Wie lange wir so dalagen, konnte ich in Retrospektive nicht sagen, denn
irgendwann driftete ich ab. Es war so warm und gemütlich und roch so gut und es
war ruhig – was es bei uns zu Hause nach acht Uhr nie
war – und ich hatte so wenig geschlafen und mein Kopf war endlich
still. Nachdem ich mir den ganzen Morgen über Gedanken gemacht hatte, war das
eine unglaubliche Erleichterung. Vor allem, da es Gedanken gewesen waren, die
ich mir nicht hatte machen wollen, die ich am liebsten ganz tief begraben und
nie wieder hervorkommen lassen hätte. Rubin und ich, klar.
Aber eben, mein Kopf hatte endlich eingesehen, dass die Panikmache nichts
bringen würde und dass ein bisschen den Moment genießen und Schlaf nachdösen
nicht schaden konnte. Bis, ja, bis sich die Situation änderte. Es begann
schleichend, so dass ich den Anfang verpasste. Irgendwann mussten Rubins Finger
angefangen haben, sich zu bewegen, langsam erst, in kleinen Kreisen oder kurzen
Linien vielleicht. Warum sollte ich das auch bemerken? Da hatte sich ja noch
nichts geändert – es war immer noch warm, schön, ruhig und
wohlig – und ich döste zufrieden vor mich hin. Auch, als die
Bewegungen größer und nicht mehr ganz so federleicht wurden, blendeten sie sich
perfekt in meine Welt ein. Seine Lippen, die über meine Schulter geisterten,
spürte ich zwar, aber sie gehörten einfach dazu und waren noch kein Grund, mit
dem Dösen aufzuhören. Erst, als sie langsam über meinen Hals zur Kehle
wanderten und ab und an von Zähnen abgelöst wurden, kroch mein Bewusstsein in
meinen Körper zurück.
Rubin hatte sich ein wenig aufgerichtet, damit er besser hinkam, und seine
rechte Hand fuhr meine Seite hinunter, dann in mein Kreuz, das sich ihm fast
ohne mein Zutun entgegendrückte. Er schob sich etwas mehr über mich, stütze
sich mit einem Ellenbogen auf der Matratze neben mir ab und fing an, intensiver
an meiner Kehle zu knabbern.
„Rubin?“, fragte ich leise und unterdrückte den Drang, mich zu räuspern.
Dann war meine Stimme eben rau, schien ihn nicht zu stören.
Lippen lösten die Zähne ab, bahnten sich in Schlangenlinien einen Weg zu
meinem Ohr. „Hm …“
Es war nur ein Brummen, ein sanftes Vibrieren seiner Stimmbänder, aber
irgendwie schaffte er es, mir damit zu verstehen zu geben, dass er jetzt nicht
reden wollte. Okay, dann nicht. Ich schloss die Augen wieder und entspannte
mich, während meine Hände ganz von selber seinen Rücken fanden, auf kurzen
Umwegen zu seinem Hintern gelangten und sich hineinkrallten. Es war definitiv
schon zu lange her gewesen, seit sie das getan hatten. Ihm schien es auch zu
gefallen, denn er zwickte mich genüsslich ins Ohrläppchen, bevor er seine
Position erneut veränderte, ein Knie zwischen meine Beine drängte und sie
langsam, fast schon gemütlich auseinanderdrückte. Er ließ erst von meinem Ohr
ab, als er sich aufrichtete und, immer noch in der gleichen
Nicht-Geschwindigkeit, vollständig über mich schob.
Ich biss mir auf die Lippen und stöhnte leise, als sein Stoff meinen Stoff
berührte. Nachdem der erste Schock vorüber war, wurde mir bewusst, dass er sich
nicht weiter bewegte, also öffnete ich meine Augen und wollte ihn fragen, was
los sei – doch ich brachte keinen Ton heraus.
Rubin lag über mir, auf mir, stütze sich neben meinem Kopf ab und sah auf
mich hinunter. Seine Haare waren verstrubbelt und fielen ihm ins Gesicht, seine
Augen leuchteten warm und sein Lächeln – bei Eros, wenn er dieses
Lächeln auch nur ein einziges Mal in der Schule zeigen würde, könnte er sich
vor Verehrerinnen kaum mehr retten!
