Während wir so auf Betsy lagen und kuschelten, wurde ich nach und nach von
einer seltsamen, lähmenden Unruhe erfasst, die ich mir nicht ganz erklären
konnte. Ich wollte liegen bleiben und aufstehen, die Lider schließen und ihn
nicht aus den Augen lassen, damit ich keine mögliche Bewegung verpasste. Ich
wollte näher an ihn heranrutschen und ihn von mir schieben. Als er eine Hand
unter seinem Schopf hervorzog und den Arm um meine Schulter legte, wurde das
Gefühl, etwas tun zu müssen, so stark, dass ich glaubte jeden Moment platzen zu
müssen. Es kribbelte und zwickte und machte es mir unmöglich, an irgendetwas
anderes zu denken. Und dann löste sich meine Starre. Nicht komplett, aber
zumindest in meiner Hand und ich begann, seinen Bauch zu erkunden. Ich fing klein
an, spreizte erst nur die Finger, und ballte sie danach in Zeitlupe zur Faust,
kratze dabei leicht über seine Haut, und das half, das seltsam drängende
Kribbeln loszuwerden. Oder nein, nicht loszuwerden, aber umzuleiten. Erst war
ich mir nicht sicher, aber als ich begann, meine flache Hand auf ihm zu bewegen
und mir die Form seines Körpers allein durch Berührung einzuprägen, wurde es
deutlich: Je mehr Freiheit ich meiner Hand gab, desto angenehmer wurde es für
mich. Aus tausend Nadelstichen in meinem Innern wurde Champagnerprickeln.
Rubins Bauchmuskeln zuckten unter mir und sein Atem beschleunigte sich mit
jedem Millimeter, den ich mich bewegte. Als ich schließlich, nach einem
gemächlichen Umweg über seine Brust, seinen Bauchnabel ertastete, keuchte er auf
und flüsterte:
„Mediumkuscheln?“
Ich ließ mir Zeit mit meiner Antwort. So ein bisschen zurückquälen musste
sein, nachdem er mich heute Morgen so lange hatte warten lassen. Aber seien wir
ehrlich: Seine Geduld hatte ich einfach nicht. Seine sadistischen Anwandlungen
auch nicht, darüber sollte er froh sein. Außerdem wuchs das Prickeln in mir mit
jedem Heben seines Brustkorbes und drohte stets, wieder zu kippen und zu viel
für mich zu werden.
Immer noch neben ihm liegend, bis auf meinen Arm regungslos, schob ich
meine Fingerspitzen bei seiner linken Hüfte unter den Bund seiner Hose, zog sie
langsam zu mir und genoss es, dass er mir sein Becken entgegendrückte. Dann
strich ich über seinen Oberschenkel und ließ meine Hand auf halber Höhe auf die
Innenseite gleiten. Sofort öffneten sich seine Beine einige Zentimeter.
„Hatte ich nicht vor.“
„Oh thank God!“
Ich lachte leise und stemmte mich mit einem Arm hoch, um ihn ansehen zu
können. „Heute braucht’s nicht viel, um dich aufzuheizen, was?“
Rubin sah mich an, lächelnd, aus Augen, die fast schwarz erschienen. „Für
dich nicht, nein. Tut’s nie.“
Irgendwie – keine Ahnung. Aber die Art, wie er das sagte,
reichte, um endlich wirklich Bewegung in mich zu bringen. Ich schwang mein Bein
auf die andere Hälfte der Decke, so dass ich über ihm kniete, und setzte mich
auf seine Oberschenkel. Dann nahm ich sein Shirt und schob es ein Stück nach
oben, tanzte mit den Fingern über die freigelegte Haut und freute mich darüber,
wie sich sein Blick verschleierte. Beugte mich zu ihm runter und küsste mich
dem Rand des Stoffes nach, mit langsamen, federleichten Berührungen. Wieder
drückte sein Becken nach oben, ruckartiger diesmal.
„Vyvyan, babe, I really don’t need much foreplay.“
Ja, das konnte ich sehen. Aber alleine dafür, dass er mich schon wieder
‚babe‘ nannte, würde ich ihn noch ein bisschen leiden lassen.
„Wie war das noch?“, murmelte ich und leckte mich in aller Ruhe dein feinen
Härchen nach zu seinem Bauchnabel hinauf, „‚Ich will, dass du lernst, zu
genießen‘?“
„Ich genieße doch“, erwiderte er gehetzt, „Ich genieße jede einzelne
Sekunde mit – fuck!“
Zunge in Bauchnabel. Das musste ich mir merken. Ohrläppchen generell und
Zunge in Bauchnabel.
