Update-Info

07.01.2015: Ich wünsche allen ein (verspätetes) frohes neues Jahr! :)

Bei uns hat das Jahr leider mit einer Krebsdiagnose begonnen. Nicht meine, aber dennoch werden die Kapitel in absehbarer Zeit nur sehr unregelmäßig erscheinen.

Mittwoch, 25. Dezember 2013

Von Edelsteinen und Papierengländern 09:


„Vyvy, endlich!“, rief Kitty, sprang vom Sofa runter und auf mich zu, „Warum hast du so lange gebraucht?“ 
„Hm, ich weiß nicht“, antwortete ich und sah sie dann an, „Vielleicht, weil sechs Leute einen ganzen Haufen dreckiges Geschirr machen? Außerdem, wenn du gewollt hättest, dass ich schneller fertig werde, hättest du mir ja helfen können.“
„Rubin hat dir doch schon geholfen …“
„Ja, aber drei sind meist schneller als zwei.“
Stimmte diesmal nicht, wahrscheinlich hätte sie sowieso nichts zu tun gehabt, so schnell wie Rubin im Abtrocknen war, aber ich liebte es, wenn sie ein verknautschtes Gesicht machte.
„Ich durfte nicht“, antwortete sie dann mit einem großen, tiefen und überaus dramatischen Seufzen. „Mum hat’s verboten.“
Okay, das war neu. Seit wann war meine Mutter gegen Kinder, die freiwillig Hausarbeiten erledigten?
„Wie, verboten?“, fragte ich und wandte mich und Kitty, die ihre Arme um meine Hüfte geschlungen hatte, so dass ich Mum meinen besten skeptisch-fragenden Blick zuwerfen konnte. „Ich dachte, das sei gegen die Regeln der antiautoritären Erziehung?“
„Ist es auch und genau deshalb sind wir alle froh, dass die achtundsechziger vorbei sind. Zumindest in diesem Haus, hier habe immer noch ich das Sagen“, antwortete Mum unbekümmert und ich sah, wie Pa mit übergroßen Augen und gespielt ernster Miene mehrmals bedeutend nickte. Zu seinem Glück bemerkte sie es nicht.
„Und du brauchst gar nicht so zu schauen, mein Lieber – wir alle wissen, dass du und Kate zusammen beim Spülen mehr Arbeit macht als erledigt“, fuhr sie an mich gewandt fort.
Rubin, der neben mir stand, verstand offensichtlich nicht, was sie damit meinte. Sue kicherte und erklärte ihm:
„Es endet fast ausnahmslos immer in einer Wasserschlacht, bei der sie die halbe Küche unter Wasser setzen – und dann natürlich zu nass sind, um selber zu putzen.“
„Gar nicht wahr!“, entgegnete Kitty und sah äußerst indigniert zu Sue, „Das haben wir nur zwei oder drei Mal gemacht!“
„Öfter habt ihr in diesem Jahr ja auch nicht abgewaschen …“
Pa!“, riefen wir gleichzeitig und er hatte wenigstens den Anstand uns entschuldigend anzulächeln.
„Das wäre doch schon mal ein guter Vorsatz fürs neue Jahr: Wir werden die Küche nicht mehr überfluten.“ Mum grinste engelsgleich und ich beschloss, dass Rubin bereits genug hatte, womit er mein Image ruinieren konnte. Und ja, es war mir peinlich. Ich hob Kitty hoch und trug sie zu dem breiten, bequemen Sessel, den wir grundsätzlich für uns beschlagnahmt hatten, setzte mich drauf und sie krabbelte auf meinen Schoss.
„Themawechsel“, sagte ich und Kitty ging sofort darauf ein.

„Warum Rot?“
Oh, ich wusste, auf was sie mich ansprach. Ich hatte darauf gewartet, dass sie es tat, aber seltsamerweise hatte sie den ganzen Morgen über bis jetzt nichts gesagt. Obwohl das natürlich daran liegen konnte, dass ich peinlichst genau darauf geachtet hatte, nicht gleichzeitig mit ihr im Wohnzimmer zu sein.
„Weil Rot eine schöne Farbe ist?“
„Silber auch.“
Uh, da fühlte sich jemand übergangen. Kitty hatte die Arme verschränkt und sah mich abwartend an. Ich hörte, wie Pa und Sue ein Gespräch anfingen, während Mum und Rubin, der sich neben Sue aufs Sofa gesetzt hatte, uns zuzuhören schienen. Mum amüsiert und Rubin … nun, interessiert, wenn ich mich nicht täuschte.
„Und zusammen sind sie fast noch schöner, nicht?“
„Find ich nicht.“
Ich seufzte. Eigentlich liebte ich Kittys Schmollgesicht, aber diesmal schien sie wirklich ein bisschen verärgert zu sein. Und der Zorn einer Neunjährigen kann schrecklich sein.
„Weißt du, Miss Kitty, ich dachte, da wir doch letztes Jahr schon einen ganz silbernen Baum hatten, wäre ein bisschen Variation nicht schlecht.“
„Vari…was?“, fragte sie die Nase rümpfend.
„Variation“, antwortete ich, „Abwechslung.“
Sie nickte langsam und schließlich noch einmal, etwas überzeugter, aber eindeutig nicht wirklich glücklich.
„Variation.“ Sie wiederholte das Wort langsam und man konnte förmlich sehen, wie sie sich den Klang dabei einprägte. „Hm … okay. Aber nächstes Mal fragst du mich vorher.“
Mein Lächeln wurde augenblicklich breiter. „Das werde ich, ich verspreche es hoch und heilig! Tut mir leid, Kitty-Maus.“
„Gut“, meinte sie und tätschelte dann meinen Kopf, „Ich vergebe dir.“
„Wie überaus großzügig von Euch.“
„Ich weiß.“
Ich lachte und schüttelte den Kopf. Kitty war schon ein Persönchen für sich.
„Die Farb-Kombination hat noch einen anderen Vorteil“, meinte Mum und rief mir damit ins Bewusstsein, dass wir nicht allein waren. Ein Blick in Rubins Richtung bestätigte mir, dass er das Bild, wie meine kleine Schwester mich tätschelte, sehr amüsant fand.
Grins nur, dachte ich verstimmt, du bist eh nur neidisch, weil du keine so süßen Geschwister hast.
Obwohl, vielleicht hatte er die ja? Ich versuchte, mir vorzustellen, wie Rubin auf einen kleinen Bruder oder eine Schwester aufpasste, aber irgendwie wollte das Bild sich nicht formen. Außerdem: Er konnte zwanzig davon haben, so süß wie Kitty konnten sie gar nicht sein.
„… rot und Rubin – klingelt da was?“ Die Worte meiner Mutter rissen mich aus meinen Gedanken. „Sieh es einfach als kleines Willkommenszeichen von meinem Sohn.“
Mein Kopf schoss nach oben und ich starrte meine Mutter an. Was hatte sie da gerade gesagt? Willkommenszeichen? Ey, ich war nicht derjenige, der ihn unbedingt einladen musste! Ich war nur der arme Tropf, den er die Ferien über mit seinem tollen Amerikanisch quälen würde.
Rubin sah kurz zu mir herüber und grinste meine Mutter dann an.
„Ich glaube nicht, dass da diese Intention dahinter war. Nicht dem Blick nach, den er Ihnen gerade zuwirft.“
Mum lachte. Ja, das gefiel ihr natürlich; solange sie mich triezen konnte, war ihre Welt in Ordnung.
„Ach, bei Vyvyan ist es am besten, wenn man optimistisch ist, ansonsten verzweifelt man schnell an ihm, vor allem, wenn man ihn besser kennt. Nicht wahr?“ Der letzte Satz war an mich gerichtet, doch ich gab nur ein Knurren von mir. Rubin konnte sehr gut auf Optimismus verzichten, wenn er überhaupt dazu fähig war, schließlich würde er mich nie gut genug kennen, um an mir zu verzweifeln. Und Mum sollte aufhören, solchen Mist zu erzählen!
„Und wenn wir schon dabei sind; du kannst mich gerne duzen“, fuhr sie ungehindert fort, „Ich bin Heidi.“
Rubin lächelte – oder grinste – oder machte irgendetwas zwischendrin und ich stöhnte innerlich laut auf. Toll, jetzt waren sie auch noch per du und das, obwohl Mum sonst immer wartete, bis sie jemanden vier oder fünf Mal getroffen hatte, bevor sie das Du anbot. Aber das war ja bei meinen Freunden und Rubin war nicht mein Freund; warum sollten die Regeln für ihn nicht ein wenig anders Aussehen, hm?
Brillant, wirklich. Famos.
Wenn ihr schon dabei seid“, sagte ich, „dann stell dich gleich mit deinem richtigen Namen vor, Heidrun.“
Doch Mums Lächeln zuckte nicht einmal; normalerweise konnte man sie mit diesem Namen ärgern, vor allem, wenn wir Kinder sie so nannten, aber heute schien ihre Laune zu gut dafür zu sein. Klar, es war ja auch Heiligabend, beziehungsweise -nachmittag.
„Warum sollte ich mich mit einem Namen vorstellen, den nur meine Schwiegermutter benutzt?“
Sie griff nach der Karaffe auf dem Tischchen vor ihr und wollte ihr Glas nachfüllen, als sie bemerkte, dass sie leer war. Und was war natürlicher, als in so einer Situation das Problem dem eigenen Sohn anzuvertrauen, der sich so richtig gemütlich mit seiner Schwester auf dem Schoss in den Sessel gelümmelt hatte?
Eben.
„Vyvyan, holst du bitte frisches Wasser?“
„Klar.“ Ich nickte, schob Kitty dann sanft herunter, nahm dann die Karaffe vom Mum entgegen und griff noch schnell nach dem Teller Kekse, den sicher Pa aufgestellt und zusammen mit Sue und Kitty auch bereits geleert hatte. Keksnachschub war nie falsch, zumindest nicht, wenn man das unwillige Gesicht meiner Mutter ignorierte.

