Der nächste Morgen war seltsam. Einerseits begann er wie jeder andere
dreiundzwanzigste Dezember bei uns, und das hieß: Er startete um acht Uhr mit
einer riesigen Portion Eierkuchen mit Schokostückchen, wahlweise mit Honig,
Marmelade, Schokocreme, Rohzucker oder Ahornsirup bestrichen, und dazu
literweise Kakao, Tee, O-Saft oder Cola, je nach Wunsch. Normalerweise mochte
es Mum nicht, wenn wir uns mit Zucker vollstopften, deshalb war das ein
seltenes Frühstücksvergnügen in meiner Familie. Damit Mum nicht die ganze
Arbeit alleine machen musste, standen wir alle abwechselnd am Herd und nachdem
die erste Ladung gegessen war, machte sich jeder selber neue, wenn er noch
welche wollte. Das war die beste Lösung, denn wenn wir den ganzen Teig gleich
zu Anfang verarbeitet hätten, wären die Dinger spätestens nach wenigen nur noch
lauwarm gewesen – und mal ehrlich: Lauwarme oder gar kalte Eierkuchen
schmeckten scheiße. Genau das wurde mir immer wieder bestätigt, wenn mir einer
auf dem Teller kalt wurde, während ich zu sehr in unsere Unterhaltung vertieft
war – Kitty amüsierte sich dann köstlich über mein Gesicht, wenn ich
es doch noch hinunterwürgte, aber sie selber war nicht weniger
wählerisch – sie konnte nur besser essen, zuhören und reden zur
gleichen Zeit – Frauen und ihr Multitasking, eben.
Das Frühstück zog sich auf diese Weise bis zehn oder halb elf hin und dann
teilten wir uns auf: Die eine Hälfte – normalerweise Pa und
Sue – spülten das Geschirr und räumten die Küche auf, während Mum,
Kitty und ich in den Keller gingen, den Weihnachtsschmuck heraussuchten und
dann Kiste für Kiste nach oben trugen – und das ging mindestens
ebenso lange wie das Geschirrspülen, denn wir hatten mehr als ein
Weihnachtsschmuckset und jedes Jahr mussten alle ins Wohnzimmer, damit
man am besten bestimmen konnte, wie und in welchen Farben dieses Jahr dekoriert
werden sollte. Ich liebte es, in den Keller zu gehen, denn es war jedes Mal wie
eine Entdeckungsreise, ein kleines Abenteuer, dessen versteckter Schatz aus
unseren schönsten Familienerinnerungen bestand.
Wenn die Küche fertig und das Wohnzimmer überstellt war, rumorten wir
meistens noch etwas in den Schachteln, suchten schon einmal unsere liebsten
Kugeln und Figürchen heraus und vertrieben uns die Zeit mit reden und suchen
und uns entspannen, bis es am Nachmittag auf den Weihnachtsmarkt ging und es
Zuckerwatte und Pfefferkuchen und – für alle außer
Kitty – auch Glühwein gab. Am Abend wurde dann der Baum ins Haus
geholt und geschmückt, was meist in der einen oder anderen Auseinandersetzung
endete, da unsere Geschmäcker doch recht verschieden waren. Trotzdem war der
dreiundzwanzigste Dezember meine persönliche Vorstellung von Harmonie und mir
sogar fast lieber als Weihnachten selbst – auch wenn ich natürlich
nichts gegen Geschenke einzuwenden hatte.
Das war ‚einerseits‘. Andererseits aber wusste ich, dass dieser
dreiundzwanzigste Dezember nicht wie die anderen werden würde, denn heute
konnte ich mich nicht im Schoß meiner Familie verstecken, und es würde auch
weder Zuckerwatte noch Glühwein für mich geben und der Pfefferkuchen, der würde
höchstens aus der hauseigenen Keksdose kommen. Heute musste ich den mir
liebsten Nachmittag im Jahr mit Rubin verbringen.
Und Englisch.
Mit Englisch und Rubin und seinem Amerikanisch.