Rubin lag still da, die Augen geschlossen, den Kopf auf die Decke gelegt.
Und harrte der Dinge, die da kamen. Die ich da tun würde. Ich konnte gar nicht
in Worte fassen, wie sehr mich das anmachte. Einfach nur die Tatsache, dass er
sich mir anbot, dass er sich mir hingab, und dass ich sehen konnte, wie er sich
beherrschen musste. Das leichte Zittern, das seinen Körper erfasste, als mein
Atem seine Lenden streifte. Die Hitze, die sein Körper verströmte. Sein Geruch.
Weniger Zitronengras hier unten und mehr … Rubin.
Ich drückte meine Lippen auf die Stelle, die eben noch von meinem Atem
gewärmt worden war, und spürte, wie er sich unter mir anspannte. Es war nicht
so, dass ich ihn auf die Folter spannen wollte oder dass ich mir nicht sicher
war; vielmehr wollte ich diesen Moment auskosten, die Erwartung, das Kribbeln,
das über meinen Rücken und bis in meine Zehenspitzen lief, ja, sogar die Angst,
es falsch zu machen. Das alles war neu und aufregend und ich wusste, dass es
nie wieder so sein würde. Es würde nie wieder das erste Mal sein.
Dann hob ich meinen Kopf und musterte Rubin noch einmal, fing bei seinem
Gesicht an und wanderte langsam hinunter. Er war wirklich schön. Überall. Ich
beugte mich zu seiner Mitte, die Lippen nur wenige Zentimeter von seiner Haut entfernt.
Auch hier war das Zitronengras nur ganz leicht wahrnehmbar, dafür roch
er … erregt. Und erregend. Nach mehr. Wieder zitterte er, als ich
ausatmete, und seine Finger kratzen über die Decke. Dabei hatte ich doch noch
gar nichts gemacht. Aber das konnte man ändern. Das konnte ich ändern.
Ich beugte mich weiter zu ihm, Millimeter um Millimeter – wann hatte
mein Herz das letzte Mal so stark geschlagen? Und dann –
Zuckte er in dem Moment, als ich meine Lippen auf seine Haut legen wollte.
Ja, nee, so kamen wir nicht weit.
Also hob ich meine Hand, legte die Finger an die Mitte und glitt mit einer
leichten, fast schon zögerlichen Bewegung runter, bis ich ihn umgriff.
Zweiter Versuch. Wieder kam ich langsam näher, wieder fühlte er erst meinen
Atem, wieder zuckte er, kurz bevor ich am Ziel angelangt war, aber diesmal
hielt ich ihn fest, diesmal trafen meine Lippen auf seine Haut und diesmal
hörte ich, wie Rubin zischend die Luft ausstieß. In diesem Moment veränderte
sich irgendwas in mir. Es fühlte sich an, als würde es sich gleichzeitig lösen
und verketten, an die Oberfläche kommen und sich tiefer in mir verankern.
Ich küsste mich in einer langsam flatternden Schlangenlinie hinunter, bis
ich an meine Knöchel stieß, dann wieder hinauf, verharrte kurz vor der Spitze.
Dann, noch ein Kuss, etwas fester diesmal, mitten auf –
„Vyvyan!“
Ja, genau, ich. Und nur ich, babe.
Seine Haut war nicht nur weich, sondern zart. Das hätte mir wahrscheinlich
schon viel früher auffallen müssen, aber – es war anders, diesmal.
Und nicht nur deshalb, weil ich ihn nicht mehr nur mit meinen Händen berührte,
sondern auch, weil … weil ich mir diesmal Zeit ließ, ihn zu ertasten.
Ich wollte ihn nicht einfach nur zum Orgasmus bringen, ich wollte ihn erkunden,
ich wollte lernen, was er mochte, worauf er besonders reagierte
und – und was mir gefiel und was nicht. Es ging nicht um ihn, es ging
um … uns. Auch, wenn es ansonsten kein Uns gab, so existierte es
hier, jetzt, für kurze Zeit.
Ich öffnete meine Lippen und stupste ihn mir der Zunge – sein
Becken zuckte hoch, völlig unvorbereitet. Also nein, wirklich, so ging das auch
nicht. Ein bisschen Geduld, bitte, ich war noch nicht soweit. Deswegen legte
ich die freie Hand auf seine Hüfte, bereit, im Falle des Falles Gegendruck
auszuüben.
„Vyvyan, please – more!“
Wie gesagt, Geduld bitte. Ich hatte ja noch gar nicht richtig angefangen.
Und ja, ein bisschen mulmig war mir bei dem Gedanken an sein Mehr auch. Wie
gesagt: Die Basics wusste ich, aber ich hätte gerne was Besseres als eine
Performance auf beginner level abgeliefert. Tja, keine Chance. Wie hieß
noch? Jeder fing mal klein an. Wobei … klein war wohl das falsche
Wort in dieser Situation. Klein kam er mir nicht vor.
„Just … go slow!“
Ah ja. Mehr aber langsam. Der wusste doch auch nicht, was er wollte.
Ich stupste ihn erneut an, gleich mehrmals hintereinander, dann umrundete
ich ihn mit der Zunge. Einfach weil – wieso nicht? Seiner Reaktion
zufolge war es keine schlechte Idee gewesen, denn er drückte einmal den Rücken
durch, und murmelte ein leises „Fuck yes!“. Merken.
Ich ruckelte mich ein wenig zurecht, damit ich besser an ihn rankam
und – Blitze jagten durch meinen Körper. Ich hatte keine Ahnung seit
wann oder wieso, aber mir wurde bewusst, dass ich hart war. So richtig. Und
dabei hatte ich noch nicht einmal angefangen. Oi.
Ich schloss kurz die Augen, genoss meine Erregung, genoss den Schauer, der
mir über den Nacken rieselte, als ich mir vorstelle, was ich gleich tun würde.
