Update-Info

07.01.2015: Ich wünsche allen ein (verspätetes) frohes neues Jahr! :)

Bei uns hat das Jahr leider mit einer Krebsdiagnose begonnen. Nicht meine, aber dennoch werden die Kapitel in absehbarer Zeit nur sehr unregelmäßig erscheinen.

Mittwoch, 26. November 2014

Von Edelsteinen und Papierengländern 27:


Rubin lag still da, die Augen geschlossen, den Kopf auf die Decke gelegt. Und harrte der Dinge, die da kamen. Die ich da tun würde. Ich konnte gar nicht in Worte fassen, wie sehr mich das anmachte. Einfach nur die Tatsache, dass er sich mir anbot, dass er sich mir hingab, und dass ich sehen konnte, wie er sich beherrschen musste. Das leichte Zittern, das seinen Körper erfasste, als mein Atem seine Lenden streifte. Die Hitze, die sein Körper verströmte. Sein Geruch. Weniger Zitronengras hier unten und mehr … Rubin.
Ich drückte meine Lippen auf die Stelle, die eben noch von meinem Atem gewärmt worden war, und spürte, wie er sich unter mir anspannte. Es war nicht so, dass ich ihn auf die Folter spannen wollte oder dass ich mir nicht sicher war; vielmehr wollte ich diesen Moment auskosten, die Erwartung, das Kribbeln, das über meinen Rücken und bis in meine Zehenspitzen lief, ja, sogar die Angst, es falsch zu machen. Das alles war neu und aufregend und ich wusste, dass es nie wieder so sein würde. Es würde nie wieder das erste Mal sein.