***

Als ich ins Wohnzimmer zurückkam, stand Kitty in der Mitte der Sitzgruppe neben dem Sofatischchen und erzählte mit großer Gestik und noch größerem Pathos irgendeine Geschichte. Ich nahm an, aus der Schule. Sie liebte es, Geschichten zu erzählen und machte sogar aus dem Fund eines vierblättrigen Kleeblatts einen Hochspannungsthriller. Mum sagte immer, da sie aus einer Amöbe ein Mammut machen konnte, wäre sie später perfekt für den Job einer Reporterin oder Politikerin.
Dass sie eine One-Man-Show hinlegte, war also nichts Besonderes. Eigentlich. Tja, ‚eigentlich‘ ist schon ein tolles Wort. Es lässt so viele Möglichkeiten offen.
Uneigentlich aber erzählte Kitty diese Geschichte vornehmlich Rubin, dem sie zu gefallen schien; zumindest wenn die Tatsache, dass er lachte auch nur ein klitzekleines bisschen Aussagekraft besaß.
Verdammte Scheiße, seit wann besaß der Typ die nötigen Gesichtsmuskeln, um zu lachen?
Als ich den ersten Schock überwunden hatte und näher ging, bekam ich den zweiten: Das war keine Schulgeschichte, die Kitty erzählte – nein, das war eine Anekdote aus meinem Leben – eine, die mit mir im Schlamm endete. Mehrmals. Es war eben noch kein Fußballstar vom Himmel gefallen … 
Rubin lachte über mich. Und ich hatte große Lust, ihm in die Eier zu treten.
Ich beschloss, dass die Annäherung zwischen Rubin und meinen Lieben schon zu weit gegangen war. Ab jetzt hieß es: Schadensbegrenzung. Und die einfachste Art, dies zu erreichen, war, ihn von ihnen zu trennen.
Ich trat neben Kitty.
„Woah, Miss Kitty, pass mit deinen Armen auf, sonst kriegst du eine Keksdusche.“
Kitty stoppte, sah mich an und grinste breit. „Das hört sich lecker an!“
„Träum weiter, Kitty-Maus“, erwiderte ich und stellte Karaffe und Keksteller hin. Rubin hatte natürlich, als er mich bemerkt hatte, aufgehört zu lachen. Normal, Kitty hatte ja auch aufgehört rumzuhüpfen. Normalerweise nicht normal war, dass auch sein Lächeln im gleichen Moment fast ganz gestorben war und sein Gesicht sich verschlossen hatte. Das war weder normal noch nötig, aber dafür wenigstens nachvollziehbar; mir fiel das Lachen in der Gegenwart von Personen, die mir unsympathisch waren auch schwerer als sonst, und Rubin war nicht besonders gut im Überspielen.
Nachdem ich mich wieder aufrecht hingestellt und Kitty mit einem Zwinkern einen Keks gereicht hatte, sah ich ihn an.
„Wenn du schon da bist, kannst du mir dann bei dem Aufsatz helfen, den ich schreiben soll? Bitte?“
Im ersten Moment hob er nur die Augenbrauen und sah mich unverwandt an.
„Aber Vyvyan“, sagte Mum, „es ist Heiligabend. Ich befürworte deinen Eifer ja, aber doch nicht heute!“
Ich zuckte nur mit den Schultern, ohne den Blick von Rubin abzuwenden. „Er war es, der mir von gestern Abend auf morgen diese Hausaufgabe gegeben hat. Deshalb hat er sicher auch nichts dagegen, nicht wahr?“
Rubin erhob sich, nahm sich einen Keks und lächelte mich kühl an.
„Natürlich nicht.“