Vielleicht wusste ich doch, woher die Erregung kam.
Ich beugte meinen Kopf tiefer, öffnete meine Hand und leckte mich einmal
seine gesamte Länge hoch. Und dann, weil er lauter geworden war, je höher ich
kam, rieb ich mit meiner Zunge rauf und runter, nur im oberen Drittel. Wieder
zuckte sein Becken, doch diesmal hielt ich dagegen.
„Vyvyan – please – I – more!
Fuck … go slow – but – more!“
Ich lächelte und drückte ihm noch einen Kuss auf. Ganz ruhig, jetzt. An die
Basics denken. Mund auf. Guter Anfang. Lippen über Zähne – ich wollte
ihm ja nicht wehtun. Und dann …
… ließ ich ihn in mich gleiten. Langsam, wie er gebeten hatte.
Abwartend, ausprobierend, in mich horchend. Rubin stöhnte laut und sein Becken
zuckte erneut nach oben, kräftiger diesmal, drängender. Wollte mehr, wollte
schneller, wollte jetzt. Aber ich hielt ihn zurück, hielt ihn am Boden, denn
ich brauchte Zeit, musste mich daran gewöhnen, musste bemerken, dass da kein
Ekel und kein Widerwille meinerseits war, sondern nur Neugierde, Erregung
und … Stolz. Weil er so heftig reagierte. Auf mich.
Es war ungewohnt und seltsam, irgendwie, das Gefühl, den Mund voll zu haben
und nicht abbeißen zu können. Oh, scheiße, falsches Kopfkino!
Ich versuchte mich zu entspannen und ihn so tief aufzunehmen wie möglich,
stieß aber früher als erwartet an meine Grenze. Ich hätte nicht gedacht, dass
da so viel übrig bleibt. Kurz erwog ich, weiterzugehen, ließ es dann aber sein.
Deep Throat musste man nicht gleich beim ersten Mal meistern. Also ging ich
langsam wieder hoch, leckte über die Spitze und entließ ihn aus meinem Mund. Während
ich mir selbst einen Moment gab, um meine Empfindungen einzuordnen, streichelte
ich ihn und betrachtete das Spiel seiner Muskeln unter der Haut, wie sie sich
an- und entspannten, zuckten und harrten. Dann ging ich wieder runter, ohne die
Empfindungen auch nur analysiert, geschweige denn sortiert zu haben. Das hätte
zu lange gedauert und ich wollte weitermachen.
Ich nahm ihn mehrmals hintereinander auf, damit ich mich an das Gefühl
gewöhnen konnte. Es war gar nicht so einfach, die Lippen da zu behalten, wo sie
sein sollten; immer wieder wollten sie von meinen Zähnen rutschen, immer wieder
musste ich mich zwingen, den gemächlichen Rhythmus beizubehalten, denn sobald
ich schneller wurde, ging meine Koordination verloren. Und dabei bewegte ich
momentan weder meine Faust noch meine Zunge, auch wenn mir klar war, dass es
sich für ihn besser anfühlen würde, wenn ich beides täte. Aber wie gesagt: Ich
hatte gerade genug damit zu tun, ihn hinein und hinausgleiten zu lassen.
Und so daneben schien er das Ganze nicht zu finden, denn er brummte
zufrieden. So weit so gut.
Nachdem ich sicherer wurde, erhöhte ich das Tempo ein wenig und begann
meine Zunge versuchsweise zu bewegen, übte erst einfach nur mehr Druck
aus – darauf reagierte er positiv – und rieb dann an ihm,
ähnlich wie vorh…
„Fuck yes!“
Rubins Hände krallten sich plötzlich in meinen Kopf. Eine Sekunde lang
dachte ich, er würde mich runterziehen wollen, aber das tat er nicht. Er kratze
einfach nur leicht über meine Kopfhaut, kraulte mich, und hielt mich fest ohne
mich in meinen Bewegungen zu behindern. Das war … schön. Es fühlte sich
an, als ob er näher war als vorher. Irgendwie.
Langsam hatte ich den Dreh raus. Es war zwar immer noch leicht anstrengend,
an alles gleichzeitig zu denken – sein Becken davon abhalten, dass er
in mich stieß, Mund bewegen, Zähne schützen, Zunge bewegen, Kopf bewegen, auf
Rubins Reaktionen achten, … – aber ich begann mich zu
entspannen. Gleichzeitig, irgendwie. Und auch wenn alles gerade ein bisschen
viel war, war es dennoch immer noch schön. Ich war ihm so nah wie noch nie und
eigentlich … eigentlich bestand meine ganze Welt gerade aus Rubin.
Daraus, was er tat, wie er roch, wie er schmeckte, wie er reagierte, sich
bewegte, mich berührte, brummte, ächzte, stöhnte.
Ich versuchte, meine Faust gleichzeitig mit meinem Kopf auf und ab zu
bewegen, aber dazu reichte meine Koordination dann doch noch nicht aus. Ich kam
aus dem Takt, stockte, brauchte einen Moment, um mich zu sammeln. Also entließ
ich ihn, tupfte mehrere leichte Küsse auf seine Haut und neckte ihn mit der
Zunge. Aus einem Impuls heraus knabberte ich mit den Lippen vorsichtig an ihm,
bevor ich nur die Spitze aufnahm und sanft an ihr saugte. Und Rubin wurde laut.
„God, Vyvyan, I love – please, don’t stop! Don’t ever stop!“
Merken. So was von merken. Ich leistete seiner Bitte kurze Zeit Folge, dann
aber wollte ich ihn wieder ganz. Die Faust blieb still, diesmal; daran konnte
ich beim nächsten Mal arbeiten. Aber ich fand meinen Rhythmus wieder, wechselte
ab zwischen den Dingen, die ihm offenbar gefallen hatten und wurde mit Hingabe
belohnt.
