnte ich es nicht – also doch, wahrscheinlich
hätte ich etwas ändern können, aber was und wie, das wusste ich nicht. Die
Distanz ging nicht nur – vielleicht sogar nicht hauptsächlich – von
mir aus und sie … blockierte mich. Zusätzlich. Sie blockierte mich zusätzlich.
Ich hatte ja sowieso schon Probleme damit, auf ihn zuzugehen, weil er
eben … männlich war. Und meine Welt durcheinanderbrachte und ich
immer noch nicht sicher war, ob ich meine Welt durcheinandergebracht bekommen
wollte. Ein Teil von mir hing an meiner alten Welt, der andere wollte die neue
Welt genießen, die Rubin mir eröffnete. Es brauchte schon Überwindung,
aufzutauen, wenn er dafür empfänglich war, aber so … mal ehrlich: Auf
Leute zuzugehen, die auf Distanz gingen, das war nicht meine Stärke.
Meine Stärke war, Leute dazu zu bringen, gar nicht erst auf Distanz zu gehen,
aber wenn sie es einmal taten … dann tat ich mich schwer, sogar in
der Schule. Und während ich dort wenigstens noch einen Notfallplan hatte und
mich einfach zwang, weiter freundlich zu sein und mich weder vertreiben zu
lassen noch aufdringlich zu werden, wusste ich in dieser Situation hier nicht,
was angebracht war. Oder treffender formuliert: Was das beste Resultat
erzielte. Hingehen und ihn einfach umarmen oder ihm einen Kuss auf den Hals
geben, so wie er es oft genug bei mir tat, das … das konnte ich
nicht. Konnte nicht, war nicht in der Lage, meinen Körper dazu zu
bringen, und wusste dabei noch nicht einmal, ob ich es überhaupt wollte.
Und irgendwie … irgendwie brachte mich das während wir die Crêpes
machten dazu, ihn dafür zu bewundern, dass er das bisher immer so leicht
erscheinen lassen hatte. Rubin war auf mich zugekommen, als wäre es das
Normalste der Welt, dabei hatte ich ihm nicht nur die kalte Schulter gezeigt,
sondern ihn wortwörtlich von mir geschoben. Immer wieder. Und immer wieder
hatte er nicht nur trotzdem einen neuen Versuch gewagt, sondern sich auch
gleich noch ein Stück weit mir angepasst. Keine Küsse? Okay, dann Küsschen auf
den Mundwinkel. Das war alles nur ein Experiment gewesen? Gut, dann musste man
das aber auch gründlich durchführen. Ich hatte keinen Bock, für ihn den Koch zu
mimen? Kein Problem, aber könnte ich ihm dafür vielleicht kochen beibringen?
Das war im Nachhinein alles relativ … clever gewesen.
Und … hm … also … irgendwie … einf…ühl…sa…m…?
Uach, scheiß Wort. Scheiß Vorstellung. Scheiß Situation. Und sowieso.
Ich wollte nicht so über ihn denken. Oder generell über ihn nachdenken, tat
ich sowieso schon zu oft. Ich wollte, dass alles wieder unkompliziert wurde.
Und ja, ich wollte hetero sein. Immer noch, tief drinnen, und besonders jetzt,
wo er mich schon den ganzen Morgen mit diesem seltsam taxierenden Blick beobachtete,
statt meinen Nacken zu kraulen oder von hinten die Arme um mich zu legen,
während ich das Geschirr vorspülte.
Ich wollte, dass die Stimmung wieder so war wie gestern Nachmittag.
***
„Ich denke, Betsy sollte inzwischen aufgewärmt sein“, sagte Rubin, nachdem
er die Quiche in den Ofen geschoben hatte, „wollen wir ins Wohnzimmer, bis die
hier fertig ist?“
Ich nickte. Betsy ging immer. Und wer wusste, vielleicht wurde es ja
besser. Vielleicht ließ ihn die Wärme ein wenig kuscheliger werden.
Verdammt noch mal! Die Wärme sollte ihn gefälligst kuscheliger werden
lassen! Nicht obwohl wir gerade nicht wussten, wie wir dem anderen
begegnen sollten oder was sich als Konsequenz des Gesprächs, das wir immer noch
zu führen hatten, ergab – sondern gerade deswegen! Mal
ehrlich, die Konsequenz stand mit … sagen wir achtzig prozentiger
Wahrscheinlichkeit bereits fest. Und wenn wir das hier beenden mussten, dann
sollten wir doch wenigstens vorher noch genießen, was wir genießen konnten.