***

Kitty hatte gemurrt, meine Mutter geseufzt und Pa und Sue, die sich dem Anschein nach über die Vor- und Nachteile einer eigenen Popcornmaschine unterhielten, bis Mum sie mit einen strengen Blick bedachte, waren milde überrascht; trotzdem konnte ich keine fünf Minuten später meine Zimmertür hinter Rubin schließen.
Mission accomplished, würde ich sagen. Zumindest vorläufig.
Ich stellte die Colaflasche und die beiden Gläser, die ich vorher noch kurz geholt hatte, auf meinen Schreibtisch und setzte mich dann auf den Stuhl.
„Dreihundert Wörter über ein beliebiges Thema war es, ja?“, fragte ich, während ich mein Schreibzeug hervorholte. Rubin trat neben mich, den Keks noch in der Hand.
„Und mindestens drei Mal die indirekte Rede benutzen.“
„Genau.“ Ich Schlug das Deckblatt meines Blockes zurück und drehte mich dann halb zu ihm. „Und wenn ich die scheiß indirekte Rede mehr als drei Mal benutze, bekomm ich dann einen Bonus oder so?“
Er musterte mich und meinte dann süffisant:
„Kommt ganz darauf an, wie oft du sie zusätzlich verwendest und was du dir unter einem ‚Bonus‘ vorstellst.“
Okay, diesmal war es nicht meine Schuld, dass meine Gedanken in die falsche Richtung schweiften – diesmal spielte er wirklich darauf an, er warf sogar einen Seitenblick auf die Zimmertür. Bastard!
Doch ich ließ mich nicht aus dem Konzept bringen – wäre ja auch noch schöner gewesen!
„Fünf zusätzlich und einmal die Möglichkeit, einen der Aufsätze um die Hälfte der Wortzahl zu kürzen?“
„Ist das nicht ein bisschen viel für fünf Sätze?“
„Fünf Sätze, die in einer der Formen stehen, die ich am wenigsten beherrsche“, gab ich zu bedenken.
„Sehr nett, so einen Satz zu sagen, nachdem ich gestern fast fünf Stunden damit verbracht habe, sie mit dir zu üben“, erwiderte er und verzog den Mund.
Ich zuckte mit den Schultern.
„Du bist gut, aber nach einem einzigen Nachmittag kannst du keine Wunder erwarten.“
Ich hatte nicht nachgedacht. Ich hatte nicht nachgedacht! Rubins übergroßes Ego noch zu füttern war sicher keine gute Idee, auch wenn es stimmte, dass er gut im Nachhilfelehrer-Sein war.
Nicht ganz unerwartet gefiel es seinem Ego aber offensichtlich, gefüttert zu werden, denn er lächelte – nicht breit, aber es war ein Lächeln – und antwortete schlicht:
„Danke.“
Ich schnaubte, drehte mich wieder zu meinem Block.
„Hast du einen Themenvorschlag?“, fragte ich und griff nebenbei in meine Lolli-Büchse.
„Hm“, machte er und trat hinter mich, genau hinter meinen Stuhl, „wenn du nicht über Weihnachten schreiben willst, dann schreib doch, warum du so eine Abneigung gegen Englisch hast. Das hilft mir vielleicht beim Vorbereiten der nächsten Lektionen.“
„Dreihundert Wörter darüber, warum Englisch scheiße ist? Kein Problem.“
Zumindest in meinem Kopf nicht – auf Englisch und dem Papier war’s dann doch nicht so einfach. Und dass Rubin mir fast buchstäblich im Nacken saß, wurde mir auch ziemlich schnell unangenehm. Ich meine, hey! Ich saß da, starrte auf meinen Block, schob den Lolli in meinem Mund hin und her, ließ den Bleistift um meinen Finger wirbeln und versuchte ganz nebenbei einen anständigen ersten Satz hinzukriegen, während er mir über die Schulter sah. Angenehme Vorstellung, nicht?
Schließlich ließ ich sogar den verdammten Bleistift fallen. Es reichte; er sollte da weg, egal, wohin.
„Willst du nicht setzen?“ Ich wusste, dass das nicht wirklich wie eine Frage und auch nicht ganz wie eine Aufforderung klang, aber ich war eben genervt – und vielleicht noch etwas anderes, aber darüber wollte ich nicht nachdenken.
„Du hast keinen zweiten Stuhl.“
Kluges Kerlchen.
„Aber ein Sofa“, erwiderte ich und als er immer noch keinen Wank machte, fügte ich hinzu: „Außerdem einen Teppich, ein Bett und im Notfall sogar eine freie Tischecke – mir ist egal, was du wählst, aber wenn du hinter mir stehst, komme ich mir vor wie bei einer Klausur, bei der nur ich und der böse Englischlehrer anwesend sind, der mir nur zu gerne eine Sechs aufdrücken würde.“
Ich glaubte, ein tonloses Glucksen zu hören – sicher war ich mir nicht, denn der Nachteil an etwas Tonlosem war, dass man es nicht so leicht hören konnte.
„Das möchte ich natürlich nicht verantworten müssen“, erwiderte Rubin, „Auch wenn ich dachte, dass sonst immer der Mathelehrer der böse ist.“
„Tja, da siehst du mal, warum man nicht alles glauben sollte, was das Fernsehen einem weismachen will.“
Ich bildete mir ein, einen Luftzug zu spüren, als er endlich rüber zum Sofa ging und sich hinsetzte. Dann atmete ich auf; nun konnte die wirkliche Tortur beginnen.

