Update-Info

07.01.2015: Ich wünsche allen ein (verspätetes) frohes neues Jahr! :)

Bei uns hat das Jahr leider mit einer Krebsdiagnose begonnen. Nicht meine, aber dennoch werden die Kapitel in absehbarer Zeit nur sehr unregelmäßig erscheinen.

Donnerstag, 13. November 2014

Von Edelsteinen und Papierengländern 25:


Diesmal konnte ich um einiges länger im post-orgasmischen Glücksnebel verweilen. Und auch, als ich langsam auftauchte, kam keine Panik auf. Hätte sie vielleicht sollen, wenn man bedachte, dass ich die ganze Zeit über nackt auf Rubins Schoß gesessen hatte, aber irgendwie – nah, es gab Schlimmeres. Er würde es schon nicht weitererzählen.
… Alleine die Tatsache, dass ich das dachte, war erschreckend. Und dennoch war mir das in diesem Moment egal; vielleicht würde ich meine Meinung ändern, wenn mein Kopf nicht mehr von Zitronengras und Grübchen vernebelt wurde, vielleicht aber auch nicht. Irgendwann wurde mir aber zumindest klar, dass ich nackt auf Rubins Schoß saß und immer noch die Arme um ihn geschlungen hatte.
Und, dass er noch nicht gekommen war. Ups.

Ich ließ ihn los und rutschte ein wenig nach hinten, suchte nach Worten, ließ dabei meinen Blick seinen nackten Oberkörper hinunterwandern. So scheiße perfekt. Seine blasse Haut war makellos, die Brustwarzen einladend rosa und dadurch, dass seine Haare überall dieses unglaublich helle Blond hatten, konnte man die Härchen, die von seinem Bauchnabel aus nach unten führten, fast nicht sehen. Sie kamen mir vor wie ein Geheimnis, das nur diejenigen erfuhren, die ihm nah genug kommen durften, um ihn dort zu berühren. 
„Wie machst du das?“, fragte er da plötzlich und ich sah wieder hoch. Er sah mir nicht ins Gesicht, sondern sein Blick wanderte ebenfalls über meinen Körper und – es fühlte sich gut an.
„Was?“
„Dass du selbst im Winter leicht gebräunt aussiehst“, antwortete er und streckte eine Hand aus, um mit dem Finger über meine Brust zu fahren, „Das ist so heiß!“
Heiß? Na ja … ich hatte noch nie über meine Haut nachgedacht; sie war eben meine Haut. Nicht so schön milchweiß wie seine, nicht so dunkel wie die manch anderer. Eine Ex von mir hatte mir mal gesagt, dass ich olivefarbene Untertöne hätte und mir darauf aufbauend Tipps geben wollen, was ich für Farben tragen soll. Dumme Barbie, ich entschied selber, was mir stand und was nicht!
Aber ich fand es gut, dass sie ihm gefiel.
„Jeder hat so seine Vorlieben“, erwiderte ich und zuckte mit den Schultern. Dann erinnerte ich mich daran, dass er immer noch seine Hose anhatte und bisher noch nichts dafür bekommen hatte, dass er mir nicht irgendeinen, sondern den Orgasmus beschert hatte. Meine Geduld beim Mediumkuscheln hatte sich definitiv ausgezahlt.
„Möchtest du …“, begann ich und stockte, weil ich plötzlich nicht wusste, wie ich es ausdrücken sollte. ‚… auch kommen?‘ erschien mir zu plump, ‚… Revanche?‘ wiederum zu aggressiv. Neuer Versuch: „Soll ich …“ Erneuter Abbruch. Mist. War ich eigentlich schon mal wirklich bei klarem Verstand gewesen, wenn ich mich bei ihm revanchiert hatte, oder war der immer vernebelt gewesen? Irgendwie fühlte es sich gerade wie Letzteres an. Aber verdammt noch mal, eigentlich war ich doch gar nicht so verklemmt! Was war denn nur mit mir los? Was zum Hades machte der Kerl mit mir?!
„Du hattest noch keinen Spaß“, sagte ich schließlich, legte meine Hand an den Knopf seiner Hose und sah ihn fragend an.
„So würde ich das nicht sagen …“ Er grinste mich dreckig an und öffnete den Mund, doch dann knurrte plötzlich sein Magen. Einen Moment waren wir beide still, dann lachten wir los.
„Vielleicht verschieben wir das auf nachher?“
Ich nickte. „Ich hab auch langsam Hunger.“ Dann fiel mir was ein und ich runzelte die Stirn. „Wir müssen aber noch einkaufen gehen. Hast du dich schon entschieden, was du essen möchtest?“
Er schüttelte den Kopf und legte widersprüchlicherweise die Arme enger um meine Hüften. „Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Etwas Schnelles.“
Etwas Schnelles … Schon wieder Reis? Oder aber was mit …
„Warte, wie wär’s mit Mac’n’Cheese?“, fragte er und sah ganz begeistert aus, „Ist zwar nichts Superschnelles, aber ich liebe Mac’n’Cheese!“
Gut für ihn. „Hab ich noch nie gemacht. Hast du ein Rezept?“
Er schüttelte den Kopf. „Nein, meine Mutter macht das nach Gefühl.“
„Wir könnten im Internet schauen.“
Er grinste. „Gute Idee! Dann lernst du gleichzeitig ein Stück amerikanischer Esskultur kennen!“
Ich schloss die Augen und schüttelte den Kopf. „Das habe ich jetzt überhört.“ Dann machte ich mich los, stand auf und griff nach meinen Kleidern, um mich anzuziehen. Wurde ja auch langsam Zeit.