Dann hob ich meinen Kopf und musterte Rubin noch einmal, fing bei seinem Gesicht an und wanderte langsam hinunter. Er war wirklich schön. Überall. Ich beugte mich zu seiner Mitte, die Lippen nur wenige Zentimeter von seiner Haut entfernt. Auch hier war das Zitronengras nur ganz leicht wahrnehmbar, dafür roch er … erregt. Und erregend. Nach mehr. Wieder zitterte er, als ich ausatmete, und seine Finger kratzen über die Decke. Dabei hatte ich doch noch gar nichts gemacht. Aber das konnte man ändern. Das konnte ich ändern. Ich beugte mich weiter zu ihm, Millimeter um Millimeter – wann hatte mein Herz das letzte Mal so stark geschlagen? Und dann –
Zuckte er in dem Moment, als ich meine Lippen auf seine Haut legen wollte.
Ja, nee, so kamen wir nicht weit.
Also hob ich meine Hand, legte die Finger an die Mitte und glitt mit einer leichten, fast schon zögerlichen Bewegung runter, bis ich ihn umgriff.
Zweiter Versuch. Wieder kam ich langsam näher, wieder fühlte er erst meinen Atem, wieder zuckte er, kurz bevor ich am Ziel angelangt war, aber diesmal hielt ich ihn fest, diesmal trafen meine Lippen auf seine Haut und diesmal hörte ich, wie Rubin zischend die Luft ausstieß. In diesem Moment veränderte sich irgendwas in mir. Es fühlte sich an, als würde es sich gleichzeitig lösen und verketten, an die Oberfläche kommen und sich tiefer in mir verankern.
Ich küsste mich in einer langsam flatternden Schlangenlinie hinunter, bis ich an meine Knöchel stieß, dann wieder hinauf, verharrte kurz vor der Spitze. Dann, noch ein Kuss, etwas fester diesmal, mitten auf –
„Vyvyan!
Ja, genau, ich. Und nur ich, babe.
Seine Haut war nicht nur weich, sondern zart. Das hätte mir wahrscheinlich schon viel früher auffallen müssen, aber – es war anders, diesmal. Und nicht nur deshalb, weil ich ihn nicht mehr nur mit meinen Händen berührte, sondern auch, weil … weil ich mir diesmal Zeit ließ, ihn zu ertasten. Ich wollte ihn nicht einfach nur zum Orgasmus bringen, ich wollte ihn erkunden, ich wollte lernen, was er mochte, worauf er besonders reagierte und – und was mir gefiel und was nicht. Es ging nicht um ihn, es ging um … uns. Auch, wenn es ansonsten kein Uns gab, so existierte es hier, jetzt, für kurze Zeit.
Ich öffnete meine Lippen und stupste ihn mir der Zunge – sein Becken zuckte hoch, völlig unvorbereitet. Also nein, wirklich, so ging das auch nicht. Ein bisschen Geduld, bitte, ich war noch nicht soweit. Deswegen legte ich die freie Hand auf seine Hüfte, bereit, im Falle des Falles Gegendruck auszuüben.
„Vyvyan, please – more!“
Wie gesagt, Geduld bitte. Ich hatte ja noch gar nicht richtig angefangen. Und ja, ein bisschen mulmig war mir bei dem Gedanken an sein Mehr auch. Wie gesagt: Die Basics wusste ich, aber ich hätte gerne was Besseres als eine Performance auf beginner level abgeliefert. Tja, keine Chance. Wie hieß noch? Jeder fing mal klein an. Wobei … klein war wohl das falsche Wort in dieser Situation. Klein kam er mir nicht vor.
„Just … go slow!“
Ah ja. Mehr aber langsam. Der wusste doch auch nicht, was er wollte.
Ich stupste ihn erneut an, gleich mehrmals hintereinander, dann umrundete ich ihn mit der Zunge. Einfach weil – wieso nicht? Seiner Reaktion zufolge war es keine schlechte Idee gewesen, denn er drückte einmal den Rücken durch, und murmelte ein leises „Fuck yes!“. Merken.
Ich ruckelte mich ein wenig zurecht, damit ich besser an ihn rankam und – Blitze jagten durch meinen Körper. Ich hatte keine Ahnung seit wann oder wieso, aber mir wurde bewusst, dass ich hart war. So richtig. Und dabei hatte ich noch nicht einmal angefangen. Oi.
Ich schloss kurz die Augen, genoss meine Erregung, genoss den Schauer, der mir über den Nacken rieselte, als ich mir vorstelle, was ich gleich tun würde. Vielleicht wusste ich doch, woher die Erregung kam.
Ich beugte meinen Kopf tiefer, öffnete meine Hand und leckte mich einmal seine gesamte Länge hoch. Und dann, weil er lauter geworden war, je höher ich kam, rieb ich mit meiner Zunge rauf und runter, nur im oberen Drittel. Wieder zuckte sein Becken, doch diesmal hielt ich dagegen.
„Vyvyan – please – I – more! Fuck … go slow – but – more!“
Ich lächelte und drückte ihm noch einen Kuss auf. Ganz ruhig, jetzt. An die Basics denken. Mund auf. Guter Anfang. Lippen über Zähne – ich wollte ihm ja nicht wehtun. Und dann …
… ließ ich ihn in mich gleiten. Langsam, wie er gebeten hatte. Abwartend, ausprobierend, in mich horchend. Rubin stöhnte laut und sein Becken zuckte erneut nach oben, kräftiger diesmal, drängender. Wollte mehr, wollte schneller, wollte jetzt. Aber ich hielt ihn zurück, hielt ihn am Boden, denn ich brauchte Zeit, musste mich daran gewöhnen, musste bemerken, dass da kein Ekel und kein Widerwille meinerseits war, sondern nur Neugierde, Erregung und … Stolz. Weil er so heftig reagierte. Auf mich.
Es war ungewohnt und seltsam, irgendwie, das Gefühl, den Mund voll zu haben und nicht abbeißen zu können. Oh, scheiße, falsches Kopfkino!