Nach relativ kurzer Zeit – zumindest fühlte sie sich kurz
an – brabbelte Rubin nur noch leise eine Mischung aus „Fuck!“,
„More!“, „Please“ und „Go slow!“, während sein Becken rhythmisch
gegen meine Hand drückte, nicht stark genug, um wirklich in mich stoßen zu
wollen, aber so, dass er mir damit den Takt vorgeben konnte. Und auch wenn sein
Mund mich bat, langsam zu machen, wurden seine Bewegungen schneller und ich
folgte ihnen. Es war berauschend, ihm so nah zu sein und mitzuerleben, wie er
immer mehr die Kontrolle verlor.
Und dann nahm ich aus den Augenwinkeln war, wie er versuchte, sich auf die
Ellenbogen hochzustützen.
„Vyvyan, I – I’m gonna …!“
Ich sah nach oben, unsere Blicke trafen sich und Rubin kam. Er schrie leise
auf und fiel zurück auf die Decke, während sein Körper sich aufbäumte und er
sich in meinen Mund ergoss.
So ganz war ich nicht darauf vorbereitet gewesen – also schon,
prinzipiell, nur hatte ich nicht so schnell damit gerechnet, nicht in diesem
Augenblick – und fast hätte ich mich verschluckt. Doch dann kriegte
ich gerade noch die Kurve, schluckte den Großteil runter und entließ ihn
langsam und genüsslich. Als ich ein letztes Mal über seine Haut leckte,
wimmerte er leise, bewegte sich aber kein Stück. So ganz war er wohl noch nicht
wieder da. Das war okay, ich brauchte ja auch immer meine Zeit.
Statt dass ich mich gleich zu ihm legte, setzte ich mich auf und versuchte,
die letzten Reste auf meiner Zunge zu analysieren. Sperma
schmeckte … anders. Man hörte immer, es sei ‚leicht salzig‘, aber
irgendwie … keine Ahnung, es war schwierig zu beschreiben. Definitiv
anders als alles, was ich bisher kannte. Am ehesten … ja, am ehesten
kam ‚nussig‘ in Frage. Aber so ganz traf es das auch nicht.
Egal. Wichtig für mich war eher, dass ich es nicht eklig fand. Weder das
Schlucken an sich noch den Nachgeschmack im Mund.
„Sorry“, nuschelte Rubin, bewegte sich aber immer noch nicht, „I
didn’t – I should’ve …“
Ich schüttelte den Kopf, auch wenn er das nicht sehen konnte, krabbelte zu
ihm hoch, legte mich zu ihm und gab ihm einen Kuss auf den Mundwinkel.
Alles in Ordnung.
***
Nachdem wir eine Weile so dagelegen hatten und ich langsam wieder zu mir
kam, wurde mir etwas klar: Das allerletzte bisschen … nicht Zweifel,
sondern Hoffnung war weg. Da war definitiv keine einzige nicht-homosexuelle
Zelle in mir. Schöne Scheiße.
Wenigstens wusste ich jetzt, dass Blowjobs nicht nur für den aufregend
waren, der sie bekam. Bisher hatte ich das angenommen und mir auch nicht
vorstellen können, dass es anders war, aber … nun, wieder etwas gelernt.
„Sorry …“
Rubins Stirn lag an meiner Halsbeuge, seine Arme waren um meinen Rücken
geschlungen. Das T-Shirt hatte ich mittlerweile ausgezogen, aber meine Hose
hatte ich noch an. Ich fand es ein wenig beängstigend, dass es mir so gut tat,
ihn einfach nur zu berühren, aber ich beschloss, dass ich das später
analysieren konnte. Wie so vieles andere.
„Wofür genau entschuldigst du dich?“ Nicht schon wieder, weil er in meinem
Mund gekommen war, oder? Ich dachte, das hätten wir stumm abgehakt.
Er murrte. „Ich … normalerweise … well …“ Ich fühlte, wie er einmal
tief durchatmete. „Das war ein kurzes Vergnügen.“
Ich musste lachen. Natürlich war das nicht gerade die netteste und
einfühlsamste Reaktion, aber ich konnte nicht anders. Darüber machte er sich
Gedanken?!
„Hey!“, rief er aus und boxte mich unsanft in die Schulter, „das ist nicht
witzig!“
„Das muss dir nicht peinlich sein.“ Ich ließ meine Finger seine Seite
hinauf in den Nacken wandern und vergrub sie in seinen Haaren. „Ist schließlich
auch nicht schlimmer als dir vorzustellen, wie ich dir einen blase, während du
dir einen runterholst – das hast du dabei doch gemacht, oder?“
„Vyvyan!“ Sein Oberkörper schoss hoch, so dass er sich auf einer
Hand abstützen und mich mit der anderen heftig genug schubsen konnte, dass ich
auf den Rücken rollte. „You’re such a fucking jerk!“
Das hatte ich jetzt verstanden, Englisch hin oder her. Wahrscheinlich hätte
ich es auch auf Russisch oder Maori verstanden. Ich beschloss, ihm sein
Kauderwelsch weiterhin zu verzeihen – was hätte ich auch anderes tun
sollen, wenn er hochrot, verstrubbelt, nackt und mit sich heftig hebender und
senkender Brust empört auf mich herunterschaute? Ich war mir ziemlich sicher,
dass man ihm in dieser Situation verdammt vieles vergeben hätte, das bisschen
Amerikanisch sowieso.
So wirklich verstand ich aber nicht, warum ihm das jetzt so peinlich war.