Oder? Mal abgesehen davon, dass wir das ausstehende Gespräch, das er ja
unbedingt auf heute verlegen wollte, bisher mit keinem Wort angesprochen
hatten. Wie hatte er mir in der Nachhilfe erklärt, dass es hieß, wenn man dem
eigentlichen Problem aus dem Weg ging? ‚To avoid the elephant in the house‘?
… Oder, nee, nicht Haus, Raum. ‚Elephant in the room‘, genau. Nun,
das Gespräch war der Elefant und wir ignorierten ihn geflissentlich. Nur leider
verschwand er deswegen nicht. Hatte echt keine Ahnung, wann er unerwünscht war,
dieser blöde Rüsselträger.
… Und warum zum Hades benutzte ich bitte in Gedanken eine englische
Redewendung? Die hatte in meinem Kopf ja mal so was von nichts verloren!
Ich ließ Rubin den Vortritt beim Erklimmen von Betsys Höhen und reichte ihm
unsere Gläser. Erst dann ging ich um sie herum und kletterte zu ihm rauf.
Er lag nicht auf der Fleecedecke. Er saß darauf, in einer Ecke, am Rand.
Das hatten wir bisher nur gestern während des Essens
getan – natürlich hatten wir das nur dann gemacht, denn auf Betsy zu
sitzen war nicht nur eine Verschwendung ihrer Wärme, sondern durch die niedrige
Decke auch nicht gerade das Nonplusultra an Komfort! Noch deutlicher konnte er
mir gar nicht zeigen, dass die Kuschelzeit offiziell beendet
war – außer natürlich, er würde es sagen, aber heute redete er
zwar, doch er sagte nichts.
Ich stemmte mich hoch, kroch flugs auf die Decke und – leck
mich doch! Ich legte mich hin. Nicht mein Problem, wenn er es unbequem
haben wollte. Kuschelte ich halt nur mit Betsy. Reichte. Dicke.
Bastard.
…
Er blieb tatsächlich sitzen. Wenn das nicht mal mehr als tausend Worte
sagte. Ich warf ihm einen genervten Blick zu, den er immer noch auf diese
seltsame, musternde Art erwiderte, dann verschränkte ich meine Arme und bettete
das Kinn darauf.
„Wie wär’s mit Musik?“, brummte ich nach einer oder zwei Minuten Stille.
Zum Glück brauchte die Quiche nicht lange. Bald war ich hier raus.
„Sicher.“ Freundlich-neutral war sein Tonfall. Keine Schulstimme,
aber … irgendwie auch scheiße. „Was möchtest du hören?“
„Such du was aus.“ Ich zuckte mit den Schultern und schloss zusätzlich
meine Augen, um zu zeigen, dass es mir wirklich egal war.
„Hast du keine Angst, dass ich was Amerikanisches wähle?“
„… Wie lange willst du mir das noch nachtragen?“
Er hob eine Augenbraue und sah einen Moment doch wieder wie Schul-Rubin
aus. „Dass du alles verteufelst, was mit meinem Heimatland zu tun hat? Lemme
think …“
Was zum …? Wieso war er denn jetzt so … zickig? Hatte
er seine Tage oder was war los?!
„Ich verteufle nicht alles. Nur das, was Mist ist.“ Ich spürte
förmlich, wie meine Laune mit jeder Sekunde sank. Wann piepste denn der blöde
Küchenwecker endlich? So brauchte ich echt nicht hier bleiben.
„Nenn mir etwas Gutes an oder aus Amerika“, verlangte er beinahe schon
trotzig. Kurz war ich versucht, mit ‚du‘ zu antworten, aber wirklich nur eine
Millisekunde lang. Sogar, wenn ich der Typ wäre, der solchen schnulzigen Mist
von sich gab, wäre das der falsche Morgen dafür. Keine Ahnung, wie er reagiert
hätte, aber mit seiner Kuschelverweigerung hatte er sich so eine Antwort
definitiv verspielt.
… Okay, der Ehrlichkeit halber musste ich zugeben, dass ich das so
oder so nie ausgesprochen hätte. Es war nicht nur zu viel, es
war … zu eng.
