„Sollten wir nicht langsam aufstehen?“
„Nein.“
„Wie spät ist es?“
„Interessiert mich nicht.“
Ich seufzte. Ich hatte keine Ahnung, wie lange wir nun schon hier lagen,
aber es war sicher später, als ich in diesem Jahr je aufgestanden war. Und
langsam wurde ich unruhig. Ich war einfach nicht der Typ, der gerne unnötig
lange im Bett herumlag. Rubin offensichtlich schon, denn der kuschelte immer
noch. Mittlerweile wieder inklusive Daumenstreicheln, also war er wach. Wieso
ließ ich das eigentlich mit mir machen?
Mein Verstand brabbelte etwas von einer ‚Rubins Drohung von versauter
Laune‘, und auch wenn sich das nach einer äußerst fadenscheinigen
Ausre…Erklärung anfühlte, beließ ich es dabei. Eine bessere hatte ich nämlich
nicht – was wirklich fantastisch war. Wirklich, genial. Aber absolut.
Ich hatte schon seit Ewigkeiten davon geträumt, so einmal meinen Tag zu
beginnen: mit schlechten Begründungen an meinen amerikanischen Nachhilfelehrer
gekuschelt. Yippie.
„Lässt du mich dann wenigstens los, damit ich auf die Uhr schauen kann?“
Und ja, er hielt mich wirklich fest, umschlungen, irgendwie. Das an sich war
nicht so schlimm, eigentlich, irgendwie – ach, keine Ahnung, ich
wollte einfach aufstehen!
„Wir haben Weihnachtsferien, du hättest heute sowieso herkommen
müssen – also ist es doch egal, wie spät es ist“, sagte er, seufzte
dann und rollte sich plötzlich über mich.
Äh – was wird das, wenn’s fertig ist?
Er streckte die Hand aus, kramte einen Moment in der Nachttischschublade
und hielt mir dann plötzlich eine Armbanduhr vor die Nase.
„Zufrieden?“
Zwölf Uhr siebzehn.
Zwölf Uhr siebzehn?!
„Es ist bereits Mittag!“
Rubin sah selbst auf die Uhr und zuckte dann mit den Schultern.
„Und?“
„Und? Wir müssen endlich aufstehen, verdammt! Wir haben so schon den
halben Tag verschlafen.“
„Wir sind ja auch spät zu Bett gegangen.“
Ich sah ihn unbeeindruckt an und er seufzte und ließ den Kopf auf meine
Schulter fallen.
„Du hast keine Kuschelausdauer.“
„Hab ich auch nie behauptet.“
Er schnaubte unwillig.
„Was denn“, fragte ich, „wirfst du mich jetzt deswegen raus?“
„Nein“, erwiderte er nonchalant, „Ich hab mich nur gefragt, wo ich die
Handschellen hingetan habe.“ Dann richtete er sich auf und stieg kurzerhand aus
dem Bett. „Das macht dann abgerundet neun Stunden kuscheln – also
bekomme ich noch einmal neun.“
Ich, äh – Handschellen?!
Das … bei Eros, das wollte ich nicht über ihn wissen! Das
–
Rubin lachte und schüttelte den Kopf. „Ganz ruhig, Vyvyan, das war
ein Witz. Das mit den Handschellen; die neun Stunden waren mein Ernst.“
Verfluchter Ami! Hatte ihm denn niemand beigebracht, dass man solche Witze
nicht riss, solange der andere noch im eignen Bett lag? Und die neun
Stunden … was für neun Stunden? Wovon sprach er?
Dann holte mein Hirn endlich mit der Situation auf und erinnerte mich an
seinen zweiten Satz von eben. Neun Kuschelstunden. Zusätzlich. Der hatte sie
doch nicht mehr alle.
Rubin hob den Finger, um mich verstummen zu lassen, bevor ich auch nur den
Mund geöffnet hatte.
„Vergiss es! Du hast gestern Nacht deine Zustimmung
gegeben – wenn du jetzt protestierst, rechne ich genau, ohne
abzurunden.“
„Ich bin schon seit einer Ewigkeit wach – und du auch! Also sind
es nie und nimmer neun Stunden“, gab ich zu bedenken und bekam das erste
Grinsen des Tages.
„Wir haben nicht gesagt, es zählt nur bis zum Aufwachen, sondern solange
wir im Bett liegen. Es gelten also die gleichen Regeln, wie bei einem One Night
Stand: Es ist erst vorbei, wenn man aufsteht; schließlich würde man bloß wegen
eines Quickies am Morgen vor dem Aufstehen nicht gleich behaupten, mehr als
eine Nacht mit der Person verbracht zu haben.“ Er machte eine Pause und das
Grinsen bekam etwas beinahe Wölfisches. „Aber schön, dass du dich für die
vollen neun drei Viertel Stunden entschieden hast! Das war auch meine
bevorzugte Wahl.“
…
Nein. Einfach nur – nein! Er konnte das doch nicht
mit – mit einem verfickten One-Night-Stand vergleichen! Wir
hatten weder Sex noch eine einzelne Nacht miteinander gehabt; genau genommen
war das ja schon die zweite Nacht im selben Zimmer. Eine völlig jugendfreie
Nacht, wohlgemerkt!
Rubin streckte sich ausgiebig und meine Gedanken zerstreuten sich
augenblicklich in alle Himmelsrichtungen.
Das … er … hm.
Hm!