***

Ganz so schlimm wurde es dann doch nicht. Ich dachte natürlich auf Deutsch darüber nach, was ich schreiben wollte, obwohl mir wurde schon hundert Mal gesagt worden war, dass ich das besser auf Englisch tun sollte. Aber ich konnte kein Englisch, und in einer Sprache zu denken, die ich nicht beherrschte, stellte sich als verdammt schwierig heraus. Dann übersetzte ich in meinem Kopf Wort für Wort, versuchte es in die englische Satzstellung zu bringen und aufzuschreiben. Rubin fungierte dabei als mein lebendes Wörterbuch – ziemlich praktisch, auch wenn er die eine oder andere Macke hatte, wie ich auch bei meinem vorletzten Satz wieder bemerken musste.
Ich wollte nur noch schreiben, dass ich diesen Herbst aus mir unbekannten Gründen noch schlechtere Noten bekommen hatte, jetzt deshalb über die Feiertage Nachhilfe nehmen musste und deshalb noch schlechter auf dieses Mistfach anzusprechen war als sonst; natürlich hatte ich nicht vor, das genau so wiederzugeben, sondern stark, stark vereinfacht und in zwei Sätzen, aber ich stolperte schon bei der Rechtschreibung des zweiten Wortes.
„Wie schreibt man Herbst noch gleich?“
„Mit zwei L“, kam es vom Sofa herüber.
Ich wollte schon nicken, als mir auffiel, dass das nicht ging. Irritiert runzelte ich erst die Stirn. War ich jetzt etwa so blöd, dass ich sogar das Wort für Herbst verwechselte? Nein, oder? Dann machte es klick und ich nahm den Lutscher aus meinem Mund und sah zu Rubin herüber. Dieser hatte sich der Länge nach auf meine Couch gelegt und einmal mehr den Blick auf mein Bücherregal gerichtet. Was ihm daran so interessant erschien, wusste ich nicht.
„Ich meine autumn, nicht dein Kauderwelsch. Wie schreibt man autumn?“
Rubin schnaubte und setzte sich auf.
„Sag mal, ist deine Abneigung gegen American English angeboren oder magst du es gerade nur nicht, weil ich so rede?“
„Angeboren.“
Diese Antwort hatte er anscheinend nicht erwartet, aber bereits nach drei Herzschlägen sah er mich an, als ob ich nicht ganz dicht sei.
„Meine Abneigung gegen das Fach Englisch hat sich über die Jahre entwickelt, aber Amerikanisch konnte ich schon nicht ausstehen, als es mir das erste Mal über den Weg gelaufen ist“, erklärte ich.
„Und warum nicht?“
Nun war ich es, der ihn ansah, als ob bei ihm die eine oder andere Tasse fehlte.
„Weil es sich beschissen anhört?“
Ich sah, wie Rubins rechte Augenbraue sich anhob, während die linke in die entgegengesetzte Richtung wanderte. Kein besonders gut gelaunter Gesichtsausdruck, aber immerhin nicht so verschlossen wie sonst immer.
„Ach?“, fragte er und verzog nun zusätzlich noch den Mund, als ob er in eine Zitrone gebissen hätte, sich aber nichts anmerken lassen wollte.
„Mal ehrlich“, erwiderte ich, „hast du einem Amerikaner schon einmal beim Reden zugehört? Ich meine, wirklich zugehört? Das klingt doch echt verdächtig nach einer rolligen Katze mit einer heftigen Erkältung.“ Ich nahm einen Schluck Cola, in der Hoffnung, dass ein Ami-Produkt die Erinnerung an das andere auslöschen würde.
„Vor allem dieser Südstaatendialekt ist schlimm. Ich wäre einmal fast aus dem Kino gelaufen, als meine damalige Freundin einen Film unbedingt in der Originalsprache sehen wollte und sich dann herausgestellt hat, dass der Scheiß in Texas spielte.“ Mir lief es nur beim Gedanken an die zwei Stunden Folter eiskalt den Rücken hinunter. So viel war mir das Mädchen wirklich nicht wert gewesen.
Ein kleines, irgendwie verunsicherndes Lächeln umspielte plötzlich Rubins Mundwinkel und er stand auf und kam langsam auf mich zu. Obwohl, nein, er kam nicht, er schlich vielmehr.
Sehr beruhigend, hm?
„Weißt du, Vyvyan“, begann er, „meine Familie kommt aus den Südstaaten.“
Ah, dachte ich, da liegt der Hund begraben – ich bin in ein weiteres Fettnäpfchen getreten.
Na ja, so schlimm war das sicher nicht. Was konnte schon passieren? Dass er mich noch weniger mochte als bisher? Ich glaubte nicht, dass da allzu große Unterschiede spürbar sein würden.
Er trat hinter mich, genau dorthin, wo er vorher gestanden hatte.
„Aber zum Glück“, meinte er, als er sich über meine Schulter lehnte und den Aufsatz überflog, „kommen wir aus einem Kaff in der Nähe von New Orleans. Da spricht man einen eigenen Dialekt, der nicht viel mit denen des restlichen Südens gemein hat.“ Er nahm den Aufsatz, obwohl ich die beiden letzten Sätze noch nicht geschrieben hatte und sagte: „Trotzdem …“
Natürlich kam noch was; es kam doch immer noch etwas.
Vor dem Trotzdem kam allerdings noch sein linker Arm, den er um mich legte, ganz langsam und gemütlich, so dass seine Hand auf meiner rechten Schulter zu liegen kam. Die Pose war irgendwie bedrängend und ich wollte seinen Arm wegziehen, wirklich, aber sein Atem an meinem Hals, als er den Satz hinter dem Trotzdem fortführte, ließ ein paar bestimmte Bilder von gestern mit einer Kraft vor meinem inneren Auge aufblitzen, dass ich zu überrascht war, um zu handeln.
„… hast du dir schon einmal überlegt, dass Amerikanisch nach rolligen Katzen klingt, weil wir so oft rollig sind?“ Er wartete, aber ich konnte nicht antworten, noch nicht einmal per Kopfschütteln. Die Erinnerung, die Berührung und das scheiß verdammte Zitronengras bewirkten, dass es in mir zu kribbeln anfing – nicht in meinem Bauch, sondern im Schritt. Dort dafür umso heftiger.
Dann richtete sich Rubin auf. „Zumindest einige von uns“, fügte er in seiner Schulstimme hinzu, in der keine Spur mehr von dem leisen Säuseln von vor ein paar Sekunden war.
Und mir wurde eines klar: Der Bastard machte sich über mich lustig. Er wusste, dass es mich nicht kalt ließ, wenn er so etwas wie eben tat, schließlich hatte er mich gestern verdammt schnell rumgekriegt. Und jetzt demonstrierte er mir, dass er selbst darüber stand. Diesmal hätte ich gerne mehr gemacht, als ihm nur in die Eier zu treten, aber ich zwang mich, ruhig zu bleiben. Sich aufzuregen und das auch noch zu zeigen hätte sich wie verlieren angefühlt und ihn nur noch bestätigt.
Ich erwiderte nichts, da ich nicht riskieren wollte, dass er an meiner Stimme etwas erkannte, und warf ihm nur einen verächtlichen Blick zu.
Das war unterste Schublade.
Er erwiderte den Blick unbewegt und ging dann mit meinem Aufsatz zurück zum Sofa.
„Wenn du willst, korrigier ich ihn gleich jetzt und danach besprechen wir ihn.“ Er sah mich an, fragend, und ich nickte. Deal.
Solange er hier bei mir war, war er wenigstens nicht unten und schleimte sich bei meiner Familie ein.

***

„Aber jetzt sag mal ehrlich, Rubin: Denkst du nicht, dir wird langweilig, so ganz alleine und ohne deine Familie? Über die Feiertage?“
Wir saßen im Esszimmer und hatten den größten Teil des Abendessens hinter uns. Oder besser: Ich hatte ihn hinter mir, denn die anderen schienen sich prächtig zu amüsieren. Rubin auch. Rubin war nett und wohlerzogen und höflich und ein so toller Gesprächspartner und lächelte die ganze Zeit über so verdammt charmant, dass man gar nicht anders konnte, als ihn zu mögen, zumindest nicht, wenn man ihn noch nie anders erlebt hatte. Und da ich der einzige im Raum war, der diese Erfahrung vorweisen konnte, war ich auch der einzige im Raum, der mit jedem Wort, mit jeder freundlichen Antwort und mit jeder interessierten Frage das Messer mit ein wenig mehr Kraft durch das Fleisch auf meinem Teller stieß. Und dass ich absolut keine Ahnung hatte, warum er sich so musterhaft benahm, machte mich nur noch wütender. Es war alles einfach zu unlogisch, sein Verhalten in den letzten paar Tagen zu widersprüchlich. Ich versuchte, ihn so gut es eben ging zu ignorieren, aber irgendwie ging das immer weniger gut, je weiter der Abend fortschritt.
„So schlimm wird’s schon nicht werden“, antwortete er gerade meiner Mutter, „Megan wohnt ja gleich nebenan und Vyvyan hier hält mich sicher auch genug auf Trab.“ Er sah kurz zu mir herüber und sein Lächeln gefror in demselben Augenblick, als sich unsere Blicke kreuzten. Die anderen schienen nichts zu bemerken und er sah auch schnell wieder weg und war nur eine Sekunde danach wieder das Abbild des perfekten Sohnes aus einer dieser langweiligen amerikanischen Familienserien, aber ich bemerkte den Patzer. Verdammt, was machte er überhaupt noch hier? Wozu gab er sich solche Mühe, vor meiner Familie gut dazustehen, wenn es ihm doch gar nichts brachte, da er, sobald die Ferien und somit auch die Nachhilfe vorbei waren, ja wohl keinen Fuß mehr in dieses Haus setzen würde?
„Das tut mir leid“, meinte Mum und seufzte. Seufzte! Wegen mir, um Rubins Willen. Verdammte Scheiße, langsam glaubte ich wirklich, im falschen Film zu sein. Aber dann erinnerte ich mich selbst daran, dass meine Familie meine Einstellung gegenüber Nicht-Familienmitgliedern nicht ganz teilte. „Ich hoffe, er benimmt sich halbwegs anständig, wenn ihr allein seid.“
Mum sah mit ihrem besten warnenden Blick zu mir; dem, den alle Eltern bei der Geburt ihres ersten Kindes direkt von den Erinnyen verleiht bekommen und der in den Kindern in neunundneunzig Prozent der Fälle unverzüglich ein Gefühl hervorruft, dass man nur als eine Mischung aus Reue und schlechtem Gewissen bezeichnen kann, die jeglichen Trotz oder Unwillen sofort unterdrückt. Zum Glück gehörte die eine Hälfte von mir zu dem einen Prozent, bei dem dieser Blick nicht funktionierte, und gerade war das die Hälfte, die die Kontrolle über mich hatte.
„Keine Sorge“, antwortete Rubin, diesmal ohne mich anzusehen, „wir kommen miteinander klar.“ Sagte er, wirkte dabei aber ein wenig verkrampft. Tja, anderer Leute Mutter anzuschwindeln war wohl doch nicht so einfach, wie er gedacht hatte.
„Vyvy?“, hörte ich da Kittys Stimme und wandte mich zu ihr.
„Was ist denn, Miss Kitty?“, fragte ich, oder wollte ich fragen, denn noch bevor ich fertig war, stupste sie mit ihrem Zeigefinger genau zwischen meine Augenbrauen.
„Wenn du so weitermachst, kriegst du Falten, das ist.“ Sie rubbelte leicht an der Stelle und brachte mich dazu, meine Mimik zu entspannen.
„Besser so?“
„Ja“, erwiderte sie, „viel. Die Prinzessin will nämlich keinen faltigen Prinzen, der sie rettet.“
Ich schmunzelte über den Ernst in ihrer Stimme. „Nicht?“
„Garantiert nicht. Da bleibt sie doch lieber beim Drachen!“
Ich hob meine Augenbrauen an und versuchte mich an einem fragend-beleidigten Gesichtsausdruck. „Du meinst also, die Prinzessin würde dem Prinzen nur wegen ein paar Lachfältchen einen Korb geben?!“
Sie schüttelte entschieden den Kopf. „Nein, aber das wären auch keine Lachfältchen, sondern Böse-Dreinschau-Fältchen und wer will schon einen Prinzen, der allein vom bösen Dreinschauen Falten bekommen hat?“
Ich lachte und wuschelte ihr durch die Haare, was mir einen halb empörten, halb erfreuten Blick bescherte.
„Stimmt, der Punkt geht an dich“, sagte ich, bevor ich mit erheblich besserer Laune und ohne Böse-Dreinschau-Fältchen den Resten auf meinem Teller den Kampf ansagte.