Er ruckelte leicht hin und her, als er sich auf seine Ellbogen
hinunterließ, und dadurch, dass
unsere Bäuche jetzt aufeinanderlagen, wurde mir bewusst, wie heftig sich
mein Brustkorb hob und senkte. Oh, und es schickte Stromstöße durch meinen
Körper, ganz nebenbei. Ich musste mich beherrschen, mich ihm nicht
entgegenzudrücken, aber so verzweifelt wollte ich dann doch nicht
rüberkommen – wenn er die Selbstbeherrschung hatte, einfach so
stillzuliegen, dann hatte ich die auch. Ich hoffte nur, seine war bald aufgebraucht.
Zuerst schien es so. Er hob eine Hand, strich mit dem Daumen über meine
Schläfe und stützte sich dann wieder ab, nah genug, dass er beide Hände in
meine Haare vergraben und meinen Kopf so fixieren konnte. Dann kam er herunter,
drückte seine Lippen auf meinen Hals und rieb sein Becken richtig an meinem.
Oh fuck, ja! Genau das hatte ich gewollt – und, wenn ich
ehrlich war, hatte ein gewisser Teil von mir seit dem er vorhin vor mir gekniet
und meine Jeans geküsst hatte, in freudiger Alarmbereitschaft
gewartet – genau hierauf.
Wie zum Hades schaffte er es nur, mich von einer Sekunde auf die andere ins
Hirntodland zu befördern? Rubin war ein Instant-IQ-Auslöscher. Schlimm. Aber
auch geil.
Ich drückte mich ihm entgegen und wollte die Reibung erhöhen, aber als er
die Lippen von meiner Haut entfernte, hob er auch seinen Körper wieder an.
Was sollte das denn jetzt?!
Ich musste die Augen schon wieder öffnen und wurde erneut mit diesem
Lächeln schachmatt gesetzt. Scheiße aber auch. Vergesst die Verehrerinnen, wenn
er das in der Schule aufsetzen würde, könnte er sich vor Verehrern nicht
mehr retten – auch solchen, die ansonsten hetero waren.
Meine Fresse.
Obwohl, nein. Wenn ich ihn so ansah und spürte und er mich so
ansah – ich wollte nicht, dass er das Lächeln in der Schule zeigte.
Oder irgendwo sonst außer hier bei mir. Rubin und ich waren kein Wir und
ich hatte somit kein Recht auf Besitzansprüche, aber dieses Lächeln, das wollte
ich für mich. Nur für mich. Das sollte ja wohl drinnliegen und erlaubt sein.
Ein Lächeln gegen … keine Ahnung, was er wollte, aber dagegen eben.
Wieder kam er zu mir herunter, wieder berührten mich gleichzeitig seine
Lippen und seine Körpermitte und wieder verpuffte mein Verstand zu Staub. Das
konnte doch nicht wahr sein. Ich brauchte mehr, verflucht! Und damit ich das
auch bekam, wollte ich ihn diesmal nicht so schnell wieder gehen lassen; also
hielt ich mit den Händen dagegen, als er sich wieder entfernen wollte.
Rubin hielt inne und murmelte: „Relax.“ Wanderte mit den Lippen drei
Millimeter weiter. Ich wollte meine Hüften heben, um ihm klar zu machen, was
ich davon hielt, jetzt zu relaxen, aber sein Mund tanzte erneut über
meine Haut: „Don’t. There’s no hurry.“
Und ich ließ meine Hüften wieder sinken. Wollte ihn ja nicht aus der
Stimmung bringen. Wenn er dachte, dass wir uns Zeit lassen sollten, bitte, dann
ließen wir uns eben Zeit. Keine Ahnung, woher er die Geduld nahm, aber ich
hoffte inständig, dass sie ihm bald ausging.
Wenigstens entfernte er sich nicht mehr, sondern lag schwer mit seinem
Gewicht auf mir und drückte mich in die Matratze. Seine Lippen liebkosten
meinen Hals, mein Ohr, meine Schultern und mein Schlüsselbein und bei jedem
kurzen, langsamen, genießerischen Kuss rieb er seinen Unterkörper ebenso
kurz, langsam und genießerisch an meinem. Und dazwischen, manchmal, ein
gewispertes „Vyvyan …“.
Ich starb nicht tausend Tode, sondern Millionen. Meine Finger waren längst
in seiner Unterhose verschwunden und knetete seinen Arsch im Takt seiner
Bewegungen. Und irgendwann kam mir der Gedanke, dass es, vielleicht, gar nicht
so schlimm wäre, mit Rubin weiterzugehen. Nicht heute, nicht jetzt, verstand
sich, aber das stand wohl sowieso nicht zur Debatte – denn egal, wie
lange ich sein Hinhalten aushielt, er erhöhte das Tempo einfach nicht! Im
Gegenteil, er schien vollkommen zufrieden zu sein – aber ich spürte,
dass er ebenso hart war wie ich, verdammt noch mal!
