Diesmal konnte ich um einiges länger im post-orgasmischen Glücksnebel
verweilen. Und auch, als ich langsam auftauchte, kam keine Panik auf. Hätte sie
vielleicht sollen, wenn man bedachte, dass ich die ganze Zeit über nackt auf
Rubins Schoß gesessen hatte, aber irgendwie – nah, es gab Schlimmeres.
Er würde es schon nicht weitererzählen.
… Alleine die Tatsache, dass ich das dachte, war erschreckend. Und
dennoch war mir das in diesem Moment egal; vielleicht würde ich meine Meinung
ändern, wenn mein Kopf nicht mehr von Zitronengras und Grübchen vernebelt
wurde, vielleicht aber auch nicht. Irgendwann wurde mir aber zumindest klar,
dass ich nackt auf Rubins Schoß saß und immer noch die Arme um
ihn geschlungen hatte.
Und, dass er noch nicht gekommen war. Ups.
Ich ließ ihn los und rutschte ein wenig nach hinten, suchte nach Worten,
ließ dabei meinen Blick seinen nackten Oberkörper hinunterwandern. So scheiße
perfekt. Seine blasse Haut war makellos, die Brustwarzen einladend rosa und
dadurch, dass seine Haare überall dieses unglaublich helle Blond hatten,
konnte man die Härchen, die von seinem Bauchnabel aus nach unten führten, fast
nicht sehen. Sie kamen mir vor wie ein Geheimnis, das nur diejenigen erfuhren,
die ihm nah genug kommen durften, um ihn dort zu berühren.
„Wie machst du das?“, fragte er da plötzlich und ich sah wieder hoch. Er
sah mir nicht ins Gesicht, sondern sein Blick wanderte ebenfalls über meinen
Körper und – es fühlte sich gut an.
„Was?“
„Dass du selbst im Winter leicht gebräunt aussiehst“, antwortete er und
streckte eine Hand aus, um mit dem Finger über meine Brust zu fahren, „Das ist
so heiß!“
Heiß? Na ja … ich hatte noch nie über meine Haut nachgedacht; sie war
eben meine Haut. Nicht so schön milchweiß wie seine, nicht so dunkel wie die
manch anderer. Eine Ex von mir hatte mir mal gesagt, dass ich olivefarbene
Untertöne hätte und mir darauf aufbauend Tipps geben wollen, was ich für Farben
tragen soll. Dumme Barbie, ich entschied selber, was mir stand und was nicht!
Aber ich fand es gut, dass sie ihm gefiel.
„Jeder hat so seine Vorlieben“, erwiderte ich und zuckte mit den Schultern.
Dann erinnerte ich mich daran, dass er immer noch seine Hose anhatte und bisher
noch nichts dafür bekommen hatte, dass er mir nicht irgendeinen, sondern den
Orgasmus beschert hatte. Meine Geduld beim Mediumkuscheln hatte sich definitiv
ausgezahlt.
„Möchtest du …“, begann ich und stockte, weil ich plötzlich nicht
wusste, wie ich es ausdrücken sollte. ‚… auch kommen?‘ erschien mir zu
plump, ‚… Revanche?‘ wiederum zu aggressiv. Neuer Versuch: „Soll
ich …“ Erneuter Abbruch. Mist. War ich eigentlich schon mal wirklich bei
klarem Verstand gewesen, wenn ich mich bei ihm revanchiert hatte, oder war der
immer vernebelt gewesen? Irgendwie fühlte es sich gerade wie Letzteres an. Aber
verdammt noch mal, eigentlich war ich doch gar nicht so verklemmt! Was war denn
nur mit mir los? Was zum Hades machte der Kerl mit mir?!
„Du hattest noch keinen Spaß“, sagte ich schließlich, legte meine Hand an
den Knopf seiner Hose und sah ihn fragend an.
„So würde ich das nicht sagen …“ Er grinste mich dreckig an und
öffnete den Mund, doch dann knurrte plötzlich sein Magen. Einen Moment waren
wir beide still, dann lachten wir los.