***

Ich gewann. Gegen die Reste, meine ich. Aber ich musste gewinnen, denn wer in unserem Haus sein Gemüse nicht aufaß, der bekam auch keinen Nachtisch – und wer würde freiwillig auf den Weihnachtsnachtisch verzichten?
Eben.
Wir verstauten das Geschirr in der Spüle – an Heiligabend war noch nicht einmal meine Mutter so strikt, jemanden zum Abwasch zu zwingen; Sue würde das morgen machen – und als der Esstisch abgeräumt war, gingen wir ins Wohnzimmer, wo Pa bereits die ersten Kerzen anzündete. Da Mum Kittys und meinen Sessel beschlagnahmt hatte, setzten wir uns notgedrungen aufs Sofa, Kitty an den Rand, ich daneben und Rubin, der für Sue die Eistorte hereintrug, während sie die Teller und das Besteck mitbrachte, setzte sich neben mich, nachdem er die Torte auf dem Tischchen abgestellt hatte.
„Papa? Willst du scheiden?“, fragte Sue und die Antwort kam prompt:
„Ja! Warte kurz. Noch drei Kerzen … zwei … eine … so!“ Pa kam hinter dem Baum hervor und nahm das Messer von Sue entgegen. 
Wenig später saßen wir alle ziemlich zufrieden um den Couchtisch verteilt, mampften die Torte und unterhielten uns über dies und jenes. Meine Laune war erheblich gestiegen, obwohl Rubin diesmal direkt neben mir und nicht, wie vorher, mir gegenüber saß. Dafür war er nun aber wieder ,normaler’. Soll heißen, er war zwar immer noch höflich und alles, aber stiller, zurückhaltender. Es war sehr viel einfacher, ihn so zu ignorieren.
„Mum, kann ich noch ein Stück Torte haben?“
Mum sah Kitty skeptisch an. „Hast du denn noch Platz für ein ganzes Stück?“
„Ja“, sagte Kitty, aber man hörte, dass sogar sie selbst daran zweifelte.
Trotzdem nickte Mum und gab ihr noch eines. Es war ja schließlich Weihnachten, da durfte man sich überfressen.