***

Ein Rezept fand sich recht schnell und besonders schwierig sah es auch nicht aus. Eigentlich waren es einfach nur überbackene Käsenudeln, nur halt mit Cheddar statt anderem Käse. Aber gut, dann konnte auch wenig schief gehen.
Rubin hielt das ausgedruckte Rezept in den Händen und las sich die Zutatenliste durch.
„Was brauchen wir alles für die Crêpes?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Mehl, Milch, Eier, Butter, Schokolade, Sahne und Salz. Bananen dazu wären lecker.“
„Hm …“, machte er, „vielleicht müssen wir dann gar nicht einkaufen gehen. Ich glaube, wir haben alles hier.“
„Das war nicht der Sinn dahinter, schon vergessen? Ich will deinen Kühlschrank nicht ausräumen – und Mum bezahlt es ja.“
Er sah mich an und grinste. „Ich weiß. Aber wir könnten auch später einkaufen gehen. Erstens habe ich Hunger und will nicht länger warten als nötig und zweitens …“ Er kam auf mich zu und legte die Arme locker um meinen Hals. „Zweitens habe ich gerade Schwierigkeiten damit, meine Finger von dir zu lassen.“
„Scheint ein dauerhaftes Problem zu sein“, grummelte ich und versuchte die blöden Grübchen zu ignorieren. Eigentlich sollten sie absolut keine Auswirkung auf mich haben, denn ich war gerade mehr als befriedigt. Keine Ahnung, warum mein Puls trotzdem in die Höhe schoss und mein Bauch anfing Mätzchen zu machen.
„Es scheint nicht nur“, gab er zurück und legte den Kopf schief, „Stört es dich?“
Schon wieder?! Hera, Hades und Hephaistos, wie viel Bestätigung brauchte der Kerl denn?
Aber eins hatte ich mittlerweile gelernt: Wenn er eine Antwort wollte, war es einfacher, sie ihm gleich zu geben, denn er konnte echt hartnäckig sein.
„Nein“, erwiderte ich deshalb schlicht, „aber wenn du so Hunger hast, solltest du dich jetzt zusammenreißen, denn deine Finger werden anderswo benötigt.“
Easier said than done“, schnurrte er und kraulte kurz meinen Nacken, „aber wir haben ja zum Glück den ganzen Tag und die ganze Nacht, um es nachzuholen.“ Und dann zog er mich an sich und begann, meinen Hals zu küssen. Nicht dass ich mich beschweren wollte, aber wie war das noch mit dem Es…
Sein Magen knurrte erneut und Rubin ließ mich mit einem Seufzen los.
„Mist. Lass uns essen machen, dann kann ich mich wieder besser aufs Vernaschen konzentrieren.“