„Du kannst zuerst duschen gehen. Nimm einfach, was du brauchst. Ich drucke
schon mal die Blätter für heute aus.“
Duschen. Ja, das hörte sich gut an. So richtig eisig duschen, vielleicht
würde mich das wieder zu Verstand bringen.
***
Nach dem Frühstück, das halbwegs angenehm verlief, ging er ins Bad und ich
rief zu Hause an, von Rubins Festnetzanschluss, wie er vorgeschlagen hatte. Da
ich meine Handyrechnung auch nicht unnötig in die Höhe treiben wollte, hatte
ich das Angebot dankend angenommen.
Ich redete erst mit Pa, bis Kitty ihm den Hörer abbettelte. Sie liebte es
zu telefonieren, weil die Mädchen in den Fernsehsendungen das ja auch immer
machten. Kein Kommentar.
„Und ich kann wirklich morgen mit?“, fragte sie mich kurz darauf bereits
zum zweiten Mal.
„Ja, du kannst morgen mit zu Rubin kommen und ja, du kannst dann Betsy
sehen.“
Sie gluckste zufrieden und ein Lächeln stahl sich auf meine Lippen. Kitty
war süß – ein wenig verwöhnt, vielleicht, aber das war schließlich
nichts Schlechtes. Und so süß.
„Danke Vyvy! Ich hab dich ganz doll lieb.“
Dito?
„Und ich dich noch viel mehr.“
„Stimmt gar nicht“, rief sie empört, „ich hab dich mehr lieb als du mich!“
„Du meinst, du hast mich lieber.“
Sie schnaubte. „Das ist doch das Gleiche.“ Dann hörte ich gedämpft Pas
Stimme, danach Kittys Murren und schließlich sagte sie: „Du, Pa sagt, wenn ich
Nachtisch will, muss ich jetzt auflegen. Bis am Abend. Und ich hab dich viel
lieber!“
Ich lachte, verabschiedete mich und hängte auf. Das allein war das Kuscheln
wert.
… Vielleicht wäre es das aber auch so gewesen.
***
Als wir nach mehreren Stunden Knochenarbeit, drei Lollis und zwei kleinen
Pausen endlich durch den Nachhilfestoff des Tages waren, warf ich den Stift hin
und streckte mich genüsslich.
„Hast du essenstechnisch auf etwas Bestimmtes Lust?“
„Essenstechnisch?“ Er schmunzelte. „Nein, da darfst du mich überraschen.“
„Wie gütig.“ Ich stapelte die Blätter und schob sie in die Ecke des
Schreibtisches; ich würde sie morgen mit nach Hause nehmen. Morgen. Morgen,
weil ich ja morgen wieder hier sein würde, wie heute, wie gestern, wie
vorgestern. Wie ich es übermorgen wieder sein würde. Rubin beherrschte
meine Ferien, das war eine verfluchte Tatsache.
„Hast du mir noch deinen Aufsatz?“
Ich sah auf und hob die Augenbrauen. „Welchen Aufsatz?“
„Den, den du auf heute schreiben solltest? Dreihundert Wörter über ein
beliebiges Thema?“
Ach, der Aufsatz …
„Wann hätte ich den schreiben sollen? Ich war gestern Nachmittag unterwegs
und am Abend hier und heute morgen hast du mich nicht aus dem Bett gelassen.“
„Vorgestern Abend oder gestern Morgen hättest du demnach Zeit gehabt.“
Von Ferien hatte er aber auch noch nie etwas gehört, oder?
„Da hatte ich mit Kittys Streit zu tun.“ Ich merkte an seinem Gesichtsausdruck,
dass ihn das nicht sonderlich beeindruckte. Egal, wie seltsam anhänglich er
heute Morgen gewesen war, die Nachhilfe nahm er unverändert
ernst – das war mir eigentlich recht, schließlich wollte ich
bestehen, aber ich hätte auch nichts dagegen gehabt, wenn er ein wenig
Nachsicht gezeigt hätte.
„Hör zu“, fing ich noch einmal an und stand auf, „es tut mir leid, dass ich
es nicht geschrieben habe – könntest du mir nicht bis morgen geben?“
Das wäre auch noch genug Stress, immerhin war bereits später Nachmittag und wir
hatten noch nichts gekocht. Keine Ahnung, wann ich heimkommen würde.
Rubin überlegte. Besonders begeistert schien er davon nicht zu sein.
„Ich hab was gut, schon vergessen?“
Seine Mundwinkel zuckten, aber er blieb noch einen weiteren Moment still.
„In Ordnung. Dann korrigieren wir ihn aber auch morgen“, antwortete er
schließlich, „ansonsten kriegen wir übermorgen wieder nicht alles hin und alles
verschiebt sich nach hinten. Ich hab Samstagnachmittag was vor; wir können also
nicht wieder eine Extrastunde einschieben.“
Im ersten Moment war ich versucht zu fragen, was er denn vorhatte, aber
dann schaltete sich mein gesunder Menschenverstand ein und ich verkniff es mir.
Ging mich nichts an – vielleicht traf er sich ja mit Megan oder
so – hatte er nicht auch mal was von Clubs erwähnt? – Egal.
Mal ehrlich, es war schon ein Wunder, dass er bisher immer Zeit gehabt hatte.