„Vielleicht verschieben wir das auf nachher?“
Ich nickte. „Ich hab auch langsam Hunger.“ Dann fiel mir was ein und ich
runzelte die Stirn. „Wir müssen aber noch einkaufen gehen. Hast du dich schon
entschieden, was du essen möchtest?“
Er schüttelte den Kopf und legte widersprüchlicherweise die Arme enger um
meine Hüften. „Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Etwas
Schnelles.“
Etwas Schnelles … Schon wieder Reis? Oder aber was mit …
„Warte, wie wär’s mit Mac’n’Cheese?“, fragte er und sah ganz
begeistert aus, „Ist zwar nichts Superschnelles, aber ich liebe Mac’n’Cheese!“
Gut für ihn. „Hab ich noch nie gemacht. Hast du ein Rezept?“
Er schüttelte den Kopf. „Nein, meine Mutter macht das nach Gefühl.“
„Wir könnten im Internet schauen.“
Er grinste. „Gute Idee! Dann lernst du gleichzeitig ein Stück
amerikanischer Esskultur kennen!“
Ich schloss die Augen und schüttelte den Kopf. „Das habe ich jetzt
überhört.“ Dann machte ich mich los, stand auf und griff nach meinen Kleidern,
um mich anzuziehen. Wurde ja auch langsam Zeit.
***
Ein Rezept fand sich recht schnell und besonders schwierig sah es auch
nicht aus. Eigentlich waren es einfach nur überbackene Käsenudeln, nur halt mit
Cheddar statt anderem Käse. Aber gut, dann konnte auch wenig schief gehen.
Rubin hielt das ausgedruckte Rezept in den Händen und las sich die
Zutatenliste durch.
„Was brauchen wir alles für die Crêpes?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Mehl, Milch, Eier, Butter, Schokolade, Sahne
und Salz. Bananen dazu wären lecker.“
„Hm …“, machte er, „vielleicht müssen wir dann gar nicht einkaufen
gehen. Ich glaube, wir haben alles hier.“
„Das war nicht der Sinn dahinter, schon vergessen? Ich will deinen
Kühlschrank nicht ausräumen – und Mum bezahlt es ja.“
Er sah mich an und grinste. „Ich weiß. Aber wir könnten auch später einkaufen
gehen. Erstens habe ich Hunger und will nicht länger warten als nötig
und zweitens …“ Er kam auf mich zu und legte die Arme locker um meinen
Hals. „Zweitens habe ich gerade Schwierigkeiten damit, meine Finger von dir zu
lassen.“
„Scheint ein dauerhaftes Problem zu sein“, grummelte ich und versuchte die
blöden Grübchen zu ignorieren. Eigentlich sollten sie absolut keine Auswirkung
auf mich haben, denn ich war gerade mehr als befriedigt. Keine Ahnung, warum
mein Puls trotzdem in die Höhe schoss und mein Bauch anfing Mätzchen zu machen.
„Es scheint nicht nur“, gab er zurück und legte den Kopf schief, „Stört es
dich?“
Schon wieder?! Hera, Hades und Hephaistos, wie viel Bestätigung brauchte der Kerl denn?
Aber eins hatte ich mittlerweile gelernt: Wenn er eine Antwort wollte, war
es einfacher, sie ihm gleich zu geben, denn er konnte echt hartnäckig sein.
„Nein“, erwiderte ich deshalb schlicht, „aber wenn du so Hunger hast,
solltest du dich jetzt zusammenreißen, denn deine Finger werden anderswo
benötigt.“
„Easier said than done“, schnurrte er und kraulte kurz meinen
Nacken, „aber wir haben ja zum Glück den ganzen Tag und die ganze Nacht,
um es nachzuholen.“ Und dann zog er mich an sich und begann, meinen Hals zu
küssen. Nicht dass ich mich beschweren wollte, aber wie war das noch mit dem
Es…
Sein Magen knurrte erneut und Rubin ließ mich mit einem Seufzen los.
„Mist. Lass uns essen machen, dann kann ich mich wieder besser aufs
Vernaschen konzentrieren.“
***
Tatsächlich waren alle Zutaten im Haus und damit ich nicht ganz so ein
schlechtes Gewissen bekam, orderte ich ihn, Brokkoli zu waschen, während die
Nudeln kochten. Brokkoli und Käsenudeln passte immer, und so aßen wir
wenigstens etwas Grünes heute. Nachdem er dann heldenhaft Nudeln, Käse und
Milchsauce in die Auflaufform geschichtet und die Schokoladensauce
zusammengeschmolzen hatte, zogen wir uns auf Betsy zurück, bis der Küchenwecker
klingelte. Ich war schon oben und Rubin reichte mir gerade zwei Gläser.
„Was willst du heute Abend machen?“
Die Frage traf mich unvorbereitet. Das was wir immer machten? Ich meine,
ich hatte mich noch zu revanchieren und ansonsten: Betsy ging immer.