***


Tatsächlich waren alle Zutaten im Haus und damit ich nicht ganz so ein schlechtes Gewissen bekam, orderte ich ihn, Brokkoli zu waschen, während die Nudeln kochten. Brokkoli und Käsenudeln passte immer, und so aßen wir wenigstens etwas Grünes heute. Nachdem er dann heldenhaft Nudeln, Käse und Milchsauce in die Auflaufform geschichtet und die Schokoladensauce zusammengeschmolzen hatte, zogen wir uns auf Betsy zurück, bis der Küchenwecker klingelte. Ich war schon oben und Rubin reichte mir gerade zwei Gläser.
„Was willst du heute Abend machen?“
Die Frage traf mich unvorbereitet. Das was wir immer machten? Ich meine, ich hatte mich noch zu revanchieren und ansonsten: Betsy ging immer.
Er umrundete sie und kletterte hinter mir hoch.
„… Weiß nicht“, erwiderte ich und sah ihm dabei zu, wie er es sich neben mir gemütlich machte.
Er legte sich auf die Seite, stützte seinen Kopf ab, sah mich aufmerksam an und schien darauf zu warten, dass mir doch noch etwas einfiel. Die Grübchen hatten sich für den Moment zurückgezogen, aber ich wusste, wo sie unter der Oberfläche tanzten und nur darauf warteten, wieder zum Einsatz zu kommen. Oder wartete vielmehr ich darauf?
Ohne nachzudenken hob ich meine Hand und legte sie an seine Wange, fuhr mit dem Daumen über die Stelle. Rubin schloss die Augen und seufzte zufrieden. Ich hatte keine Ahnung, was ich da gerade …
Bullshit. Natürlich wusste ich es. Und eigentlich – also, nachdem ich ihm schon versprochen hatte, dass es für mich in nächster Zeit nur ihn geben würde – also, da war es doch auch okay, ein bisschen … kuscheliger zu sein, oder? Wenn ich schon mit Fee nicht mehr – also, nicht, dass ich da jemals groß das Bedürfnis zu verspürt hätte, aber – und meiner Familie konnte ich ja auch nicht nahe sein, weil ich irgendwie nie zu Hause war – Menschen brauchten doch aber Nähe und so, war wissenschaftlich erwiesen – genau! Man brauchte sich nur anzuschauen, was Tage, Wochen oder gar Monate der Einzelhaft mit Gefangenen angestellt hatten. Die waren alle durch, psychisch wie physisch. So betrachtet bewahrte ich mich also nur vor einem Nervenzusammenbruch. Oder so.
„Gibt’s etwas, was du machen möchtest?“
Er drehte den Kopf ein wenig und biss mir spielerisch in den Daumen. „Es gibt vieles, was ich mit dir machen möchte.“
Ich schüttelte den Kopf. War ja klar gewesen.
„Wie wär’s zum Anfang mit was Jugendfreiem?“ Das Un-Jugendfreie war doch eh schon geplant, deswegen hatte er das Thema also sicher nicht angesprochen.
„Na ja …“ Sein Blick huschte über mein Gesicht und er biss sich auf die Lippen. Dann gab er sich einen Ruck und sah mir in die Augen. „Da ist dieser Film …“
Und schon brach er wieder ab.
„Jugendfrei?“, fragte ich, um ihn dazu zu bringen, weiterzureden.
Er nickte. „Ab sechzehn.“
„… Aber?“
„Er läuft im Kino.“
Ich wartete darauf, dass er so etwas sagte, wie ‚und zwar nur in diesem einen kleinen, dreckigen Kino am anderen Ende der Stadt und auch nur in der Mitternachtsvorstellung, nach der natürlich kein Bus mehr hierher fährt und wir uns ein Taxi leisten müssten‘, aber da kam nichts. Er schien auf meine Reaktion zu warten.
Ich zog die Stirn kraus. Wo war denn nun das Problem? War er pleite? Dachte er, ich sei pleite? Hatte er Angst vor Kinos?
„Aber ich habe nachgeschaut“, sagte er plötzlich hastig, „er läuft hier um die Ecke, das ist ein kleines Independent-Kino, da taucht sicher niemand auf, den wir kennen – garantiert niemand von der Schule.“
Und was … oh.
Natürlich, Kino war draußen. Hier drinnen in aller Eintracht rumzumachen war ja okay, aber die Grenze war eindeutig: Rubins Haustür. Natürlich würden wir im Kino auch nicht rummachen – hatte er ja versprochen. Von daher war kein großer Unterschied zwischen zusammen ins Kino oder zusammen einkaufen; rummachen war in jedem Fall verboten. Und wenn wir doch jemanden aus der Schule trafen, dann … keine Ahnung, aber irgendwas würde mir schon einfallen. Ich war ja ein schlauer Kerl und nicht auf den Mund gefallen.
„Ich weiß, du warst diese Woche schon mal und nicht gerade begeistert davon, aber ich glaube, der Film könnte dir auch gefallen.“