Ich meine – wir machten rum, hatten uns nackt gesehen und angefasst,
ich wusste sogar, dass er beim Einschlafen gerne mit der Decke
kuschelte – und, dass er seit Neustem gerne mich als Deckenersatz zum
Kuscheln nötigte …
Okay, nein, nicht nötigte. Falsches Wort. Aber, dass er es gerne hatte,
wenn ich Deckensersatz zum Kuscheln spielte – und ich wusste, dass er
nicht nur eine Niete im Kochen war, sondern noch nicht einmal Eier anständig
trennen konnte. Ich wusste, dass er schwul war und es war offensichtlich, dass
er zumindest körperlich auf mich stand, denn immerhin war er es gewesen, der
‚das hier‘ eingeleitet hatte. Aber beim Wichsen an mich zu denken war ihm
peinlich?
Versteh einer die Amis.
Trotzdem wollte ich auch nicht, dass er sich jetzt deswegen unnötig
aufregte. Es war ja ganz lustig, aber gerade war ich doch mehr auf Kuschelkurs
als auf … nun, Beschimpft-werden-Kurs. Ich hatte gerade ein kleines,
nicht ganz unbedeutendes ‚Erstes Mal‘ hinter mir und wollte jetzt nicht
streiten oder herumalbern. Also stützte ich mich auf die Ellenbogen und reckte den Kopf, bis meine Lippen
sein Kinn streiften. Dann entfernte ich mich ein paar Zentimeter und sah ihn
fragend an. Er wirkte immer noch ein bisschen verschnupft, beugte aber den Kopf
weit genug, dass ich sein Ohr erreichen und daran knabbern konnte.
Nach einigen Sekunden stieß er ein leises „Fuck!“ aus und drückte
mich wieder auf die Decke – zum Glück nicht, ohne mir zu folgen. Im
nächsten Augenblick lag er ausgestreckt auf mir. Als ich meine Hände auf seinen
Rücken legen wollte, fing er sie ein und fixierte sie neben meinem Kopf, bevor
er mir in den Hals biss. Im ersten Moment wollte sich mein innerer Macho
dagegen wehren, wollte vor allem die Hände befreien und die Kontrolle
zurückerlangen – war ja schon irgendwie geil gewesen, ihn so in der
Hand zu haben – aber der Moment verging schneller, als er gekommen
war. Zwar fühlte ich mich Rubin ausgeliefert, aber nicht auf schlechte Art und
Weise. Es war okay – wenn ich ehrlich war, war es sogar mehr als das.
Zumindest, wenn ich dem Feuerwerk in meinem Bauch glauben konnte.
***
Rubin hatte sich nicht mit meinem Hals begnügt, sondern mit den Lippen nach
und nach meinen gesamten Oberkörper in Besitz genommen. Und als er sich schließlich
von mir löste, hatte ich garantiert einen Knutschfleck unterm Schlüsselbein.
„Ich ergebe mich.“
Rubin kam hoch, sah mich an und grinste. „Attaboy!“
„Das hast du heute Morgen schon gesagt“, erwiderte ich träge, „was bedeutet
es?“
„Gut gemacht. Braver Junge. Weiter so!“ Er ließ meine Hände los und
stützte sich auf beiden Seiten neben mir ab, um auf mich herunterschauen zu
können. „It just means that I’m very happy with you.“
Na super, das hörte sich fast an, als sei ich ein Hundewelpe, den er
erziehen musste, damit er ihm nicht mehr auf den Teppich pinkelte. Aber
wirklich beschweren durfte ich mich nicht, ich konnte mich nämlich wage daran
erinnern, ihn vorhin selbst mit ‚guter Junge‘ gelobt zu haben.
Trotzdem verzog ich mein Gesicht. „Danke, ich hab’s kapiert.“ Er lächelte,
erwiderte aber nichts. Aus einem Impuls heraus sagte ich: „Im Übrigen sehe ich
es als Kompliment.“
Im ersten Moment sah er mich fragend an, aber dann verstand er, dass ich
auf das ‚kurze Vergnügen‘ anspielte und ächzte. „Das kannst du ja auch, aber
ich …“, begann er und vergrub sein Gesicht dann erneut in meiner Halsbeuge.
„Du …?“
Ich wartete, fünf Sekunden, zehn. Als ich bereits dachte, dass er nicht
antworten würde, tat er es doch.
„After all … I’m the experienced one!“
Diesmal konnte ich es mir verkneifen, zu lachen; dass ich grinste, sah er
zum Glück nicht. Wahrscheinlich würde ich aus Rubin nie schlau werden. Er legte
also Wert darauf, erfahrener als ich zu sein, ja?
„Woher willst du das wissen?“, fragte ich, als ich sicher war, meine Stimme
unter Kontrolle zu haben, „Du weißt ja nicht, wie viele Male ich bisher Sex
hatte. Und was ich alles dabei gemacht habe.“
„Mädchen zählen nicht.“
Ach? War ich in seinen Augen noch Jungfrau oder was?
„Seit wann das denn?“
„Seit immer“, antwortete er und biss mir sanft in die Schulter. Ich nahm
das als Zeichen, nicht weiter zu argumentieren.
„Dann bist du wahrscheinlich der Erfahrenere, stimmt.“
Wie erfahren war er denn?
Aber ich traute mich nicht, das zu fragen. Auch wenn ich mir vorgenommen
hatte, ihn besser kennenzulernen, mit so einer Frage konnte ich unmöglich
kommen, nicht nach ‚Erzähl mir von deinen Eltern‘.
„Eben“, brummte er halb zufrieden, halb trotzig.