„Klar. Solange wird Kitty schon stillsitzen können.“
Er nickte. „Kommt dann am besten schon am Vormittag. Sagen wir halb elf?“
Ich grinste. „Bist du sicher, dass du so früh aus dem Bett kommst?“
„Natürlich.“ Er erwiderte es, Grübchen inklusive. „Werd ja nichts haben,
das mich im Bett hält.“
***
Wir hatten uns letzten Endes für Kartoffelpuffer mit Gemüse entschieden,
dazu gab’s selbst gemachten Vanillepudding aus den Resten von gestern. Das
ähnelte zwar der Panna Cotta, aber wie sollte er sonst die feinen Unterschiede
der Dessertkunst lernen, wenn nicht durch das Zubereiten von ähnlichen
Desserts? Außerdem mussten wir so nicht extra einkaufen gehen und die
Erdbeersauce, die von der Panna Cotta übrig war, passte auch hervorragend dazu.
Resteverwerten ahoi! Und Rubin meckerte nicht, das war das Wichtigste.
Ich verstaute unsere Teller in der Geschirrspülmaschine und schloss sie. „Wie
wäre es mit Tiramisu morgen?“
Rubin sah mich überrascht an.
„Ich bekomme Nachtisch?“
„Was zu essen auch, immerhin werden wir über Mittag da sein.“ War das nicht
klar?
Grübchen, schön. „Tiramisu hört sich fantastisch an.“
„Okay. Das müssten wir dann gleich zu Anfang machen, damit es kühlgestellt
werden kann. Dauert mindestens vier Stunden.“
Er nickte. „Und was gibt’s dazu?“
Gut, das interpretierte ich dann mal so, dass ihn die vier Stunden
Wartezeit nicht störten.
„Mir egal. Was möchtest du?“, fragte ich zurück und ging durch die Küche
auf den Hauseingang zu.
„Vielleicht Risotto? Reis hatten wir noch nicht.“
Ich nickte und griff nach meiner Jacke.
„Welche Geschmacksrichtung? Gemüse, Lauch, Kürbis, Tomaten, Pilze, Safran,
Zitrone …?“
„Safran oder Kürbis – oder Zitrone, das hört sich auch lecker an.
Überrasch mich.“
„Ü-Ei-Risotto, geht klar.“
Plötzlich schlangen sich zwei Arme von hinten um meinen Bauch. Ich zuckte
zusammen und die Hand mit der Jacke hielt auf halbem Wege inne. Das fühlte sich
viel zu vertraut an.
„Was wird das?!“, zischte ich möglichst aufgebracht, auch wenn seine
Körperwärme an meinem Rücken das äußerst schwierig machte. Dennoch: Wenn ich
das nicht unterband, gewöhnte er sich so was noch an – und noch
schlimmer: dann gewöhnte ich mich am Ende daran, und das konnte nun
wirklich gar niemand brauchen. Am wenigsten ich.
Wieso roch er nur wieder so gut? Badete er etwa in diesem beschissenen
Shampoo?!
„Ich habe gerade beschlossen, dass ich jetzt gerne meine Kuschelstunden
eintauschen möchte“, erwiderte er und stütze sein Kinn auf meiner Schulter ab,
„du kannst die Jacke also wieder hinhängen.“
Ich hätte mich eindeutig gegen die Verdoppelung der Kuschelzeit wehren
sollen. Allein daran, dass ich es auch heute morgen nicht getan hatte, und das
nur, weil er sich kurz wie eine Katze geräk… soll heißen, aus Müdigkeit
gestreckt hatte, erkannte ich, dass es höchste Zeit war, nach Hause zu gehen.
Ich musste unbedingt etwas Abstand und vor allem einen klaren Kopf bekommen.
Diese Nacht hier hatte mir nicht gut getan.
„Das geht nicht.“ Ich machte mich von ihm los und drehte mich um. „Wenn ich
weitere neun Stunden hier bleibe …“
„Neun drei Viertel.“
„… dann verpasse ich wieder den letzten Bus.“
„Hm, ich sehe.“ Kurz sah er mich gespielt bestürzt an, dann lächelte er
ebenso gespielt gutmütig. „Keine Bange, wenn du lieb bittest, wäre ich durchaus
bereit, mein Bett erneut mit dir zu teilen.“
Ich spürte, wie meine Augen sich verengten, hielt inne und zwang meine
Gesichtsmuskeln sich zu entspannen. Das war nur seine übliche Provokation. Und
wortwörtlich genommen hatten wir uns ein Bett geteilt. Sprichwörtlich
allerdings hatten wir es nicht getan – und das war im Endeffekt das
einzig Wichtige. Vor allem, wenn ich daran dachte, wie kurz ich gestern Nacht
vor einem Fehler gestanden hatte.
„Wie großzügig“, erwiderte ich trocken, „aber du vergisst, dass Kitty
morgen nicht alleine herkommen kann. Vierzig Minuten hin, vierzig zurück, davor
Frühstück und dann noch ein paar Minuten, bis sie ausgehfertig
ist – ich glaube kaum, dass du Bock hast, um acht Uhr aufzustehen.“
Er zuckte mit den Schultern. „Es wird mich nicht umbringen, für die Schule
muss ich ja noch früher raus.“
An die Schule wollte ich nicht erinnert werden.
Wie es wohl sein würde, wieder mit ihm in einem Klassenzimmer zu sitzen? Er
war ja in unseren Grundkursen immer noch mein Sitznachbar – würde er
wieder dazu übergehen, mich zu ignorieren? Oder würde er … so wie
jetzt sein? Und: Was wäre schlimmer?