Rubin zog die Unterlippe zwischen die Zähne und mir wurde bei dem Anblick zweierlei bewusst: Erstens hatte ich noch nicht geantwortet und zweitens sah er echt verführerisch aus, so unsicher und … bittend? Jap, das gefiel mir. Obwohl, das heute Morgen hatte ich auch nicht schlecht gefunden. Oder so, wie er nach der Nachhilfe gewesen war. Nein, gar nicht. Eigentlich … also, eigentlich fand ich ihn nur in der Schule scheiße. Da aber dafür so richtig. Einmal mehr fragte ich mich, was werden würde, wenn diese wieder anfing.
„Wieso nicht?“, erwiderte ich schließlich und merkte, dass ich wirklich Lust hatte, heute ins Kino zu gehen. Ja, das war eine gute Entscheidung gewesen – und sie wurde gleich noch ein bisschen besser, als ich Rubins erfreutes Lächeln sah. „Solange du während der Vorstellung nicht die ganze Zeit quatschst. Das kann ich nämlich nicht ab.“
Seine Augen leuchteten. „Ich werde mich hüten.“
Das wollte ich doch hoffen.
„Wann willst du denn die Crêpes essen?“, fragte ich, um mich von dem Leuchten abzulenken.
„Wie wär’s mit morgen früh?“, gab er zurück.
„Zum Frühstück?!“
„Wieso nicht? Ist sicher lecker.“
Na ja, wo er Recht hatte … Mum war ja nicht hier.
„Und den Rest der Mac’n’Cheese dann zu Mittag“, fuhr er fort und rollte sich auf den Bauch.
Ich runzelte die Stirn. „Und was ist mit heute Abend? Es ist zwar schon recht spät für ein Mittagessen, aber so ganz ohne Abendessen werde ich auch nicht glücklich sein.“
„Hm“, machte er und rutschte umständlich näher, so, dass wir nun dicht nebeneinander lagen, „das will ich natürlich nicht.“ Er legte seinen Kopf auf die Arme ab und sah mich an. „Ich dachte, wir könnten was essen gehen vor dem Kino? Wir müssen die Karten sowieso zeitig holen gehen und es gibt in der Nähe echt gute Burger.“
„Aber kein McDoof, oder?“
„Natürlich nicht.“ Ich wusste nicht, wieso, aber sein Lächeln machte mich einen Augenblick lang nervös, bevor es in ein Grinsen überging. „Dass ich damit bei dir nicht punkten kann, ist mir schon klar. Es ist ein kleiner Laden, macht die Burger nur auf Bestellung und benutzt frische Zutaten. Sie sind wirklich lecker. Und zweimal Mac’n’Cheese am selben Tag ist doch auch langweilig.“
Wo er Recht hatte, hatte er Recht.
Punkten, hm? Brauchte er doch gar nicht mehr, bekam ja schon, was er wollte. Und jetzt auch vesprochenerweise als einziger …
Okay, nein, darüber wollte ich jetzt gerade nicht nachdenken. Es gab deutlich bessere Themen, wie zum Beispiel …
Äh, ja. Es gab sicher welche.
„Okay, Burger hören sich doch gut an.“
Er lächelte breit und sah durch und durch zufrieden aus. „Schön.“
Ja, schön.
Ich nickte. Er sah mich weiterhin an. Ähm … ähm? Was jetzt, sollte ich etwas sagen? Ich hatte doch schon zugestimmt. Aber irgendwie sah er nicht mal aus, als warte er darauf, dass ich das Gespräch weiterführe, sondern … als … keine Ahnung, als wäre hier liegen genug. Nach einem Moment wandte ich den Blick ab und sah zu dem überfüllten Weihnachtsbaum, während ich mich zurechtruckelte und dann ebenfalls meinen Kopf auf die verschränkten Arme bettete. Ich wollte nicht, dass wir uns gegenseitig anschwiegen, schon gar nicht, wenn wir uns dabei in die Augen sahen. Das war mir nicht genug, das war mir gefühlte zwanzig Mal zu viel!
Also los, her mit einem Gesprächsthema! Revanchieren sollte ich mich ja wahrscheinlich immer noch nicht, immerhin brauchten die Nudeln nicht so lange und nachdem er sich vorhin so Zeit gelassen hatte, wollte ich bei ihm nicht unbedingt hetzen. Käme dezent ungut.
Ich atmete tief ein und aus und versuchte mich zu entspannen. Gab doch keinen Grund, hier nervös zu werden. Wir lagen ganz jugendfrei nebeneinander, auf Betsy, und ließen uns die Bäuche wärmen. Kein Ding. Daran, dass ich ihm vor nicht einmal einer Stunde versprochen hatte, ihm treu zu sei…
