[Super, trotz allem wieder verspätet. In diesem
Kapitel ist sowieso der Wurm drin – ich wusste, dass die späteren
Kapitel länger sind, aber das hier war echt … American sized. Und es
ließ sich auch nicht teilen. Ich hab’s jetzt so gekürzt, wie ich konnte, ohne
mir Probleme für später einzuhandeln. Und da Vodafone wieder mitspielt, kann
ich es nun auch endlich hochladen, ohne ins nächste Internetcafé rennen zu müssen.]
Neue Versuche. Alte Probleme. Keine Lösung
Zwanzig Minuten nach der
vereinbarten Zeit kam Klaus auf mich zugeschlurft. Er trug wie immer die alte,
ockerfarbene Jacke seines Opas, die ihm mindestens zwei Nummern zu groß war,
und dazu stylische Jeans und Sneakers. Ich hätte mein Abendbrot darauf verwettet,
dass Anita für Letztere verantwortlich war.
„Morgen“, brummte er und zog
mich in eine kurze aber feste Umarmung – und es war keine dieser
‚Männerumarmungen‘, wo man immer schön die Arme zwischen den Körpern ließ, als
‚Puffer‘, sozusagen, nein; es war eine echte, Hände-auf-dem-Rücken-des-andern
und Brustkorb-an-Brustkorb-Umarmung.
„Nachmittag“, antwortete ich
und grinste ihn an. „Ta hat nicht übertrieben, du siehst noch höhlenmenschiger
aus als sonst.“ Ich zupfte an seinen blonden Zotteln herum und grinste ihn
frech an, aber er knurrte nur. Klaus war eben ein kleiner Sonnenschein.
„Sie hat mir zwanzig Euro
mitgegeben.“
„Für Bier? Erwartete sie dich
betrunken zurück?“
Er warf mir einen ‚Bist du
wirklich so naiv?‘-Blick zu, der dank seiner dichten Wimpern und den
schokoladenbraunen Augen seine Wirkung verfehlte. Dennoch, in Klaus’ Gesicht
passten sie gut und machten es weicher; mein schmaleres, weniger markantes
Gesicht hätten solche Wimpern nur feminin aussehen lassen.
„Sie hat mich um halb eins
herbestellt, also ist der Termin um eins. Um zwei sind wir spätestens wieder
draußen.“ Er schüttelte den Kopf. „Sie erwartet, dass wir ’nen Kaffee trinken
und vielleicht was Kleines essen gehen. Kein Bier.“
„Kein Bier?“, echote ich und
sah ihn fragend an.
Er schnalzte mit der Zunge.
„Natürlich Bier! Sie ist selbst schuld, wenn sie den Termin mittags macht.“
Wir gingen die wenigen
Schritte zum Friseursalon.
„Aber lange kann ich nicht
bleiben“, sagte er und musterte die Eingangstür abschätzig.
„Probleme mit dem Programm?“
Ich wusste nicht, welches Programm ich da ansprach, denn Klaus hatte mehrere.
Aber wenn es in seinem Leben Probleme gab, dann waren das zu neunundneunzig
Prozent Probleme mit einem der Computerprogramme.
Er brummte.
„Was ist denn los?“
„Das ist es ja: Ich weiß
es nicht!“ Seine Stimme war um einiges lauter geworden und er brauchte
einen Moment, um sich wieder einzukriegen. Dann erklärte er: „Hab gerade den
ersten Public Beta rausgeschickt, und ein paar der User haben gemeldet, dass
das Ding crashed, wenn man mehrere Filter gleichzeitig
einsetzt – aber nicht immer, nicht immer bei der gleichen Anzahl
Filter und nicht immer bei der gleichen Kombination. Ganz abgesehen davon:
Wieso überhaupt?! Ich kapier’s nicht. Ich such schon seit fast ’ner Woche nach
dem Bug, aber da ist nichts!“
„Hört sich nach ’nem Thema
für ’n Bierchen oder zwei an“, sagte ich und klopfte ihm auf die Schulter.
„Oder drei.“ Er grinste und
rollte dann mit den Augen. „Na los, bringen wir’s hinter uns.“
***
„Siehste? Da macht keinen
Sinn!“, knurrte Klaus gerade und leerte sein zweites Bier. Er hatte mir,
nachdem er sich von dem Schrecken des Friseurbesuchs und der fast schon intimen
Nähe zu vollkommen Fremden, die der mit sich brachte, erholt hatte, noch einmal
detailliert erklärt, wo denn das Problem mit seinem Programm
lag – oder eben, wo garantiert nicht. Ich hatte
vergleichsweise wenig verstanden: Am klarsten waren mir die Begriffe Scheiße,
verdammt und bescheuert, aber auch Dinge wie Syntax und Semantik
konnte ich eigentlich einordnen, nur nicht, wenn Klaus davon sprach. Irgendwie
bekamen Worte eine neue Bedeutung, wenn er sie in Verbindung mit seinem
Softwarezeugs benutzte. Aber ich hatte ja auch keine Ahnung von Computern und
schon gar keine von Informatik – das war mir einfach zu eng verwandt
mit Mathe. Und das mit Statistik.