Er umrundete sie und kletterte hinter mir hoch.
„… Weiß nicht“, erwiderte ich und sah ihm dabei zu, wie er es sich neben
mir gemütlich machte.
Er legte sich auf die Seite, stützte seinen Kopf ab, sah mich aufmerksam an
und schien darauf zu warten, dass mir doch noch etwas einfiel. Die Grübchen
hatten sich für den Moment zurückgezogen, aber ich wusste, wo sie unter der
Oberfläche tanzten und nur darauf warteten, wieder zum Einsatz zu kommen. Oder
wartete vielmehr ich darauf?
Ohne nachzudenken hob ich meine Hand und legte sie an seine Wange, fuhr mit
dem Daumen über die Stelle. Rubin schloss die Augen und seufzte zufrieden. Ich
hatte keine Ahnung, was ich da gerade …
Bullshit. Natürlich wusste ich es. Und eigentlich – also, nachdem ich ihm
schon versprochen hatte, dass es für mich in nächster Zeit nur ihn geben
würde – also, da war es doch auch okay, ein
bisschen … kuscheliger zu sein, oder? Wenn ich schon mit Fee nicht
mehr – also, nicht, dass ich da jemals groß das Bedürfnis zu verspürt
hätte, aber – und meiner Familie konnte ich ja auch nicht nahe sein,
weil ich irgendwie nie zu Hause war – Menschen brauchten doch aber
Nähe und so, war wissenschaftlich erwiesen – genau! Man brauchte sich
nur anzuschauen, was Tage, Wochen oder gar Monate der Einzelhaft mit Gefangenen
angestellt hatten. Die waren alle durch, psychisch wie physisch. So betrachtet
bewahrte ich mich also nur vor einem Nervenzusammenbruch. Oder so.
„Gibt’s etwas, was du machen möchtest?“
Er drehte den Kopf ein wenig und biss mir spielerisch in den Daumen. „Es
gibt vieles, was ich mit dir machen möchte.“
Ich schüttelte den Kopf. War ja klar gewesen.
„Wie wär’s zum Anfang mit was Jugendfreiem?“ Das Un-Jugendfreie war doch eh
schon geplant, deswegen hatte er das Thema also sicher nicht angesprochen.
„Na ja …“ Sein Blick huschte über mein Gesicht und er biss sich auf die
Lippen. Dann gab er sich einen Ruck und sah mir in die Augen. „Da ist dieser
Film …“
Und schon brach er wieder ab.
„Jugendfrei?“, fragte ich, um ihn dazu zu bringen, weiterzureden.
Er nickte. „Ab sechzehn.“
„… Aber?“
„Er läuft im Kino.“
Ich wartete darauf, dass er so etwas sagte, wie ‚und zwar nur in diesem
einen kleinen, dreckigen Kino am anderen Ende der Stadt und auch nur in der
Mitternachtsvorstellung, nach der natürlich kein Bus mehr hierher fährt und wir
uns ein Taxi leisten müssten‘, aber da kam nichts. Er schien auf meine Reaktion
zu warten.
Ich zog die Stirn kraus. Wo war denn nun das Problem? War er pleite? Dachte
er, ich sei pleite? Hatte er Angst vor Kinos?
„Aber ich habe nachgeschaut“, sagte er plötzlich hastig, „er läuft hier um
die Ecke, das ist ein kleines Independent-Kino, da taucht sicher niemand auf,
den wir kennen – garantiert niemand von der Schule.“
Und was … oh.
Natürlich, Kino war draußen. Hier drinnen in aller Eintracht
rumzumachen war ja okay, aber die Grenze war eindeutig: Rubins Haustür.
Natürlich würden wir im Kino auch nicht rummachen – hatte er ja
versprochen. Von daher war kein großer Unterschied zwischen zusammen ins Kino
oder zusammen einkaufen; rummachen war in jedem Fall verboten. Und wenn wir
doch jemanden aus der Schule trafen, dann … keine Ahnung, aber
irgendwas würde mir schon einfallen. Ich war ja ein schlauer Kerl und nicht auf
den Mund gefallen.
„Ich weiß, du warst diese Woche schon mal und nicht gerade begeistert
davon, aber ich glaube, der Film könnte dir auch gefallen.“
Rubin zog die Unterlippe zwischen die Zähne und mir wurde bei dem Anblick
zweierlei bewusst: Erstens hatte ich noch nicht geantwortet und zweitens sah er
echt verführerisch aus, so unsicher und … bittend? Jap, das gefiel
mir. Obwohl, das heute Morgen hatte ich auch nicht schlecht gefunden. Oder so,
wie er nach der Nachhilfe gewesen war. Nein, gar nicht.