„Ich finde es trotzdem nicht schlimm.“
„Können wir es nicht einfach vergessen?“
„Na toll, da gibt man sich Mühe und dann so was.“
„Nicht deinen Teil“, sagte er und hob den Kopf wieder, „nur meinen. Du
warst super.“
„Besser als Fantasie-Ich?“
Er lächelte, wenn auch etwas gequält. „Unendlich viel besser, aber ich habe
dir bereits gesagt, dass du dir da keine Sorgen machen brauchst.“
„Ich weiß ja nicht, wie gut Fantasie-Ich ist. Oder wie erfahren.“
„Mittlerweile ziemlich erfahren …“ Obwohl er schon wieder etwas röter
als normal wurde, schaffte er es, dreckig zu grinsen. „Und wirklich verdammt
geschickt. Dennoch kein Vergleich.“
Ja, ich gebe es zu, das gefiel meinem Ego. Die berühmte Frage ‚War ich
gut?‘ war zwar echt plump und unsexy, aber … also, letzten Endes war
es beim Experimentieren essentiell, dass man das ganze Ergebnis auch erfuhr,
nicht wahr? Sonst konnte man ja keine folgernden Schlüsse daraus ziehen. Meinen
Teil des Ergebnisses hatte ich, aber das war ja nur die Hälfte gewesen. Und
nach all den unschönen Selbstzweifeln war es Balsam für mein … für
mich, ganzheitlich. Aber wenn ich jetzt einfach die Klappe hielt, kam es doch
nur noch deutlicher rüber, dass ich die Bestätigung wirklich gebraucht hatte,
oder? Und das war, wie gesagt, uncool. Unsexy. Und generell nichts, was ich mit
mir verbinden wollte – oder von dem ich wollte, dass Rubin es mit mir
verband.
Ich grinste und trieb das Spielchen weiter. „Also keine Beschwerden?“
„Nein.“
„Verbesserungsvorschläge?“
Er lachte leise. „Auch keine. Ich war vollends zufrieden.“
„Oh, na dann … auch gut.“
Er hob eine Augenbraue. „Du hörst dich nicht begeistert an.“
Ich zuckte mit den Schultern. Nur nicht nachdenken, jetzt. Locker bleiben.
Einfach daran denken, dass das alles nur ein Experiment war – und
egal, zu welchem Ergebnis wir kommen würden, spätestens nach dem Abschluss im Frühling
war es zu Ende.
„Ich dachte, da du ja so viel mehr Erfahrung hast als ich und auch ein ganz
akzeptabler Lehrer bist, könntest du mir helfen, meine Technik zu
verbessern – und dabei als Übungsobjekt herhalten – aber
wenn sie jetzt schon perfekt ist, ist das wohl überflüssig.“ Ich schaffte es
tatsächlich, meine Stimme halbwegs desinteressiert zu halten, ganz so, als ob
ich ihn nur bitten würde, mir die Eigenheiten des amerikanischen Englischs
beizubringen – mit dem Unterschied, dass ich das nun wirklich
nie lernen wollte. Vorher wurde ich Mönch!
Rubins Augen weiteten sich; damit hatte er wohl nicht gerechnet. Zugegeben,
es war auch etwas seltsam, so mit ihm über meine Blas-Technik zu sprechen, aber
gleichzeitig fühlte es sich auch normal an. Als wäre nichts dabei. Und
eigentlich war auch nichts dabei, oder? Ich hatte schließlich kein Problem mit
Sex an sich. Das Problem war eher meine Homosexualität, aber da ich mir diese
eingestanden und mich entschieden hatte, sie ein wenig auszuleben – mit
ihm, vorerst – war das theoretisch auch kein Problem mehr. Also warum
sollte ich ein Problem mit schwulem Sex haben? (Moment – konnte Sex
schwul sein? … Egal.) Wir wollten doch
experimentieren – okay, vielleicht war da die Situation noch ein
wenig anders, denn das bedeutete ja nur, dass ich von mir aus etwas
ausprobieren wollte, und nicht, dass er mir in Sachen Bettqualitäten was beibrachte,
aber mal ehrlich: Wir hatten eben festgehalten, dass er erfahrener war, was
Intimität – oh, nein. Stopp. Wir waren nicht ‚intim‘, wir hatten
Spaß. Probierten aus. Ausschließlich miteinander, ja, aber …
Wow. Langsam wurde meine Argumentation – nicht wirklich
‚löchrig‘, aber dezent weniger überzeugend. So’n Mist.
Egal, ganz ignoriert ist halb verarbeitet.
Genau. Jedenfalls war es im Endeffekt doch egal, ob ich Rubin einen blies
und es danach totschwieg oder ob ich ihm einen blies und danach darüber redete.
Machte doch auch keinen großen Unterschied mehr, denn Fakt war: geblasen hatte
ich so oder so. Das ließ sich jetzt auch nicht mehr ändern.
„Dann lassen wir das”, fügte ich an und lächelte so unschuldig wie ich
konnte.
Rubin starrte mich einen verdammt langen Moment lang schweigend an. „Now …“
Er räusperte sich, leckte sich über die Lippen und begann noch einmal: „Jetzt
wo du’s sagst, fällt mir doch das ein oder andere ein, an dem man arbeiten
könnte …“
„Also war ich doch nicht gut?!“ Ich versuchte, ernst zu bleiben, aber es
funktionierte nicht, meine Mundwinkel zuckten unaufhörlich, bis ich nachgab.
Rubin erwiderte das Grinsen. „Doch, natürlich – du warst
unbeschreiblich.“
„Aber?“
Er lachte leise. „Aber … aber auch wenn du dich nicht zu
verbessern brauchst, kann es dennoch nicht schaden, andere Techniken und
Methoden auszuprobieren. Ich kenne ja auch noch nicht alles.“
„Nein? Ich dachte, du bist der Erfahrenere?“
„Aber ich bin nicht so erfahren, dass ich bereits alles erlebt hätte. Bei
Weitem nicht. Ich denke, mit ein bisschen Eifer kannst du problemlos zu mir
aufschließen.“ Er schnappte nach meinen Lippen und murmelte: „Wir könnten also
beide noch was lernen.“
Beruhigend. Wirklich – nennt mich altmodisch, aber jemand, der
sich mit siebzehn schon durch die halbe Schwulenszene der Stadt gevögelt hatte,
fand ich abtörnend. Es gab ja einen Grund, warum ich nicht in die einschlägigen
Clubs auf Partnersuche wollte.