Nein, nein, nein! Nicht daran denken – und schon gar nicht so! Nicht in diesen Worten! ‚Treu‘ war kein Wort, das zwischen uns Platz hatte. Treue setzte Gefühle voraus und wir – also, nein. Ich hatte ihm nicht Treue versprochen, sondern nur … nur, dass ich niemand anderen anfassen würde, damit er sich keine Gedanken um mögliche unliebsame Nebenwirkungen unserer Kuschelstunden machen musste. Genau. Und sowieso, was war das schon für ein Versprechen, hm? Ich hatte doch nie vorgehabt, diese Ferien überhaupt jemanden anzufassen und nun, da Rubin irgendwie von der Schublade ‚Bleib mir vom Leib!‘ in ‚Hm, okay, vielleicht kannst du doch ein wenig näher kommen‘ gerutscht war, würde sicher niemand zweites dazukommen. Und mit Fee wollte ich ja eh Schluss machen, da würde ich sie vorher sicher nicht groß abknutschen.
Also eigentlich hatte ich ihm gar nichts Großes versprochen. Nein, genau genommen war es sogar weniger ein Versprechen als ein Darlegen der Fakten gewesen. Rein gar nichts mit niemandem außer ihm, das war keine Bemühung, sondern traurige Wahrheit. Obwohl, ganz so traurig war ich heute früh dann doch nicht darüber gewesen. Scheiße, nein. Er war echt … also, keine Ahnung, wie lange man üben musste, um so gut zu werden, aber – wollte ich auch nicht wissen. Wie lange und mit wie vielen er was geübt hatte, das ging mich nichts an.
Nein, das war kein Treueversprechen gewesen. Wie gesagt, es änderte ja auch nichts an der Situation – schon gar nicht daran, in welcher Beziehung wir zueinander standen. Oder besser, in welcher Beziehung ich zu ihm stand, denn er hatte ja nichts versprochen.
Stimmt, hatte er nicht. Er konnte rummachen mit wem auch immer er wollte, denn vorhin war es ja nur um mich gegangen. Irgendwie – nicht okay, oder?
Andererseits hatte er mir das Versprechen ja auch nur abgenommen, weil er ohne Bedenken blasen wollte, und hätte ich das gleiche Versprechen von ihm verlangt, hätte impliziert, dass ich ebenfalls darüber nachdachte, ihm einen zu blasen. Tat ich aber nicht. 
Natürlich nicht. Ich war zwar schwul, aber nicht …
Okay, vielleicht doch, vielleicht war ich ‚so schwul‘, aber selber blasen, nee, das würde wirklich frühestens mit fünfundzwanzig passieren. Besser noch mit dreißig. Dreißig plus. Nicht wahr?
Andererseits … das Ding hier mit Rubin war ja wirklich praktisch. Das war mir schon öfter aufgefallen. Niemand war da, niemand würde es erfahren, es war absolut sicher. Und allerspätestens im Sommer – wahrscheinlich schon früher – würden sich unsere Wege trennen, er würde in sein geliebtes Amerika und ich würde hier an die Uni – respektive dort, wo Pa als nächstes arbeiten würde. Das Ding zwischen uns war nicht nur sicher, es war idiotensicher. Absolut.
Plus: Vielleicht mochte ich es ja auch gar nicht. Und wenn ich es nicht mochte, bestand dann nicht doch die Möglichkeit, dass das alles nur eine Phase …
Nein. Damit würde ich nicht wieder anfangen. Das brachte nichts, das wusste ich bereits. Und eigentlich hatte ich gedacht, ich hätte mit dieser einen Ausrede, respektive Hoffnung, längst abgeschlossen. Ich war schwul. Leider. Einhundert Prozent. Noch leidriger. Aber dennoch, wenn ich es nicht mochte, dann wüsste ich es wenigstens fortan, nicht wahr? Kein Schwanzlutscher zu sein wäre schon schön. Auch wenn es noch bei Weitem schöner war, Schwanzgelutschter zu sein. Aber ausprobieren, so einmal … bei Rubin musste ich weder Bedenken haben, weil ich keine Erfahrung hatte – das wusste er doch eh – noch, dass er schlecht reagieren würde, sollte ich das Ganze vorzeitig abbrechen. Keine Ahnung, wieso, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass er deswegen angepisst oder ähnlich beschissen reagierte. Er wusste ja, dass ich noch am Anfang der Experimentierphase stand. Und genau deshalb wäre es vielleicht gar nicht so schlecht … noch dazu war er clean. Und wenn ich es jemals ausprobieren wollen würde, dann ja wohl ebenfalls ohne Kondom. Wie gesagt: urgs. Die waren echt nicht appetitanregend.
Moment mal – Warum zum Hades dachte ich überhaupt darüber nach?! Ich hatte sie doch nicht mehr alle! Von ihm geküsst werden war eine Sache, das hatte ich ja nicht wirklich kontrollieren können, vor allem, da es so überraschend passiert war – beim ersten Mal zumindest – aber selber Hand – will sagen: selber Mund anlegen? Das konnte ich sehr wohl kontrollieren. Also echt. Betsys Wärme tat mir eindeutig nicht gut.