„Cola.“
„War ja klar.“ Er schnaubte. „Zwei Dinge.“
„Cola und Burger.“
„Drei“, grummelte er, „and no food this time!“
„Cola, Burger und Neil deGrasse Tyson.“
„Neil de… gute Wahl.“ Musste er dabei so überrascht Aussehen? Ich war nicht
dumm oder ignorant, verdammt noch mal! Nur, weil ich in Englisch eine Niete
war, lebte ich doch nicht hinter dem Mond. Und ich mochte Physik, vor allem,
wenn sie mir verständlich und interessant erklärt wurde. Ich kannte auch Michio
Kaku und – oh Wunder, oh weh! – Stephen Hawkings. Echt mal,
heute sammelte er keine Pluspunkte.
„Was ist jetzt mit der Musik?“, knurrte ich.
Kurz darauf hatte Rubin eine CD ausgesucht und eingeschaltet, aber ich
erkannte den Interpreten erst, als er schon fast wieder neben mir saß.
„Johnny Cash? Im Ernst?“
Er zuckte mit den Schultern.
„Ich habe dich gewarnt, dass es Amerikanisch werden würde.“
„Das meinte ich nicht.“
Er musterte mich mit einem verkniffenen Zug um den Mund, dann sah er in
Richtung des Weihnachtsbaums und … schwieg.
Echt jetzt?!
Er wollte hier sitzen und mich anschweigen? Weder kuscheln noch reden noch
irgendwas?
Gut Neunzig Sekunden lang ließ ich das durchgehen, dann fragte ich erneut:
„Was ist jetzt mit Johnny Cash?“
Er seufzte. Warum seufzte er? Da gab es doch nichts zu seufzen! Ich fragte
doch nur nach der Musik.
„Nichts ist mit Johnny Cash.“
„Warum hast du ihn dann ausgesucht?“, formulierte ich die Frage um, in der
Hoffnung, diesmal mehr als einen Satz als Antwort zu bekommen. Fehlanzeige.
„I like country music, okay?“
Okay … anscheinend war das kein Thema, worüber er reden wollte.
Warum auch immer.
Daraufhin folgte Stille.
Schon wieder.
Rubin schwieg, ich schwieg und Johnny Cash trällerte etwas über die Liebe
eines Ex-Knackis zu seiner Rose.
Und wieder wollten mir nur erbärmlichst banale Gesprächsthemen einfallen.
Musik, Hobbys, Bücher. Musik ging ja offenbar nicht und da er gerade nicht den
Eindruck machte, allzu Persönliches von sich geben zu wollen, fragte ich
schließlich: „Woher hattest du eigentlich Eliaseis?“
Es dauerte einige Sekunden, dann fragte er – und ich konnte
schwören, dass seine Schulstimme mit mindestens zwanzig Prozent ein Comeback
feierte: „Ist das wichtig?“
Offenbar nicht.
Rubin wollte wohl nicht reden. Auch gut.
Nein, nicht gut. Mal ehrlich, gab es ein unverfänglicheres Thema als Musik
oder Bücher, außer vielleicht dem Wetter? Warum blockte er so ab?
Eigentlich liebte ich Betsy, aber momentan konnte ich ihre Nähe nicht
genießen. Es war total … ungemütlich. Ich hasste es, dass er mich mit
so etwas Kleinem wie Redeunlust derart durcheinander bringen konnte, aber er
tat es. Er vermieste mir Betsy.
Ich war viel zu beeinflussbar geworden. Zu … sensibel! Das musste
ich in den Griff kriegen.
Ich hatte keine Ahnung, was heute mit ihm los war. Aber er konnte mich
gerade echt kreuzweise! Eine lockere Unterhaltung wollte er nicht und die noch
ausstehende unlockere Unterhaltung hatte er nicht nur nicht angeschnitten,
sondern mit seinem Verhalten erfolgreich abgeblockt, bevor ich sie anschneiden
konnte. Was tat ich denn noch hier? Zeit verschwenden, genau. Also setzte ich
mich auf.