Ich versuchte mich zu entspannen und ihn so tief aufzunehmen wie möglich, stieß aber früher als erwartet an meine Grenze. Ich hätte nicht gedacht, dass da so viel übrig bleibt. Kurz erwog ich, weiterzugehen, ließ es dann aber sein. Deep Throat musste man nicht gleich beim ersten Mal meistern. Also ging ich langsam wieder hoch, leckte über die Spitze und entließ ihn aus meinem Mund. Während ich mir selbst einen Moment gab, um meine Empfindungen einzuordnen, streichelte ich ihn und betrachtete das Spiel seiner Muskeln unter der Haut, wie sie sich an- und entspannten, zuckten und harrten. Dann ging ich wieder runter, ohne die Empfindungen auch nur analysiert, geschweige denn sortiert zu haben. Das hätte zu lange gedauert und ich wollte weitermachen.
Ich nahm ihn mehrmals hintereinander auf, damit ich mich an das Gefühl gewöhnen konnte. Es war gar nicht so einfach, die Lippen da zu behalten, wo sie sein sollten; immer wieder wollten sie von meinen Zähnen rutschen, immer wieder musste ich mich zwingen, den gemächlichen Rhythmus beizubehalten, denn sobald ich schneller wurde, ging meine Koordination verloren. Und dabei bewegte ich momentan weder meine Faust noch meine Zunge, auch wenn mir klar war, dass es sich für ihn besser anfühlen würde, wenn ich beides täte. Aber wie gesagt: Ich hatte gerade genug damit zu tun, ihn hinein und hinausgleiten zu lassen.
Und so daneben schien er das Ganze nicht zu finden, denn er brummte zufrieden. So weit so gut.
Nachdem ich sicherer wurde, erhöhte ich das Tempo ein wenig und begann meine Zunge versuchsweise zu bewegen, übte erst einfach nur mehr Druck aus – darauf reagierte er positiv – und rieb dann an ihm, ähnlich wie vorh… 
„Fuck yes!“
Rubins Hände krallten sich plötzlich in meinen Kopf. Eine Sekunde lang dachte ich, er würde mich runterziehen wollen, aber das tat er nicht. Er kratze einfach nur leicht über meine Kopfhaut, kraulte mich, und hielt mich fest ohne mich in meinen Bewegungen zu behindern. Das war … schön. Es fühlte sich an, als ob er näher war als vorher. Irgendwie.
Langsam hatte ich den Dreh raus. Es war zwar immer noch leicht anstrengend, an alles gleichzeitig zu denken – sein Becken davon abhalten, dass er in mich stieß, Mund bewegen, Zähne schützen, Zunge bewegen, Kopf bewegen, auf Rubins Reaktionen achten, … – aber ich begann mich zu entspannen. Gleichzeitig, irgendwie. Und auch wenn alles gerade ein bisschen viel war, war es dennoch immer noch schön. Ich war ihm so nah wie noch nie und eigentlich … eigentlich bestand meine ganze Welt gerade aus Rubin. Daraus, was er tat, wie er roch, wie er schmeckte, wie er reagierte, sich bewegte, mich berührte, brummte, ächzte, stöhnte.
Ich versuchte, meine Faust gleichzeitig mit meinem Kopf auf und ab zu bewegen, aber dazu reichte meine Koordination dann doch noch nicht aus. Ich kam aus dem Takt, stockte, brauchte einen Moment, um mich zu sammeln. Also entließ ich ihn, tupfte mehrere leichte Küsse auf seine Haut und neckte ihn mit der Zunge. Aus einem Impuls heraus knabberte ich mit den Lippen vorsichtig an ihm, bevor ich nur die Spitze aufnahm und sanft an ihr saugte. Und Rubin wurde laut.
„God, Vyvyan, I love – please, don’t stop! Don’t ever stop!“
Merken. So was von merken. Ich leistete seiner Bitte kurze Zeit Folge, dann aber wollte ich ihn wieder ganz. Die Faust blieb still, diesmal; daran konnte ich beim nächsten Mal arbeiten. Aber ich fand meinen Rhythmus wieder, wechselte ab zwischen den Dingen, die ihm offenbar gefallen hatten und wurde mit Hingabe belohnt.
Nach relativ kurzer Zeit – zumindest fühlte sie sich kurz an – brabbelte Rubin nur noch leise eine Mischung aus „Fuck!“, „More!“, „Please“ und „Go slow!“, während sein Becken rhythmisch gegen meine Hand drückte, nicht stark genug, um wirklich in mich stoßen zu wollen, aber so, dass er mir damit den Takt vorgeben konnte. Und auch wenn sein Mund mich bat, langsam zu machen, wurden seine Bewegungen schneller und ich folgte ihnen. Es war berauschend, ihm so nah zu sein und mitzuerleben, wie er immer mehr die Kontrolle verlor.
Und dann nahm ich aus den Augenwinkeln war, wie er versuchte, sich auf die Ellenbogen hochzustützen.
„Vyvyan, I – I’m gonna …!“
Ich sah nach oben, unsere Blicke trafen sich und Rubin kam. Er schrie leise auf und fiel zurück auf die Decke, während sein Körper sich aufbäumte und er sich in meinen Mund ergoss.
So ganz war ich nicht darauf vorbereitet gewesen – also schon, prinzipiell, nur hatte ich nicht so schnell damit gerechnet, nicht in diesem Augenblick – und fast hätte ich mich verschluckt. Doch dann kriegte ich gerade noch die Kurve, schluckte den Großteil runter und entließ ihn langsam und genüsslich. Als ich ein letztes Mal über seine Haut leckte, wimmerte er leise, bewegte sich aber kein Stück. So ganz war er wohl noch nicht wieder da. Das war okay, ich brauchte ja auch immer meine Zeit.
Statt dass ich mich gleich zu ihm legte, setzte ich mich auf und versuchte, die letzten Reste auf meiner Zunge zu analysieren. Sperma schmeckte … anders. Man hörte immer, es sei ‚leicht salzig‘, aber irgendwie … keine Ahnung, es war schwierig zu beschreiben. Definitiv anders als alles, was ich bisher kannte. Am ehesten … ja, am ehesten kam ‚nussig‘ in Frage. Aber so ganz traf es das auch nicht.
Egal. Wichtig für mich war eher, dass ich es nicht eklig fand. Weder das Schlucken an sich noch den Nachgeschmack im Mund.
„Sorry“, nuschelte Rubin, bewegte sich aber immer noch nicht, „I didn’t – I should’ve …“
Ich schüttelte den Kopf, auch wenn er das nicht sehen konnte, krabbelte zu ihm hoch, legte mich zu ihm und gab ihm einen Kuss auf den Mundwinkel.
Alles in Ordnung.