***

Sie hatte noch keinen Drittel ihrer zweiten Portion gegessen, als Kitty den Teller möglichst unauffällig auf den Tisch stellte und dann mit etwas zu großen Augen und ein wenig zu laut fragte, ob es nicht längst Zeit sei, die Geschenke auszupacken.
Pa warf mir einen amüsierten Blick zu und ich erwiderte ihn grinsend. Das Ablenken musste Kitty eindeutig noch üben.
„Unser Prinzesschen hat Recht: Es wird eindeutig Zeit für die Geschenke, meinst du nicht auch, Liebes?“
Sue stand auf. „Vyvyan, hilfst du mir beim Abräumen?“
„Klar doch.“
Ich sammelte schnell Besteck und Teller ein und folgte ihr dann in die Küche, wo alles, was noch Platz hatte, in die Spüle wanderte. Nur der Tortenteller musste draußen bleiben; Sue stellte ihn kurzerhand auf eine der mit Wasser gefüllten Pfannen und füllte auch ihn mit Wasser, damit er bis morgen einweichen konnte. Aus dem Wohnzimmer erschallte Kittys helles Lachen und ließ mich schmunzeln. Ich wollte wieder zurückgehen und ihr beim Auspacken zusehen, aber Sue tippte mich an.
„Hm?“, machte ich und drehte mich wieder zu ihr um. Sie hielt mir eine kleine Weihnachtskarte entgegen. Verwirrt sah ich sie an, bevor ich sie entgegennahm. „Ähm, danke?“
„Die ist doch nicht für dich, Dummkopf“, erwiderte sie und rollte grinsend die Augen, „Du sollst einen Weihnachtsgruß hineinschreiben.“
Nun war ich nicht mehr verwirrt, sondern verständnislos. „Meine Geschenke haben alle Karten.“ Und sogar, wenn nicht, wie hätte sie das dann wissen sollen?
„Eines noch nicht.“ Sue wich meinem Blick aus und zögerte, bevor sie mir plötzlich wieder in die Augen sah. „Das, das du Rubin geben wirst.“
„Ich schenke Rubin doch nichts.“
„Doch.“
„Wieso sollte ich?“
„Weil es sicher nicht schön ist, am Heiligabend kein einziges Geschenk zu bekommen.“
Ich legte die Karte auf den Tisch. „Ich bin sicher, er hat sie dafür schon im Voraus von seinen Eltern und Freunden bekommen.“
„Trotzdem, Vyvyan“, wandte sie ein, „stell dir vor, du müsstest andern beim Auspacken zusehen, ohne selbst was zu bekommen.“ 
„Das habe ich auf jeder einzelnen Geburtstagsparty getan, auf der ich je gewesen bin.“
Sue seufzte und ich konnte an ihrer Körpersprache sehen, dass sie die Taktik wechseln würde.
„Jedem andern deiner Klassenkameraden würdest du sicher etwas schenken, wenn sie Weihnachten hier wären.“
Ich rollte mit den Augen. „Ja, aber die gehören ja auch zu meinem Freundeskreis; Rubin nicht.“ Was war daran so schwer verständlich?
„Warum nicht? Er ist doch nett.“
Nicht schon wieder! Ganz falscher Satz, denn er erinnerte mich an das Abendessen und das davor und sowieso generell daran, dass Rubin meiner Familie gegenüber ganz anders war als zu mir.
„Wie gesagt: Das denkst du nur, weil du ihn noch nie in der Schule erlebt hast. Dann ist er nämlich nicht nett“, erwiderte ich frustriert und unterdrückte den Drang, noch viel frustrierter aufzustöhnen, als ich an ihrem Blick sehen konnte, dass sie so schnell nicht aufgeben würde. Ich wusste ja, dass so einen großen Beschützerinstinkt hatte, das lag in der Familie, aber konnte sie mich nicht einfach lassen? Ich wusste schließlich am besten, was das Beste für mich war, immerhin hatte ich die letzten Jahre über auch mein Ding durchgezogen und war nie unglücklich gewesen. War das nicht Beweis genug, dass mein Weg der Richtige war?
Für Sue anscheinend nicht.
„Das beweist doch nur, dass er sich Mühe gibt.“
„Worin?“
„Darin, sich mit dir anzufreunden“, antwortete sie.
„Und wie will er das anstellen?“, fragte ich, als Kitty im Wohnzimmer gerade quietschte, „Etwa dadurch, dass er mich endgültig vergrault, indem er zu meiner Familie scheußlich nett ist, zu mir aber dasselbe Arschloch wie immer? Wenn ja, dann macht er das wirklich gut.“
„Vyvyan …“ Sie sah mich an und fuhr mir sanft durch die Haare. „So schlimm kann er nicht sein, oder? Immerhin hast du dich noch nicht über die Nachhilfestunde gestern beschwert.“
Ich zuckte mit den Schultern. Was sollte ich dazu auch sagen?
„Als Nachhilfelehrer ist er ja auch gut. Das sagt aber nichts über unsere private Kompatibilität aus. Sonst würde es um Pa und mich schlecht stehen.“
Sie schmunzelte und gab mir einen Knuff in die Schulter.
„Dann sieh es meinetwegen als Dankeschön für die Hilfe. Das sollte nicht zuviel verlangt sein, oder?“
Kitty rief im Wohnzimmer Pa gerade zu, dass er ihr gefälligst ihr Geschenk zurückgeben solle, denn es sei eindeutig ihres, und ich sah zur Küchentür. Ich wollte Kittys Gesicht nicht verpassen, wenn sie mein Geschenk öffnete.
Sue hatte den Blick bemerkt und grinste mich an. „Ich lass dich nicht gehen, bevor du zustimmst.“ Sie hielt mir einen silbernen Edding entgegen. „Sieh es ein, Vyvyan, du hast keine Wahl. Das Geschenk liegt sowieso schon unterm Baum und es wäre auffällig, wenn es da als letztes liegen bleibt.“
Erneutes Gelächter, diesmal von mehreren Personen.
Scheiße.
Erst kam Mum mit der tollen Idee, Rubin heute einzuladen und dann das hier. Manchmal war meine Familie echt schlimm.
„Und was gebe ich ihm?“, fragte ich schließlich resigniert und nahm den Stift.
„Eine DVD“, antwortete sie, jetzt wieder breit lächelnd. Ja, klar, sie hatte ja schon zum zweiten Mal heute von mir genau das bekommen, was sie gewollt hatte. „Wir sind doch gestern Abend beim Essen kurz auf diesen Film zu sprechen gekommen und er hat gesagt, dass er ihn leider im Kino verpasst hat und nun die DVD kaufen wolle, sobald sie bei uns nächsten Monat rauskommt. Und da ich mir die britische Originalversion schon vor ein paar Wochen bestellt habe, aber nie dazugekommen bin, sie zu schauen, dachte ich mir, das wäre doch ein gutes Geschenk.“
Ich hob die Augenbrauen und strengte meine grauen Zellen an. Gestern Abend, gestern Abend … aber ich konnte mich nicht mehr erinnern, über was für einen Film sie gesprochen hatten; wenn ich an gestern Abend dachte, kam mir nur Mums Einladung in den Sinn. Aber gut, konnte mir eigentlich ja egal sein.
„Wenn du meinst“, erwiderte ich und kritzelte ein ‚Fröhliche Weihnachten!auf die Karte.
Sue warf einen prüfenden Blick darauf und schüttelte den Kopf, als ich sie zusammenklappen wollte.
„Vyvyan, deine Unterschrift.“
Na, darauf kam’s jetzt auch nicht mehr drauf an. Ich unterschrieb, hielt sie ihr dann demonstrativ noch einmal unter die Nase und steckte sie in meine Hosentasche, als ich ein zufriedenes Nicken von Sue bekam.
Sie wandte sich zur Tür und ich wollte ihr folgen, als sie noch einmal innehielt.
„Du schuldest mir jetzt übrigens fünfunddreißig Euro.“
„Fünfunddreißig?!“, rief ich und starrte ihren Rücken an, „Für eine einzelne DVD?“
„Denk daran: Ich musste sie importieren. Das ist teuer.“ Sie drehte sich noch einmal zu mir, grinste mich an und ging dann wieder zurück ins Wohnzimmer. Und ich, ich folgte ihr unter leisem Fluchen.