„Ich sollte langsam nach Hause.“
Rubin schreckte auf. „What? Why?“
„Schon mal auf die Uhr geschaut? Du bist nachher verabredet und ich sollte
mich mal wieder zu Hause blicken lassen.“
„Yeah, but – aber erst am Nachmittag!“ Schulstimme war
weg, aber das machte meine Laune auch nicht mehr besser. „Die Quiche ist noch
im Ofen.“
„Und wenn der Küchenwecker klingelt, nimmst du sie raus und lässt sie
abkühlen. Ich habe vollstes Vertrauen, dass du das auch alleine auf die Reihe
kriegst.“ Ich wollte von der Decke runter, aber Rubin hielt mich zurück.
„Vyvyan, ich verstehe nicht, warum du es plötzlich so eilig hast.
Eben wolltest du noch Musik hören und jetzt …?“
„Jetzt ist mir klar geworden, dass ich besser nach Hause gehe und den
nächsten scheiß Aufsatz schreibe, damit ich am Nachmittag noch Zeit für meine
Familie habe.“
„Aber …“ Er versuchte sich an einem Lächeln, aber so ganz funktionierte
es nicht. „Bei dem Aufsatz kann ich dir doch helfen, dann geht’s schneller.“
Ich schnaubte und schüttelte den Kopf. „Das ist nicht wirklich der Sinn der
Sache, oder? Dass du mir jedes Mal hilfst. In der Klausur kannst du mir
schließlich auch nicht helfen.“
Ich wollte meinen Arm aus seinem Griff befreien, aber er verstärkte ihn.
„Vyvyan, ich möchte nicht, dass du schon gehst.“
Gestern hätte mir das wahrscheinlich als Grund gereicht, aber heute hatte
ich keinen Bock mehr.
„Was soll ich denn noch hier? Wir haben gestern die Nachhilfe abgehakt,
gekocht, und experimentiert – und heute Morgen haben wir dann
die Crêpes nachgeholt. Also kann ich jetzt genauso gut nach Hause, komme morgen
wieder und wir können es wiederholen.“ Ich riss ihm das Shirt aus den Händen.
„Reden willst du ja offenbar nicht – und auf kuscheln haben wir ganz
klar beide extrem wenig Bock.“ Ich zumindest nicht mehr.
Okay, vielleicht war ich ein bisschen verle… angepisst. Angepisst war das
richtige Wort.
Und noch ein bisschen vielleichter reagierte ich minimal – nein, mini-minimal – über.
Aber das war mir jetzt alles echt zu dumm.
„That ain’t …“ Na toll, jetzt sah er verletzt aus. Für
eine Sekunde. „Wie kommst du drauf, dass ich mich nicht mit dir unterhalten
will?“
Ich sah ihn an, als hätte er seinem IQ heute freigegeben. Das würde
zumindest einiges erklären. „Vielleicht, weil du eben erfolgreich jede
Unterhaltung abgedrückt hast?“
„Das liegt doch nicht an dir!“
„Natürlich nicht“, erwiderte ich mittlerweile wirklich sauer, „Du sprichst
sicher mit niemandem über so private Dinge wie, welche Musik du gerne hörst
oder welche Bücher du liest.“
„Es war mir peinlich.“
Ich machte mich mit einem Ruck endgültig los und rutschte an Betsys Rand.
„Klar, was auch sonst? Sind ja auch sehr peinliche Themen, vor allem im
Vergleich mit – keine Ahnung, sexueller Unerfahrenheit, vielleicht?“
„For Crissake“, rief er aus, als ich auf ihre Bank runterkletterte,
„nicht jeder kann dein verdammtes Selbstbewusstsein haben!“
Ich erschrak über die Lautstärke, fing mich aber gleich wieder.
„Was soll …“, begann ich, aber weiter kam ich nicht.
„My taste in music’s lame, okay? I listen to country and pop – everything
from Lady Antebellum and Scotty McCreery to Johnny Cash and from Lady Gaga and
Katie Perry to Ke$ha. Freakin’ Ke$ha! I know her music sucks, but I. Still.