Ich legte etwas mehr von seinem Körper frei und folgte meinen Händen
aufwärts, ohne auch nur daran zu denken, mein Tempo zu erhöhen. Und daraus,
dass Rubin zwar seine Finger in meinen Haaren vergrub, als ich bei seinen
Brustwarzen ankam, aber keinerlei Anstalten machte, mich irgendwie aufzuhalten
oder wegzuziehen, schloss ich, dass er damit auch kein allzu großes Problem
hatte. Außerdem wollte ich auch auf meine Kosten kommen – und Rubin
schmeckte einfach … unbeschreiblich. Wahrscheinlich hatte er sich
heute Morgen mit Honig eingeschmiert, anders konnte ich mir nicht erklären,
warum ich nicht genug davon bekam, seine Haut mit Lippen, Zungen und Zähnen zu
erkunden.
… Vielleicht sollte mir der Gedanke zu denken geben, aber denken
konnte ich später. Jetzt war experimentieren angesagt.
Der Saum seines Shirts war inzwischen bei seinen Achseln angekommen, aber
da Rubin meinen Kopf nicht losließ, konnte ich es ihm nicht über seinen Kopf
ziehen. Eine – zugegeben nicht besonders lange – Weile ließ
ich das zu und verwöhnte ihn weiter, während ich immer wieder am Stoff zog,
aber er ignorierte meinen Wink mit dem Zaunpfahl gekonnt. Und dann hatte ich
genug.
„Wie war das noch mit dem Vorspiel?“, fragte ich und stemmte mich hoch.
Rubin brauchte einen Moment, bis sich sein Blick auf mich fokussierte, dann
lächelte er träge. „Was ist los?“
Noch einmal zupfte ich an seinem Shirt, diesmal fester. „Ich bekomm langsam
das Gefühl, dass du gar nicht willst, dass ich weiter mache.“
Und noch einmal dauerte es mehrere Sekunden, bis Verstehen in seinen Augen
aufblitzte. Na, da sollte Herr Schülerratspräsident aber mal froh sein, dass
ihn gerade kein Lehrer sah. Von einem der Schüler mit dem besten
Notendurchschnitt der gesamten Schule sollte man eigentlich erwarten können,
dass er solch einfache Dinge schneller kapierte. Aber hey, ich verbuchte das
einfach mal als Kompliment an mich.
„Glaub mir, Vyvyan, ich würde dir nie absichtlich im Weg stehen,
nicht hierbei“, erwiderte er mit trägem Grinsen und zog das Shirt ruck, zuck
aus. „Besser?“
Absolut, aber ich vergaß im ersten Moment, zu antworten. Und im zweiten war
ich damit beschäftigt, meine Reaktion auf das Bild, das sich mir bot, zu
verarbeiten. Ich wusste ja spätestens seit heute Morgen, dass es mir gefiel,
wie er oben ohne aussah, vor allem, wenn seine Haare verwuschelt waren, und
auch, dass er für dieses eine spezielle Lächeln wirklich einen Waffenschein
bräuchte, aber dennoch – in diesem Moment hätte ich schwören können,
dass er es geschafft hatte, seit heute früh noch attraktiver zu werden. Die
Haare fielen ihm ins Gesicht, die Augen blitzten herausfordernd darunter
hervor, die Grübchen waren da, wo sie hingehörten und seine Haut lud im sanften
Nachmittagslicht zum Küssen ein. Von seiner Kehle über seine Halsbeuge die
Brust hinunter bis zum Bund der Hose; jeder einzelne Quadratmillimeter schrie
nach mir.
War das normal? Das man so auf jemanden abfuhr? Ich hatte bisher nie auch
nur ansatzweise etwas Ähnliches gespürt, weder bei meinen Verflossenen noch in
der Umkleide oder auch bei irgendwelchen männlichen Models in Magazinen und auf
Plakaten.
Nein, definitiv nicht mehr normal. Darüber sollte ich mir wirklich mal
Gedanken machen – nein, musste ich, ganz dringend. Nur nicht
jetzt. Jetzt musste ich … na, wie schon erwähnt: experimentieren
eben.