Eigentlich … also, eigentlich fand ich ihn nur in der Schule scheiße.
Da aber dafür so richtig. Einmal mehr fragte ich mich, was werden würde, wenn
diese wieder anfing.
„Wieso nicht?“, erwiderte ich schließlich und merkte, dass ich wirklich
Lust hatte, heute ins Kino zu gehen. Ja, das war eine gute Entscheidung
gewesen – und sie wurde gleich noch ein bisschen besser, als ich
Rubins erfreutes Lächeln sah. „Solange du während der Vorstellung nicht die
ganze Zeit quatschst. Das kann ich nämlich nicht ab.“
Seine Augen leuchteten. „Ich werde mich hüten.“
Das wollte ich doch hoffen.
„Wann willst du denn die Crêpes essen?“, fragte ich, um mich von dem
Leuchten abzulenken.
„Wie wär’s mit morgen früh?“, gab er zurück.
„Zum Frühstück?!“
„Wieso nicht? Ist sicher lecker.“
Na ja, wo er Recht hatte … Mum war ja nicht hier.
„Und den Rest der Mac’n’Cheese dann zu Mittag“, fuhr er fort und
rollte sich auf den Bauch.
Ich runzelte die Stirn. „Und was ist mit heute Abend? Es ist zwar schon
recht spät für ein Mittagessen, aber so ganz ohne Abendessen werde ich auch
nicht glücklich sein.“
„Hm“, machte er und rutschte umständlich näher, so, dass wir nun dicht
nebeneinander lagen, „das will ich natürlich nicht.“ Er legte seinen Kopf auf
die Arme ab und sah mich an. „Ich dachte, wir könnten was essen gehen vor dem
Kino? Wir müssen die Karten sowieso zeitig holen gehen und es gibt in der Nähe
echt gute Burger.“
„Aber kein McDoof, oder?“
„Natürlich nicht.“ Ich wusste nicht, wieso, aber sein Lächeln machte mich
einen Augenblick lang nervös, bevor es in ein Grinsen überging. „Dass ich damit
bei dir nicht punkten kann, ist mir schon klar. Es ist ein kleiner Laden, macht
die Burger nur auf Bestellung und benutzt frische Zutaten. Sie sind wirklich
lecker. Und zweimal Mac’n’Cheese am selben Tag ist doch auch
langweilig.“
Wo er Recht hatte, hatte er Recht.
Punkten, hm? Brauchte er doch gar nicht mehr, bekam ja schon, was er
wollte. Und jetzt auch vesprochenerweise als einziger …
Okay, nein, darüber wollte ich jetzt gerade nicht nachdenken. Es gab
deutlich bessere Themen, wie zum Beispiel …
Äh, ja. Es gab sicher welche.
„Okay, Burger hören sich doch gut an.“
Er lächelte breit und sah durch und durch zufrieden aus. „Schön.“
Ja, schön.
Ich nickte. Er sah mich weiterhin an. Ähm … ähm? Was jetzt,
sollte ich etwas sagen? Ich hatte doch schon zugestimmt. Aber irgendwie sah er
nicht mal aus, als warte er darauf, dass ich das Gespräch weiterführe,
sondern … als … keine Ahnung, als wäre hier liegen genug.
Nach einem Moment wandte ich den Blick ab und sah zu dem überfüllten
Weihnachtsbaum, während ich mich zurechtruckelte und dann ebenfalls meinen Kopf
auf die verschränkten Arme bettete. Ich wollte nicht, dass wir uns gegenseitig
anschwiegen, schon gar nicht, wenn wir uns dabei in die Augen sahen. Das war
mir nicht genug, das war mir gefühlte zwanzig Mal zu viel!
Also los, her mit einem Gesprächsthema! Revanchieren sollte ich mich ja
wahrscheinlich immer noch nicht, immerhin brauchten die Nudeln nicht so lange
und nachdem er sich vorhin so Zeit gelassen hatte, wollte ich bei ihm nicht
unbedingt hetzen. Käme dezent ungut.
Ich atmete tief ein und aus und versuchte mich zu entspannen. Gab doch
keinen Grund, hier nervös zu werden. Wir lagen ganz jugendfrei nebeneinander,
auf Betsy, und ließen uns die Bäuche wärmen. Kein Ding. Daran, dass ich ihm vor
nicht einmal einer Stunde versprochen hatte, ihm treu zu sei…
Nein, nein, nein! Nicht daran denken – und schon gar nicht so!