Sobald ich an Mathe und
Statistik dachte, sank meine Laune und mein Magen begann zu rumoren. Ich würde
mit ihm reden müssen. Er sagte, dass es nur etwas gemeinsame Zeit war, die er
wollte, aber … wenn er und Thomas ehrlich gewesen waren, dann war das
letztendlich nicht, was er sich wirklich erhoffte. Ich hatte es heute morgen
schon gedacht, aber wegen seiner Nähe nicht über mich gebracht, danach zu
handeln – dennoch: Ich durfte ihm keine falschen Hoffnungen machen.
Dass ich die Nacht mit ihm verbracht – und, zu allem Übel, es auch
noch initiiert – hatte, war schon schlimm genug. Und dann das heute
morgen …
Ich seufzte.
„Okay“, brummte Klaus, „was’n
los?“
„Wie?“ Leicht verdattert sah
ich ihn an, doch er schüttelte nur den Kopf.
„Ich hol uns jetzt noch ein
Bier, dann erzählst du mir, warum du wie ein Häufchen Unglück im Stuhl hängst.“
Er stand auf und ignorierte mein „Tu ich doch gar nicht“ gekonnt.
Mein Bier war bereits halb
leer, als ich ihm die Situation bis gestern Mittag geschildert hatte.
„Hm.“ Klaus sah mich durch
den neuen, bereits verwuschelten Pony an. „Und wo ist das Problem? Du scheinst
die Sache doch im Griff zu haben.“ Er hielt inne, zuckte mit den Schultern und
hängte dann an: „Für deine Verhältnisse.“
„Danke auch“, erwiderte ich
grummelnd und nahm dann einen großen Schluck. Ich öffnete den Mund, suchte nach
den passenden Worten, schloss ihn wieder. Scheiße noch mal, ich wusste,
dass es falsch gewesen war, ihn in mein Bett zu zerren. Ich hatte keinen Bock,
das jetzt auch noch ins Gesicht gesagt zu bekommen.
Aber Klaus war mein Kumpel.
Mein bester Freund, auch wenn ich ihn noch seltener sah als Anita. Zum Glück
lag das zur Hälfte an ihm, denn wir waren beide gleich in der Hinsicht: E-Mails
und Telefonate nur um zu hören, wie es dem anderen ging, an so was dachten wir
nicht. Dafür war es egal, wie lange wir uns nicht mehr gesehen hatten, es
fühlte sich immer wie gestern an. Und wenn einer ein Problem hatte, konnte er
immer zum anderen. Das war bei Anita gleich: Egal, wie viel Scheiße ich baute,
sie war für mich da. Aber mit Anita konnte ich hierüber nicht reden; sie würde
mich an mein Versprechen erinnern, auszuziehen, sobald sich das mit dem Abhärten
als Fehlschlag herausgestellt hatte.
Reden musste ich, mit
irgendjemandem. Oder? Man sagte doch, es half.
„Ich hab
ihn – also, ich habe mit ihm – wir zusammen im
Bett.“ Ja, ich und Rhetorik. Das hatte ich echt drauf.
Klaus’ Augenbrauen hüpften
nach oben und er ließ das Bierglas auf halbem Wege in der Luft erstarren.
„Wann?“
„Gestern Nacht.“
„Hm“, machte er, trank einen
Schluck und taxierte mich dann mit dem Blick. „War es gut?“
„Ja. Sehr.“
Er grinste breit und ich
musste es einfach erwidern. Aber das löste mein Problem nicht.
„Und weiter?“
Ich zuckte mit den Schultern.
„Er hat mir Frühstück ans Bett gebracht. Geredet. Gesagt, dass er es nicht
bereut, aber eigentlich eine feste Beziehung will, und solange ich das nicht
tue, wird er mich nicht mehr anfassen. Aber er will … Zeit mit mir
verbringen. Heute Abend zusammen weggehen. Und ich muss ihm sagen, dass sich
nichts geändert hat und sich nichts ändern wird, aber jedes Mal, wenn er mir
nahe kommt, wird mein Gehirn Matsch.“
„Und Anita würde dich zu uns
verfrachten, wenn sie das erführe.“
„Genau.“
„Warum stellst du ihn ihr
nicht mal vor? Er scheint ja echt in Ordnung zu sein. Vielleicht ändert sie
dann ihre Meinung.“
„Und wenn nicht, und sie live
miterlebt, wie mein Hirn Matsch wird, verfrachtet sie mich noch am selben Tag
zu euch.“ Ich schüttelte den Kopf. „Außerdem ist ihre Menschenkenntnis besser
als meine. Und wenn sie wirklich nicht mag, dann …“ … würde das die
Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass ich wirklich ein blinkendes Warnschild übersah,
was Mischa anging. Und das wollte ich nicht. Es war wie mit dem Zombie unterm
Bett: Solange man nicht nachsah, war die Wahrscheinlichkeit kleiner, dass er
überhaupt da war.
Klaus brummte und nahm noch
einen Schluck. „Scheiß Situation.“ Dann starrte er auf den Bierdeckel und
schwieg eine Weile. Ich tat es ihm nach.