Aber wollte ich das wirklich? Experimentieren? Denn
irgendwie … er hatte ja gesagt, bei Experimenten sei es wichtig, dass
man sie auf ihre Wiederholbarkeit hin prüfte, und sie deshalb mehrmals
durchführte, aber für mich bedeutete experimentieren in diesem Moment nicht
‚Altbekanntes wiederholen‘ sondern ‚Neuland erschließen‘. Das war doch auch der
eigentliche Sinn dahinter, oder? Bei Experimenten in dieser Hinsicht,
zumindest: Man experimentierte und guckte, ob es einem gefiel oder nicht und
wenn ja, dann nahm man es in sein Repertoire auf und wenn nicht, dann ließ man
es eben in Zukunft sein. Gut, okay, beim Küssen hatte es mir gefallen
und ich hatte es trotzdem seither sein lassen, aber immerhin wusste ich jetzt,
dass es mir eigentlich gefallen würde. Punkt für die schwule Seite, sozusagen.
Und Rubin einen runterzuholen gefiel mir auch. Aber … der nächste
Schritt war irgendwie … Angst einflößend. Es war einfach
so … definitiv. Wenn mir das gefiel, dann – tja, dann war
ich schwul.
Aha. Das war ja mal eine ganz neue Erkenntnis.
Echt mal, inwiefern unterschied sich diese Position denn von meiner
jetzigen? Schwul war ich leider so auch schon. Also eigentlich lächerlich, dass
ich mir solche Gedanken deshalb machte, aber andererseits – ich
wollte wirklich kein Schwanzlutscher sein. Das hatte ich ja schon festgehalten.
Den Schwanz gelutscht zu bekommen war zwar hammer, aber eben. Außerdem war das
ja auch was anderes als schwul zu sein, denn das war eindeutig eine
Entscheidung. Homosexualität mochte angeboren sein, aber was man in seinen Mund
nahm, das …
Schon wieder diese Argumentationsweise. Irgendwie scheiße. Mal echt jetzt.
Sicher, ich konnte theoretisch Mönch werden, aber darauf hatte ich dann doch
übelst wenig Bock – was blieb denn noch? Sex mit Frauen konnte ich
mir jetzt in diesem Moment, in dem ich auf Rubin hinunterschaute und er zu mir
hochguckte und nur darauf wartete, dass ich weitermachte und einfach zum
Anbeißen aussah und es warm war und Zitronengras und Grübchen
und – und Rubins Haut zuckersüß schmeckte – nein, Sex mit Frauen erschien mir
da wie eine verdammt schlechte Alternative. So, als würde man braune Kreide
statt Schokoladenpulver in die Milch mischen um Kalorien zu sparen. Die Farbe
stimmte vielleicht, aber der Geruch ließ zu wünschen übrig und der Geschmack
und die Idee des Ganzen – eklig.
Wenn das so weiterging und sich nicht irgendwann wieder umkehren oder
wenigstens abschwächen ließ, würde ich wohl nie wieder eine Beziehung mit einer
Frau haben können, außer, sie gehörte zur Fraktion ‚Kein Sex vor der Ehe‘. Und
wollte ich das denn überhaupt? Gerade erschien mir auch nur der Gedanke daran,
einer Frau einen Zungenkuss zu geben, als unnatürlich. Und irgendwo war es das
wahrscheinlich sogar für Männer wie mich.
Erstmal musste ich mir darüber aber wohl keine Sorgen machen, denn ich
hatte ihm ja versprochen, in nächster Zeit nur noch ihn anzufassen. Und das
wiederum war auf eine ganz andere Art Angst einflößend. Ich war ja schon zu dem
Schluss gekommen, dass es keine große Sache war und im Endeffekt nichts an den
Tatsachen änderte – weil ich sowieso in nächster Zeit mit niemand
anderem was angefangen hätte – aber trotzdem …so ganz kaufte ich
mir das selbst nicht ab. Gar nichts mit niemandem außer ihm, das war
schon … echt groß. So irgendwie. Wenn man es genau nahm. Und nicht,
weil es etwas daran änderte, was ich tatsächlich tat oder nicht, sondern, weil
ich damit auch nur die Möglichkeit, etwas mit jemand anderem anzufangen, von
vornherein verneinte. Und es ging dabei auch nicht nur um Sex, denn Rubin hatte
ja ausdrücklich gesagt: „Kein Küssen, kein gar nichts.“ Also auch keine … Zärtlichkeiten
austauschen. Mit niemandem, außer ihm. Auch wenn wir natürlich ebenfalls keine
Zärt…
Doch. Taten wir. Kuscheln war zärtlich. Wenn er meinen Mundwinkel küsste,
weil er mich gerne richtig küssen wollte aber versprochen hatte, es zu lassen,
dann war das auch zärtlich. Und das Lächeln, das eine, das ich für mich ganz
alleine haben wollte … ja.