Schließlich konnte ich nicht mehr.
„Rubin!“
„Hm …“, brummte er völlig zufrieden, „What?“
„Red Deutsch!“
„Anything for you“, erwiderte er, leckte meiner Ohrmuschel entlang
und kam dann hoch, damit er mich anschauen konnte. „Was ist los?“
Was los war? Konnte er sich das nicht denken, verdammt noch mal?
„Mach endlich!“ Mir war bewusst, dass die gewollte Forderung sich mehr wie
eine Bitte anhörte, aber es war mir egal. Solange es ihn dazu brachte, das
Tempo anzuheben, war mir alles egal.
Wieder dieses Lächeln. Mittlerweile war es genauso Qual, wie seine
gemütlichen Berührungen Qual waren; es war zu viel und zu wenig zur gleichen
Zeit.
„Tu ich doch schon die ganze Zeit.“
Er hatte echt die Frechheit, sich dumm zu stellen. Das gab’s doch nicht!
„Du weißt, was ich meine“, versuchte ich zu zischen, aber es misslang
genauso wie das Fordern. Scheiß Hirntodland.
„Vyvyan, versuch doch ein…“
„Ich will kommen, verdammt!“, unterbrach ich ihn
heftig – und nein, das war mir nicht peinlich. War ja nicht so, als
ob das ein großes Geheimnis wäre, so angespannt wie mein ganzer Körper war.
„Jetzt!“
Er sah mich verwundert an. „Das ist Pech.“
Bitte?
Pech?!
„Was soll das denn jetzt heißen?“ Da, bitte, das Zischen kam schon
authentischer rüber. So langsam kämpfte ich mich auch aus dem Hirntodland
hervor.
„Ich habe nicht vor, dir jetzt einen Orgasmus zu bescheren“, antwortete er
doch tatsächlich – und das mit einer Ruhe, die ich einfach nur
unmöglich fand. „Mir selbst auch nicht. Keiner kommt vor der Nachhilfe.“
Keiner kommt vor …
„Du verarscht mich doch.“
Bitte, bitte lasst ihn mich verarschen!
„Nein.“
„Was soll das denn bitte?!“ Ich wollte hoch, aber er lag nicht nur immer
noch auf mir, sondern hatte auch immer noch die Finger in meinen Haaren und
hielt so meinen Kopf. „Wieso fängst du mit Intensivkuscheln an, wenn du …“
„Das ist doch kein Intensivkuscheln“, widersprach er mir sanft, „das ist
höchstens Mediumkuscheln.“
„Mediumkuscheln.“
„Genau“, bestätigte er, „Mediumkuscheln. Umgangssprachlich auch schmusen
genannt.“
Schmu… schmusen? Wir schmusten doch nicht! Schmusen, das hörte
sich so, so … also, so gar nicht nach uns an!
„Du verarscht mich doch …“, wiederholte ich kraftlos. Das konnte echt
nicht sein Ernst sein. Schmusen statt rummachen, wer kam denn auf solche Ideen?
Rubin senkte den Kopf und küsste die Kuhle meines Schlüsselbeins. „Würde
ich nie.“ Er presste sich wieder gegen mich und ich stöhnte ungewollt auf, zu
gleichen Teilen erregt wie frustriert. Er konnte mich doch nicht so
hängenlassen – und noch weniger konnte er jetzt einfach noch wer weiß
wie lange so weitermachen!
„Willst du das ich bettle?“ Würde ich. In dem Moment hätte ich ihn
wahrscheinlich sogar angefleht; ich hatte so lange gewartet, bis ich nicht mehr
warten konnte, und jetzt war auch alles scheiß egal.
Rubin hielt inne, stemmte sich erneut hoch und rutschte sogar ein wenig an
mir rauf, so dass er mir direkt in die Augen sah.
„Nein, Vyvyan, ich will, dass du lernst zu genießen.“
Genießen.