„Hört sich gut an“, erwiderte ich und versuchte nicht zu zeigen, dass ich
das gerade in mehrerer Hinsicht meinte.
Rubin lächelte. „Finde ich auch.“
***
Später am Abend hatten wir beide einen Teller mit Burger und Fritten sowie
eine Cola vor uns. Die weißen Plastiksitze waren hart und unbequem und sicher
auch nicht gut für den Rücken, aber das war gerade mein kleinstes Problem.
„Du hast Recht, es ist lecker hier.“
Rubin zog einen Mundwinkel hoch. „Hast du etwa an mir gezweifelt?“
„Würde ich nicht wagen.“ Ich grinste, dann wandten wir uns wieder dem Essen
zu.
Wir saßen in einem kleinen italienischen (?) Lokal, das irgendwo zwischen
Imbiss und Minirestaurant fiel und sich in der Nähe des Kinos befand. Da wir
noch relativ früh dran waren, hatten wir problemlos einen Platz gekriegt,
obwohl es Freitag war. Die Tickets hatten wir auch schon gekauft und uns gute
Plätze gesichert. Alles super.
Und wie gesagt, das Essen war lecker. Kein McDoof-Fraß, sondern richtiges
Brot mit richtigem Fleisch, knackigem Salat und frischen Tomaten. Die Sauce war
anscheinend hausgemacht. Nicht schlecht für einen kleinen Laden am Stadtrand.
Der Imbiss war auch eigentlich ganz gemütlich. Die Stühle waren, wie
erwähnt, nicht gerade mit dem Lieblingssessel zu Hause vergleichbar und passten
auch nicht wirklich zu den leicht angeschlagenen und von Größe und Stil her
wild durcheinandergewürfelten Tischen, aber die italienische Popmusik war
angenehm und weder zu laut noch zu leise, es roch nach einer Mischung aus Mehl,
Tomaten und Käse und die Bedienung war zwar nicht die hübscheste, aber dafür
freundlich und schnell. Die meisten der gut zehn Tische waren zwar besetzt,
wahrscheinlich von anderen Kinobesuchern, aber die Leute waren nicht laut. Wie
gesagt, alles super.
Bis vielleicht auf die Tatsache, dass das eben meine ersten richtigen Sätze
gewesen waren und wir den Burger schon halb aufgegessen hatten. Rubin war auch
nicht besser, aber vielleicht erachtete er es ja einfach nicht für nötig,
während des Essens zu reden. Ich aber … ich hatte keine Ahnung, was
ich sagen sollte.
Worüber unterhielten wir uns denn sonst? Also, bei ihm zu Hause …
Gut, dass wir nicht wirklich tiefgründige Gespräche führten, das war mir
irgendwie klar. Bei uns waren Unterhaltungen eher leichtes
Geplänkel – und das war ja auch okay so. Wieso sollte es auch anders
sein? War ja nicht so, als ob wir beste Freunde oder so was waren. Und jetzt
gerade, da musste es ja nichts Tiefgründiges sein, auch nichts, das mir etwas
Neues über ihn erzählte – Smalltalk reichte aus! Geplänkel war okay!
Aber auch das kriegte ich nicht auf die Reihe. Über was redete man denn
normalerweise – verdammt, eigentlich war ich doch richtig gut
in diesen Dingen! Das war mein Metier, sozusagen. Ich konnte mich mit allen
möglichen Idioten unterhalten, aber nicht mit dem Kerl, mit dem ich den
Großteil meiner bisherigen Weihnachtsferien verbracht hatte? Wie beschissen war
das denn bitte?
Und die einzigen Themen, die mir einfielen, waren Musik, Hobbys, Essen und
das scheiß verdammte Wetter. Die ersten beiden wären Dinge gewesen, die
ich ihn zu Hause problemlos gefragt hätte, aber jetzt kämen die doch irgendwie
komisch; es ausgerechnet jetzt hier im Restaurant zu fragen … nee,
das konnte ich nicht bringen. Und auf das Niveau, übers Essen oder Wetter zu
diskutieren, würde ich mich garantiert nicht herunterlassen. Hera, Hades und
Hephaistos, wie schwer konnte es denn sein?! All die anderen Idioten hier
schienen kein Problem damit zu haben, sie schienen sich blendend zu unterhalten
und lachten auch immer mal wieder. Was war denn nur mit mir los? Es musste doch
irgendein Thema geben, über das wir uns schon unterhalten hatten und an das ich
anknüpfen konnte! Und zwar eines, das nicht den Eindruck machte, als ob wir uns
nicht kennen würden, denn das – also, mal ehrlich: Zwei schwule
Kerle, die zusammen essen und ins Kino gingen und sich dabei über ihre Hobbies
unterhielten? Das war ein Date und ein Date war das hier nicht.
Oder?
Nein.
Ansonsten hätte er … ja, was denn? Etwas gesagt? Was denn bitte?!
‚Ey, hör mal, ich weiß, wir wollten heute nur ins Kino, um Zeit rum zu
kriegen, aber ich hab mich entschieden, ich fänd’s doch cooler, wenn wir das
als Date schieben?‘
Ja, ganz sicher würde er so was sagen. In genau den Worten. Passte voll zu
Rubin.
Und sowieso, was wäre das denn für ein Date? Zwei
Kleiderschrank-Schwuchteln in geheimer Mission oder was? Völliger Schwachsinn.