Nicht in diesen Worten! ‚Treu‘ war kein Wort, das zwischen uns Platz hatte.
Treue setzte Gefühle voraus und wir – also, nein. Ich hatte ihm nicht
Treue versprochen, sondern nur … nur, dass ich niemand anderen
anfassen würde, damit er sich keine Gedanken um mögliche unliebsame
Nebenwirkungen unserer Kuschelstunden machen musste. Genau. Und sowieso, was
war das schon für ein Versprechen, hm? Ich hatte doch nie vorgehabt, diese
Ferien überhaupt jemanden anzufassen und nun, da Rubin irgendwie von der
Schublade ‚Bleib mir vom Leib!‘ in ‚Hm, okay, vielleicht kannst du
doch ein wenig näher kommen‘ gerutscht war, würde sicher niemand zweites
dazukommen. Und mit Fee wollte ich ja eh Schluss machen, da würde ich sie
vorher sicher nicht groß abknutschen.
Also eigentlich hatte ich ihm gar nichts Großes versprochen. Nein, genau
genommen war es sogar weniger ein Versprechen als ein Darlegen der Fakten
gewesen. Rein gar nichts mit niemandem außer ihm, das war keine Bemühung,
sondern traurige Wahrheit. Obwohl, ganz so traurig war ich heute früh dann doch
nicht darüber gewesen. Scheiße, nein. Er war echt … also, keine
Ahnung, wie lange man üben musste, um so gut zu werden, aber – wollte
ich auch nicht wissen. Wie lange und mit wie vielen er was geübt hatte, das
ging mich nichts an.
Nein, das war kein Treueversprechen gewesen. Wie gesagt, es änderte ja auch
nichts an der Situation – schon gar nicht daran, in welcher Beziehung
wir zueinander standen. Oder besser, in welcher Beziehung ich zu ihm stand,
denn er hatte ja nichts versprochen.
Stimmt, hatte er nicht. Er konnte rummachen mit wem auch immer er wollte,
denn vorhin war es ja nur um mich gegangen. Irgendwie – nicht okay,
oder?
Andererseits hatte er mir das Versprechen ja auch nur abgenommen, weil er
ohne Bedenken blasen wollte, und hätte ich das gleiche Versprechen von ihm
verlangt, hätte impliziert, dass ich ebenfalls darüber nachdachte, ihm einen zu
blasen. Tat ich aber nicht.
Natürlich nicht. Ich war zwar schwul, aber nicht …
Okay, vielleicht doch, vielleicht war ich ‚so schwul‘, aber selber
blasen, nee, das würde wirklich frühestens mit fünfundzwanzig passieren. Besser
noch mit dreißig. Dreißig plus. Nicht wahr?
Andererseits … das Ding hier mit Rubin war ja wirklich praktisch. Das war mir
schon öfter aufgefallen. Niemand war da, niemand würde es erfahren, es war
absolut sicher. Und allerspätestens im Sommer – wahrscheinlich schon
früher – würden sich unsere Wege trennen, er würde in sein geliebtes
Amerika und ich würde hier an die Uni – respektive dort, wo Pa als
nächstes arbeiten würde. Das Ding zwischen uns war nicht nur sicher, es war idiotensicher.
Absolut.
Plus: Vielleicht mochte ich es ja auch gar nicht. Und wenn ich es
nicht mochte, bestand dann nicht doch die Möglichkeit, dass das alles nur eine
Phase …
Nein. Damit würde ich nicht wieder anfangen. Das brachte nichts, das wusste
ich bereits. Und eigentlich hatte ich gedacht, ich hätte mit dieser einen
Ausrede, respektive Hoffnung, längst abgeschlossen. Ich war schwul. Leider.
Einhundert Prozent. Noch leidriger. Aber dennoch, wenn ich es nicht mochte,
dann wüsste ich es wenigstens fortan, nicht wahr? Kein Schwanzlutscher zu sein
wäre schon schön. Auch wenn es noch bei Weitem schöner war, Schwanzgelutschter
zu sein. Aber ausprobieren, so einmal … bei Rubin musste ich weder
Bedenken haben, weil ich keine Erfahrung hatte – das wusste er doch
eh – noch, dass er schlecht reagieren würde, sollte ich das Ganze
vorzeitig abbrechen. Keine Ahnung, wieso, aber ich konnte mir nicht vorstellen,
dass er deswegen angepisst oder ähnlich beschissen reagierte. Er wusste ja,
dass ich noch am Anfang der Experimentierphase stand. Und genau deshalb wäre es
vielleicht gar nicht so schlecht … noch dazu war er clean. Und wenn
ich es jemals ausprobieren wollen würde, dann ja wohl ebenfalls ohne Kondom.