Like. It!“ Er hatte dabei mit den Händen in der Luft herumgefuchtelt, aber
jetzt ließ er sie fallen. „Cash ist da echt noch das Akzeptabelste.“
Aha. So ganz verstand ich sein Problem nicht. „Warum hast du dann nicht
einfach etwas anderes eingelegt?“
Er zuckte mit den Schultern und sah zur Seite. „Ich
dachte … vielleicht hättest du gesagt, ich soll was aussuchen, weil
dich mein Musikgeschmack interessiert und … ich wollte …“ Noch
ein Schulterzucken. „Und dann ist mir eingefallen, was du für CDs in deinem
Zimmer hast – AC/DC, Metallica und was weiß ich. Dagegen ist mein
Zeug doch Kinder- oder Mädchenkram. Aber da war’s schon zu spät.“
„Denkst du echt, ich mache meine Meinung über dich von deiner MP3-Sammlung
abhängig?“
Er fuhr sich übers Gesicht. „Ich weiß ja noch nicht einmal annähernd, wie
deine Meinung über mich aussieht, noch viel weniger, wovon sie abhängt. Und ich
habe mir gestern schon mehr als genug Peinlichkeiten geleistet. Besonders hier,
auf Betsy.“
Und irgendwie verpuffte meine Wut. Keine Ahnung wieso. Ich drehte mich um,
legte die Hände kurz auf Betsys Kacheln, doch dann wurde es mir zu heiß. „Ich
hab’s dir doch gesagt: Nichts, was du gestern hier gemacht oder gesagt hast,
war peinlich.“ Rubin sah zu mir, schien aber immer noch nicht überzeugt. „Noch
nicht einmal die Tatsache, dass du dich für deinen Musikgeschmack schämst, weil
du anscheinend nicht mit meinem göttlichen Selbstbewusstsein gesegnet worden
bist.“ Ich grinste und bekam sogar ein halbes Grinsen zurück. Besser als
nichts.
„Was meine Meinung über dich angeht …“ Ich konnte sehen, wie er sich
verspannte und zuckte mit den Schultern. „Um ehrlich zu sein, weiß ich im
Moment selber nicht wie die genau aussieht. War ein bisschen viel.“
„Sorry.“
Ich schüttelte den Kopf. Entschuldigen musste er sich dafür nicht. War ja
nicht ausschließlich seine Schuld – sicher, er war es, der mich
verwirrte, aber dass ich mich von ihm verwirren ließ, dafür war ich selbst
verantwortlich. Ebenso wie dafür, das Chaos zu entwirren und wieder Ordnung in
mein Leben zu bringen. Mich wieder auf die wichtigen Dinge konzentrieren zu
können. Und damit sollte ich wirklich langsam anfangen.
„Viel Spaß heute“, wünschte ich und wollte mich abwenden.
„You’re still leaving? Vyvyan, I really am sorry, I didn’t mean to be rude
…“
Noch ein Kopfschütteln. Der Ärger war vielleicht verflogen, aber trotzdem
sollte ich gehen.
„Du musst doch eh bald los.“
„Erst um zwei.“
„Und vorher musst du dich noch duschen und umziehen und wer-weiß-was
machen.“ Putzen, E-Mails beantworten, all die Dinge eben, die er nicht gemacht
hatte, weil wir irgendwie ständig aufeinander hockten. Wenn wir ehrlich waren,
fehlte doch wirklich nicht mehr viel und ich konnte meine Adresse ändern
lassen. Und das war definitiv nicht gut. Nicht nur, weil man so früher oder
später genug voneinander hatte, sondern auch, weil das so nicht weitergehen
konnte. Es war schon viel zu auffällig – ich wollte gar nicht wissen,
was Mum oder Sue davon dachten – und daran gewöhnen wollte ich mich
auch nicht.
„Du könntest mit unter die Dusche“, bot er an, aber das herausfordernde
Lächeln wurde von einem leichten Zittern in der Stimme hintergangen.
Nicht, das deswegen das Angebot nicht verlockend gewesen wäre. Nein, es war
zu verlockend.
„Rubin …“, begann ich und zwang mich, ihn anzusehen, „Ich denke, es
ist besser, wenn wir etwas Abstand nehmen.“
Allein daran, dass sein Gesicht deutlich an Farbe verlor, wusste ich, dass
ich Recht hatte. Wahrscheinlich hatte ich ‚das hier‘ schon viel zu weit gehen
lassen. Zusätzlich zu allem noch eine Situation wie mit Fee nur in männlich
konnte ich nun wirklich nicht brauchen.
„I don’t want …“ Rubins Erwiderung wurde vom Küchenwecker unterbrochen.
Ich warf einen Blick in Richtung der Wohnzimmertür und setzte ein Lächeln auf.