Außerdem verhielt er sich auch nicht wie auf einem Date – und mit
Dates hatte ich Erfahrung, auch wenn Mister Gay-Experience mich in
Sachen Sex zur Jungfrau ernannt hatte. Aber Dates, also die konnten so anders
nicht sein, egal ob man sie nun in der Homo- oder Heteroausführung buchte. Von
daher konnte ich das schon beurteilen, und sollte das hier ein Date
sein, dann war es ein echt schlechtes. Er sprach nicht mit mir, ich sprach
nicht mit ihm und wir guckten uns noch nicht mal wirklich an. Nee, es fühlte
sich eher so an, als ob zwei Kumpels, die einzig und allein deshalb befreundet
waren, weil sie zum gleichen Freundeskreis gehörten, zusammen in einem
Burgerladen saßen. Es war okay, man war daran gewöhnt nebeneinander zu sitzen,
aber wirklich was zu sagen hatte man sich auch nicht.
Obwohl … nein. Es war nicht okay. Es fühlte sich nicht
okay an, nicht von meiner Seite aus. Wieso sprachen wir nicht, verdammt noch
mal?
Egal. Fakt war, es war kein Date. Wäre es eines, von Rubins Seite aus, dann
würde er sich ja wohl mehr Mühe geben, sich mit mir zu unterhalten, oder? Ich
hatte mir bei den Mädchen immer Mühe gegeben und mich von meiner besten Seite
gezeigt. Außerdem war ich nicht einfach einen Burger mit ihnen essen gegangen,
sondern was Richtiges. Irgendwas, was sie mochten. Es war nicht so, dass ich Burger
nicht mochte, eigentlich tat ich das sogar sehr, nur – egal.
Also kein Date. Definitiv.
Aber.
Ja, verflucht und zugenäht, es gab ein Aber! Denn, wenn man einfach nur die
Fakten, also, das Skelett der Fakten, ohne die ganzen Details drum herum
betrachtete, dann sah es doch aus, als ob wir mit Nachhilfe angefangen hätten,
uns dann näher gekommen wären, ich ihm … na, ‚Treue‘ eben versprochen
hätte und wir jetzt, wenige Stunden später, zusammen beim Italiener saßen und
zu Abend aßen, bevor wir ins Kino gingen. Abendessen und Kino war schon
typisches Datematerial. Irgendwie.
Ach, so eine verkackte Scheiße! Das war so was von keinem Date!
Warum sollten wir auch ein Date haben, hm? Er bekam doch schon, was er wollte,
da musste er mich nicht mehr zu bezirzen – und er wollte mich ja
offensichtlich auch nicht bezirzen. Abgesehen davon wollte ich auch nicht
bezirzt werden, sondern wenn schon dann selber bezirzen – nur halt
nicht ihn. Generell keinen Kerl. Ich wollte ja auch kein Date mit keinem Kerl.
Nein danke. Ficken war unumgänglich, war biologischer Urinstinkt, aber daten
war gesellschaftliches Brimborium, mithilfe dessen man zum ficken kommen
wollte. Wir fickten vielleicht nicht im klassischen Sinne, aber kommen tat er
trotzdem mit schöner Regelmäßigkeit, also war der Mummenschanz Date
überflüssig.
Und hätte er mehr als ficken gewollt, hätte er ja wohl mit einem Date
angefangen und nicht mit gegenseitigem Wichsen. Da, bitte. Diskussion beendet,
auf wunderbar vulgäre Weise.
Ein für alle Mal.
***
Nach gefühlten weiteren drei stillen Stunden, in denen wir auch die zweite
Burgerhälfte fast schon bewältigt hatten, fragte ich endlich:
„Weiß du schon, was du übermorgen kochen willst?“ Ich sah auf und begegnete
seinem Blick. „Ich nehme an, was aus’m Amiland?“
„Wie kommst du darauf?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Scheint gerade ein Trend bei dir zu sein: Mac’n’Cheese,
Burger, New York Cheesecake …“
Er grinste spitzbübisch. „Ach, du hast das bemerkt? Dabei wollte ich doch
subtil sein.“
„Was bitte ist an ‚Dann lernst du ein bisschen amerikanischer Esskultur
kennen‘ subtil?“
Seine Grübchen wurden deutlicher. „Ich habe nicht gesagt, dass Subtilität
eine meiner Stärken ist.“ Das Grinsen wurde zu einem Lächeln. „Zurückhaltung
auch nicht. Das solltest du beides mittlerweile gemerkt haben.“
Vielleicht hatte er es scherzend sagen wollen, aber seine Stimme war zu
leise, sein Ton zu warm dafür. Er hielt meinen Blick und sein Lächeln vertiefte
sich noch ein wenig. Und das, das war nicht gut für mich. Wie schaffte er es
nur immer wieder, die Situation innerhalb von Sekunden so komplett zu
verändern? Eben noch hatten wir gezwungene Konversation auf einem absoluten
Nicht-Date betrieben und nun wusste ich zwar, dass ich meinen Blick abwenden
sollte, aber ich konnte es einfach nicht. Wir waren plötzlich wieder alleine,
abseits unseres Tisches existierte nichts und niemand. Und wer nicht
existierte, konnte mir auch nichts. Noch dazu wäre Atmen zwar eine gute Idee
gewesen, fühlte sich aber plötzlich unnatürlich an. Mir war beinahe schmerzlich
bewusst, dass er, wären wir bei ihm zu Hause, mich jetzt auf den Mundwinkel
küssen würde. Und ich bereute, dass wir nicht bei ihm zu Hause waren. Und zum
gefühlt tausendsten Mal, dass es nur der Mundwinkel sein würde.
„Sorry“, murmelte er plötzlich und wandte den Blick ab, „I …“
Weiter sprach er nicht, aber das war okay. Der Bann war
gebrochen – ‚Bann‘, also bitte! Ich wurde langsam echt zur
Schwuchtel, so überdramatisch! –
Vielleicht … vielleicht sollte ich damit auch aufhören.