***

Nachdem wir eine Weile so dagelegen hatten und ich langsam wieder zu mir kam, wurde mir etwas klar: Das allerletzte bisschen … nicht Zweifel, sondern Hoffnung war weg. Da war definitiv keine einzige nicht-homosexuelle Zelle in mir. Schöne Scheiße.
Wenigstens wusste ich jetzt, dass Blowjobs nicht nur für den aufregend waren, der sie bekam. Bisher hatte ich das angenommen und mir auch nicht vorstellen können, dass es anders war, aber … nun, wieder etwas gelernt.
Sorry …
Rubins Stirn lag an meiner Halsbeuge, seine Arme waren um meinen Rücken geschlungen. Das T-Shirt hatte ich mittlerweile ausgezogen, aber meine Hose hatte ich noch an. Ich fand es ein wenig beängstigend, dass es mir so gut tat, ihn einfach nur zu berühren, aber ich beschloss, dass ich das später analysieren konnte. Wie so vieles andere.
„Wofür genau entschuldigst du dich?“ Nicht schon wieder, weil er in meinem Mund gekommen war, oder? Ich dachte, das hätten wir stumm abgehakt.
Er murrte. „Ich … normalerweise … well …“ Ich fühlte, wie er einmal tief durchatmete. „Das war ein kurzes Vergnügen.“
Ich musste lachen. Natürlich war das nicht gerade die netteste und einfühlsamste Reaktion, aber ich konnte nicht anders. Darüber machte er sich Gedanken?!
„Hey!“, rief er aus und boxte mich unsanft in die Schulter, „das ist nicht witzig!“
„Das muss dir nicht peinlich sein.“ Ich ließ meine Finger seine Seite hinauf in den Nacken wandern und vergrub sie in seinen Haaren. „Ist schließlich auch nicht schlimmer als dir vorzustellen, wie ich dir einen blase, während du dir einen runterholst – das hast du dabei doch gemacht, oder?“
Vyvyan!“ Sein Oberkörper schoss hoch, so dass er sich auf einer Hand abstützen und mich mit der anderen heftig genug schubsen konnte, dass ich auf den Rücken rollte. „You’re such a fucking jerk!
Das hatte ich jetzt verstanden, Englisch hin oder her. Wahrscheinlich hätte ich es auch auf Russisch oder Maori verstanden. Ich beschloss, ihm sein Kauderwelsch weiterhin zu verzeihen – was hätte ich auch anderes tun sollen, wenn er hochrot, verstrubbelt, nackt und mit sich heftig hebender und senkender Brust empört auf mich herunterschaute? Ich war mir ziemlich sicher, dass man ihm in dieser Situation verdammt vieles vergeben hätte, das bisschen Amerikanisch sowieso.
So wirklich verstand ich aber nicht, warum ihm das jetzt so peinlich war. Ich meine – wir machten rum, hatten uns nackt gesehen und angefasst, ich wusste sogar, dass er beim Einschlafen gerne mit der Decke kuschelte – und, dass er seit Neustem gerne mich als Deckenersatz zum Kuscheln nötigte …
Okay, nein, nicht nötigte. Falsches Wort. Aber, dass er es gerne hatte, wenn ich Deckensersatz zum Kuscheln spielte – und ich wusste, dass er nicht nur eine Niete im Kochen war, sondern noch nicht einmal Eier anständig trennen konnte. Ich wusste, dass er schwul war und es war offensichtlich, dass er zumindest körperlich auf mich stand, denn immerhin war er es gewesen, der ‚das hier‘ eingeleitet hatte. Aber beim Wichsen an mich zu denken war ihm peinlich?
Versteh einer die Amis.
Trotzdem wollte ich auch nicht, dass er sich jetzt deswegen unnötig aufregte. Es war ja ganz lustig, aber gerade war ich doch mehr auf Kuschelkurs als auf … nun, Beschimpft-werden-Kurs. Ich hatte gerade ein kleines, nicht ganz unbedeutendes ‚Erstes Mal‘ hinter mir und wollte jetzt nicht streiten oder herumalbern. Also stützte ich mich auf die Ellenbogen und reckte den Kopf, bis meine Lippen sein Kinn streiften. Dann entfernte ich mich ein paar Zentimeter und sah ihn fragend an. Er wirkte immer noch ein bisschen verschnupft, beugte aber den Kopf weit genug, dass ich sein Ohr erreichen und daran knabbern konnte.
Nach einigen Sekunden stieß er ein leises „Fuck!“ aus und drückte mich wieder auf die Decke – zum Glück nicht, ohne mir zu folgen. Im nächsten Augenblick lag er ausgestreckt auf mir. Als ich meine Hände auf seinen Rücken legen wollte, fing er sie ein und fixierte sie neben meinem Kopf, bevor er mir in den Hals biss. Im ersten Moment wollte sich mein innerer Macho dagegen wehren, wollte vor allem die Hände befreien und die Kontrolle zurückerlangen – war ja schon irgendwie geil gewesen, ihn so in der Hand zu haben – aber der Moment verging schneller, als er gekommen war. Zwar fühlte ich mich Rubin ausgeliefert, aber nicht auf schlechte Art und Weise. Es war okay – wenn ich ehrlich war, war es sogar mehr als das. Zumindest, wenn ich dem Feuerwerk in meinem Bauch glauben konnte.