Nun, meine Damen und Herren, war es offiziell: Rubin hatte sie nicht mehr
alle. Ich hatte es genossen! Sehr sogar – aber dann war der Punkt
gekommen, ab dem ich es nicht mehr genießen konnte, weil es einfach zu viel
wurde – verstand er das denn nicht? Mal ehrlich, das musste er doch
verstehen, das musste er doch vorausgesehen haben! Was erwartete er denn? Ich
hatte schon oft genug bewiesen, dass ich die Selbstdisziplin eines läufigen
Chihuahuas hatte, wenn es um ihn ging, da konnte er doch nicht …
Die Finger seiner Linken begannen, mich beruhigend zu kraulen. „Berührung
muss nicht immer zu Sex führen.“ Er küsste meine Schläfe. „Erregung ebenfalls
nicht.“ Meine Stirn. „Manchmal ist es schön, einander zu berühren, einfach nur
die gegenseitige Nähe, sogar die gegenseitige Erregung zu genießen, ohne dabei
das ‚Ziel‘ Orgasmus zu verfolgen.“ Die andere Schläfe. „Schmusen, eben.“
Ich rümpfte die Nase. „Mediumkuscheln.“
Er lächelte und küsste meine Nasenspitze. „Genau. Mediumkuscheln.“
So ein Schwachsinn. Schmusen. Wozu sollte das denn gut sein, außer Frust
und blauen Kronjuwelen?
„Sei ehrlich: Wie oft wollte dich jemand schon am liebsten kastrieren, weil
du lieber schmusen wolltest, statt ihm oder ihr Erlösung zu
verschaffen?“
„Ihm“, stellte er richtig, „Und: noch nie.“
Okay, schoss es mir durch den Kopf, Rubin ist also schwul. Nicht bi oder was
auch immer.
Irgendwie … kein schlechter Gedanke.
„Glaub ich dir nicht“, gab ich zurück, doch er zuckte nur mit den
Schultern.
„Es ist die Wahrheit.“ Ein Zögern, dann: „Das ist mein erstes Mal.“
„Dass dich jemand am liebsten kastrieren möchte?“ Ich schnaubte und konnte
für einen Moment meine pochende Körpermitte ein Stück besser ignorieren.
„Bitte, wir wissen beide, dass das nicht wahr ist. Ich hab’s selber schon oft
genug tun wollen.“
„Dass ich … mediumkuschle.“
Oh.
Rubin – er … oh.
Also, …
Hm.
Was sollte ich darauf sagen? Machen konnte ich ja nicht viel außer daliegen
und mir selbst leid tun, weil sein mit Stoff bekleidetes Körperteil nicht mehr
auf meinem mit Stoff bekleidetem Körperteil ruhte – oder noch besser,
nicht-ruhte – aber zumindest sagen sollte ich wahrscheinlich etwas.
Nur dumm, dass mir ums Verrecken nichts einfiel. Also sah ich stumm zu ihm
hoch, und er zu mir runter, und … und irgendwo zwischen Zitronengras
und Bettwärme und seinem Hintern unter meinen Fingern fing mein Herz an,
unerträglich laut und ungesund schnell zu klopfen.
Nach langen Sekunden drückte er seine Lippen auf meinen Mundwinkel und
murmelte: „Echt schade, dass du mich nicht küssen willst.“
Wem sagte er das.
Vielleicht, wenn ich jetzt den Mund öffnete …
„Also muss ich entweder bis nach der Nachhilfe warten oder mir selber einen
runterholen?“
Nee, anscheinend doch nicht.
Rubin sah mich überrascht an und schmunzelte dann. „Sieht so aus, ja.“
So eine Scheiße aber auch.
Wichsen konnte ich auch zu Hause; wenn ich schon hier war, wollte ich
auch … Rubin eben. Also stand die Entscheidung eigentlich schon fest.
Blöder amerikanischer Bastard. Das konnte er mir doch nicht antun!
Offenbar ja doch. Bastard!
Ich seufzte und Rubin lächelte. Musste ihm wohl nicht erst sagen, welches
Türchen ich gewählt hatte.
Nein, ganz klar nicht, denn er rutschte wieder ein wenig runter und presste
sich gegen mich. „Keine Angst“, sagte er und biss mir spielerisch in den Hals,
„sobald die Nachhilfe vorbei ist, lutsch ich dich in den Himmel und zurück.“ Er
sah mit blitzenden Augen auf und verstärkte den Druck auf meinen Schritt.
„Natürlich nur, wenn du möchtest.“
Bas. Tard.
Zu meiner Schande entwich meiner Kehle alleine bei der Vorstellung ein
Laut, der sich verdammt nach einem Wimmern anhörte. In den Himmel und zurück.
Gelutscht. Von Rubin. Ob ich das möchte? Dümmste Frage des Jahrtausends.