Ja, es war wirklich eine
scheiß Situation. Ich wollte Mischa, aber ich wollte mich nicht auf ihn
einlassen. Völlig aus dem Weg wollte ich ihm auch nicht.
Schließlich zuckte Klaus mit
den Schultern und sah mich wieder an.
„Ich würde sagen, der Kerl
ist erwachsen und weiß, was er tut. Du hast ihm gesagt, was Sache ist, und er
weiß, dass sich daran nichts geändert hat. Wenn er trotzdem Zeit mit dir
verbringen will, ist das sein Ding.“
„Ja, aber … er
küsst mich. Hat er zumindest heute morgen getan.“
„Und das stört dich?“
„Nicht direkt, aber …“
Ich verstummte. ‚Er ist nicht der Typ, der leichtfertig küsst‘, das hatte ich
sagen wollen, aber woher wollte ich das denn wissen? Ich kannte ihn erst seit
gut sechs Wochen und hatte ihn, außer ihm Wawawoom mit dem Spargeltarzan, noch
nie in einer Situation erlebt, die zu leichtfertigem Küssen einlud.
Dennoch: Er hatte ‚deine
Freunde‘ gesagt, heute Morgen. Und ‚Solange du mit den Bedingungen ein Problem
hast, fasse ich dich nicht an‘ bedeutete doch, dass er hoffte, dass sich
mein ‚Problem‘ legen würde.
„Dann genieß es doch
einfach.“
„Wie?“
„Wie gesagt, er ist erwachsen
und weiß, worauf er sich einlässt“, begann Klaus, „Wenn es dir gefällt, dann
genieß es doch einfach. Versuch, dich zu entspannen. Vielleicht kannst du ihm
irgendwann doch vertrauen.“ Er verzog den Mund etwas. „Wenn nich’, hast du’s
wenigstens versucht.“
Ja, aber … würde
Mischa das nicht noch mehr verletzen?
***
Mischa und ich hatten uns für
einen dieser Animationsfilme entschieden, die ebenso für Kinder wie für
Erwachsene waren. Der Film war locker-flockig, ein bisschen Drama mit
garantiertem Happy End, genau so, wie man sich das eigene Leben wünschte, aber
selten bekam.
„Möchtest du noch was trinken
gehen?“, fragte er, als wir aus dem großen Multiplex herauskamen, und ich
nickte, weil er so nah neben mir lief, dass seine Schulter alle paar Schritte
gegen mich stieß, und weil wir die Frühvorstellung gewählt hatten und es
deshalb erst acht Uhr war. Es war zwar kein Date, aber um acht kam man noch
nicht vom gemeinsamen Zeitverbringen zurück, so viel war mir klar.
Und, weil Mischa mir auf das
Nicken hin dieses überbreite, leicht alberne aber gerade deshalb so verdammt
anziehende Grinsen schenkte, das eine Kolonie von Riesenschmetterlingen in
meinem Bauch aufstieben ließ.
Wir gingen in einen
Coffeeshop in der Nähe, weil ich nach dem Bier am Nachmittag lieber etwas
kürzer treten wollte. Ich konnte weder eine Dummheit heute Abend noch einen
Kater morgen früh brauchen. Das Lokal war stylish, modern und zu drei Vierteln
mit jungen Leuten und ihren überteuerten, leuchtenden Laptops und glänzenden
Smartphones belegt. Ich mochte es eigentlich etwas gemütlicher und leerer, aber
das hier war in der Nähe des Kinos und sauber und … und es gab
eigentlich immer noch ein paar freie Plätze, was Samstagabend in der Gegend
nicht selbstverständlich war. Das musste reichen. Den Gedanken, dass ich mit
Michael oft vor dem Kino hier was trinken gewesen war, schob ich beiseite. Ich
war schließlich mit Mischa hier, nicht mit Michael. Und
Mischa … nun …
Vielleicht … vielleicht
war er ja wirklich nicht wie –
„Was möchtest du?“, fragte er
mich, während er einen unbelegten Tisch ansteuerte, dessen Höhe nach Stühlen
verlangte, der aber unpraktischerweise vor einem alten Sofa stand. Er zog seine
Jacke aus und warf sie auf die Rückenlehne.
„Einen Latte Macchiato“,
erwiderte ich, „wenn man hier so etwas Langweiliges überhaupt bekommt.“
„Ich schau mal, was sich
machen lässt. Falls ich in fünfzehn Minuten noch nicht wieder zurück bin, dann
haben die mich mit der Auswahl zwischen zwanzig verschiedenen
südwestkolumbianischen Kaffeesorten überfordert und ich brauche deine Hilfe.
Ich kann doch auf dich zählen?“
„Natürlich. In fünfzehn
Minuten eile ich zu deiner Rettung und schlage dem Kaffeemonster den Kopf ab.“
„Mein Held.“ Er grinste,
beugte sich zu mir und drückte mir flugs einen Kuss auf die Wange, bevor er
sich auf den Weg zur Theke machte.