***

Rubin hatte sich nicht mit meinem Hals begnügt, sondern mit den Lippen nach und nach meinen gesamten Oberkörper in Besitz genommen. Und als er sich schließlich von mir löste, hatte ich garantiert einen Knutschfleck unterm Schlüsselbein.
„Ich ergebe mich.“
Rubin kam hoch, sah mich an und grinste. „Attaboy!
„Das hast du heute Morgen schon gesagt“, erwiderte ich träge, „was bedeutet es?“
„Gut gemacht. Braver Junge. Weiter so!“ Er ließ meine Hände los und stützte sich auf beiden Seiten neben mir ab, um auf mich herunterschauen zu können. „It just means that I’m very happy with you.
Na super, das hörte sich fast an, als sei ich ein Hundewelpe, den er erziehen musste, damit er ihm nicht mehr auf den Teppich pinkelte. Aber wirklich beschweren durfte ich mich nicht, ich konnte mich nämlich wage daran erinnern, ihn vorhin selbst mit ‚guter Junge‘ gelobt zu haben.
Trotzdem verzog ich mein Gesicht. „Danke, ich hab’s kapiert.“ Er lächelte, erwiderte aber nichts. Aus einem Impuls heraus sagte ich: „Im Übrigen sehe ich es als Kompliment.“
Im ersten Moment sah er mich fragend an, aber dann verstand er, dass ich auf das ‚kurze Vergnügen‘ anspielte und ächzte. „Das kannst du ja auch, aber ich …“, begann er und vergrub sein Gesicht dann erneut in meiner Halsbeuge.
„Du …?“
Ich wartete, fünf Sekunden, zehn. Als ich bereits dachte, dass er nicht antworten würde, tat er es doch.
After all … I’m the experienced one!
Diesmal konnte ich es mir verkneifen, zu lachen; dass ich grinste, sah er zum Glück nicht. Wahrscheinlich würde ich aus Rubin nie schlau werden. Er legte also Wert darauf, erfahrener als ich zu sein, ja?
„Woher willst du das wissen?“, fragte ich, als ich sicher war, meine Stimme unter Kontrolle zu haben, „Du weißt ja nicht, wie viele Male ich bisher Sex hatte. Und was ich alles dabei gemacht habe.“
„Mädchen zählen nicht.“
Ach? War ich in seinen Augen noch Jungfrau oder was?
„Seit wann das denn?“
„Seit immer“, antwortete er und biss mir sanft in die Schulter. Ich nahm das als Zeichen, nicht weiter zu argumentieren.
„Dann bist du wahrscheinlich der Erfahrenere, stimmt.“
Wie erfahren war er denn?
Aber ich traute mich nicht, das zu fragen. Auch wenn ich mir vorgenommen hatte, ihn besser kennenzulernen, mit so einer Frage konnte ich unmöglich kommen, nicht nach ‚Erzähl mir von deinen Eltern‘.
„Eben“, brummte er halb zufrieden, halb trotzig.
„Ich finde es trotzdem nicht schlimm.“
„Können wir es nicht einfach vergessen?“
„Na toll, da gibt man sich Mühe und dann so was.“
„Nicht deinen Teil“, sagte er und hob den Kopf wieder, „nur meinen. Du warst super.“
„Besser als Fantasie-Ich?“
Er lächelte, wenn auch etwas gequält. „Unendlich viel besser, aber ich habe dir bereits gesagt, dass du dir da keine Sorgen machen brauchst.“
„Ich weiß ja nicht, wie gut Fantasie-Ich ist. Oder wie erfahren.“
„Mittlerweile ziemlich erfahren …“ Obwohl er schon wieder etwas röter als normal wurde, schaffte er es, dreckig zu grinsen. „Und wirklich verdammt geschickt. Dennoch kein Vergleich.“
Ja, ich gebe es zu, das gefiel meinem Ego. Die berühmte Frage ‚War ich gut?‘ war zwar echt plump und unsexy, aber … also, letzten Endes war es beim Experimentieren essentiell, dass man das ganze Ergebnis auch erfuhr, nicht wahr? Sonst konnte man ja keine folgernden Schlüsse daraus ziehen. Meinen Teil des Ergebnisses hatte ich, aber das war ja nur die Hälfte gewesen. Und nach all den unschönen Selbstzweifeln war es Balsam für mein … für mich, ganzheitlich. Aber wenn ich jetzt einfach die Klappe hielt, kam es doch nur noch deutlicher rüber, dass ich die Bestätigung wirklich gebraucht hatte, oder? Und das war, wie gesagt, uncool. Unsexy. Und generell nichts, was ich mit mir verbinden wollte – oder von dem ich wollte, dass Rubin es mit mir verband.
Ich grinste und trieb das Spielchen weiter. „Also keine Beschwerden?“
„Nein.“
„Verbesserungsvorschläge?“