Wo war ich denn gewesen, bevor ich auf dieses unschöne Thema gekommen – oh, bei dem Treue-Ding, das kein Treue-Ding war. Nee, auch nicht gut, auch wenn ich es bereits abgehakt hatte. Zu genau wollte ich meine Logik dazu dann doch nicht angucken. Und davor … genau! Ich hatte versucht, mir ein Gesprächsthema zu überlegen, damit wir nicht hier herumlagen und uns anschwiegen. Hatte ja super funktioniert.
Okay. Gesprächsthema, Gesprächsthema, worüber sollte ich nur – oh! Wie blöd war ich denn heute? Er hatte mir ja nur tausendmal gesagt, worüber er heute reden wollte: sich selbst! Weil er so viel mehr über mich wusste als umgekehrt.
„Erzähl mir von deinen Eltern“, bat ich ohne weiter nachzudenken. Ich wusste ja bereits, dass er Einzelkind war, aber von seinen Eltern wusste ich nichts und Familie war doch der beste Ansatzpunkt für so was.
Sein Gesichtsausdruck veränderte sich schon wieder. Er lächelte immer noch, er schien heute sowieso gar nicht mehr damit aufzuhören – war das wirklich derselbe Junge wie aus der Schule?! – aber nun begann das Lächeln, mich ganz kirre zu machen.
The basics?“, fragte er mit samtweicher Stimme, so dass sogar das verfluchte Amerikanisch sich schon fast schön anhörte.
Ich nickte, weil ich meiner Stimme gerade nicht traute und sah ihn erwartungsvoll an. Und irgendwie wollte ich sogar wirklich, dass er mir von seinen Eltern erzählte. Auch wenn ich keinen blassen Schimmer hatte, wieso mich das plötzlich interessierte. War wahrscheinlich nur Ablenkungstaktik. Genau.
My mom’s name is Grace and …
„Deutsch, bitte“, unterbrach ich ihn wie gewohnt.
Er lächelte unbekümmert. „Meine Mutter heißt Grace, kommt aus einer Kleinstadt in der Nähe von New Orleans, war Cheerleader und Vorstehende des Mathematikclubs ihrer Schule. Sie hat panische Angst vorm Fliegen, liebt die amerikanische Kultur und Hausmannskost und war dennoch die treibende Kraft hinter dem Umzug meiner Eltern nach Europa. Sie ist relativ altmodisch was ihre Meinung zu Geschlechterrollen angeht und hat trotz Mathestudium nie etwas anderes sein wollen als Mutter und Hausfrau. Das einzige, was sie Dad im Haushalt überlässt ist grillen und den Müll raustragen.“
Ich konnte nicht anders und musste grinsen. „Dann ist sie wohl auch der Grund, warum du weder kochen noch Wäsche waschen kannst?“
Kurz flackerte sein Grinsen und er sah weg. „Sie ist der Meinung, dass das später meine Frau für mich zu machen hätte.“ Dann sah er wieder zu mir, musterte einen Moment mein Gesicht und das Lächeln kam zurück, wenn auch leicht verlegen. „Außerdem habe ich doch gesagt, fürs Wäsche waschen hat sie mir eine Anleitung gegeben.“
Ich wollte etwas erwidern, aber konnte nicht. Ich sah ihn an, schweigend, musternd, und je deutlicher seine Verlegenheit wurde, desto tiefer wurde mein Lächeln. Keine Ahnung, woher das gekommen war, aber nun wollte es offenbar nicht mehr weg.
„Es ist nicht so, dass ich es nicht kann – ich bin ja weder blöd noch ein Kleinkind …“, fügte er nach einer Weile leise hinzu. Leise, verlegen und ein wenig trotzig.
Wirklich, ich hätte nie gedacht, dass er so sein konnte. So … zum Anbeißen. „Ich kann’s dir nachher zeigen“, sagte ich schließlich, „als Dank dafür, dass du mich schon wieder hier übernachten lässt, sollte ich zufälligerweise erneut meinen letzten Bus verpassen.“ Auch, wenn da nichts Zufälliges dran war und er mich gebeten hatte zu bleiben statt umgekehrt. Aber man musste ja nicht immer alles so genau nehmen.
Er betrachtete mich einen Augenblick lang, dann stemmte er sich halb hoch, lehnte sich zu mir und küsste meinen Mundwinkel.
You can be so damn sweet …“
Äh, ja. Nein. War ich nicht. Niemals nie. Konnte er nicht einfach normal reagieren und danke sagen? War doch echt nicht schwer, verflucht! Nur für Rubin schon, offenbar; der verrückte Ami sorgte ja lieber innerhalb von Sekunden dafür, dass ich am liebsten gleichzeitig abgehauen und ihn an mich gezogen hätte. Allerdings tat ich keines von den beiden Dingen, sondern wartete, bis er wieder neben mir lag, und versuchte, das Gespräch in sichere Bahnen zu lenken.
„Und dein Vater? Wie ist er so?“
Doch bevor er antworten konnte, schellte der Küchenwecker. Auch gut. Aufstehen und von der wohligen Wärme wegkommen, wenn auch nur für ein paar Minuten, war sicher keine schlechte Idee.