Ach, Scheiße. Das konnte er doch nicht tun. Wieso brachte er mich so
durcheinander, hm? Vielleicht sollten wir die Fronten klären, so richtig. Er hatte
ja gestern versprochen, dass er mir heute alle meine Fragen beantworten würde,
solange ich sie nur stellte. Alles, was ihn betraf. Von daher wäre das die
perfekte Gelegenheit, um mich zu vergewissern, dass er trotz des Versprechens,
das er von mir wollte, und trotz des Lächelns und trotz seines manchmal
verdächtig zärtlichen Verhaltens eben doch keine ‚zärtlichen Gefühle‘ hegte.
Nicht für mich, zumindest. Ich wollte das hier wirklich echt nicht abrechen
müssen. Und Gewissheit, Gewissheit wäre … aber ich wusste eigentlich
bereits, dass ich ihn nicht darauf ansprechen würde. Nicht heute und nicht
morgen und mit großer Wahrscheinlichkeit auch im nächsten Jahr nicht. Denn die
Angst, dass mir die Antwort nicht gefallen könnte, war zu groß. Und fast noch
schlimmer: Sobald ich auch nur ansatzweise daran dachte, dass die Antwort auch
anders als erhofft ausfallen könnte, konnte ich spüren, wie der
unkontrollierbare Teil meines Hirns schon in den Startlöchern stand, um mir
Argumente dafür zu liefern. Dafür, dass er eben doch etwas empfand und dafür,
abzuhauen. Und das wollte ich nicht.
Wie gesagt: Ich wollte nicht abbrechen müssen.
Auch wenn die Gründe dafür …
„Vyvyan?“ Rubins leise Stimme holte mich zurück ins Hier und Jetzt.
„You okay?“
Aus dem frechen Grinsen war ein unsicheres Lächeln geworden, das ich
automatisch erwiderte. Recht hatte er: Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt,
um mir über solche Dinge Gedanken zu machen. Die einzige Frage, die jetzt in
meinem Kopf sein sollte, lautete: Neuland betreten oder nicht? Und sogar da
könnte ich eigentlich auch einfach mit meinem Bauchgefühl
gehen – sogar, wenn ich vermutete, dass mein Bauchgefühl von meiner
schwulen Seite regiert wurde.
„Sorry“, nuschelte ich und beugte mich hinunter zu ihm, um ihm einen
Kuss – und wich im letzten Moment auf den Mundwinkel aus. Von mir
selbst geschockt verharrte ich einen Moment mit klopfendem Herzen, dann kam ich
wieder hoch, lächelte mehr schlecht als recht und tat mein Bestes, ihn
anzusehen ohne seinen Gesichtsausdruck zu registrieren. „Weitermachen?“
Eine Sekunde, zwei, drei … er nickte.
„Yes please.“
Mein Lächeln wurde sicherer, ehrlicher. Ich hob meine Hand und ließ meine
Finger über seine Wange geistern, dem Wangenknochen entlang, zum Ohr. Die
stumme Frage in seinem Gesicht verschwand, als meine Finger seine Haare fanden.
Ein Teil von mir fand das super, fand es wunderbar, so mit ihm hier zu sein und
zu sehen, wie sehr er diese einfache Berührung genoss, aber ein anderer wollte
wieder runter zu ihm, wollte wieder in die Nähe seiner Lippen und wollte –
Wann lernte ich endlich, dass nachdenken in solchen Situationen nicht
hilfreich war? Ich ging wirklich wieder hinunter zu ihm, aber statt seiner
Lippen suchte ich sein Kinn, küsste mich den Kiefer entlang zu seinem Ohr und
knabberte sanft an seinem Ohrläppchen. Rubins Kehle vibrierte und brachte etwas
in mir dazu, mit ihr in Einklang zu kommen.
„Dann müsstest du gleich einmal so nett sein und tun, was ich sage.
Ausnahmsweise“, raunte ich, nahm sein Ohrläppchen zwischen meine Zähne und zog
spielerisch daran.
„What if I don’t wanna be nice?“, fragte er dunkel und ich kam hoch,
gerade noch rechtzeitig, um das freche Grinsen zu sehen. „What if I wanna be
naughty?“
Ich konnte mir nicht erklären, warum, aber für einen Augenblick blieb die Zeit
stehen und mir schossen tausend Bilder gleichzeitig durch den Kopf, eines
versauter als das andere. Na, wenn das mal nicht Ideen für zukünftige
Experimente waren …!
Mit plötzlich trockenem Mund versuchte ich mich wieder zu fangen und verzog
gespielt das Gesicht.