Er lachte leise. „Auch keine. Ich war vollends zufrieden.“
„Oh, na dann … auch gut.“
Er hob eine Augenbraue. „Du hörst dich nicht begeistert an.“
Ich zuckte mit den Schultern. Nur nicht nachdenken, jetzt. Locker bleiben. Einfach daran denken, dass das alles nur ein Experiment war – und egal, zu welchem Ergebnis wir kommen würden, spätestens nach dem Abschluss im Frühling war es zu Ende.
„Ich dachte, da du ja so viel mehr Erfahrung hast als ich und auch ein ganz akzeptabler Lehrer bist, könntest du mir helfen, meine Technik zu verbessern – und dabei als Übungsobjekt herhalten – aber wenn sie jetzt schon perfekt ist, ist das wohl überflüssig.“ Ich schaffte es tatsächlich, meine Stimme halbwegs desinteressiert zu halten, ganz so, als ob ich ihn nur bitten würde, mir die Eigenheiten des amerikanischen Englischs beizubringen – mit dem Unterschied, dass ich das nun wirklich nie lernen wollte. Vorher wurde ich Mönch!
Rubins Augen weiteten sich; damit hatte er wohl nicht gerechnet. Zugegeben, es war auch etwas seltsam, so mit ihm über meine Blas-Technik zu sprechen, aber gleichzeitig fühlte es sich auch normal an. Als wäre nichts dabei. Und eigentlich war auch nichts dabei, oder? Ich hatte schließlich kein Problem mit Sex an sich. Das Problem war eher meine Homosexualität, aber da ich mir diese eingestanden und mich entschieden hatte, sie ein wenig auszuleben – mit ihm, vorerst – war das theoretisch auch kein Problem mehr. Also warum sollte ich ein Problem mit schwulem Sex haben? (Moment – konnte Sex schwul sein? … Egal.) Wir wollten doch experimentieren – okay, vielleicht war da die Situation noch ein wenig anders, denn das bedeutete ja nur, dass ich von mir aus etwas ausprobieren wollte, und nicht, dass er mir in Sachen Bettqualitäten was beibrachte, aber mal ehrlich: Wir hatten eben festgehalten, dass er erfahrener war, was Intimität – oh, nein. Stopp. Wir waren nicht ‚intim‘, wir hatten Spaß. Probierten aus. Ausschließlich miteinander, ja, aber …
Wow. Langsam wurde meine Argumentation – nicht wirklich ‚löchrig‘, aber dezent weniger überzeugend. So’n Mist.
Egal, ganz ignoriert ist halb verarbeitet.
Genau. Jedenfalls war es im Endeffekt doch egal, ob ich Rubin einen blies und es danach totschwieg oder ob ich ihm einen blies und danach darüber redete. Machte doch auch keinen großen Unterschied mehr, denn Fakt war: geblasen hatte ich so oder so. Das ließ sich jetzt auch nicht mehr ändern.
„Dann lassen wir das”, fügte ich an und lächelte so unschuldig wie ich konnte.
Rubin starrte mich einen verdammt langen Moment lang schweigend an. „Now …“ Er räusperte sich, leckte sich über die Lippen und begann noch einmal: „Jetzt wo du’s sagst, fällt mir doch das ein oder andere ein, an dem man arbeiten könnte …“
„Also war ich doch nicht gut?!“ Ich versuchte, ernst zu bleiben, aber es funktionierte nicht, meine Mundwinkel zuckten unaufhörlich, bis ich nachgab.
Rubin erwiderte das Grinsen. „Doch, natürlich – du warst unbeschreiblich.“
„Aber?“
Er lachte leise. „Aber … aber auch wenn du dich nicht zu verbessern brauchst, kann es dennoch nicht schaden, andere Techniken und Methoden auszuprobieren. Ich kenne ja auch noch nicht alles.“
„Nein? Ich dachte, du bist der Erfahrenere?“
„Aber ich bin nicht so erfahren, dass ich bereits alles erlebt hätte. Bei Weitem nicht. Ich denke, mit ein bisschen Eifer kannst du problemlos zu mir aufschließen.“ Er schnappte nach meinen Lippen und murmelte: „Wir könnten also beide noch was lernen.“
Beruhigend. Wirklich – nennt mich altmodisch, aber jemand, der sich mit siebzehn schon durch die halbe Schwulenszene der Stadt gevögelt hatte, fand ich abtörnend. Es gab ja einen Grund, warum ich nicht in die einschlägigen Clubs auf Partnersuche wollte.
„Hört sich gut an“, erwiderte ich und versuchte nicht zu zeigen, dass ich das gerade in mehrerer Hinsicht meinte.
Rubin lächelte. „Finde ich auch.“