***

„Und?“
Wir saßen wieder auf Betsy, ein bisschen gekrümmt wegen der Decke, jeder einen Teller mit Maccaroni and Cheese in der Hand. Eigentlich sollte man ja nicht auf einem Ofen essen, sondern ganz artig am Tisch, aber … näh. Betsy war eben Betsy und sie schlug jeden langweiligen Tisch um Längen.
Yummy, isn’t it?“, fragte Rubin und sah sehr selbstzufrieden aus, „Fucking delicious, amiright?
„Lecker, ja“, gab ich zu, „hast du fein gemacht, Rubin!“ Ich grinste kurz, dann rümpfte ich die Nase. „Aber warum du heute so viel Englisch benutzen musst, verstehe ich nicht. Ich meine, wenn du mich loswerden willst, brauchst du’s nur zu sagen.“
„Wart’s nur ab, irgendwann wirst du es lieben, wenn ich Englisch mit dir rede.“
Ich schnaubte. „An deiner Stelle würde ich nicht darauf zählen.“
Rubin zuckte mit den Schultern. „Ich bin Optimist.“
Offenbar, ja.
„New York Cheesecake“, machte er plötzlich, „kannst du den?“
„Hm“, machte ich, „hab ich auch noch nie gemacht, aber Sue hat ein echt gutes Rezept für einen Cheesecake mit weißer Schokolade und Himbeeren.“ Ich nahm einen Bissen. Ja, okay, die Nudeln waren wirklich lecker. Käsenudeln mit Brokkoli eben. Gute Käsenudeln mit Brokkoli. Der Cheddar gab dem Ganzen das gewisse Etwas. „Ginge der auch?“
„Sicher. Hört sich lecker an.“
„Nächstes Mal, dann?“
Er nickte, doch dann zögerte er. „Nächstes Mal ist Sonntag.“
„Ja und?“
„Silvester.“
Okay. Was wollte er mir denn jetzt damit sagen? „Willst du sie ausfallen lassen?“
„Was?“, machte er und schüttelte den Kopf, „natürlich nicht! Nachhilfe geht vor feiern. Aber … oh.“ Er sah auf und lächelte. „Wo wir schon dabei sind: Es wäre gut, wenn du Sonntag auch früh kommen könntest, ansonsten kriegen wir am Ende nicht alles hin. Und ich weiß ja nicht, wie begeistert du wärest, wenn ich auf der Party Kuschelstunden einlösen müsste, nur, weil vorher keine Zeit dazu war.“
„Keine Angst, dazu wird’s nicht kommen“, erwiderte ich leicht knurrig, „schließlich kannst du heute ganz viel vorkuscheln, schon vergessen?“
„Ja, aber das hält nicht bis Sonntag.“
„Und du gehst morgen weg; dann soll ich hier trotzdem so früh auftauchen?“
„Oder aber du gehst einfach erst gar nicht. Ich denke eh, das wäre einfacher.“
„Rubin …“
Vyvyan.
Ich seufzte. „Okay, ich komme Sonntag früh her. Wer braucht schon Schlaf?“
Er lächelte zufrieden. „Den holen wir dann zusammen nach.“
Ja, klar.
Eine Weile später, als wir beide die Teller geleert hatten, nahm er mir meinen ab und schob beide an die Wand.
„Wie ging der Spruch noch?“, fragte er völlig zusammenhangslos und kam zu mir zurück, „‚Nach dem Essen sollst du ruh’n oder tausend Schritte tun’?“
Ich runzelte die Stirn. „Willst du jetzt spazieren gehen oder was?“ In der Kälte?! Nicht mit mir!
Rubin schmunzelte. „Du offenbar nicht.“
„Nein.“
„Tja, dann müssen wir eben ruhen“, sprach’s und streckte sich genüsslich neben mir aus, die Arme hinter dem Kopf verschränkt. Schräg auf der Decke liegend. So, dass ich praktisch gar nicht anders konnte, als zu kuscheln, wenn ich auch liegen wollte. Aber sitzen war ja auch unbequem und um einiges weniger Betsy-gerecht. Also legte ich mich ebenfalls hin, gezwungenermaßen auf die Seite, und nach einem Moment des Zögerns ließ ich meinen Kopf auf seinen Arm sinken. Blieb mir ja nichts anderes übrig, wie gesagt. Auch meine Hand auf seinem Bauch musste fast dahin, und unter sein Shirt musste sie auch, weil warm.
Rubin brummte zufrieden. „Ruhen war eindeutig die bessere Entscheidung.“