„Du stehst drauf, die Kontrolle zu haben, oder?“, fragte ich, als ich mich
wieder ein bisschen gefangen hatte.
Rubin hielt inne, sah mich erneut an und lächelte halb amüsiert,
halb … warm. Dann wurde sein Blick ernst, ohne aber die Wärme zu
verlieren.
„Ich steh auf alles“, antwortete er und sein Griff in meinen Haaren wurde
ein wenig fester, „Ich stehe darauf, bei dir die Kontrolle zu haben.“ Der Griff
löste sich, dafür schmiegte er seine Wange an meine und verharrte einen Moment
so. „Ich stehe darauf, wenn du die Kontrolle übernimmst.“ Dann küsste er sich
meinen Hals hinunter bis zu meiner Brustwarze. Ich glaube, ich hinterließ
Kratzspuren in seinem Hintern, als ich seine plötzlich Zähne spürte. „Und am
meisten stehe ich drauf, wenn wir sie beide, zusammen, verlieren.“
***
Keine Ahnung, wie ich Frühstück und Nachhilfe überlebte.
Das … Mediumkuscheln war danach sogar irgendwie …
Hm, ja. Also, nachdem ich wusste, dass ich gar nicht erst auf einen
Orgasmus warten musste, weil der nie das Ziel gewesen war – zumindest
von Rubins Seite aus – war ich um einiges entspannter und konnte es
sogar genießen. Es war zwar immer noch frustrierend, aber … es war
meine Entscheidung, mich davon frustrieren zu lassen. Ich hätte mir ja
Erlösung verschaffen können, aber ich wollte nicht. Auch nicht, wenn Rubin
danach trotzdem noch für einen Blowjob zu haben gewesen wäre – ich
wollte nicht vorher kommen. Und so … ja, es war frustrierend, aber
auch aufregend und … erregend. Gerade die Tatsache, dass es nicht
weiter gehen würde, war erregend, irgendwie, auch wenn ich echt nicht sagen
konnte, wieso.
Die Nachhilfe auf der anderen Seite war eine Herausforderung. Verflucht
noch mal, wie sollte ich mich konzentrieren, wenn er mir erstens so etwas
versprochen hatte und zweitens auch noch die ganze Zeit so nah war und ich drittens
sehen konnte, dass er ebenfalls daran dachte? Oder wenn er leise murmelte: „Only
three exercises left“ und dabei meinen Nacken kraulte? Himmel, Arsch und
Zwirn! Es gab wirklich keinen Grund, die Stirn ob all meiner Fehler zu
runzeln – er sollte froh darüber sein, dass ich trotz allem vor
Anbruch der Dämmerung fertig wurde. Und das auch nur, weil der heutige Stoff
nicht so viel war.
Und dann, als ich endlich, endlich, endlich den letzten Punkt hinter
das letzte Wort der letzten Antwort zur letzten Übung setzte, ließ ich mich
erschöpft nach hinten fallen und schloss meine Augen. So anstrengend war die
Nachhilfe noch nie gewesen! Ich fühlte mich, als hätte ich einen Marathon
hinter mir – fast erschöpft genug, um keinen Bock mehr auf
Intensivkuscheln zu haben, aber nur fast. Und als ich Rubins Stimme hörte und
seine ersten Berührungen fühlte, verschwand das Fast auf Nimmerwiedersehen und
nahm die Erschöpfung gleich mit.
„You really gave your best today“, sagte er und beugte sich im
Stehen über mich, um meine Stirn zu küssen. Dann meine Schläfe. Meine Wange.
Kinn. „I know it wasn’t easy.“ Hals. Schlüsselbein. Hände auf meinem
Bauch, unter meinem Shirt. Ich atmete zitternd aus und drückte mich ihm
entgegen. Mehr, mehr, mehr! Endlich würde ich mehr bekommen.
„But you were so …“ Der Stoff wurde hochgeschoben, seine Lippen
fanden die freigelegte Haut. „… so incredibly diligent.“ Sie
wanderten langsam hinunter, Rippe für Rippe, Zentimeter für Zentimeter. Bauchnabel!
„You have no idea what a turn-on that is.“
Angetörnt, ja, das war ich auch. Worauf wartete er, verdammt noch mal?
Als hätte er meine Gedanken gelesen, legte er die Hand in meinen Schritt
und drückte leicht zu. „Now, let’s make good on that promise, shall we?“
Ja. Was auch immer er gerade gesagt hatte, wenn es dazu führte, dass die
Hand – oder noch etwas Besseres – da blieb, dann ja!