„Siehst du? Es ist eh Zeit.“ Damit sprang ich endgültig von der Bank.
Rubin kam mir in die Küche nach, holte die Quiche aus dem Ofen und ich
brachte sogar ein lobendes Lächeln zustande.
„Na also. Sieht doch perfekt aus.“
Ich war froh, dass ich meine Sachen vorhin schon mit hinunter genommen
hatte. Ich wollte jetzt wirklich nicht noch mal nach oben, schon gar nicht in
die Nähe von Rubins Bett. Denn das war, trotz allem, fast genauso verlockend
wie Betsy.
Rubin sah mir schweigend dabei zu, wie ich Jacke, Mütze, Schal und
Handschuhe anzog und mein Zeug schulterte.
„See you tomorrow?“ Seine Stimme klang … dünn.
Ich nickte. „Klar, ich kann dich ja nicht ohne die Mini-Cheesecakes auf die
Party schicken.“
Kein Lächeln. Keine Grübchen. Nur ein Nicken, ein leichtes
Augenbrauenzusammenziehen.
Keine Ahnung, woher das jetzt schon wieder kam, aber ich beschloss, dass
ich es einfach der allgemeinen Situation zuschreiben würde. Alles andere
brachte ja auch nichts.
Ich trat hinaus, hob meine Hand zum Gruß, nicht sicher, was ich sagen
sollte, und wollte mich schließlich stumm wegdrehen, als er mich am Arm packte,
kurz an sich zog und seine Lippen mit Nachdruck auf meinen Mundwinkel presste.
„Bis morgen, babe.“
*********
Fucked up. That’s what this was. That’s what I had. Fucked up.
Wie zum Teufel konnte das sein? Ich versuchte, mich zurückzuhalten, ich
versuchte, nicht noch mehr Fehler zu machen und ihn weiter zu bedrängen und
machte irgendwie trotzdem alles nur noch schlimmer. So. Much. Worse!
Abstand! Er wollte Abstand! Wieso das denn jetzt?! Ich hatte doch den
ganzen Morgen über Abstand gehalten, hatte ihn nicht angefasst, hatte ihm
verfickten space gegeben und – und jetzt wollte er noch mehr
davon? Das konnte doch nicht sein Ernst sein! Hatte er denn nicht mitbekommen,
wie absolut beschissen der Abstand heute Morgen gewesen war? Konnte er sich
denn nicht vorstellen, wie viel schlimmer es werden würde, wenn der Abstand so
groß wurde, dass wir uns nicht einmal mehr im selben Zimmer – oder
auch nur Haus! – befanden? Vyvyan konnte das nicht wollen.
Er mochte mich doch. Er musste mich mögen, ein bisschen
zumindest – und wenn schon nicht das, dann genoss er immerhin
garantiert die Kuschelstunden! Inklusive Intensivkuscheln. Besonders das
Intensivkuscheln. Ich bildete mir das doch nicht ein.
Fuck it. Wenn er morgen Schluss machen wollte, würde ich ihn küssen.
Einfach nur, damit ich das ein letztes Mal spüren und abspeichern konnte.
Scheiß auf mein Versprechen, schlimmer, als dass er mich nicht mehr sehen
wollte konnte es eh nicht mehr kommen.
Das war es doch gewesen, worauf er mich durch die Blume schon mal
vorbereitet hatte, oder? Als er meinte, dass er morgen ‚wegen des Cheesecakes‘
kam und nicht etwa wegen der Nachhilfe. Der Cheesecake, der war nur morgen.
Nachhilfe aber war noch mindestens bis zum Schulanfang. Von mir aus auch
darüber hinaus.
Eigentlich war Vyvyan nicht der Typ, der Dinge durch die Blume sagte. Nein,
meistens war er schmerzhaft direkt. Aber sogar, wenn er mich durch die Wortwahl
nicht hatte vorwarnen wollen; sobald er auf seine Antworten bestand, war es
doch sowieso egal, ob er morgen nun nur wegen des Cheesecakes kam oder nicht.
Ich hatte schon froh sein können, dass er heute nicht reden –
Doch. Er hatte reden wollen. Nur nicht über die unbeantworteten Fragen und die
Konsequenz, die wir beide daraus ziehen mussten, sondern … über mich.