*********

Ich musste es noch einmal ansprechen, das war mir schmerzlich bewusst. Schmerzlich einerseits, weil ich ihm damit einen Ausweg auf dem silbernen Teller servierte – aber gleichzeitig: Wenn er einen Ausweg suchte, sollte er ihn auch bekommen; ich wollte ja nicht, dass er sich zu etwas gezwungen fühlte. Andererseits aber auch schmerzlich, weil es nicht ganz fair gewesen war, wie ich ihn gefragt hatte. Und vor allem: wann. Vyvyan war gleich nach seinem Orgasmus immer so handzahm, dass es eine helle Freude war – bis auf das eine Mal, als er kurz danach abgehauen war, aber das wollten wir ja vergessen. Und ich, ich hatte das ausgenutzt. Hatte gewusst, dass er noch nicht wieder sein störrisches Selbst war und ihn trotzdem um das Versprechen gebeten. Dick move, myself!
Aber bereuen konnte ich es trotzdem nicht. Vielleicht war das noch arschiger als die Handlung an sich, aber – er hatte zugestimmt! Und es noch nicht wieder zurückgenommen! Und er hatte schon mehr als genug Möglichkeit dazu gehabt: gleich danach, während des Kochens, während des Wartens, während des Essens – aber nein, er hatte mich lieber nach meinen Eltern gefragt. Und jetzt lagen wir hier und kuschelten.
Das war doch auch ein gutes Zeichen, oder? Dass er nach Mom und Dad gefragt hatte, von sich aus. Das hieß doch, dass er sich für mich interessierte, wenigstens ein bisschen. Darauf konnten wir aufbauen.
And last but not least:
Wir. Hatten. Ein. DATE!!
Wenn mich jemand fragte, könnte ich jetzt ohne zu lügen behaupten: ‚Yeah, we’re dating and we’re exclusive.‘ Wie geil war das denn?! Inwiefern meine Perspektive sich da von Vyvyans unterschied, wollte ich allerdings gar nicht wissen. Ein bisschen optimistisches Genießen (und Augenverschließen) musste einfach drinliegen.
Just for today. Heute wollte ich optimistisch sein und genießen. Es war ja wahrscheinlich auch besser, wenn ich ihm ein wenig mehr Zeit ließ, darüber nachzudenken, bevor ich das Versprechen ansprach. Er musste sich ja auch erst einmal klar darüber werden, wie er wirklich dazu stand. Damn straight! Und dafür, mich damit zu konfrontieren, war morgen noch Zeit. Heute wollte ich in Luftschlössern leben.

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