Er rieb mit der Handfläche über meinen Reißverschluss und küsste meinen
Bauch.
„Vyvyan?“
Was denn?!
Ich öffnete meine Augen, hob meinen Kopf und sah zu ihm hinunter. Ach du
Scheiße.
Er kniete zwischen meinen Beinen, total verstrubbelt und – wann
hatte er sein Shirt ausgezogen? Schon wieder dieses Lächeln. Wenn er so
weitermachte, würde ich sterben. Jetzt, hier auf dem Bürostuhl. Einfach, puff
und weg.
Er nahm seine Hand weg und drückte erneut seine Lippen auf den Stoff, wie
vor ein paar Stunden, lächelnd und ohne den Blick von mir zu nehmen.
„Do you want me?“
„Yes“, gab ich ungeduldig zurück und das Lächeln wurde breiter.
„Good. I want you, too.“
Und dann öffnete er, endlich, meine Hose.
„And I’m glad we’re finally speaking the same language.“
Jaja, ganz supi war das. Wenn er nur –
Ich hob meinen Hintern an, damit er mir Hose und Pants in einem ausziehen
konnte. Einen Moment lang fühlte sich die Zimmerluft kühl auf meiner Haut an,
dann umfasste er mich.
„You mind taking off your shirt for me?“, fragte er dunkel, während
sein Daumen rauf und runter strich.
Mein Shirt? Nee, kein Ding. Drei, zwei, eins – weg war das Teil,
flatterte durch die Luft und landete irgendwo auf dem Boden.
Ich sah zu ihm herunter, fordernd, bittend, fragend, doch es dauerte einen
ewigen Moment, bis er seine erneute Musterung meines Körpers abgeschlossen
hatte und meinen Blick gierig erwiderte. Dann huschten die Grübchen über sein
Gesicht und er senkte den Kopf, um –
„Rubin!“, keuchte ich und streckte die Hand aus, um ihn aufzuhalten, „Kondom?“
Er sah erneut hoch und schien nachzudenken, während sein Daumen wieder
anfing sich zu bewegen. Und bei jedem Richtungswechsel verminderte sich meine
Denkfähigkeit um fünfzig Prozent.
„Wenn du nicht clean bist …“, begann er und leckte einmal kurz
oberhalb seines Daumens über meine Haut. Ich kniff meine Augen zu und biss mir
auf die Unterlippe, konnte aber nicht verhindern, dass mein Becken ruckartig
nach oben stieß. „… dann habe ich mich bereits angesteckt; vorgestern habe
ich ja auch geschluckt.“
‚Auch‘.
Oh Götter, ‚auch‘! Würde er etwa wieder – wieso machte
mich die Vorstellung nur so an?
„Ich bin clean“, presste ich durch den Schleier, der sich um meine Denk-
und Handlungsfähigkeit gelegt hatte, hervor, „Seit meiner ersten Freundin,
jährliches …“ Sein Griff wurde fester und ich stockte. „… Screening.
Pflicht bei uns.“ Wegen Mum und ihrem Gesundheitsfimmel, aber an sie wollte und
konnte ich gerade absolut nicht denken. „Seit dem letzten hatte ich
keinen …“ Wieder spürte ich seine Zunge und diesmal könnte ich meine
Stimme nicht im Zaum halten.
„Great“, erwiderte er und küsste
mich – ihn – whatever, „Ich auch.“ Und dann setzte er sich
doch tatsächlich auf und begann in einer seiner Schreibtischschubladen zu
wühlen! Wie konnte er mir das antun, verfluchte Scheiße?! Sicher, er nahm dazu
die freie Hand und mit der anderen – oh, ja, genau da! – aber
trotzdem. Konnte er sich bitte auf seine Aufgabe –
„Hier, mein Beweis“, sagte er und ich brauchte einen Moment, bis ich den
hingehaltenen Zettel nehmen konnte – und noch etwas länger, bis ich
seine Worte verstand, „von Anfang Dezember. Seither habe ich niemanden
angerührt.“ Wieder seine Zunge, länger diesmal, verspielter, und – oh
Scheiße, Zähne! Ganz sachte nur, vorsichtig, aber – fuck me,
war das heiß! Sein Testbericht segelte gen Boden, ohne dass ich auch nur die
Chance gehabt hätte, zu prüfen, ob es wirklich ein Testbericht oder bloß ein
weißes Blatt Papier war.
„Except for you, of course“, fügte er hinzu, bevor er mich endlich
endgültig ins Elysium schickte.