„Rubin, ich muss nach Hause. Der Aufsatz wartet auch auf mich.“
„Den würdest du mit meiner Hilfe als lebendiges Wörterbuch deutlich
schneller schreiben; dann könnten wir ihn auch gleich noch korrigieren und
Catherine müsste morgen nicht warten.“
Ich wollte protestieren, obwohl er durchaus Recht hatte, aber er kam mir
zuvor.
„Na gut.“ Ein Seufzen. Ein schweres Seufzen. Man hätte meinen
können, ich hätte von ihm verlangt, dass er von nun an die Häuser aller seiner
Nachbarn putzte – kostenlos – und ihm ansonsten damit gedroht, dass
nie wieder mit irgendjemand mit ihm kuscheln würde. „Aber eine Stunde
wird ja wohl drin liegen. Deine Familie wird eh bald zu Abend essen, da wirst
du nicht vermisst.“
Nach den Puffern und vor allem dem Pudding eben nicht, nein. Trotzdem war
es keine gute Idee, vor allem, da ich im ersten Moment versucht war, einfach
zuzustimmen.
„Wir haben nie gesagt, dass du die auch stückchenweise verlangen kannst.“
„Aber auch nicht, dass das nicht geht.“ Er stutze, dann schmunzelte er.
„Möchtest du damit sagen, dass du darauf bestehst, alles an einem Stück
abzukuscheln? Dir ist klar, dass das zwangsläufig dazu führen würde, dass du
den letzten Bus verpasst, oder? Bei fast zehn Stunden nach der Nachhilfe plus
gemeinsamem Essen …“ Das Schmunzeln wurde richtiggehend frech. „Also, wenn
du das unbedingt so möchtest …“
„Tu ich nicht!“
„Auch gut.“ Die Grübchen kamen zurück und sein Blick wurde
nackenkribbelnanregend. „Dann löse ich heute die erste Stunde ein.“ Er nahm mir
meine Jacke aus der Hand und hängte sie zurück. „Und keine Angst, knapp neun
Stunden reichen auch völlig, um den letzten Bus zu verpassen.“
Dieser – dieser – Bastard! Er wusste ganz genau, dass
das nicht so gemeint gewesen war.
Verdammt, eigentlich war ich nicht schlecht im Argumentieren, aber mir fiel
wieder nichts ein, was ich erwidern könnte – wie so oft, wenn er mich
von irgendeiner dummen Idee überzeugen wollte. Alles seine Schuld. Seine und
die meiner schwulen Seite. Die blockierte garantiert die wichtigsten Synapsenverbindungen
in meinem Hirn, sobald es um Rubin ging. Dieses verfluchte Mistding!
Wenigstens gehorchte mir meine Stimme, so dass sie sich wie ein Knurren
anhörte. „Rubin …“ Weiter kam ich nicht.
Mal. Wieder.
„C’mon, Vyvyan …“ Seine Stimme war klang plötzlich so samtig
weich, dass ich fast über das eklige Amerikanisch hinweghörte. „Ich zeige dir
auch etwas, was dir so richtig gut gefallen wird.“
Sofort wurde ich misstrauisch und er fügte leise lachend hinzu: „Something
completely innocent.“
„Hör auf damit“, grummelte ich unwirsch zurück, „Und versuch’s gar nicht
erst; das einzige, was mich jetzt überzeugen könnte, wäre etwas in Betsys Liga,
und sie kenne ich schon.“
Was nicht hieß, dass ich nicht gerne noch ein bisschen mit ihr gekuschelt
hätte – nur ohne Rubin. Auf Betsys Bank war es mir dann doch zu eng
zum Kuscheln. Neben- oder hintereinander konnte man nämlich schon mal nicht
liegen – und alles andere kam nicht in Frage.
Schon wieder schmunzelte er. Generell sah er so aus, als ob er bereits
gewonnen hätte und das – das fuchste mich! Was dachte der denn, dass
er mir ewig auf der Nase herumtanzen konnte? Scheißegal, wie gut er aussah,
wenn er verstrubbelt und halb nackt im Bett saß, und scheißegal, dass sich das
Imbettbleiben heute Morgen gut angefühlt hatte – irgendwann war
genug, schwule Seite und kuschelfreudige, hoffentlich verschwiegene
außenseiterische Amerikaner hin oder her.
„Das denkst du, aber es gibt Seiten an ihr, die du noch nicht kennst.“
Ich versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, dass mein Interesse nun doch
hinter den Burgmauern hervorlugte, aber dem Aufblitzen in Rubins Augen nach
durchschaute er mich.
„Schöne, wohlig warme Seiten“, fügte er an und zuckte anschließend
betont desinteressiert mit den Schultern, „aber wenn du partout nicht willst,
können wir das auch verschieben. Vielleicht finden wir ja noch irgendwann fünf
Minuten, in denen du sie zumindest einmal austesten kannst …“
Billig. Billiger, billiger Trick. Wenn er vorhatte, die neun drei
Viertel Kuschelstunden tatsächlich einzulösen, würden wir neun drei Viertel
Stunden Zeit haben, damit ich mich ausgiebig mit Betsys bisher unbekannten
Seiten bekanntmachen konnte. Der Bluff war in etwa so dicht wie ein
Abtropfsieb.
„Oder aber du nimmst dir die fünf Minuten jetzt und schaust sie dir einfach
mal an.“ Sein Lächeln war freundlich, der Blick
dagegen … gänsehauterregend: eine Mischung aus selbstsicher,
triumphierend, spöttisch und … äh, begierig? Vorhin Nackenkribbeln,
jetzt das, fantastisch. „Dein Bus kommt sowieso erst in fünfzehn Minuten.“
An der Art, wie er das sagte, war klar, dass er nicht glaubte, dass ich den
Bus Betsy vorziehen würde. Was wusste er schon.