Das war jetzt der dritte. Den
ersten hatte er mir noch im Hausflur gegeben, den zweiten kurz vor Filmbeginn
im Kino, den dritten jetzt. Wenn ich ehrlich war, wusste ich nicht, wie ich
darauf reagieren sollte. Es war mehr als ein typisches Küsschen auf die Wange, fester,
intensiver, aber … aber eben doch ein Kuss auf die Wange, so spontan
und schnell, dass er schon wieder aufrecht stand, noch bevor ich kapiert hatte,
was passiert war. Das war doch … keine Ahnung, was es
war – genau das war ja das Problem: Ich konnte es nicht einordnen.
Wenn er mich küssen wollte, konnte er es dann nicht richtig tun?
Ganz abgesehen davon, dass
diese Mini-Küsse schon ausreichten, um meine Denkfähigkeit auszuschalten.
Mischa war leider wie Anti Brumm für Hirnzellen: Ein kleines Küsschen und die
Dinger waren für bis zu acht Stunden ausgeschaltet.
„Wie war eigentlich dein
Treffen mit Klaus?“, fragte Mischa, als er neben mir saß und mir meinen Latte
reichte, „Hat er den Friseur überlebt?“
„Nur knapp“, erwiderte ich
grinsend und löffelte den Schaum, „aber es war schön, ihn mal wieder zu
sehen – auch wenn ich ihm wohl keine große Hilfe war. Ich glaube, er
war einfach froh, sich mal auskotzen zu können und jemanden zu haben, der
zuhört.“ Noch ein Löffel. Warum verkaufte eigentlich niemand Milchschaum ohne
alles? Das war doch eh der beste Teil des Kaffees. „Bei mir war’s jedenfalls
so.“
Er musterte mich kurz von der
Seite. „Wenn du jemanden brauchst, der zuhört …“
„Mit dir kann ich nicht
reden“, erwiderte ich schüttelte den Kopf – und sah im nächsten
Moment, dass ich ihn, mal wieder, vor den Kopf gestoßen hatte. Scheiße! Ich
wollte doch netter sein!
„Also, ich …“, begann
ich viel zu rasch und haspelig, „ich – ich kann mich ja schlecht bei
dir über dich ausheulen, oder? – Wobei, ausgeheult habe ich mich
nicht, nur halt … geredet.“ Ich fuchtelte mit dem Löffel in der Hand
herum und war mir entfernt bewusst, dass ich mich gerade zum Affen machte. „Und
Klaus hat zugehört und mir dann gesagt, was er davon hält.“
Mischas Blick blieb ruhig auf
mich gerichtet, während er meine Hand nahm. Ich verhakte meine Finger mit
seinen und er lächelte.
Gut. Krise abgewandt.
„Und was hat er gesagt?“
Oh. Die Frage war jetzt
voraussehbar gewesen, hm? Ich wollte meine Hand wegziehen, aber er hielt sie
fest.
„Er hat gemeint,
dass … also, dass ich es versuchen soll. Und wenn es nicht klappt,
klappt es eben nicht. Seiest ja ein großer Junge, der wisse, worauf er sich
einlässt.“
Mischa grinste. „Der ist mir
eindeutig sympathischer als seine Freundin.“
Ja, das konnte ich mir
vorstellen.
„Aber fürs Protokoll: Du
kannst sehr wohl mit mir darüber reden. Fände ich sogar gut.“
„Wenn ich mich bei dir
über dich ausheule?“, erwiderte ich skeptisch, „Ja, das käme sicher
super.“
„Ich dachte, du hättest dich
nicht ausgeheult?“, spöttelte Mischa und lachte. „Du könntest mir ja von ‚einem
Freund‘ erzählen, der deinen Rat braucht, weil er einen unglaublich heißen
Typen kennengelernt hat und auch noch mit ihm zusammenwohnt, aber …“
Er ließ den Satz in der Luft
hängen.
Ich nahm meinen Latte und
brummte in den nicht mehr vorhandenen Milchschaum: „Erstens wäre das gelogen
und ich bin ein saumieser Lügner, und zweitens wär das so gar nicht
offensichtlich.“
Und nein, das mit dem
‚unglaublich heiß‘ würde ich noch nicht einmal versuchen abzustreiten. Wäre eh
verlorene Liebesmüh, der Junge hatte einen Spiegel zu Hause.
Er zuckte mit den Schultern.
„Ist das nicht der Sinn davon? Und ich würde dann wissen, wie du die Situation
beschreiben würdest.“
„Als verwirrend“, platze ich
heraus und Mischa … strahlte mich an? Hatte ich was verpasst?
„‚Verwirrend‘ ist tausendmal
besser als ‚aussichtslos‘“, erklärte er und gab mir einen dieser raschen Küsse
auf den Mundwinkel, „und ziemlich sicher besser als die Antwort, die ich
gestern noch gekriegt hätte.“
Da…
Da hatte er wahrscheinlich
Recht. Leider. Irgendwie. Scheiße! Das war nicht die Richtung, die ich
einschlagen wollte.
Ich knurrte frustriert, griff
in seinen Nacken und zog ihn zu mir. „Wenn schon, dann richtig!“, sagte ich und
küsste ihn. Die kleinen Küsschen verunsicherten mich nicht nur, sie machten
auch Lust auf mehr. Und er hatte ja gesagt, er wolle sich nicht verstecken
müssen. Also.