***
Nachdem ich schon den ganzen Morgen darauf gewartet hatte, hätte ja um so
einiges gewettet, dass ich nicht lange durchhalten würde, aber ich hätte
verloren. Nur war das nicht mein Verdienst, sondern Rubins. Er zögerte es
hinaus, brach immer wieder kurz davor ab und konzentrierte sich lieber auf
meinen Bauch oder meine Innenschenkel oder – es war unerträglich
geil. So sehr, dass mir irgendwann im Halbdelirium der Gedanke kam, das
Schwulsein vielleicht gar nicht so schlimm war, wenn es dieses Ausmaß an
Genuss brachte. Ich hatte mir nicht einmal erträumen lassen, das so was
überhaupt möglich war. Allerdings traf das natürlich nur auf das Schwulsein an
sich zu – auf das, was zwischen Rubin und mir ablief,
sozusagen – und nicht Schwulsein in Verbindung mit der Gesellschaft
oder dem Gesetz. Oh, nein, definitiv nicht. Aber hier, solange es nur um ihn
und mich ging, war’s gar nicht so schlecht. Untertreibung des Jahrhunderts.
Ja. Untertreibung des Jahrhunderts und Orgasmus meines Lebens. Keine
Ahnung, wie er das hingekriegt hatte, aber … holla die
Waldfee – obwohl die ja nichts damit zu tun hatte. Also wohl eher:
holla die Rubinfee!
Jedenfalls war ich danach nicht nur außer Atem und durch, ich war weg.
Nicht im Hirntodland, einfach nur weg. Ich hing im Bürostuhl, versuchte,
Herz, Atmung und Gliedmaßen wieder halbwegs unter Kontrolle zu bekommen und
wusste gleichzeitig, dass mir das erst mal nicht gelingen würde, weil ich noch
nicht einmal mehr sicher war, ob ich so etwas wie Herz, Atmung und Gliedmaßen
überhaupt besaß. Interessanterweise spürte ich dennoch Rubins Hände sehr
deutlich auf mir, als er sie auf meine Hüften legte und mich auf seinen Schoß
zog. Der Stuhl rollte nach hinten und verließ damit meine Welt, während Rubins
Körperwärme und Zitronengrasduft ein Teil von ihr wurden. Und auch wenn ich
meine Gliedmaßen nicht unter Kontrolle hatte, legten sich meine Arme dennoch um
seinen Hals, damit ich nicht von ihm herunterfiel.
Eine Weile saßen wir einfach so da, mein Gesicht in seinen Haaren
vergraben. Dann fragte er leise:
„You liked that?“
„Ja.“ Meine Stimme klang dumpf und leise und ich sprach das Wort in seine
Haare, war aber wahrscheinlich nah genug an seinem Ohr, dass er es trotzdem
hörte.
Dumme Frage – aber der Gedanke kam erst, nachdem mein Mund schon
geantwortet hatte.
„Wanna do it again?“
Ich versuchte mich ein wenig aufzurichten, um ihn zu fragen, ob das sein
Ernst war – ich konnte jetzt unmöglich noch mal! – doch er
fügte hinzu:
„Not now, of course, but … sometime? Tomorrow, maybe, or the
day after – or whenever, really?“
Irgendwann? Morgen? Keine Ahnung, ob ich bis morgen schon wieder
einsatzfähig sein würde, aber ja. Wenn ja, dann ja. Definitiv ja. Ich nickte.
„Good. But you have to know, I really don’t like the taste of condoms.“
Kurze Pause. „I’d still go down on you, of course, but if you want it to
last just as long and be just as intense …“
„Was is’ mit Kondomen?“, nuschelte ich überfordert. Ich wusste, dass ich
mich normalerweise wegen seiner Sprachwahl aufregen würde, aber gerade hatte da
einfach keine Energie für.
„Ich mag den Geschmack nicht.“
Konnte ich verstehen, vor allem, wenn sie so schmeckten, wie sie rochen.
Ich für meinen Teil hatte noch nie eins in der Hand gehabt und dann den Drang
gespürt, es abzulecken. Urgs.
„Wenn du das also wiederholen möchtest – genauso intensiv,
genauso ausgiebig – dann müssten wir das Kondom am besten wieder
weglassen können.“
Okay. Kein Ding, hatte ich nix gegen.
„Aber“, fuhr er fort, „dazu muss ich mir sicher sein können, dass du
weiterhin gesund bist.“
Ja, klar. Verständlich. Hatte auch noch nie was Ansteckendes gehabt,
zumindest keine sexuell übertragbare Krankheit.