Dumm nur, dass ich es auch nicht glaubte. Noch dümmer nur, dass ich seufzte
und den Kopf schüttelte und trotzdem „Nur fünf Minuten!“ antwortete.
Statt, dass der Triumph oder Spott in seinem Blick Überhand nahm, hellte
sich einfach sein ganzes Gesicht auf.
Ich war so ein Idiot. So ein verdammter, schwachköpfiger Dummkopf! Warum
konnte ich nicht einmal bei meinem Nein bleiben? Warum konnte ich nicht einmal
wirklich nicht wollen? Das alles wäre viel einfacher gewesen, wenn Rubin
absolut hohl oder hässlich oder
hetero oder – oder einfach gleich weiblich gewesen wäre.
Er griff nach meiner Hand und wollte mich mitziehen, aber ich entzog sie
ihm mit einem Ruck und –
Oh, Scheiße.
Rubin sah – enttäuscht? Verletzt?
Mist, ich –
Er lächelte künstlich – gequält? – und drehte sich um,
um ins Wohnzimmer vorzugehen.
Scheiße, das … das hatte ich nicht gewollt. Das war nur eine
Kurzschlussreaktion gewesen, weil ich von mir selbst angepisst war
und – und er wusste doch, wie ich zum Händchenhalten stand! Außerdem
hatte die Kuschelstunde ja noch nicht angefangen, also war überflüssiger
Körperkontakt noch tabu!
Das war nicht meine Schuld. Nein, er war selbst schuld. Was sollte die
Aktion auch? Ich fand den Weg ins Wohnzimmer schon alleine!
Und trotzdem, irgendwie … wollte ich es wiedergutmachen.
Ah, fuck!
Alles seine Schuld!
Im Wohnzimmer ging Rubin erst zum Sofa und holte die Fleecedecke, die
ordentlich über der Rückenlehne lag.
„Hitzeschutz“, meinte er auf meinen verwirrten Blick hin. Vielleicht war es
nur Einbildung, aber das Lächeln erschien mir immer noch zu dünn.
Ich folgte ihm um Betsy herum und sah zu, wie er auf ihre Bank kletterte,
sich auf den oberen Teil derselben stellte und …
… die Decke auf Betsys Hauptkörper legte, etwas aus dem Weg schob und
sich hochstemmte!
Oh.
Oh!
Gute Idee. Fantastische Idee! Warum war ich nicht selbst drauf
gekommen? Zwischen Betsy und der Decke war gerade genug Platz, dass man auf
allen Vieren auf ihr herumkriechen
und (ein wenig gebückt, aber egal) sitzen konnte und – Betsy
war groß! Breit. Normalerweise war das kein Kompliment für eine Dame,
aber bei ihr empfand ich das als einhundertprozentig positiv. Auf Betsy konnte
man liegen! Gut, ein Riese wie Kim würde sich vielleicht in die Diagonale legen
müssen – und dann hätte kein anderer Platz – aber Rubin und
ich waren ja keine verkappten Basketballer mit Bodybuilder-Anwandlungen.
„Kommst du?“
Ich sah zu Rubin, der die Decke glatt strich, nickte und kletterte
schneller hoch, als gut für mich war, denn in meinem Übermut stieß ich mir
den Kopf an der Decke. Nicht allzu fest, aber ein „Au!“ konnte ich mir dennoch
nicht verkneifen.
„Das braucht ein bisschen Übung“, meinte er und klopfte auf das Stück Decke
vor sich, „Komm her, sonst verbrennst du dir noch die Hände.“
Ja, und die Knie. Die steckten zwar in Jeans, aber ich spürte bereits, wie
die Hitze durchsickerte. Ich wusste nicht, ob es daran lag, dass die Bank nur
an den Ofen angebaut war, oder ob sie zusätzlich eine Hitzedämmung besaß, aber
das hier, direkt auf Betsy drauf, das war selbst mir zu heiß.
Ich krabbelte auf die Decke, die zwar fast so lang wie Betsy breit war, die
aber selbst nicht viel an Breite zu bieten hatte. Nein, überhaupt nicht viel;
das reichte gerade mal, dass zwei Menschen nebeneinander auf dem Rücken liegen
konnten, aber groß was mit Abstand war da nicht. Egal. Kaum drauf, legte ich
mich auf den Bauch und streckte mich genüsslich aus.
„… Bus?“
„Halt bloß die Klappe“, grummelte ich ohne Schärfe in der
Stimme – man hätte meinen Ton fast als gutmütig beschreiben
können – das von vorhin tat mir immer noch leid. Auch wenn es das
nicht musste. „Du kennst die Antwort.“
„Also kuscheln?“ Rubin saß dank der kleinen Decke so nah, dass er mit dem
Knie gegen mich stieß, als er sich ebenfalls hinlegte.
„Hab ich denn eine Wahl?“, fragte ich immer noch in demselben Tonfall und
eigentlich – also eigentlich war die Vorstellung, in diesem
Wärmeparadies noch ein bisschen was mehr gewärmt zu bekommen, absolut okay.
Vielleicht sogar mehr als das.
„Natürlich hast du die“, erwiderte er sanft und viel ernster, als ich
erwartet hatte – weil ich nämlich gar nichts Ernstes erwartet hatte.