***

Später am Abend hatten wir beide einen Teller mit Burger und Fritten sowie eine Cola vor uns. Die weißen Plastiksitze waren hart und unbequem und sicher auch nicht gut für den Rücken, aber das war gerade mein kleinstes Problem.
„Du hast Recht, es ist lecker hier.“
Rubin zog einen Mundwinkel hoch. „Hast du etwa an mir gezweifelt?“
„Würde ich nicht wagen.“ Ich grinste, dann wandten wir uns wieder dem Essen zu.
Wir saßen in einem kleinen italienischen (?) Lokal, das irgendwo zwischen Imbiss und Minirestaurant fiel und sich in der Nähe des Kinos befand. Da wir noch relativ früh dran waren, hatten wir problemlos einen Platz gekriegt, obwohl es Freitag war. Die Tickets hatten wir auch schon gekauft und uns gute Plätze gesichert. Alles super.
Und wie gesagt, das Essen war lecker. Kein McDoof-Fraß, sondern richtiges Brot mit richtigem Fleisch, knackigem Salat und frischen Tomaten. Die Sauce war anscheinend hausgemacht. Nicht schlecht für einen kleinen Laden am Stadtrand.
Der Imbiss war auch eigentlich ganz gemütlich. Die Stühle waren, wie erwähnt, nicht gerade mit dem Lieblingssessel zu Hause vergleichbar und passten auch nicht wirklich zu den leicht angeschlagenen und von Größe und Stil her wild durcheinandergewürfelten Tischen, aber die italienische Popmusik war angenehm und weder zu laut noch zu leise, es roch nach einer Mischung aus Mehl, Tomaten und Käse und die Bedienung war zwar nicht die hübscheste, aber dafür freundlich und schnell. Die meisten der gut zehn Tische waren zwar besetzt, wahrscheinlich von anderen Kinobesuchern, aber die Leute waren nicht laut. Wie gesagt, alles super.
Bis vielleicht auf die Tatsache, dass das eben meine ersten richtigen Sätze gewesen waren und wir den Burger schon halb aufgegessen hatten. Rubin war auch nicht besser, aber vielleicht erachtete er es ja einfach nicht für nötig, während des Essens zu reden. Ich aber … ich hatte keine Ahnung, was ich sagen sollte.
Worüber unterhielten wir uns denn sonst? Also, bei ihm zu Hause …
Gut, dass wir nicht wirklich tiefgründige Gespräche führten, das war mir irgendwie klar. Bei uns waren Unterhaltungen eher leichtes Geplänkel – und das war ja auch okay so. Wieso sollte es auch anders sein? War ja nicht so, als ob wir beste Freunde oder so was waren. Und jetzt gerade, da musste es ja nichts Tiefgründiges sein, auch nichts, das mir etwas Neues über ihn erzählte – Smalltalk reichte aus! Geplänkel war okay! Aber auch das kriegte ich nicht auf die Reihe. Über was redete man denn normalerweise – verdammt, eigentlich war ich doch richtig gut in diesen Dingen! Das war mein Metier, sozusagen. Ich konnte mich mit allen möglichen Idioten unterhalten, aber nicht mit dem Kerl, mit dem ich den Großteil meiner bisherigen Weihnachtsferien verbracht hatte? Wie beschissen war das denn bitte?
Und die einzigen Themen, die mir einfielen, waren Musik, Hobbys, Essen und das scheiß verdammte Wetter. Die ersten beiden wären Dinge gewesen, die ich ihn zu Hause problemlos gefragt hätte, aber jetzt kämen die doch irgendwie komisch; es ausgerechnet jetzt hier im Restaurant zu fragen … nee, das konnte ich nicht bringen. Und auf das Niveau, übers Essen oder Wetter zu diskutieren, würde ich mich garantiert nicht herunterlassen. Hera, Hades und Hephaistos, wie schwer konnte es denn sein?! All die anderen Idioten hier schienen kein Problem damit zu haben, sie schienen sich blendend zu unterhalten und lachten auch immer mal wieder. Was war denn nur mit mir los? Es musste doch irgendein Thema geben, über das wir uns schon unterhalten hatten und an das ich anknüpfen konnte! Und zwar eines, das nicht den Eindruck machte, als ob wir uns nicht kennen würden, denn das – also, mal ehrlich: Zwei schwule Kerle, die zusammen essen und ins Kino gingen und sich dabei über ihre Hobbies unterhielten? Das war ein Date und ein Date war das hier nicht.
Oder?
Nein.
Ansonsten hätte er … ja, was denn? Etwas gesagt? Was denn bitte?!
‚Ey, hör mal, ich weiß, wir wollten heute nur ins Kino, um Zeit rum zu kriegen, aber ich hab mich entschieden, ich fänd’s doch cooler, wenn wir das als Date schieben?‘
Ja, ganz sicher würde er so was sagen. In genau den Worten. Passte voll zu Rubin.
Und sowieso, was wäre das denn für ein Date? Zwei Kleiderschrank-Schwuchteln in geheimer Mission oder was? Völliger Schwachsinn.
Außerdem verhielt er sich auch nicht wie auf einem Date – und mit Dates hatte ich Erfahrung, auch wenn Mister Gay-Experience mich in Sachen Sex zur Jungfrau ernannt hatte. Aber Dates, also die konnten so anders nicht sein, egal ob man sie nun in der Homo- oder Heteroausführung buchte. Von daher konnte ich das schon beurteilen, und sollte das hier ein Date sein, dann war es ein echt schlechtes. Er sprach nicht mit mir, ich sprach nicht mit ihm und wir guckten uns noch nicht mal wirklich an. Nee, es fühlte sich eher so an, als ob zwei Kumpels, die einzig und allein deshalb befreundet waren, weil sie zum gleichen Freundeskreis gehörten, zusammen in einem Burgerladen saßen. Es war okay, man war daran gewöhnt nebeneinander zu sitzen, aber wirklich was zu sagen hatte man sich auch nicht.
Obwohl … nein. Es war nicht okay. Es fühlte sich nicht okay an, nicht von meiner Seite aus. Wieso sprachen wir nicht, verdammt noch mal?
Egal. Fakt war, es war kein Date. Wäre es eines, von Rubins Seite aus, dann würde er sich ja wohl mehr Mühe geben, sich mit mir zu unterhalten, oder? Ich hatte mir bei den Mädchen immer Mühe gegeben und mich von meiner besten Seite gezeigt. Außerdem war ich nicht einfach einen Burger mit ihnen essen gegangen, sondern was Richtiges. Irgendwas, was sie mochten. Es war nicht so, dass ich Burger nicht mochte, eigentlich tat ich das sogar sehr, nur – egal.
Also kein Date. Definitiv.
Aber.
Ja, verflucht und zugenäht, es gab ein Aber! Denn, wenn man einfach nur die Fakten, also, das Skelett der Fakten, ohne die ganzen Details drum herum betrachtete, dann sah es doch aus, als ob wir mit Nachhilfe angefangen hätten, uns dann näher gekommen wären, ich ihm … na, ‚Treue‘ eben versprochen hätte und wir jetzt, wenige Stunden später, zusammen beim Italiener saßen und zu Abend aßen, bevor wir ins Kino gingen. Abendessen und Kino war schon typisches Datematerial. Irgendwie.
Ach, so eine verkackte Scheiße! Das war so was von keinem Date! Warum sollten wir auch ein Date haben, hm? Er bekam doch schon, was er wollte, da musste er mich nicht mehr zu bezirzen – und er wollte mich ja offensichtlich auch nicht bezirzen. Abgesehen davon wollte ich auch nicht bezirzt werden, sondern wenn schon dann selber bezirzen – nur halt nicht ihn. Generell keinen Kerl. Ich wollte ja auch kein Date mit keinem Kerl. Nein danke. Ficken war unumgänglich, war biologischer Urinstinkt, aber daten war gesellschaftliches Brimborium, mithilfe dessen man zum ficken kommen wollte. Wir fickten vielleicht nicht im klassischen Sinne, aber kommen tat er trotzdem mit schöner Regelmäßigkeit, also war der Mummenschanz Date überflüssig.
Und hätte er mehr als ficken gewollt, hätte er ja wohl mit einem Date angefangen und nicht mit gegenseitigem Wichsen. Da, bitte. Diskussion beendet, auf wunderbar vulgäre Weise.
Ein für alle Mal.