„Das wäre schade.“
Seine Hand fand meinen Nacken, kraulte und ich fragte mich, ob er wusste,
so wirklich wusste, was er damit anstellte. Denn nun hing meinen
Selbstbeherrschung plötzlich nur noch an einem seidenen Faden. Schon
erstaunlich, was Rubin innerhalb von wenigen Sekunden so alles auf die Reihe
kriegte.
„Wieso?“, fragte er und zog mich ein bisschen näher zu sich.
„Weil ich eigentlich wollte, dass du auf mein Kommando den Arsch
hebst …“ Ich krallte meine Finger in seine Haare und bewegte mein Becken
aufreizend langsam vor und zurück. „… damit ich dich ausziehen kann.“
Wieder zurück zum Ohrläppchen, dahin, wo er mich sowieso ziehen wollte. „Ich
wollte dich jetzt wirklich gerne nackt sehen.“
Rubin erschauderte und schloss die Augen. „Vielleicht“, sagte er, als er
sie wieder öffnete, „möchte ich doch lieb sein.“
„Nur vielleicht?“
„Ganz sicher.“ Er dirigierte meinen Kopf etwas nach unten, so dass ich von
seinem Ohr abließ und mich seinem Hals widmete. „Ohne Zweifel. Being naughty
is overrated.“
„Guter Junge.“ Ein kurzer, fester Biss in seinen Hals. „Auf das Naughty-Sein
können wir ja ein andermal zurückkommen.“ Ich küsste mich mit Umwegen wieder zurück zu seinem Bauchnabel und genoss
es, als er scharf die Luft einzog. Oder nein, vielmehr müsste ich sagen: Ich
genoss jede seiner Reaktionen und jede meiner Berührungen.
„You drive me crazy!“
Ich beschloss, ihm das ganze Englisch heute zu verzeihen und dachte mir:
Ebenso. Aber sagen tat ich das natürlich nicht.
Runter, runter, immer weiter runter, bis meine Lippen auf das kühle Metall
seines Knopfes trafen. Ich erinnerte mich daran, wie sehr es mich angemacht
hatte, als er heute morgen vor mir gekniet war, und rutschte noch ein Stück
runter. Dann sah ich zu ihm hinauf, in sein überraschtes Gesicht, als ich meine
Lippen direkt auf die Beule in seiner Hose drückte.
Rubin erstarrte regelrecht, dann ließ er seinen Kopf nach hinten fallen und
ich sah, wie seine Hände sich in die Fleecedecke krallten.
„Jesus fucking …!“
Es war nur ein leises, murmelndes Fluchen, aber ich verbuchte es als Sieg.
Tja, babe, wie du mir, so ich dir.
… Wie er mir? …
… So ich ihm? …
Wollte ich das wirklich?
Um nicht weiter darüber nachdenken zu müssen – vor allem nicht
darüber, dass ich eigentlich wusste, dass ich mich schon entschieden
hatte – widmete ich mich endlich der Hose und öffnete gemächlich erst
den Knopf und danach Zahn um Zahn des Reißverschlusses.
„Na komm“, lockte ich und zog mehrmals an seinem Hosenbund. Rubin kam der
Aufforderung nach, ohne sich sonst auch nur einen Millimeter zu bewegen oder
mich anzuschauen. Ein bisschen seltsam war es schon, wie er still
dalag – nun ja, zumindest bis auf den sich hektisch hebenden und
senkenden Brustkorb – und immer noch die Augen geschlossen hatte.
Hatte ihn die Geste eben so sehr aus der Bahn geworfen?
Hm.
Dann würde es bald richtig witzig werden.
Als ich ihm seine Hose über die angehobene Hüfte zog, kam ganz zufällig die
Unterhose auch gleich mit. Unabsichtlich, natürlich. Absolut. Und weil das
letzte bisschen auch keinen Unterschied mehr machte, machte ich auch mit den
Socken kurzen Prozess.
Ich hatte Recht gehabt, eben: Er sah wirklich noch besser aus als heute
früh. So gut, dass ich kaum die Finger von ihm lassen konnte, und gleichzeitig
am liebsten einfach nur dagesessen und ihn angeschaut hätte.
Ich kniete mich wieder über ihn und wollte mich noch einmal seinem
Bauchnabel widmen, damit er erfuhr, wie ich mich fühlte, wenn er meinen Nacken
so schamlos ausnutzte; wollte erst einmal nur Hand anlegen und mich dann erneut
hinunterküssen, langsamer als zuvor, die letzten Sekunden des Vorspiels
auskostend, aber dann konnte ich mich plötzlich nicht mehr rühren.