Die Frage war ja nicht ernst gemeint gewesen, sondern nur mein übliches
Rumgemotze. Das sollte er mittlerweile kennen.
„Hab ich bisher noch nicht viel von mitbekommen“, murmelte ich, den Kopf
auf meinen verschränkten Armen gestützt.
…
Wieso kuschelte er nicht? Wie lange brauchte der Kerl, um sich hinzulegen?
„Vyvyan …“
Oh. Oh nein. Jetzt hörte er sich wirklich ernst an. So ernst, dass
ich die Augen öffnete und zu ihm rüberschielte.
Er lag bereits, nur nicht auf dem Bauch, sondern auf der Seite. So war die
Decke dann doch breit genug, damit man sich nicht berühren musste.
„Du musst hier gar nichts. Wenn du wirklich nicht willst, dann musst
du nicht mit mir kuscheln, musst nicht hierbleiben, musst mir auch nicht
beibringen, wie man kocht. Ich habe mich von mir aus und aus egoistischen
Gründen dazu bereiterklärt, dir Nachhilfe zu geben – du hast deswegen
keine Verpflichtungen. Wenn du willst, kannst du jeweils gegen Mittag hier
auftauchen und gehen, sobald du die Übungen gelöst und wir sie besprochen
haben.“
Äh, was?
Ich – wo… woher kam das denn bitte? Und was sollte das?!
Eben war mir noch so wohl gewesen, hier im Elysium der Wärme, und nun kam
er mir mit so was. Er hatte doch kuscheln gewollt! Er hatte jetzt
kuscheln wollen und dass ich ihm das Kochen beibrachte, war doch auch seine
Idee gewesen – hatte er plötzlich keinen Bock mehr, oder was?
… Ging ich ihm etwa auf den Geist?
„Warum lotst du mich hier rauf, wenn du deine Ruhe willst?“
Okay, das hatte ich eigentlich nicht so fragen wollen – auch wenn
es nicht verkehrt war. Warum bestand er auf kuscheln, nur um mir gleich darauf
durch die Blume zu sagen, dass ich nicht mehr länger als nötig bleiben
brauchte?
„Ich will doch nicht meine
Ruhe – nicht vor dir.“ Er sah mich baff und verständnislos an, bevor
er beinahe nachsichtig lächelte. „Mir war nicht bewusst, dass du so unsicher
sein kannst.“
Unsicher? Ich?!
Hatte der sie noch alle?
Ich stemmte mich auf meine Ellbogen hoch und wollte ihn anschnauzen, als er
die Hand ausstreckte und – durch meine Haare fuhr?
Hatte der sie noch alle?!
„Ich will nicht meine Ruhe vor dir“, wiederholte er, „Von mir aus kannst du
die ganzen Ferien über hier bleiben – kannst hier schlafen, kannst
Samstag mit, wenn ich mich mit meinen Freunden treffe, und kannst Sonntag mit
zu Megans Silvesterparty. Ich wäre auch bereit, Betsy twenty-four-seven
in Betrieb zu nehmen. Von mir aus, kannst du solange hierbleiben, wie du
willst. “ Er stockte, zögerte, korrigierte sich, etwas leiser als eben noch.
„Nein, eigentlich müsste das heißen: Ich mag es, wenn du hier bist, und
du darfst gerne so lange bleiben, wie du möchtest.“
Ähm … ähm?
Musste er so was sagen? Musste er es so sagen? Ich wollte das nicht
hören und vor allem wollte ich nicht darüber nachdenken. Auch wenn die
Vorstellung von einer rund um die Uhr heißen Betsy verlockend war.
„Allerdings“, fuhr er fort, „ist es für mich schwer einzuschätzen, was du
willst. Du protestierst fast immer und überall, aber dann scheint es dir doch
nichts – oder zumindest nicht viel – auszumachen. Bisher
habe ich angenommen, dass du es zeigen würdest, wenn du etwas wirklich nicht
willst – bei deinen … ‚Freunden‘ hast du ja auch immer
schön konsequent Nein gesagt, wenn sie dich irgendwohin schleifen wollten.“
Natürlich hatte ich das; die wollten schließlich jede Woche in ein Pub oder
in den Park oder wusste-Hera-wohin. Das musste ich mir nicht antun.
Seine Finger waren immer noch in meinen Haaren und nun fingen sie auch noch
an, mich zu kraulen. Wer hatte ihm bitteschön die Erlaubnis gegeben, das zu
tun?
„Aber gestern bist du auch mit ihnen weg, und hast weder davor noch danach
begeistert ausgesehen.“
Natürlich nicht, ich war ja auch nicht begeistert davon gewesen.
Ich zuckte mit den Schultern, aber vorsichtig, damit es ihn nicht beim
Kraulen störte. Ich war mir nicht sicher, inwieweit er das bewusst tat.
„Ab und zu muss ich mitgehen, sind immerhin meine Freunde.“
„Ja, aber …“ Er schloss kurz seine Augen und atmete durch. Als er mich
wieder ansah, waren sein Blick und seine Stimme fester als zuvor. „Ich will
nicht, dass das hier was Ähnliches für dich wird. Die Nachhilfe brauchst du
wegen der Note, aber ansonsten … Ich freue mich, wenn du bleibst,
aber nicht, wenn du denkst, es aus irgendwelchen Gründen zu müssen.“
Er sah mich abwartend an, abwartend und … nervös? Unsicher?
Besorgt? Irgend so was.