Mischa ging auf den Kuss ein,
unterbrach ihn aber schneller, als mir lieb war. Wenigsten blieb er nah, ließ
seine Hände an meinem Gesicht und meine auf seinen Schultern.
„Milo, wenn es … ‚nur‘
daran liegt, dass du mir, wegen deinem Ex, nicht vertraust – wenn das
der einzige Grund ist …“ Ein kleiner Kuss auf meinen Mund. „Vertrauen kann
man lernen. Aufbauen.“
Offenbar. Nur auf die Anti
Brumm-Wirkung konnte ich den Wechsel von ‚aussichtslos‘ – treffendes
Wort, hohl war er nicht – zu ‚verwirrend‘ nicht schieben, wenn ich
ehrlich zu mir war. Dennoch: Die Vorstellung, Mischa eine Chance zu geben
war … beängstigend. Mischa war einfach intensiver als alle bisher und
wenn das schief ging, würde ich nicht heil rauskommen, das stand fest.
Statt eine kluge Antwort zu
geben küsste ich ihn wieder. Das konnte ich wenigstens.
„Erzähl mir was von dir“,
forderte er mich auf, als wir wieder anständig nebeneinander saßen. Mit leicht
geschwollenen Lippen, zwar, aber wir waren hier ja im einundzwanzigsten
Jahrhundert, da durften zwei Jungs schon mit rotgeknutschen Lippen im
Coffeeshop sitzen.
„Zum Beispiel?“
„Hast du Geschwister?“,
begann er, ließ mir aber keine Zeit zu antworten, „Wie und wo hast du Klaus
kennengelernt? Warum ist jemand mit so sympathischen Ansichten wie er mit
jemandem zusammen, der so unsympathische Ansichten vertritt wie Anita? Welches
ist deine Lieblingseissorte? Wie, wo und wann hast du dich geoutet? War Rec
gestern der schlimmste Film deines Lebens oder gibt’s noch grässlichere? Was
wünschst du dir von einer Beziehung? Harry Potter oder Herr der Ringe?“
Ich sah ihn überfordert an.
„Äh …“
Mischa grinste. „Irgendwas,
Milo. Ich sag doch, ich möchte dich kennenlernen.“
O…kay?
Kennenlernen. Fragen
beantworten. Das konnte ich. War ja nicht so schwierig. Hatte er heute Morgen
auch gemacht. Auch, wenn ich nur zwei Fragen gehabt hatte.
„Ja, eine Schwester, Rosa,
sie ist elf“, begann ich und lächelte beim Gedanken an sie, „Und sie ist auch
für mein schlimmstes Filmerlebnis verantwortlich: Sie hat mich schon mindestens
zehnmal gezwungen, mir Vom Winde Verweht mit ihr zu anzuschauen.“ Ich verzog
alleine bei der Erinnerung daran das Gesicht. „Dagegen machen Rec und du
leider nur den zweiten Platz, vor allem, weil ich weiß, dass ich mir den nie
wieder antun muss.“
In Mischas Augen blitze der
Schalk auf und ich hob warnend den Finger, bevor er auch nur etwas sagen
konnte. „Nie wieder, das meine ich ernst. Auch keine der Fortsetzungen!
Da kannst du noch so traurig gucken, da wird nichts draus.“
„Traurig gucken, ich?“,
fragte er und sah mich ein wenig verwirrt an, aber ich hatte nicht vor, ihm diesen
enttäuschten Gesichtsausdruck von ihm und die Wirkung auf mich zu erklären. Er
wusste schon, was sein Lächeln und seine Küsse anstellten, das musste fürs
Erste reichen.
„Klaus … wie ich ihn
kennengelernt habe?“, fragte ich nach, weil ich mir nicht mehr sicher war, was
er alles hatte wissen wollen.
Mischa nickte. Und ließ den
neandertalisch-eleganten Themawechsel durchgehen.
„In der Schule. Eigentlich im
Kindergarten, aber wir haben uns erst im Gymnasium wirklich kennengelernt,
und das vielleicht auch nur, weil wir die da einzigem aus unserem Dorf waren.“
Ich zuckte mit der Schulter. „Wirklich sozial war ich schon damals nicht, und
an Bauernfesten und Jugendpartys hatte ich auch herzlich wenig Interesse
gehabt. Dito für Klaus – und irgendwie hat diese eine Gemeinsamkeit
gereicht, um ’ne Freundschaft entstehen zu lassen. Anitas Familie ist mit
vierzehn zu uns in Dorf gezogen und die beiden sind zusammen, seit sie sechzehn
sind.“ So ganz hatte ich es mir am Anfang nicht erklären können, aber sie
passten auf eine verquere Weise wirklich zusammen. Klaus ließ sich von Anita
nicht aus der Ruhe bringen und wusste, wann er die Klappe zu halten hatte.
Anita war selbstständig genug, um ihm die viele Zeit vorm Computer nicht
nachzutragen, und gleichzeitig resolut genug, um ihm selbst zu sagen, dass sie
mehr wollte. Klaus hätte das damals nicht hingekriegt.