Wie gesagt: urgs. Die waren echt nicht appetitanregend.
Moment mal – Warum zum Hades dachte ich überhaupt darüber nach?!
Ich hatte sie doch nicht mehr alle! Von ihm geküsst werden war eine Sache, das
hatte ich ja nicht wirklich kontrollieren können, vor allem, da es so
überraschend passiert war – beim ersten Mal
zumindest – aber selber Hand – will sagen: selber Mund
anlegen? Das konnte ich sehr wohl kontrollieren. Also echt. Betsys Wärme
tat mir eindeutig nicht gut.
Wo war ich denn gewesen, bevor ich auf dieses unschöne Thema
gekommen – oh, bei dem Treue-Ding, das kein Treue-Ding war. Nee, auch
nicht gut, auch wenn ich es bereits abgehakt hatte. Zu genau wollte ich meine
Logik dazu dann doch nicht angucken. Und davor … genau! Ich hatte
versucht, mir ein Gesprächsthema zu überlegen, damit wir nicht hier herumlagen
und uns anschwiegen. Hatte ja super funktioniert.
Okay. Gesprächsthema, Gesprächsthema, worüber sollte ich
nur – oh! Wie blöd war ich denn heute? Er hatte mir ja nur tausendmal
gesagt, worüber er heute reden wollte: sich selbst! Weil er so viel mehr über
mich wusste als umgekehrt.
„Erzähl mir von deinen Eltern“, bat ich ohne weiter nachzudenken. Ich
wusste ja bereits, dass er Einzelkind war, aber von seinen Eltern wusste ich
nichts und Familie war doch der beste Ansatzpunkt für so was.
Sein Gesichtsausdruck veränderte sich schon wieder. Er lächelte immer noch,
er schien heute sowieso gar nicht mehr damit aufzuhören – war das wirklich
derselbe Junge wie aus der Schule?! – aber nun begann das Lächeln,
mich ganz kirre zu machen.
„The basics?“, fragte er mit samtweicher Stimme, so dass sogar das
verfluchte Amerikanisch sich schon fast schön anhörte.
Ich nickte, weil ich meiner Stimme gerade nicht traute und sah ihn
erwartungsvoll an. Und irgendwie wollte ich sogar wirklich, dass er mir von
seinen Eltern erzählte. Auch wenn ich keinen blassen Schimmer hatte, wieso mich
das plötzlich interessierte. War wahrscheinlich nur Ablenkungstaktik. Genau.
„My mom’s name is Grace and …“
„Deutsch, bitte“, unterbrach ich ihn wie gewohnt.
Er lächelte unbekümmert. „Meine Mutter heißt Grace, kommt aus einer
Kleinstadt in der Nähe von New Orleans, war Cheerleader und Vorstehende des
Mathematikclubs ihrer Schule. Sie hat panische Angst vorm Fliegen, liebt die
amerikanische Kultur und Hausmannskost und war dennoch die treibende Kraft
hinter dem Umzug meiner Eltern nach Europa. Sie ist relativ altmodisch was ihre
Meinung zu Geschlechterrollen angeht und hat trotz Mathestudium nie etwas
anderes sein wollen als Mutter und Hausfrau. Das einzige, was sie Dad im
Haushalt überlässt ist grillen und den Müll raustragen.“
Ich konnte nicht anders und musste grinsen. „Dann ist sie wohl auch der
Grund, warum du weder kochen noch Wäsche waschen kannst?“
Kurz flackerte sein Grinsen und er sah weg. „Sie ist der Meinung, dass das
später meine Frau für mich zu machen hätte.“ Dann sah er wieder zu mir,
musterte einen Moment mein Gesicht und das Lächeln kam zurück, wenn auch leicht
verlegen. „Außerdem habe ich doch gesagt, fürs Wäsche waschen hat sie mir eine
Anleitung gegeben.“
Ich wollte etwas erwidern, aber konnte nicht. Ich sah ihn an, schweigend,
musternd, und je deutlicher seine Verlegenheit wurde, desto tiefer wurde mein
Lächeln. Keine Ahnung, woher das gekommen war, aber nun wollte es offenbar
nicht mehr weg.