„Vyvy, ich hätte fast ohne dich angefangen!“ Kitty hüpfte auf mich zu, sah mich streng an und zog mich dann zu einer Geschenkansammlung mitten auf dem Teppich. „Sieh mal, die sind alle für mich! Ich hab sogar eins von Rubin bekommen, schau!“ Sie hielt mir ein kleines zartrosa Päckchen entgegen.
Ich schluckte den sauren Geschmack, den dieser Satz in meinem Mund erzeugte herunter und lächelte.
„Das ist toll, Miss Kitty“, erwiderte ich und sah mit einem Seitenblick, dass mein Geschenk ein wenig abseits lag.
Dann ging ich zum Baum, dessen Kerzen schon halb heruntergebrannt waren und den Raum mit dem süßlichen Geruch nach Bienenwachs erfüllten, und kniete mich hin. „Wer will Geschenke?“
„Ich!“, tönte es mehrstimmig von der Sitzgruppe aus, nur Kitty grinste breit, denn sie hatte ja ihre schon. Also nahm ich das erste Geschenk in die Hand, öffnete die Karte und rief dann: „Pa, das erste ist für dich!“ Ich gab es Kitty, die es ihm überbrachte und sah die nächste Karte an. Für Sue. Wieder legte ich es Kitty hin, aber als ich nach dem nächsten Geschenk greifen wollte, fiel sie mir von hinten um den Hals.
„Nein, nein, Vyvy, nimm das rote! Das rote!“
Ah, dann war das Geschenk, das ich eben nehmen wollte für mich, genauso wie das rote – mit dem Unterschied, dass das rote von Kitty stammte. Natürlich wollte sie, dass ich ihres als erstes öffnete.
„Das hier?“
Heftiges Nicken an meinem Hinterkopf.
„Wie Ihr wünscht, Miss Kitty“, sagte ich und nahm das rote Geschenk auf, um es neben mich zu legen, „aber dann müsst Ihr mich los- und mich meine Aufgabe erfüllen lassen.“
Sie murrte, gab aber ihr Okay und nahm Sues Geschenk, um es ihr zu bringen, bevor sie sich vor ihren Schatz auf den Teppich setzte.
Ich suchte unterdessen gleichzeitig nach dem kartenlosen sowie einem von Mums Geschenken und fand schließlich beide. Dann klemmte ich die Karte unter das silberne Band, bevor ich alle drei Geschenke nahm und zurück zu den anderen ging.
Mit den Worten „Hier, von deinem dich trotz allem liebenden Sohnüberreichte ich Mum ihres und machte dann schnell einen Satz nach hinten, um ihrem Hieb auszuweichen.
„Das ‚trotz allem‘ war unnötig!“
Ich grinste nur, ging zum Sofa und blieb dann etwas unschlüssig vor Rubin stehen. Eigentlich war nichts dabei, aber es war mir trotzdem ein wenig peinlich, ihm ein Geschenk zu geben. Ich meine, was machte denn das für einen Eindruck, wenn ich plötzlich … obwohl, das konnte mir ja egal sein. Wen interessierte schon, was er dachte. Genau.
„Hier“, sagte ich schließlich und hielt es ihm hin, Sues Blick im Rücken spürend. „Als Dank für die Nachhilfe und so.“
Sehr intelligente Aussage, Vyvyan, wirklich. Bravo.
Okay, ich hätte doch gerne gewusst, was er gerade in seinem Kopf vorging, einfach, weil sein Gesicht nach einem langen Moment der Verwirrung, in dem er das Präsent auch entgegengenommen und „… Danke“ hervorgebracht hatte, nicht mehr lesbar war. Und zwar nicht schwer lesbar oder ähnliches, sondern richtig verschlossen, es war wirklich keine Emotion mehr zu erkennen. Gar nichts; nada, niente, nothing. Echt seltsam.
Aber gut, das war nicht das erste Mal, dass er seltsam war. Ich zuckte mit den Schultern.
„Gern geschehen“, antwortete ich und gerade, als ich mich setzen wollte, sah ich, dass ein kleines Lächeln über seine Lippen kroch.
Na, immerhin etwas.
Im nächsten Moment quietschte Kitty erneut. 
Sie hatte also das Buch ausgepackt, das ich ihr geschenkt hatte. Es war eine interaktive Mysterygeschichte, über Feen, die in einem Wald lebten – genauer gesagt, in einem Feenwald und zwar in einem, in dem in letzter Zeit sehr seltsame Dinge geschahen. Die Erwachsenen Feen konnten sich die Merkwürdigkeiten nicht erklären und versuchten deshalb, sie einfach zu ignorieren. Da das aber nichts brachte, hatte die Prinzessin entschlossen, dass sie und ihre beiden besten Freunde das Geheimnis lüften würden. Interaktiv war das Ganze, weil man an einigen Stellen selbst entscheiden konnte, was die Truppe um die Prinzessin als nächstes tun sollte und dann zu der Seite weiterblättern musste, die neben der ausgewählten Option stand. Toll, nicht?
Also, ich fand es ein gelungenes Geschenk und Kitty auch, denn sie war mit einem Satz bei mir und hing an meinem Hals.
„Danke, danke, Vyvy, das Buch ist toll! Einfach toll!“
„Toll ist, dass es dir gefällt, Kitty-Maus, aber du hast den zweiten Teil meines Geschenks noch nicht gesehen.“ Einen Moment hielt sie still, dann ließ sie mich los und sah mich fragend an. Ich tippte auf das Buch in ihren Händen und als sie den Deckeln öffnete, wurde es still. So lange, bis sie zum dritten Mal quietschte, nur diesmal sehr viel lauter als zuvor. Sogar Rubin zuckte zusammen.
„Das sind Tickets!“, rief sie, „Für ein Konzert!“
Ich nickte. Ich hatte gewusst, dass sie sich freuen würde, aber mir persönlich gefiel die andere Hälfte des Geschenks wesentlich besser.
„Für das Demi Lovato Konzert im März!“ Sie drückte mir einen dicken Schmatz auf und umarmte mich noch mal. „Wow! Das ist ja so cool!“
„Die zweite ist für die Person, die dich begleitet und darauf aufpasst, dass du nicht verloren gehst“, sagte ich und Kitty antwortete ohne Zögern:
„Das wird so toll, Vyvy, du wirst sehen! Das wird total genial!“
Ja, genau das hatte ich befürchtet: dass ich die Person sein würde, die Kitty dabeihaben wollte. Ich liebte sie wirklich, aber ich hatte im Internet in die Lieder dieser Demi reingehört und konnte getrost sagen, dass das alles andere als mein Stil war. Aber gut, für meine Kleine würde ich auch einen Abend lang mit der Musik eines amerikanischen Teenie-Sternchens überleben. Zumindest hoffte ich das.
Außerdem wollte ich bei Kittys erstem Konzert dabei sein, und bis sie alt genug für ein Rockkonzert war, würde es noch etwas dauern.
„Du bist echt der beste Bruder des ganzen, ganzen, ganzen Weltalls!“
Ich grinste. Ja, das war Musik in meinen Ohren. Lobt mich, lobt mich, nur nicht zu scheu!
„Muss ich ja“, erwiderte ich, „sonst wäre ich kaum gut genug für Euch, Miss Kitty.“
„Stimmt“, antwortete sie und ließ mich mit einem breiten Grinsen los.
Ich zwinkerte ihr noch einmal zu und griff dann nach meinem eigenen Geschenk. „Dürfen wir jetzt unsere auch aufmachen?“
Sie nickte großzügig und hüpfte von meinem Schoss, um mir genug Platz zu lassen. Als ich sah, was sich unter dem glänzend roten Papier versteckt hatte, zog ich sie aber gleich wieder zu mir und drückte sie, bevor ich diesmal ihr einen Schmatz gab.
Kitty hatte mir zwei Bilder gemalt: Auf dem ersten war ein großer, grüner, grässlicher Drache, eine kleine Prinzessin in Rosa mit braunen Haaren und ebensolchen Augen und ein großer, starker und stattlicher Prinz mit Schwert und Schild. Im Hintergrund war eine Burg auf einem Hügel und eine Sonne mit langen gelben Strahlen, ein Schwarm Möwen, die von der Form her an ein M erinnerten und ein paar hellblaue Wölkchen im Himmel. Man sah, dass sie sich unglaublich Mühe gegeben hatte und ich war mir sicher, dass das beste Bild war, das sie jemals gemalt hatte. Nur für mich gemalt, wie ich anmerken möchte.
Auf dem zweiten war nochmals der Prinz zu sehen, diesmal in groß. Seine Kleider sahen sehr nach Mittelalter aus und ich war mir sicher, dass sie ein Referenzbild benutzt hatte, um sie richtig hinzubekommen. Das Beste war aber, dass die lockigen braunen Haare und die dunkelblauen Augen keinen Zweifel daran ließen, wen es darstellte.
‚mein Traumprintsstand in der linken unteren Ecke.
Gott, wie ich Kitty liebte!
Stolz wie ein Hahn zeigte ich meine beiden neuen teuersten Besitztümer herum, gab sie sogar Rubin zu bestaunen, der Kitty dafür bekomplimentierte – und diesmal machte es mir gar nichts aus, denn er hatte ja Recht: Die Bilder waren toll und Kitty hatte Talent.
Es dauerte eine Weile, bis ich bemerkte, dass Mum, Pa, Sue und Rubin ihre ersten Geschenke immer noch nicht ausgepackt hatten, zumindest nicht ganz, anscheinend hatte ich sie mit meiner Begeisterung dabei unterbrochen. Ich legte die Bilder also auf eine Kommode und forderte sie dann auf, doch damit weiterzumachen. Ansonsten kämen wir ja nie ins Bett.
Als ich mich wieder setzte, bemerkte ich, dass Rubin neben mir sehr sorgfältig mit dem Geschenk umging. Anders als ich riss er es nicht auf, sondern löste langsam und vorsichtig jedes einzelne Stückchen Tesafilm, bevor er die DVD herausnahm und umdrehte, so dass er sich das Cover anschauen konnte. Und das tat er, ziemlich lange und ohne irgendeine Reaktion zu zeigen. Ich dachte schon, Sue hätte sich wegen des Filmes geirrt oder ihm einen Porno oder so eingepackt, als er schließlich den Kopf hob und mich ansah.
Obwohl, nein, das ist nicht ganz richtig. Er sah mich nicht an, er lächelte mich an, mit Grübchen und allem, was dazugehört – fast hätte man es als strahlen bezeichnen können. Und ich wurde daran erinnert, dass er eigentlich gut aussah. Wirklich gut. Manchmal zumindest.
Aber wahrscheinlich sah jeder gut aus, der sich über etwas freute.
Thanks, Vyvyan.“
Uwah, sogar seine Stimme war … warm? Ja, und zwar richtig. Bei Zeus, Sue hatte wirklich den richtigen Riecher, was solche Dinge anging – immerhin hatte sie Mister Interessiert-Mich-Nicht persönlich um den kleinen Finger gewickelt! Kein Wunder, dass sie nie Probleme gehabt hatte, einen Freund zu finden. Ein Seitenblick zu ihr zeigte mir, dass auch sie mich fröhlich anlächelte.
„Freut mich, dass sie dir gefällt“, antwortete ich, von dem Lächeln immer noch leicht aus dem Konzept gebracht, versuchte aber, es mir nicht anmerken zu lassen. Wäre ja schön peinlich und würde vielleicht sogar einen ganz falschen Eindruck machen. Zumindest war ich mir fast sicher, dass er falsch gewesen wäre.