Ich war nun mal schwul, ließ sich nicht mehr ändern. Solche Bezeichnungsformen
zu verwenden machte die Sache leider nicht besser.
Na ja, egal. Jedenfalls war der Bann gebrochen, der Rest des Raumes, nein,
der Welt, wieder aufgetaucht und ich konnte wegsehen. Gefahr abgewandt,
sozusagen. Denn auch wenn hier wahrscheinlich keiner vorbeikommen würde, den
ich kannte – ich musste Rubin nicht unbedingt in der Öffentlichkeit
beim gemeinsamen Abendessen tief in die Augen schauen, während er mich anlächelte.
Das würde nur neue Argumente für die Date-Diskussion geben und die hatte ich
doch schon so schön abgeschlossen. Und, seien wir doch mal ehrlich: Es war um
einiges einfacher, wenn ich solche Diskussionen für mich abschließen konnte,
ohne Rubin direkt miteinbeziehen zu müssen. Am Ende hatte der noch eine andere
Meinung als ich und das könnte dann problematisch werden …
„Was willst du denn jetzt übermorgen?“, fragte ich, um den aufkommenden
Gedanken zu entkommen. Dann fiel mir wieder ein, dass übermorgen Sonntag war.
„Es wäre schön, wenn du dich rechtzeitig entscheiden könntest, denn ich muss
morgen ja noch einkaufen gehen. Das, was wir heute aus deiner Vorratskammer
genommen haben, bringe ich natürlich auch mit.“
„Das ist doch nicht wichtig“, erwiderte er lächelnd, „ich habe dir doch
schon gesagt, dass du dich in meiner Küche einfach bedienen darfst.“
„Ja, aber der Deal …“
„Fuck the deal!“
Äh – was?!
„Ich meine nur“, fuhr er
ruhiger fort, „können wir diese Arrangements nicht auflösen? Statt dass ich dir
Nachhilfe gebe, weil ich dafür eine Empfehlung bekomme, kann ich sie dir nicht
einfach geben, weil ich dir helfen möchte? Und statt des Kochunterrichts als
Bezahlung, damit du mir nichts schuldig bist, kannst du es nicht tun weil, … weil
du mir helfen möchtest?“ Er sah mich an, nicht fragend, sondern
richtiggehend bittend. Dann fügte er so leise, dass ich mich ein wenig zu ihm
lehnen musste, hinzu: „Können wir nicht einfach kuscheln, weil es schön ist?“
*********
Ich konnte mein Glück kaum fassen: Ich saß Vyvyan gegenüber und wir aßen
zusammen als wäre es das Normalste der Welt. Er hatte weder gemotzt noch
genörgelt oder anders Unmut
kundgetan – und da er das sonst immer tat, ging ich einfach mal davon
aus, dass da kein Unmut war. Und auch wenn da ein leises Gefühl in mir
schlummerte, eine Vorahnung, dass irgendetwas passieren würde, so schob ich es
entschieden beiseite. Dieser Tag war einfach nur perfekt gewesen und ich wollte
ihn genießen.
Gut, wir redeten nicht viel, aber das störte mich nicht. Ich hatte kein
Problem mit Stille, solange ich sie mit ihm verbringen durfte. Außerdem hatte
ich Angst, etwas Falsches zu sagen, sobald ich den Mund aufmachte. Ich kannte
das Kribbeln in mir, dieses freudige ‚Everything is fucking awesome and the world is my
oister!‘-Feeling, und ich wusste, dass es mich zu unbedachten Dingen
verleitete. Allein schon den Drang, ganz zufällig seine Finger zu streifen,
wenn er nach dem Ketchup griff, oder unterm Tisch mit dem Fuß gegen seinen zu
stupsen, war beinahe überwältigend. Fast so stark, wie der, mich wiederholt
selbst zu kneifen, denn dass ich wirklich mit ihm hier saß und wir wirklich
zusammen ausgingen – ob er es nun als Date oder als Kinobesuch
zwischen friends with benefits sah, war gerade egal – das war
unglaublich. Ich musste träumen, ich fühlte mich, als ob ich träumte,
aber wenn, dann wollte ich auch nicht aufwachen.
Noch weniger wollte ich es kaputtmachen. Da war ein Teil von
mir – der verliebte, nicht rational denkende und leider fast
übermächtige Teil, der ihm unbedingt jetzt sagen wollte, dass ich bis in die
Haarspitzen in ihn verliebt war und dass ich mich noch nie so gefühlt hatte und
dass allein ihn anzusehen mich schon glücklich machte. Dass er so unglaublich
gut aussah, sogar, wenn seine Haare wie jetzt von der Mütze plattgedrückt
waren, ohne die er das Haus schon seit Wochen nicht mehr
verließ – und dass ich sie so gerne durchgewuschelt hätte, um sie
wieder in Form zu bringen; dass die Art, wie er seine Nase kräuselte, bevor er
mit Gusto in den Burger biss, einfach adorkable war und ich ihm den
ganzen Abend dabei zusehen könnte; dass es immer schwerer wurde, das mit dem
Küssen sein zu lassen.
Dass ich jetzt schon nicht mehr wusste, wie ich den Abschluss hinter mich
bringen konnte, weil das bedeuten würde, dass sich unsere Wege trennten.
Dass ich dachte, dass ein Studium in den USA für sein Englisch wahre Wunder
bewirken würde.
Und natürlich, dass es schon wieder viel zu lange her war, seit ich ihn
berührt hatte. Es tat mir nicht gut, ihn nicht zu berühren, es machte mich
unruhig und nervös und ungeduldig und … gierig.
Wusste er, wie anziehend er war, wenn er sich nicht verstellte?
***
O no.
Was hatte ich da eben gesagt? Genau deswegen hätte ich meine Klappe halten
sollen.
Fuck!
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