***

Nach gefühlten weiteren drei stillen Stunden, in denen wir auch die zweite Burgerhälfte fast schon bewältigt hatten, fragte ich endlich:
„Weiß du schon, was du übermorgen kochen willst?“ Ich sah auf und begegnete seinem Blick. „Ich nehme an, was aus’m Amiland?“
„Wie kommst du darauf?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Scheint gerade ein Trend bei dir zu sein: Mac’n’Cheese, Burger, New York Cheesecake …“
Er grinste spitzbübisch. „Ach, du hast das bemerkt? Dabei wollte ich doch subtil sein.“
„Was bitte ist an ‚Dann lernst du ein bisschen amerikanischer Esskultur kennen‘ subtil?“
Seine Grübchen wurden deutlicher. „Ich habe nicht gesagt, dass Subtilität eine meiner Stärken ist.“ Das Grinsen wurde zu einem Lächeln. „Zurückhaltung auch nicht. Das solltest du beides mittlerweile gemerkt haben.“
Vielleicht hatte er es scherzend sagen wollen, aber seine Stimme war zu leise, sein Ton zu warm dafür. Er hielt meinen Blick und sein Lächeln vertiefte sich noch ein wenig. Und das, das war nicht gut für mich. Wie schaffte er es nur immer wieder, die Situation innerhalb von Sekunden so komplett zu verändern? Eben noch hatten wir gezwungene Konversation auf einem absoluten Nicht-Date betrieben und nun wusste ich zwar, dass ich meinen Blick abwenden sollte, aber ich konnte es einfach nicht. Wir waren plötzlich wieder alleine, abseits unseres Tisches existierte nichts und niemand. Und wer nicht existierte, konnte mir auch nichts. Noch dazu wäre Atmen zwar eine gute Idee gewesen, fühlte sich aber plötzlich unnatürlich an. Mir war beinahe schmerzlich bewusst, dass er, wären wir bei ihm zu Hause, mich jetzt auf den Mundwinkel küssen würde. Und ich bereute, dass wir nicht bei ihm zu Hause waren. Und zum gefühlt tausendsten Mal, dass es nur der Mundwinkel sein würde.
Sorry“, murmelte er plötzlich und wandte den Blick ab, „I …“ Weiter sprach er nicht, aber das war okay. Der Bann war gebrochen – ‚Bann‘, also bitte! Ich wurde langsam echt zur Schwuchtel, so überdramatisch! – 
Vielleicht … vielleicht sollte ich damit auch aufhören. Ich war nun mal schwul, ließ sich nicht mehr ändern. Solche Bezeichnungsformen zu verwenden machte die Sache leider nicht besser.
Na ja, egal. Jedenfalls war der Bann gebrochen, der Rest des Raumes, nein, der Welt, wieder aufgetaucht und ich konnte wegsehen. Gefahr abgewandt, sozusagen. Denn auch wenn hier wahrscheinlich keiner vorbeikommen würde, den ich kannte – ich musste Rubin nicht unbedingt in der Öffentlichkeit beim gemeinsamen Abendessen tief in die Augen schauen, während er mich anlächelte. Das würde nur neue Argumente für die Date-Diskussion geben und die hatte ich doch schon so schön abgeschlossen. Und, seien wir doch mal ehrlich: Es war um einiges einfacher, wenn ich solche Diskussionen für mich abschließen konnte, ohne Rubin direkt miteinbeziehen zu müssen. Am Ende hatte der noch eine andere Meinung als ich und das könnte dann problematisch werden …
„Was willst du denn jetzt übermorgen?“, fragte ich, um den aufkommenden Gedanken zu entkommen. Dann fiel mir wieder ein, dass übermorgen Sonntag war. „Es wäre schön, wenn du dich rechtzeitig entscheiden könntest, denn ich muss morgen ja noch einkaufen gehen. Das, was wir heute aus deiner Vorratskammer genommen haben, bringe ich natürlich auch mit.“
„Das ist doch nicht wichtig“, erwiderte er lächelnd, „ich habe dir doch schon gesagt, dass du dich in meiner Küche einfach bedienen darfst.“
„Ja, aber der Deal …“
Fuck the deal!
Äh – was?!
„Ich meine nur“, fuhr er ruhiger fort, „können wir diese Arrangements nicht auflösen? Statt dass ich dir Nachhilfe gebe, weil ich dafür eine Empfehlung bekomme, kann ich sie dir nicht einfach geben, weil ich dir helfen möchte? Und statt des Kochunterrichts als Bezahlung, damit du mir nichts schuldig bist, kannst du es nicht tun weil, … weil du mir helfen möchtest?“ Er sah mich an, nicht fragend, sondern richtiggehend bittend. Dann fügte er so leise, dass ich mich ein wenig zu ihm lehnen musste, hinzu: „Können wir nicht einfach kuscheln, weil es schön ist?“

*********

Ich konnte mein Glück kaum fassen: Ich saß Vyvyan gegenüber und wir aßen zusammen als wäre es das Normalste der Welt. Er hatte weder gemotzt noch genörgelt oder anders  Unmut kundgetan – und da er das sonst immer tat, ging ich einfach mal davon aus, dass da kein Unmut war. Und auch wenn da ein leises Gefühl in mir schlummerte, eine Vorahnung, dass irgendetwas passieren würde, so schob ich es entschieden beiseite. Dieser Tag war einfach nur perfekt gewesen und ich wollte ihn genießen.
Gut, wir redeten nicht viel, aber das störte mich nicht. Ich hatte kein Problem mit Stille, solange ich sie mit ihm verbringen durfte. Außerdem hatte ich Angst, etwas Falsches zu sagen, sobald ich den Mund aufmachte. Ich kannte das Kribbeln in mir, dieses freudige ‚Everything is fucking awesome and the world is my oister!‘-Feeling, und ich wusste, dass es mich zu unbedachten Dingen verleitete. Allein schon den Drang, ganz zufällig seine Finger zu streifen, wenn er nach dem Ketchup griff, oder unterm Tisch mit dem Fuß gegen seinen zu stupsen, war beinahe überwältigend. Fast so stark, wie der, mich wiederholt selbst zu kneifen, denn dass ich wirklich mit ihm hier saß und wir wirklich zusammen ausgingen – ob er es nun als Date oder als Kinobesuch zwischen friends with benefits sah, war gerade egal – das war unglaublich. Ich musste träumen, ich fühlte mich, als ob ich träumte, aber wenn, dann wollte ich auch nicht aufwachen.
Noch weniger wollte ich es kaputtmachen. Da war ein Teil von mir – der verliebte, nicht rational denkende und leider fast übermächtige Teil, der ihm unbedingt jetzt sagen wollte, dass ich bis in die Haarspitzen in ihn verliebt war und dass ich mich noch nie so gefühlt hatte und dass allein ihn anzusehen mich schon glücklich machte. Dass er so unglaublich gut aussah, sogar, wenn seine Haare wie jetzt von der Mütze plattgedrückt waren, ohne die er das Haus schon seit Wochen nicht mehr verließ – und dass ich sie so gerne durchgewuschelt hätte, um sie wieder in Form zu bringen; dass die Art, wie er seine Nase kräuselte, bevor er mit Gusto in den Burger biss, einfach adorkable war und ich ihm den ganzen Abend dabei zusehen könnte; dass es immer schwerer wurde, das mit dem Küssen sein zu lassen.
Dass ich jetzt schon nicht mehr wusste, wie ich den Abschluss hinter mich bringen konnte, weil das bedeuten würde, dass sich unsere Wege trennten.
Dass ich dachte, dass ein Studium in den USA für sein Englisch wahre Wunder bewirken würde.
Und natürlich, dass es schon wieder viel zu lange her war, seit ich ihn berührt hatte. Es tat mir nicht gut, ihn nicht zu berühren, es machte mich unruhig und nervös und ungeduldig und … gierig.
Wusste er, wie anziehend er war, wenn er sich nicht verstellte?

***

O no.
Was hatte ich da eben gesagt? Genau deswegen hätte ich meine Klappe halten sollen.
Fuck!

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