***

Wie erwartet dauerte es noch eine ganze Weile, bis alle ihre Geschenke ausgepackt hatten; mittendrin war ich sogar aufgestanden, um die heruntergebrannten Kerzen gegen neue auszutauschen und Rubin hatte mir geholfen. Sein Geschenk an Kitty war wirklich sehr aufmerksam gewesen – so aufmerksam, dass ich ein paar Minuten gebraucht hatte, bis ich mir erklären konnte, woher er wusste, dass Kitty sich darüber freuen würde. Ich war mir immer noch nicht sicher, aber ich glaubte, dass ich am Montag, als wir nach der Schneeballschlacht mit Megan und Rubin in dieses Café gegangen waren, erwähnt hatte, dass sie Pfirsichgeruch mochte.
Jedenfalls kam das duftende Duschset richtig gut an, denn Kitty liebte nicht nur Pfirsichgeruch, sondern auch, wie wahrscheinlich alle Mädchen – ich glaube, das ist denen angeboren, das muss irgendwo im zweiten X-Chromosom verankert sein – Cremes und Seifen und Toilettenartikel im Allgemeinen.
Ich freute mich für Kitty und verzieh Rubin, dass sie ihn zum Dank kurz umarmte. Ich gab sogar vor mir selbst zu, dass mich das Lächeln vorhin milde gestimmt hatte. So milde, dass ich noch nicht mal mehr einen großen Aufstand machte, als Rubin am Ende des Abends gehen wollte und von Mum mit den Worten „Ich bitte dich, es ist nach Mitternacht! Du schläfst natürlich hier“ zurückgepfiffen wurde. Zu meiner Verteidigung muss man allerdings anmerken, dass um die Zeit an Weihnachten keine Busse mehr fuhren und Mums Reaktion deshalb sehr voraussehbar gewesen war. Und, um ehrlich zu sein, hätte nicht einmal ich von meinen Eltern verlangt, dass sie ihn jetzt noch fuhren oder von ihm, nach Hause zu laufen; vor allem, da ich nicht wusste, wie weit weg er wohnte.
Also nickte ich nur, als Rubin mich fragend und – zumindest bildete ich mir das ein – fast schon schüchtern ansah.
Pa klatschte in die Hände. „Sehr schön! Dann holen wir jetzt die aufblasbare Matratze und bringen sie in dein Zimmer.“
Halt – Stopp – Moment mal!
„Wieso bereiten wir nicht das Bettsofa in deinem Arbeitszimmer vor? Es ist sauber und aufgeräumt und es ist sicher bequemer, dort zu schlafen als auf einer Luftmatratze auf dem Boden“, erwiderte ich und fühlte Panik in mir aufsteigen. Rubin und ich in einem Zimmer, zu zweit, allein, in der Nacht, halbnackt? Das waren keine guten Voraussetzungen, nein, wirklich nicht.
Auch wenn es natürlich keinen Grund gab, sich Sorgen zu machen.
„Aber“, sagte Kitty und zog eine Schnute, „das macht doch keinen Spaß!“
Tja, dachte ich, genau vor dem Spaß habe ich ja Angst. Nur, dass es nicht ganz dieselbe Art von Spaß ist.
„Kitty-Maus, wir sind beide müde – zu müde um uns zu unterhalten. Zumindest ich für meinen Teil werde gleich ins Bett gehen und mit Sicherheit einschlafen, sobald mein Kopf die Kissen berührt.“
Ich sah zu Mum und hoffte, dass sie mir zur Seite stand und gegen nächtliches Matratzenschleppen ihr Veto einlegte, aber die zuckte nur mit den Schultern und begann dann die Kerzen des Weihnachtsbaumes auszupusten.
„Du sagst doch selbst immer, dass das Bettsofa nicht bequem ist.“
Ja, jedes Mal, wenn Nan zu Besuch kam und mich mit ihrer liebenswürdigen Art auf Englisch aus meinem Zimmer verscheu… ich meine, wenn ich, ganz der liebe Enkelsohn, der ich nun einmal war, ihr großzügig mein Zimmer überließ, weil es doch besser war, wenn ich mich am nächsten Tag mit Rückenschmerzen herumquälen musste und nicht sie.
Als letzte Chance wollte ich Rubin dazu bringen, mit mir gegen diesen Vorschlag zu protestieren, aber der half Mum beim Pusten und tat, als ginge ihn die Diskussion hier nichts, aber auch gar nichts an. Und nein, ich hatte natürlich nicht das Gefühl, dass er sich mit voller Absicht heraushielt. Sicher nicht, wieso sollte er das auch tun? Er würde mich doch nie hängen lassen. Pf.
Er war eben doch ein Bastard.
Als ich nur die Augen verdrehte, klatschte Pa erneut in die Hände.
„Schön, dass wir einer Meinung sind, mein Junge.“
Haha, genau. Einer Meinung.
Trotzdem folgte ich meinem alten Herrn in den ersten Stock, um Rubins Schlaflager vorzubereiten.
Ich hatte mich eindeutig nicht genug gewehrt, das war mir bewusst. Aber es wäre wahrscheinlich auch verdammt auffällig gewesen, wenn ich ein riesiges Drama aus der Sache gemacht hätte – so, wie es jetzt war, lief es unter meinen üblichen Macken. 

*********

„Und warum genau dachtest du, das sei eine gute Idee?“ Megan klang nicht genervt, auch wenn ich das verstanden hätte, sondern verwirrt und ungläubig.
Ich zuckte mit den Schultern. Ich hatte nicht nachgedacht, das war ja das Problem gewesen. Aber Tatsache war: Ich sah ihn gerne an, wenn mit Catherine interagierte. Er sah gleich noch viel besser aus, so entspannt und liebevoll und zugänglich. Und gleichzeitig – es war lächerlich, auf eine Neunjährige, noch dazu seine Schwester, eifersüchtig zu sein, aber ich konnte nichts dagegen tun. Und nach einem ganzen Tag davon war mein Kopf vernebelt gewesen. 
Im Nachhinein war mir natürlich auch klar, dass in sein Bett zu krabbeln nicht die beste Idee des Jahrhunderts gewesen war.

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