„Eissorte: Schokolade-Minze“,
fuhr ich fort und bekam langsam wirklich Probleme mit den Fragen, „Herr der
Ringe und Harry Potter. Ich mag beide.“ Ich trank einen Schluck, um in dem
Schweizer Käse, der sich mein Hirn nannte, nach den anderen Fragen zu suchen.
Was hatte er denn noch –
„Mein Outing“, sagte ich
lauter, als nötig, und sah ihn dann an, „Na ja, da gibt’s nicht viel zu
erzählen: Ich war vierzehn, Sabine, die in Mathe neben mir saß, lud
mich – warum auch immer, wir hatten davor noch keine zehn Worte
miteinander gewechselt – zu einer Party ein und ich, Taktgefühl in
Person, das ich bin, antwortete: ‚Sorry, aber ich glaube, wenn, dann würde
ich lieber mit einem Jungen hin.‘ Und dann war’s plötzlich still im Zimmer
und mir wurde bewusst, was ich da gesagt hatte.“
Mischa lachte. „Einfach so?“
„Ich glaub, ich war gerade
gedanklich beim Hintern von irgendeinem Schauspieler gewesen. So ganz habe ich
wohl erst in dem Moment, als ich es gesagt hab, verstanden, was das bedeutet.“
„Wie haben sie reagiert?“,
fragte er vorsichtig und ich lächelte beruhigend.
„Ganz okay, die meisten. Die
Jungs haben zwar erst gemeint, sich brüskieren zu müssen, aber nach ’ner Woche
war Ruhe. Meine Eltern hatten es eh schon geahnt, zusammen mit der Hälfte der
Dorfgemeinschaft; ich war ja immer schon ein wenig ‚anders‘ gewesen,
eigenbrötlerisch und so. Schwulsein passte da ihrer Ansicht nach wohl ganz gut
zu.“
Ich nippte wieder an meinem
Kaffee und bemerkte, dass ich nur noch ein, maximal zwei Schlucke hatte. Ich
musste wohl langsamer trinken, sonst dachte er noch, ich wolle gehen.
„Bei dir?“, fragte ich nun
und beobachtete seine Reaktion, „Du hast gesagt, dieser Oliver sei in der
Schule dein einziger Freund gewesen … kann ich mir irgendwie nicht
vorstellen.“
Er hob belustigt die
Augenbrauen. „Nein?“
Ich schüttelte den Kopf. „Na,
du bist so …“ Mein Blick wanderte einmal an ihm rauf und runter.
„… gesellig“, beendete ich den Satz dann sehr wortgewandt.
„Gesellig, ja? Hab ich auch
noch nie gesagt bekommen.“ Mischa grinste, wurde dann aber ernst. „War ich aber
in der Schule nicht. Ich …“ Er stoppte, legte sich offenbar die Worte
zurecht.
„Wenn du nicht
darüber …“
Er unterbrach mich. „Doch,
sicher. Ich freu mich ja, wenn du Dinge über mich erfahren möchtest.“
Oh. Hm.
Ähm … das hörte
sich verdächtig danach an, als würde er zu viel hineininterpretieren. War ja
schließlich nur eine Frage.
Ich meine, natürlich
interessierte es mich. Immerhin war er mein Mitbewohner und … eben
Mischa. Aber das bedeutete nicht …
Ja, was eigentlich? Ach, so
’ne Bullenkacke!
„Sagen wir’s so: Ich war bis
dreizehn klein und rund und bin dann viel zu schnell viel zu viel in die Höhe
geschossen. Mein Selbstbewusstsein war vorher schon nicht super
gewesen – ich mein, wessen ist das schon, in dem
Alter? – aber danach hat einfach nichts mehr zusammengepasst und ich
war … schlaksig und linkisch und habe mich verdammt unwohl gefühlt.
Dazu kam meine Vernarrtheit in Mathe, dass ich schwul war …“
Er unterbrach sich selbst und
schüttelte den Kopf. „Nein. Eigentlich gab’s nur einen Grund: Ich kam mit mir
selbst nicht klar und fand kein angemessenes Ventil für den ganzen Frust und
die Wut und …“ Er fuhr sich durch die Haare und sah mich verlegen an. „Ich
hatte ein Aggressionsproblem, wäre einmal auch fast von der Schule geflogen.“
„Du?!“, rief ich ohne
nachzudenken, „aber du bist doch so – ruhig? Beherrscht?“
„Heute, ja“, antwortete er
sanft, „aber das musste ich lernen. Der Schulpsychologe meinte, ich solle mit
Sport anfangen und nach einigem Hin und Her bin ich beim Boxen gelandet. Das
hat geholfen: Ich bekam Bewegung, dem Sandsack haben meine Schläge nicht
wehgetan, ich hatte ein Ziel – gut genug zu werden, um mich an Mike
messen zu können …“ Er grinste bei der Erinnerung. „… Ich hab Freunde
gefunden, eine Beschäftigung. Und als ich irgendwann gemerkt habe, was das
Training mit meinem Körper anstellt, war ich auch nicht gerade traurig darüber.“
Noch ein Grinsen und dazu ein Zwinkern.
Mischa sah gut aus, wenn er
zwinkerte.
Er trank seinen Kaffee aus.