Was wollte er denn jetzt von mir? Zu hören bekommen, dass ich total gerne
Zeit mit ihm verbrachte und ihn sowieso lieber mochte als meine Freunde? Darauf
konnte er lange warten.
Warum musste er auch jetzt mit so einem Scheiß anfangen? Bisher hatte es ihn
auch herzlich wenig interessiert, was ich wollte und was
nicht – sonst wäre er am dreiundzwanzigsten nicht zum Essen
geblieben. Wäre am vierundzwanzigsten nicht zu uns gekommen.
Er konnte nicht ernstlich erwarten, dass ich ihm … dass
ich … ich meine, wie schwul war das denn?! Garantiert nicht.
Aber jetzt war ich schon hier, es war berauschend warm und ich war nicht
bereit, das so schnell wieder aufzugeben.
„Willst du jetzt kuscheln oder nicht?“ Leider hörte ich mich nicht so
knurrig an wie gehofft – aber dafür konnte ich nichts, seine Finger
waren mittlerweile gefährlich nah an meinem Nacken. Schwachstelle und so.
Seine Augenbrauen hoben sich. „Ich?“
Na wer sonst?
„Ja“, sagte er seltsam langsam, „Immer.“
„Dann würde ich an deiner Stelle anfangen. Die Uhr tickt.“
Lüge. Ich hatte keine Ahnung, wie lange wir schon hier oben lagen und mein
Handy war auch draußen bei meinen Sachen. Hitze und Elektronik war eben eine
schlechte Kombination.
Es dauerte einen Moment, aber dann lächelte er. „Wie du willst.“
Doch statt herzukommen, nahm er seine Hand weg und drehte mir den Rücken
zu. Was sollte das denn jetzt? War er jetzt beleidigt und schmollte,
oder was?
„Vyvyan? I’m waiting.“
„Und worauf?“ Das Amerikanisch ließ ich jetzt mal unkommentiert.
„Dass du mit kuscheln anfängst.“
Wa–
„Leck mich!“
„Wirklich?“ Er sah mich über die Schulter an. „Darf ich?“
„Rubin!“
Bastard!
„Schade.“ Er grinste plötzlich wieder saufrech. „Dann komm jetzt aber; du
wolltest schließlich heute noch nach Hause, und die Uhr fängt erst an zu
ticken, wenn du anfängst zu kuscheln.“
„Ich soll … sag mal, hackt’s?“ Er wollte kuscheln, nicht
ich!
„Nein, wieso?“ Rubin drehte sich gemächlich auf den Rücken und schenkte mir
ein Grinselächeln. Ohne Grübchen und deshalb nur ein Bruchteil so effektiv.
„Ich habe meine Hälfte schon verkuschelt, jetzt bist du dran.“
„So war das nicht abgemacht!“ Er hatte gesagt, er wollte doppelt so lange
kuscheln, nicht, dass ich – wovon träumte der Kerl nachts?
Nun wurde sein Lächeln – immer noch ohne
Grübchen – nachsichtig. „Warum gibst du es nicht einfach zu, wenn du
nicht weißt, wie man richtig kuschelt? Ist doch nichts dabei.“
„Ich weiß, wie man kuschelt“, zischte ich, „ich will nur …“
„Natürlich tust du das, Süßer“, erwiderte er seelenruhig, „Ich zeig’s dir
trotzdem, ja? Schließlich habe ich nur knappe neun drei Viertel Stunden, da
muss jede Minute ausgeschöpft werden.“
Sü…
SÜßER?!!
Dieser verfluchte Scheiß-Ami! Was dachte der sich eigentlich? Ich fand es
bei meinen Freundinnen schon verdammt nervig, wenn sie mich mit irgendwelchen
verkleinernden Kosenamen belegten, aber bei Kerlen – das ging gar
nicht! Noch deutlicher zeigen, dass man jemanden nicht für voll nahm, konnte
man gar nicht.
„Rubin, ich warne dich, wenn du mich noch einmal …“
„Komm, Vyvyan, dreh dich um.“
Hatte der mich gerade ernsthaft unterbrochen? Und dann legte er mir auch
noch eine Hand auf die Schulter und übte leichten Druck aus.
„Geht’s noch? Du kannst mich doch nicht einfach unterbrechen!“
„Wieso nicht? Ich weiß doch, was du sagen wolltest.“ Er lächelte, aber ich
sah genau, wie ein Grinsen in seinen Mundwinkeln zuckte.
„Weißt du was? Wenn du mich nicht ernst nimmst, kannst du mich mal
kreuzweise.“ Ich stemmte mich hoch und funkelte ihn an. „Das muss ich mir echt
nicht geben.“
„Ich nehme dich ernst, Vyvyan“, erwiderte er und legte seine Hand an
meine Wange – meine Wange! Wenn er die jetzt tätschelte, dann würde
ich ihn von Betsy schubsen. Ehrlich, das –
Aber er tätschelte nicht, sondern streichelte mit dem Daumen hin und her,
wie gestern Nacht. Und leider fühlte es sich genauso gut an wie gestern Nacht.
Oder vielleicht sogar noch ein bisschen besser; ich konnte mich nicht daran
erinnern, gestern Gänsehaut davon bekommen zu haben.
„Mehr als du dir vorstellen kannst“, fügte er hinzu und sah mich einen
Augenblick lang schweigend an, bevor er sanft wiederholte: „Dreh dich um.“
Dachte er echt, dass ich mich jetzt einfach brav wie ein Lämmchen hinlegen
und mit ihm kuscheln würde, oder was? So ein typischer Ami – denen
hatte doch allen jemand ins Hirn gesch…
Angedeutete Grübchen, ein Aufblitzen in den Augen. „Die Uhr tickt, schon
vergessen? Und dein Aufsatz wartet auch noch auf dich.“
Leck mich.