Hatte die Fragen gestellt, die ich gestern erwartet hatte und
ich – ich hatte ihn grandios abgeblockt, weil ich dachte, solange wir
nicht redeten, redeten wir auch nicht darüber. Und wenn ich noch ein
bisschen, nur ein Tag, nur zwei Stunden, von mir aus auch nur zehn oder zwanzig
Minuten mehr Zeit bekam, würde mir die ultimative Lösung einfallen. Und er
hatte sie mir gegeben, diese Zeit – hatte sie mir erst durch
Smalltalk geben wollen und hatte sie mir nun aufgezwungen. Weil ich zu viel
Schiss gehabt hatte, um Smalltalk zu führen und ihn zurückgewiesen hatte,
obwohl er dabei war, einen winzigen Schritt auf mich zuzumachen.
Good fuckin’ job, you moron!
Ich an seiner Stelle wäre auch wütend geworden.
Ob es ein Fehler gewesen war, mich heute zurückzuhalten? Vielleicht hatte
er das bereits als Zurückweisung … at least I could still
daydream. Es brachte mir im Endeffekt nichts, mir so etwas einzureden. An
den Tatsachen änderte es ja nichts. Und sogar wenn ihn das gestört hätte:
Schlimmer wäre es gewesen, wenn ich ihn an mich gezogen und mich geweigert
hätte, ihn wieder loszulassen. Es hatte schon an ein Wunder gegrenzt, dass ich
gestern Nacht warten konnte, bis er eingeschlafen war, bevor ich mit Klammern
angefangen hatte.
Das war doch lächerlich. Ich steigerte mich in was hinein. So sehr, wie es
sich momentan anfühlte, konnte ich ihn doch gar nicht mögen.
Und dennoch reichte der bloße Gedanke, dass ich gestern zum letzten Mal mit
ihm gekuschelt haben könnte, dafür, dass ich in Weltuntergangsstimmung versank.
As I said: fucked up. Royally.
Ich hatte grade Sehnsucht nach den beiden und träume jetzt wieder etwas vor mich her... Ich hoffe, dass es dir im RL gut geht :))
AntwortenLöschenHey.
AntwortenLöschenWie geht es dir? Knapp 6 Monate ist es nun schon her. Wie schnell die Zeit vergeht.
Sicherlich ist es gerade alles nicht leicht für dich.
Nimm dir die Zeit die du brauchst.
Ich werde auf dich und deine Jungs warten und hoffen, dass sie nicht in Vergessenheit geraten und uns bald wieder erfreuen können.
LG
Hallo Blaukaetzchen. Ich hab Deine Geschichte auf FF.de bis hier hin in einem Rutsch durchgelesen und bin absolut begeistert. Ich mag Deine Charas alle durch die Bank , nicht nur Rubin und Vyv sondern auch die ganzen Nebencharas wie Vyvyan's Family allen voran da Kitty, auch Megan und die leute aus der Schule. Du hast eine Art das alles so unglaublich lebendig zu beschreiben und den Figuren Leben einzuhauchen. Und ich liebe Betsy. Ehrlich - ich bin verliebt in einen Ofen . Gerade wenn es jetzt wieder anfängt kalt zu werden will doch jeder eine Betsy.
AntwortenLöschenIch hab mich erst gefragt warum so lange hier kein Update mehr kam als ich sah daß es nicht mehr weiter ging , dann hab ich in Deinem Blog gelesen warum.
Ich hoffe daß es Dir und der Person um die es geht - gut geht . Ich wünsch Dir viel Kraft für was auch immer Du sie brauchst und klar natürlich wünsche ich mir daß Du weiter schreibst wenn Du kannst und möchtest weil ich die Geschichte wirklich liebe. Aber fühl Dich nicht unter Druck gesetzt oder so was . Eigentlich wollte ich Dir nur zeigen daß ich und auch Deine anderen Leser Dich nicht vergessen haben ( siehe Reviews). ;-) Würde mich freuen wenn Du ein Lebenszeichen von Dir gibst ...
In diesem Sinne verabschiede ich mich mal mit in der Art Deiner zwei Süßen...
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„See you tomorrow?“ Seine Stimme klang … dünn.
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Ich trat hinaus, hob meine Hand zum Gruß, nicht sicher, was ich sagen sollte, und wollte mich schließlich stumm wegdrehen, ........................
„Bis morgen, babe.“ ...
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LG Angelsgirl