„Ich habe dir ja gesagt: Ich trainiere, um Stress abzubauen.“
Das hatte er, ganz am Anfang
mal. Aber ich hatte nicht weiter darüber nachgedacht.
Ich musterte ihn, die
trainierten Arme, die in kräftige Schultern übergingen, den definierten
Unterkiefer, das markante Kinn, die schmalen Lippen, über die Nase zu den
Augen, deren Blick abwartend auf mir lag. Nein, als schlaksigen und linkischen
Teenager konnte ich ihn mir so gar nicht vorstellen.
„Hast du Fotos von damals?“
Er lachte irgendwie
erleichtert und schüttelte den Kopf. „Die kriegst du nicht zu sehen, bis ich
sicher sein kann, dass du nicht schreiend wegläufst. Außerdem habe ich sie in
vorausschauender Weisheit bei meinen Eltern gelassen.“
„Wie gemein“, erwiderte ich
und trank schweren Herzens mein Glas ebenfalls leer. Wir würden wohl bald
gehen. Wir hatten ja auch genug Zeit miteinander verbracht in den letzten beiden
Tagen …
„Moment mal!“, rief ich und
musterte Mischa eindringlich. Er sah mich fragend an. „Wieso bist du eigentlich
nie … verletzt?“
Er blinzelte. „Möchtest du
mich verletzt sehen?“, zog er mich auf, „Vielleicht Krankenschwester spielen?“
Ich knuffte ihn in die
Schulter. „Natürlich nicht – und das heißt ‚Gesundheits- und
Krankenpfleger‘ heutzutage. Nein, ich mein nur … sind Boxer nicht
meist grün und blau?“
Er lachte und schüttelte den
Kopf. „Nach einem harten Kampf vielleicht. Aber ich nehme nicht an Wettkämpfen
teil. Hab ich ein paar Mal gemacht und die Lust verloren.“ Er zuckte mit den
Schultern. „Meist trainiere ich für mich, arbeite mit Mike an der Technik oder
mache Sparring. Ich will nicht gewinnen, sondern besser werden.“
Ich ließ mir das durch den
Kopf gehen. „Der Weg ist das Ziel, hm?“ Auf eine verquere Weise passte es zu
Mischa.
„So in etwa.“ Er nickte und
wir schwiegen eine Weile. Ich versuchte, gleichzeitig die neuen Infos zu
verarbeiten und nicht daran zu denken, dass unsere Tassen leer waren, und kam
keinen Schritt weiter. Schließlich holte mich Mischas Bassbariton aus dem
Dilemma.
„Milo?“
Ich sah fragend auf.
„Ich hab, seit ich Mike
getroffen habe, niemanden mehr außerhalb des Ringes geschlagen – das
war seine Bedingung, mich aufzunehmen. Ich würd so was auch nicht mehr tun.“
„Hab ich auch nicht
angenommen“, erwiderte ich leicht baff, bevor der Groschen fiel. „Mischa“,
fügte ich rasch hinzu und legte meinen Hand auf seinen Unterarm, „wenn
überhaupt, hast du zu viel Selbstbeherrschung. Gestern Nacht zum
Beispiel hätte ich mir gewünscht, dass du sie verloren hättest.“ Und damit er
mir auch wirklich glaubte, dass das Geständnis über seine Jugendsünden kein
‚Rückschritt‘ ausgelöst hatte, küsste ich kurz aber bestimmt. Nur deswegen
natürlich.
Als ich mich wieder
zurücksetzen wollte, hielt er mich fest.
„Ich hoffe ja, sie bald
ablegen zu können“, murmelte er, drückte seine Lippen noch einmal gegen meine
und ließ mich dann los. „Du hast mir eine Frage noch nicht beantwortet.“
„Welche?“
„Was wünschst du dir von
einer Beziehung?“
Oh. Ja, das hatte er gefragt.
War es mir zu verdenken, dass ich gerade diese vergessen hatte? Auch wenn
‚verdrängt‘ wohl die bessere Wortwahl war.
Mischa wartete auf die
Antwort und ließ mich dabei nicht aus den Augen. Aber was konnte ich antworten,
wenn ich doch keine Ahnung hatte, wie meine Antwort aussah?
Schließlich seufzte ich und
zuckte mit den Schultern. „Darüber habe ich noch nie genauer nachgedacht.“
Mischa blieb ruhig und schien
mir die Gelegenheit geben zu wollen, jetzt darüber nachzudenken.
„Jemand, der mich liebt,
natürlich“, fing ich an, das laut zu tun, „und den ich liebe – und
der treu ist. Und …“
Und was?
„… Der mich so
akzeptiert, wie ich bin …“, fuhr ich fort und merkte selbst, dass das nur
ein Standardsatz war. Damit passte er wenigstens zu „Jemand, der mich liebt und
den ich liebe“ – hallo, wer wünschte sich das nicht in einer Beziehung?
Geldgeile Flittchen mal ausgenommen.
Ich schüttelte unwillig den
Kopf und sah Mischa wieder an. „Kann ich darüber nachdenken und dir später
antworten?“
„Sicher.“ Er lächelte,
streckte die Hand nach meiner aus und spielte mit meinen Fingern. „Möchtest du
noch was?“
Ich nickte und stand auf.