Was, wenn er nicht wollte? Okay, nach den letzten Minuten, Stunden, Tagen,
recht unwahrscheinlich, aber – was, wenn …
Was, wenn ich schlecht war? So richtig scheiße? Ich meine, gut
konnte ich so oder so nicht sein, einfach deshalb, weil ich es noch nie gemacht
hatte – hey, ich hatte noch nicht einmal Pornos dazu geguckt! Oder
überhaupt. Die mit Frauen interessierten mich nicht und die mit Männern, nun,
die hatte ich mir verboten. Rubin war gut, das wusste ich, das hätte ich
sogar dann gewusst, wenn ich ihn nicht mit der ein oder anderen Exfreundin
hätte vergleichen können. Was, wenn er zwar wollte, aber danach voll enttäuscht
war? Oder ich so schlecht war, dass er noch nicht mal kam? Scheiße, wäre
das … nicht nur peinlich, sondern auch … ich meine, er
hatte mir den Blowjob meines Lebens verpasst und ich – und, wie
gesagt, ich konnte nur schlecht sein. Ich hatte doch gar keine Ahnung,
was ich machen musste. Lutschen, ja. Zunge bewegen, sicher. Lippen über die
Zähne stülpen, weil sonst aua, glasklar. Aber wie schnell? In welchem Rhythmus?
Was für Bewegungen mit der Zunge und, und – wieso zum Hades,
wieso hatte ich heute morgen nicht besser aufgepasst? Mir ein paar Sachen
gemerkt, die er getan und die mich ins Elysium geschickt hatten?
Fuck, was hatte ich mir nur dabei gedacht – es war eh eine
beschissene Idee, ich war auch gar nicht dazu bereit – und in meinen
Lebensplan passte es auch vorne und hinten nicht und nur, weil er so gut aussah
und roch und auch noch verboten gut schmeckte, musste ich wirklich nicht
verifizieren, ob er auch dort gut – nein, echt –
„Vyvyan?“ Zum zweiten Mal holte mich
seine Stimme zurück. Rubin hatte sich auf die Ellbogen aufgestützt und sah mich
fragend an. „Was ist los?“
Irgendetwas in seinem Ton ließ mich innehalten. Er hörte sich immer noch
erregt an, ja, aber auch ein klein wenig – ängstlich? Scheiße, wieso
das denn schon wieder? Okay, vielleicht, weil ich zu Stein erstarrt war, kaum,
dass er nackt vor mir lag. Und dann hatte ich den Blick auch noch direkt auf
seine Körpermitte gerichtet, während ich mir sehr unschöne Gedanken machte, die
sich wahrscheinlich auch in meinem Gesicht widerspiegelten. Noch dazu war ich
noch angezogen. Alles in allem wahrscheinlich kein besonders angenehmes Gefühl.
Ich holte Luft, bevor ich wider besserer Einsicht herauspresste: „Ich würde gerne etwas ausprobieren.“
Die Angst verschwand, machte Neugierde Platz. „Was denn?“
Ich warf einen Blick in seinen Schritt, biss mir auf die Lippen und er
verstand. Kluges Kerlchen.
„Oh!“ Rubin wurde … blass?! „Vyvyan, you
don’t … have to …“ Er nahm tief Luft. „Du musst nicht …“
Also doch. Ich hatte es doch gewusst – ich war bei meinen Freundinnen
auch nie besonders erpicht drauf gewesen, vor allem, wenn sie unerfahren waren.
Warum hatte ich es überhaupt angesprochen?
„Du willst nicht.“ Warum hörte ich mich bitte so enttäuscht an?
Konnte – nein, sollte mir doch recht sein, verdammt! Er hatte
mich vor einer Dummheit bewahrt, die ich ja auch nur zu begehen in Betracht
gezogen hatte, weil ich dachte, mich revanchieren zu müssen. Genau, ich hatte
es doch nicht wirklich gewollt …
„Doch!“ Er setzte sich auf und nun kam auch die Farbe zurück in sein
Gesicht. „Of course I want to – und wie ich will! Ja!“
Ja, nee, is’ klar.
„Babe, look at me!“ Er nahm mein Gesicht in seine Hände und zwang mich, ihm
in die Augen zu schauen. Konnte er endlich mit diesem Babe-Scheiß aufhören?