Er zögerte, dann wanderte eine seiner Hände meinen Rücken hinauf bis zum
Nacken und begann zu kraulen.
Sehr gut, nicht mehr aufhören bitte.
„Bin clean.“
„Ich weiß“, erwiderte er und ich konnte die Grübchen hören. Die Grübchen
waren echt super. „Ich auch. Solange wir also nur miteinander Kontakt haben,
gibt es keinerlei Gründe, ein Kondom zu benutzen.“
Ja, logisch. Schön, dass er eins und eins zusammenzählen konnte.
„Wenn du möchtest, dass ich das Kondom auch in Zukunft bedenkenlos
weglasse, möchte ich mir sicher sein können, dass ich das gefahrlos tun kann.“
Auch logisch. Worauf wollte er hinaus?
„Kannst du mir das versprechen, Vyvyan? Dass du dich auf niemand
anderen einlässt? Kein Küssen, kein Rummachen, kein gar nichts?“
„M-hm“, machte ich zufrieden. Kein gar nichts, kein Ding. Mit Fee wollte
ich ja Schluss machen und danach hatte ich erst mal ‚Trauerphase‘, da würde es
nur komisch kommen, wenn ich mir eine neue Freundin suchen würde. Und
eigentlich – also, eigentlich sollte mein Ruf es auch aushalten, dass
ich ein Weilchen Single blieb. Waren ja eh nur noch ein paar wenige Monate an
dieser Schule. Ja, genau. Den Stress mit einer neuen Freundin konnte ich aus
meinen Pflichten streichen. Schön.
Rubin hörte auf zu kraulen und schob mich an der Schulter so weit von sich
weg, bis ich ihn ansehen konnte.
„Vyvyan?“
Was guckte der mich so fragend an? Ich hatte doch bereits zugestimmt.
Aber irgendwie … sah er auch ein bisschen unsicher aus.
Wahrscheinlich. War gerade schwierig, mich auf seine Gefühle zu konzentrieren,
ich war einfach viel zu zufrieden dafür.
„Kein gar nichts mit niemandem“, bestätigte ich noch einmal.
„Außer mir.“
Ja, du Genie.
„Außer dir.“
Eine Sekunde lang konnte ich sein Gesicht strahlen sehen, dann beugte er
sich vor und küsste meinen Mundwinkel. „Attaboy!“
Keine Ahnung, was das schon wieder bedeutete, aber – auch
egal. Seine Haut auf meiner Haut war auf jeden Fall ein tolles Gefühl.
*********
Ich konnte nicht fassen,
dass er zugestimmt hatte – war ihm überhaupt bewusst, was er da
gerade versprach? Scheiße, ich hoffte, er nahm das nachher nicht zurück. Würde
er nicht, oder? Eigentlich stand er ja dazu, wenn er etwas gesagt hatte. Nur
seine Handlungen überforderten ihn manchmal. Oder meine. Egal – er
würde es sicher nicht zurücknehmen. Ich war jetzt einfach mal Optimist und
genoss den Moment und die Bedeutung seiner Worte. Klar, es war keine Beziehung,
das bildete ich mir nicht ein, aber – ich brauchte mir keine Gedanken
mehr machen, nicht wegen Felizitas und nicht wegen den anderen Mädchen in der
Schule, die sich sicher darüber freuen würden, wenn sie erfuhren, dass er
wieder Singlestatus innehatte. Denn sie wussten nicht, dass er zwar Single,
aber dennoch nicht zu haben war. Und das, weil er mir versprochen hatte, nur
noch mich anzufassen. Mich!
Und an seinem
Beziehungsstatus würden wir auch noch arbeiten. In Ruhe, denn irgendwie fühlte
ich mich, als hätte man mir eine Deadline erlassen. Ich musste keine Angst
haben, dass er was mit wem anders anfing. Solange ich das Kuschelrecht hatte,
ließ er die Finger von anderen – küssen inklusive. Also würde ich
nicht plötzlich in der Schule damit konfrontiert werden, wie er irgendeiner dummen
Tussi gab, was er mir verweigerte.
Ich konnte es immer noch
nicht glauben. Ich saß auf meinem Zimmerboden, hatte die Arme um Vyvyan
geschlungen, der sich an mich kuschelte und zugestimmt hatte exclusive zu
sein.
Meins. Nun aber wirklich:
meins, dammit!
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