„Es ist nicht so, dass ich es nicht kann – ich bin ja
weder blöd noch ein Kleinkind …“, fügte er nach einer Weile leise hinzu.
Leise, verlegen und ein wenig trotzig.
Wirklich, ich hätte nie gedacht, dass er so sein konnte. So … zum
Anbeißen. „Ich kann’s dir nachher zeigen“, sagte ich schließlich, „als Dank
dafür, dass du mich schon wieder hier übernachten lässt, sollte ich
zufälligerweise erneut meinen letzten Bus verpassen.“ Auch, wenn da nichts
Zufälliges dran war und er mich gebeten hatte zu bleiben statt umgekehrt. Aber
man musste ja nicht immer alles so genau nehmen.
Er betrachtete mich einen Augenblick lang, dann stemmte er sich halb hoch,
lehnte sich zu mir und küsste meinen Mundwinkel.
„You can be so damn sweet …“
Äh, ja. Nein. War ich nicht. Niemals nie. Konnte er nicht einfach normal
reagieren und danke sagen? War doch echt nicht schwer, verflucht! Nur für Rubin
schon, offenbar; der verrückte Ami sorgte ja lieber innerhalb von Sekunden
dafür, dass ich am liebsten gleichzeitig abgehauen und ihn an mich gezogen
hätte. Allerdings tat ich keines von den beiden Dingen, sondern wartete, bis er
wieder neben mir lag, und versuchte, das Gespräch in sichere Bahnen zu lenken.
„Und dein Vater? Wie ist er so?“
Doch bevor er antworten konnte, schellte der Küchenwecker. Auch gut.
Aufstehen und von der wohligen Wärme wegkommen, wenn auch nur für ein paar
Minuten, war sicher keine schlechte Idee.
***
„Und?“
Wir saßen wieder auf Betsy, ein bisschen gekrümmt wegen der Decke, jeder
einen Teller mit Maccaroni and Cheese in der Hand. Eigentlich sollte man
ja nicht auf einem Ofen essen, sondern ganz artig am Tisch,
aber … näh. Betsy war eben Betsy und sie schlug jeden langweiligen
Tisch um Längen.
„Yummy, isn’t it?“, fragte Rubin und sah sehr selbstzufrieden aus, „Fucking
delicious, amiright?“
„Lecker, ja“, gab ich zu, „hast du fein gemacht, Rubin!“ Ich grinste kurz,
dann rümpfte ich die Nase. „Aber warum du heute so viel Englisch benutzen
musst, verstehe ich nicht. Ich meine, wenn du mich loswerden willst, brauchst
du’s nur zu sagen.“
„Wart’s nur ab, irgendwann wirst du es lieben, wenn ich Englisch mit dir
rede.“
Ich schnaubte. „An deiner Stelle würde ich nicht darauf zählen.“
Rubin zuckte mit den Schultern. „Ich bin Optimist.“
Offenbar, ja.
„New York Cheesecake“, machte er plötzlich, „kannst du den?“
„Hm“, machte ich, „hab ich auch noch nie gemacht, aber Sue hat ein echt
gutes Rezept für einen Cheesecake mit weißer Schokolade und Himbeeren.“ Ich
nahm einen Bissen. Ja, okay, die Nudeln waren wirklich lecker. Käsenudeln mit
Brokkoli eben. Gute Käsenudeln mit Brokkoli. Der Cheddar gab dem Ganzen das
gewisse Etwas. „Ginge der auch?“
„Sicher. Hört sich lecker an.“
„Nächstes Mal, dann?“
Er nickte, doch dann zögerte er. „Nächstes Mal ist Sonntag.“
„Ja und?“
„Silvester.“
Okay. Was wollte er mir denn jetzt damit sagen? „Willst du sie ausfallen
lassen?“
„Was?“, machte er und schüttelte den Kopf, „natürlich nicht! Nachhilfe geht
vor feiern. Aber … oh.“ Er sah auf und lächelte. „Wo wir schon dabei sind:
Es wäre gut, wenn du Sonntag auch früh kommen könntest, ansonsten kriegen wir
am Ende nicht alles hin. Und ich weiß ja nicht, wie begeistert du wärest, wenn
ich auf der Party Kuschelstunden einlösen müsste, nur, weil vorher keine Zeit
dazu war.“
„Keine Angst, dazu wird’s nicht kommen“, erwiderte ich leicht knurrig,
„schließlich kannst du heute ganz viel vorkuscheln, schon vergessen?“
„Ja, aber das hält nicht bis Sonntag.“
„Und du gehst morgen weg; dann soll ich hier trotzdem so früh auftauchen?“
„Oder aber du gehst einfach erst gar nicht. Ich denke eh, das wäre
einfacher.“
„Rubin …“
„Vyvyan.“
Ich seufzte. „Okay, ich komme Sonntag früh her. Wer braucht schon Schlaf?“
Er lächelte zufrieden. „Den holen wir dann zusammen nach.“
Ja, klar.