„Warum zur Hölle sollte ich nicht wollen? Allein die Vorstellung …“ Er
brach ab, lächelte leicht gehetzt und setzte neu an. „Ich will einfach
nicht – also, ich möchte nicht – fuck, I can’t think
straight! How the hell am I supposed to be coherent after you’ve offered that?!“
Er ließ mich mit einer Hand los, fuhr sich durch die Haare, legte sie dann
in meinen Nacken und zog mich zu sich. Zögerte kurz, bevor unsere Nasen
aneinander stießen, küsste dann erst meinen rechten Mundwinkel, dann meinen
linken. „Seriously, babe, you have no idea how much I want it. Actually, I
want anything and everything that you are willing to give.“ Er atmete
geräuschvoll ein. „But … ich möchte nur nicht, dass du es
tust, weil du irgendwie denkst, es tun zu müssen – nur, weil ich dir
die letzten beiden Male einen geblasen habe. Verstehst du? Ich möchte nicht,
dass du … dass du es danach bereust. Weil du nicht bereit dafür warst
oder dich unter Druck gesetzt gefühlt hast oder … oder einfach nicht
wolltest.“ Sein Blick huschte über mein Gesicht, hin und her, hektisch, als
versuchte er, Antworten auf ungestellte Fragen darin zu erhaschen. „Aber wenn
du … wenn du es von dir aus ausprobieren – dann ja. Hell
yeah!“ Noch ein Kuss auf meinen Mundwinkel, diesmal ohne sich danach zu
entfernen. „Please. I can’t – please!“
Musste er so ein Drama draus machen? Es ging doch nur um einen Blowjob,
verdammt, nicht um einen Heiratsantrag! Nach dem Wirrwarr an Sätzen, Sprachen
und Argumenten konnte ich doch weder Ja noch Nein sagen. Ja nicht, weil es sich
nach zu viel anfühlte, Nein nicht, weil er bitte sagte. In dem Ton. An meinen
Lippen – verdammt, es war schon fast unmöglich, meinen Kopf nicht ein
paar Grade zu drehen und seinen Mund einzufangen! Ich sah ihn an, in seine
Augen, die so nah vor meinen waren, dass ich dachte, seine Wimpern spüren zu
müssen wenn er blinzelte. Warum war alles bloß immer so kompliziert? Warum
konnte ein Blowjob nicht einfach nur ein Blowjob sein?
Ich spürte Betsys Wärme durch die Fleecedecke hindurch. Sie wärmte meine
Zehen, meine Knie und meine Hände. Und Rubin, Rubin wärmte etwas ganz anderes.
Von innen heraus.
Einmal nur unkompliziert. Einmal nur ohne nachdenken. Einmal nur einfach
tun, was ich tun wollte, ohne Rücksicht auf Lebenspläne, Prinzipien oder
Ängste. Einmal nur.
„Leg dich hin“, sagte ich leise, leicht heiser. Es dauerte einen Moment,
dann wurden seine Augen groß und er kam meiner Bitte nach, ließ sich zurück auf
die Decke sinken ohne mich dabei aus den Augen zu lassen.
Ich kniete mich zwischen seine Beine und schob sie dabei sanft auseinander.
Er war immer noch erregt, war angespannt bis in die Haarspitzen. Und immer noch
so schön. So perfekt. Ich legte meine Hände auf seinen Bauch und spürte, wie
seine Muskeln unter meinen Fingern zuckten. Sah es, spürte es, hörte das
unterdrückte Keuchen. Fast, als hätte er Angst, dass ich mich umentschied, wenn
er zu laut wurde. Meine Hände blieben eine Weile lang bei seinem Bauch, auf
bekanntem Terrain. Obwohl ich versuchte, so wenig wie möglich nachzudenken,
wurde ich doch wieder nervös.
„Ich hab das noch nie gemacht; wenn du also Verbesserungsvorschläge hast,
immer raus damit. Gern auch währenddessen.“ Ich versuchte, mich so locker und
selbstsicher wie möglich anzuhören, aber ich bezweifelte, dass ich
irgendjemandem etwas vormachen konnte. Mir schon mal nicht – und wenn
es bei ihm klappte, dann nur, weil er gerade den Kopf mit anderen Dingen als
meiner Unsicherheit voll hatte.
Meine Hände wanderten südlich, über die Hüftknochen, die sich mir
entgegendrückten, und dann weiter. Zu seinen Oberschenkeln, erstmal, und dann
gen Mitte. Nur noch Fingerspitzen auf seiner Haut, hin zu …
„Wait!“, rief er ein wenig zu laut und ein wenig zu hoch und ich tat
nicht nur wie geheißen, ich wurde auch gleich wieder nervös. Doch nicht? Konnte
er sich bitte mal entscheiden?!