Leck mich!
Ich erdolchte ihn noch einen Moment lang mit meinem Blick, dann drehte ich
mich ruckartig um und ließ mich auf die Decke fallen. Brachte ja doch nichts;
wenn ich die Kuschelstunde nicht jetzt hinter mich brachte, musste ich sie beim
nächsten Mal mitanhängen.
„Ich kann dich nicht ausstehen!“
Rubin rückte an mich heran und legte den Arm um mich, wie gestern. „Das
hast du mir schon gesagt – mehrmals.“ Sein Ton war ruhig, aber
leicht. Er hörte sich nicht an, als würde es ihn besonders tangieren. Bastard.
„Öfter als mir lieb ist, wenn ich ehrlich bin. Wie wär’s, wenn du das von jetzt
an für dich behältst und es mich einfach wissen lässt, wenn sich was daran
ändert?“
Bastard!
Dann rückte er noch näher, vergrub das Gesicht in
meinen Haaren und schob ein Bein zwischen meine.
„Hey!“, rief ich und setzte mich hastig auf, „so haben wir das gestern
nicht gemacht!“
„Weil du nicht den Eindruck gemacht hast, als wärest du auf mehr
Körperkontakt erpicht. Ich schon. Ich finde Körperkontakt klasse. Ich habe mich
gestern für dich sehr stark zurückgehalten, dann kannst du dich heute für mich
ein bisschen anstrengen.“
Anstrengen? Er meinte ja wohl ‚überwinden’.
„Ich weiß, dass das fortgeschrittenes Kuscheln ist“, fuhr er fort und seine
Augen funkelten amüsiert, „aber ich habe vollstes Vertrauen in deine
Lernfähigkeit.“
„Mit meiner Lernfähigkeit hat das nichts zu tun.“
„Nein?“ Er lag immer noch da und sah zu mir auf. Herausfordernd und
intensiv. Und seine Haare waren einmal mehr leicht verstrubbelt. Oh weh. „Dann
beweise es“, sprach’s und drehte mir erneut den Rücken zu.
Blieb mir eine andere Wahl?
Rubin zufolge ja schon. Trotzdem ließ ich mich langsam wieder zurück auf die
Decke sinken.
*********
Das hier war nicht echt. Es konnte nicht echt sein – ich wusste, dass
ich wach war, aber gleichzeitig war ich mir sicher, dass ich träumte. Und ich
hatte Angst vor dem Erwachen.
Er war geblieben. Ich hatte ihm einen Fluchtweg dargeboten, aber er war ihn
nicht gegangen. Ich hätte mir beim Reden selbst in den Arsch treten können,
weil ich sicher war, dass er ohne zu Zögern abhauen und von nun an nur noch zur
Nachhilfe kommen würde, aber … er war immer noch da. War bereit, zu
kuscheln. Ließ sich sogar dazu bringen, nicht einfach nur stocksteif
dazuliegen, sondern schmiegte sich an mich. Eben noch hatte er die Hand
weggezogen, als hätte er sich verbrannt, dabei hatte ich ihn nur ins Wohnzimmer
bringen wollen, mit einer gedankenlosen Geste, die ich auch bei Freunden öfter
benutze. Ihn ins Wohnzimmer ziehen durfte ich nicht, aber in seinen Armen
liegen war okay. Keine Ahnung, wo da die Logik dahinter war, aber es war mir
auch schnuppe. Er war geblieben, trotz seiner Schwester, trotz des Fluchtwegs,
trotz des herausgerutschten Kosenamens, trotz der Aufforderung, selbst aktiv zu
werden. Ich hätte vor Erleichterung und Freude tanzen können. Tanzen und
jauchzen und ihn küssen. Vor allem Letzteres, immer und immer wieder, mal
langsam, mal stürmisch, auf jedem Fleckchen sein…
Breathe. Just … breathe.
Er rutschte näher und hielt mich fester; ich konnte nicht anders, als meine
Hand auf seine zu legen und meine Finger zwischen seine zu schieben. Ich hatte
bisher echt was verpasst – obwohl, nein. Ich bezweifelte, dass die
Situation sich mit jemand anderem gleich gut angefühlt hätte.
Das Beste an der Sache war, dass ich mich an ihn drängen konnte, ohne Angst
zu haben, dass er mitbekam, dass ich mich am liebsten umgedreht und auf ihn
gestürzt hätte. Obwohl… eigentlich müsste das doch in seinem Interesse
sein: So bekäme er den Rücken von Betsy und den Bauch von mir gewärmt. Den
Bauch, die Beine, das dazwischen …
Goddammit!
Wenn wir so weitermachten, gewöhnte ich mich noch an das unbefriedigende
Gefühl, mit einer Latte herumzuliegen und nichts dagegen tun zu können. Aber
besser unbefriedigt und hart als Vyvyan-los. Und deshalb blieb mir nicht viel
anderes übrig, als mich an seiner Hand festzuhalten und den Moment zu genießen.
Wenn er jetzt noch sein Bein zwischen meine … obwohl, keine Ahnung,
ob ich mich dann noch zurückhalten könnte. Dennoch: Ein Versuch war’s wert.
Schließlich war er trotz allem noch hier.
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