Eine Weile später, als wir beide die Teller geleert hatten, nahm er mir
meinen ab und schob beide an die Wand.
„Wie ging der Spruch noch?“, fragte er völlig zusammenhangslos und kam zu
mir zurück, „‚Nach dem Essen sollst du ruh’n oder tausend Schritte tun’?“
Ich runzelte die Stirn. „Willst du jetzt spazieren gehen oder was?“ In der
Kälte?! Nicht mit mir!
Rubin schmunzelte. „Du offenbar nicht.“
„Nein.“
„Tja, dann müssen wir eben ruhen“, sprach’s und streckte sich genüsslich
neben mir aus, die Arme hinter dem Kopf verschränkt. Schräg auf der Decke
liegend. So, dass ich praktisch gar nicht anders konnte, als zu kuscheln, wenn
ich auch liegen wollte. Aber sitzen war ja auch unbequem und um einiges weniger
Betsy-gerecht. Also legte ich mich ebenfalls hin, gezwungenermaßen auf die
Seite, und nach einem Moment des Zögerns ließ ich meinen Kopf auf seinen Arm
sinken. Blieb mir ja nichts anderes übrig, wie gesagt. Auch meine Hand auf
seinem Bauch musste fast dahin, und unter sein Shirt musste sie auch, weil warm.
Rubin brummte zufrieden. „Ruhen war eindeutig die bessere Entscheidung.“
*********
Ich musste es noch einmal ansprechen, das war mir schmerzlich bewusst.
Schmerzlich einerseits, weil ich ihm damit einen Ausweg auf dem silbernen
Teller servierte – aber gleichzeitig: Wenn er einen Ausweg suchte,
sollte er ihn auch bekommen; ich wollte ja nicht, dass er sich zu etwas
gezwungen fühlte. Andererseits aber auch schmerzlich, weil es nicht ganz fair
gewesen war, wie ich ihn gefragt hatte. Und vor allem: wann. Vyvyan war gleich
nach seinem Orgasmus immer so handzahm, dass es eine helle Freude
war – bis auf das eine Mal, als er kurz danach abgehauen war, aber
das wollten wir ja vergessen. Und ich, ich hatte das ausgenutzt. Hatte gewusst,
dass er noch nicht wieder sein störrisches Selbst war und ihn trotzdem um das
Versprechen gebeten. Dick move, myself!
Aber bereuen konnte ich es trotzdem nicht. Vielleicht war das noch
arschiger als die Handlung an sich, aber – er hatte zugestimmt! Und
es noch nicht wieder zurückgenommen! Und er hatte schon mehr als genug
Möglichkeit dazu gehabt: gleich danach, während des Kochens, während des
Wartens, während des Essens – aber nein, er hatte mich lieber nach
meinen Eltern gefragt. Und jetzt lagen wir hier und kuschelten.
Das war doch auch ein gutes Zeichen, oder? Dass er nach Mom und Dad gefragt
hatte, von sich aus. Das hieß doch, dass er sich für mich interessierte,
wenigstens ein bisschen. Darauf konnten wir aufbauen.
And last but not least:
Wir. Hatten. Ein. DATE!!
Wenn mich jemand fragte, könnte ich jetzt ohne zu lügen behaupten: ‚Yeah, we’re dating
and we’re exclusive.‘ Wie geil war das denn?! Inwiefern meine Perspektive
sich da von Vyvyans unterschied, wollte ich allerdings gar nicht wissen. Ein
bisschen optimistisches Genießen (und Augenverschließen) musste einfach
drinliegen.
Just for today. Heute wollte ich optimistisch sein und genießen. Es war
ja wahrscheinlich auch besser, wenn ich ihm ein wenig mehr Zeit ließ, darüber
nachzudenken, bevor ich das Versprechen ansprach. Er musste sich ja auch erst
einmal klar darüber werden, wie er wirklich dazu stand. Damn
straight! Und dafür, mich damit zu konfrontieren, war morgen noch Zeit.
Heute wollte ich in Luftschlössern leben.
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