Mein Blick musste alles gesagt haben, denn er schüttelte den Kopf und fügte
rasch hinzu: „Es ist nicht – ich brauche nur – einen
Moment.“ Leiser: „Bitte.“ Er ließ den Kopf wieder zurückfallen und schloss die
Augen. „It’s just – alleine die Vorstellung, dass du das wirklich
tun willst … das ist gerade ein wenig überwältigend.“
War es denn so abwegig? Wenn man schwul war – nicht, dass ich das
offen oder gar öffentlich zugeben würde, aber dass ich Männern zumindest nicht
abgeneigt war, sollte er doch langsam kapiert haben. Ich meine: Er war heiß wie
sonst nichts, ja, aber nicht heiß genug, um eine Hete so mir nichts, dir nichts
in einer Woche umzudrehen. Von daher – und er hatte es doch auch
getan – also warum war es undenkbar, dass ich … wirklich, das
half mir jetzt überhaupt nicht. Dabei war es doch schon schlimm genug, dass ich
mich auf absolut unbekanntes Terrain begab! Konnte er bitte aufhören,
das Ganze hier noch größer aufzubauschen, als es in mir drin bereits
aufgebauscht war? War ja nicht so, als wäre es besonders einfach für mich,
nicht nur Bedenken und Unwillen und Selbstverleumdung, sondern heute als
Kirsche obendrauf auch noch neugefundene Selbstzweifel, Ängste und irgendwelche
Homo-Jungfrauen-Komplexe zu ignorieren!
Ich zwang ein Lächeln auf meine Lippen und versucht, das alles durch einen
Scherz zu überspielen: „Dass ich es ‚wirklich‘ tun will? Was denn, habe
ich es sonst unwirklich in deinen Fantasien getan oder was?“
Rubin riss seine Augen auf und starrte mich an – und wurde in der
nächsten Sekunde rot! Ach du Scheiße, hatte ich etwa ins Schwarze getroffen?
Er vergrub das Gesicht in den Händen und ächzte.
Oh.
Oh ho.
Na sieh mal einer an. Offenbar war ihm das jetzt wirklich peinlich.
Aber das musste es doch nicht, oder? Fantasien hatte jeder, war doch normal.
Eigentlich – müsste ich mir eher Gedanken machen, wenn ich in keiner
einzigen seiner Fantasien mitspielte. Trotzdem ergriff ich dankbar die Chance,
von Thema und der Situation abzulenken. Konnte mir ja wohl keiner verdenken.
„Von wegen ‚guter Junge‘“, begann ich und krabbelte nach oben, weg von der
Gefahrenzone, „warst wohl doch eher ein versauter Junge.“
„Sorry …“
Ich zog seine Hände weg und wischte ein paar Strähnen aus seinem Gesicht.
„War Fantasie-Ich wenigstens gut?“
Er erwiderte mein Grinsen, auch wenn es schief herauskam – und
auch, obwohl sein Gesicht immer noch knallrot war.
„Natürlich.“ Er zögerte, dann fügte er leiser hinzu: „Er ist sehr
talentiert.“
Ich lachte laut auf und zumindest auf meiner Seite war damit die Anspannung
gebrochen. „Na, dann sollten wir schauen, ob ich mit ihm mithalten kann.“
Ein kurzer Biss in sein Ohr und ich war wieder auf dem Weg nach unten.
„Da brauchst du dir keine Sorgen zu machen“, sagte Rubin bereits wieder
gefasster, „You’re already a thousand times better than fantasy-Vyvyan.“
„Das will ich auch schwer hoffen“, erwiderte ich, konnte aber das dümmliche
Grinsen nicht aus meinem Gesicht verbannen. Also besser Gesicht nach
unten – wortwörtlich. Ich beugte mich über seinen Bauchnabel, ließ ihn meine Zunge spüren bis
seine Hände sich wieder in die Decke krallten und küsste mich dann von dort aus
langsam und genüsslich weiter hinunter.
Hätte ich vorher gewusst, wie gefährlich der Kerl für mich war, hätte ich
die Nachhilfe sicher nie angenommen. Und mittlerweile war ein viel zu großer
Teil von mir froh darüber, dass ich es nicht gewusst hatte.
*********
I’m dying. Seriously. This is too much.
Wie gut, dass ich ihn noch nicht auf sein Versprechen angesprochen hatte.
Bis morgen zu warten war die beste Entscheidung meines Lebens gewesen.
Jesus! But at least I’ll die happy.
So.
Fucking.
Happy.
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