„Diesmal geh ich. Was nimmst du?“
Aber Mischa schüttelte
bestimmt den Kopf, stand ebenfalls auf und drückte mich weder auf das Sofa.
„Beim nächsten Mal, vielleicht. Wenn du mich fragst, ob ich ‚Zeit
mit dir verbringen‘ möchte, darfst du bezahlen, falls du das willst. Heute habe
ich gefragt, und ich möchte bezahlen, also werde ich das auch tun.“
„Das ist wieder eine der
Regeln, die du erfindest, weil sie dir gerade in den Kram passen, oder?“,
fragte ich halb säuerlich, halb grinsend, „Wie das mit den Zinsen, wenn ich die
‚Bezahlung‘ für die Nachhilfe nicht schnell genug liefere.“
„Sind das nicht die besten?“
Er grinste breit und so gar nicht schuldbewusst. „Noch’n Latte oder was
andres?“
Wie gut, dass das hier kein
Date war. Nein, ich verbrachte nur meinen Samstagabend damit, mit einem heißen Typen erst ins Kino
und dann was trinken zu gehen, und ließ mich von ihm auch noch einladen. Oh,
und ich überprüfte alle paar Minuten, ob seine Lippen immer noch so weich waren
wie zuvor. Aber Date war ja anders.
Ich war ein Idiot. Und ich
hatte keine Ahnung, wie ich mich hier wieder herausmanövrieren sollte.
***
Ich streckte die Füße von mir
und schloss die Augen. Im Hintergrund klang leise Popmusik aus den
Lautsprechern. Die Stille war angenehm. Es war schön, hier zu sitzen und auf
ihn zu warten. Es war eben schön gewesen, seine Nähe zu spüren und mich mit ihm
zu unterhalten.
„Milo?“
Mit einem Mal war alle
Entspannung verflogen. Mein Kopf ruckte hoch und mein Herz setzte aus.
„Hey … lange nicht
mehr gesehen.“ Michaels himmelblaue Augen sahen mich an, kurz an mir rauf und
runter. „Wenn das kein Zufall ist.“
Ja. Aber nur, wenn die
Definition von ‚Zufall‘ seit Neuestem ‚generelles vom Leben Geficktwerden‘ war.
Das war doch jetzt ein schlechter Witz, oder? Michael konnte ich in dem ganzen
Gefühlschaos wirklich nicht brauchen, vor allem, da er immer noch gleich aussah
und mich immer noch gleich ansah, mit diesem Blick, der mir das erste
Mal im Leben das Gefühl gegeben hatte, mehr als nur eine schnelle Nummer zu
sein.
Vielleicht sollte mich das mit
dem Aussehen nicht überraschen, es war schließlich noch keine vier Monate her,
seit ich ihn das letzte Mal gesehen hatte. Seine blonden Haare waren oben ein
bisschen länger und unten ein bisschen kürzer geworden, aber
ansonsten … er hatte sogar noch den Anhänger um, den ich ihm letztes
Weihnachten geschenkt hatte. Als wäre nichts passiert. Als hätte er nicht den
Spargeltarzan in unserem Bett gefickt – und, Scheiße, auch
wenn die Wohnung vielleicht immer nur seine Wohnung gewesen war,
wenigstens das Bett hatte mir auch gehört, ich hatte ja geholfen, es
auszusuchen – und ich hatte jede Nacht darin geschlafen, verdammt
noch mal!
Sein Lächeln war auch immer
noch dasselbe, eine Mischung zwischen Lächeln und Grinsen, das die Grübchen in
seinen Wangen andeutete, die man aber nur dann wirklich sah, wenn er richtig
lachte. Michael hatte ein schönes Lachen.
„Bist du mit Anita hier?“,
fragte er ohne sich umzusehen und setzte sich neben mich, „Wollt ihr ins Kino?“
Dann, als wäre es das Normalste der Welt, streckte seine Hand aus und zupfte an
meinen Haaren, fuhr mir sanft über die Wange. Er trug sogar immer noch die
gleichen beiden Silberringe an der Rechten. „Du siehst gut aus.“
„Was machst du hier?“,
presste ich mit einiger Anstrengung zwischen meinen Lippen hervor und hielt
mich nur mit Mühe selbst davon ab, an den Rand des Sofas zu rutschen.
„Ich wollte mit Thorben und
Dom in den neuen James Bond.“ Er zeigte schräg hinter sich. Tatsächlich, dort
ließen sich gerade zwei seiner Kumpel auf zwei Sessel fallen. „Hast du nicht
Lust mitzukommen?“
„Wieso sollte ich?“ ‚Gekeift‘
wäre das richtige Verb zu den Worten gewesen, wenn meine Stimme nicht so leise
geblieben wäre. Scheiße, warum hatte ich nur dieses Lokal gewählt? Wir hätten
sicher auch anderswo einen freien Tisch gefunden und ich wusste schließlich,
das Michael hier hin ging, wenn er ins Kino wollte. Und Michael ging gerne ins
Kino.
„Du stehst doch auf
Actionfilme. Und Daniel Craig.“ Das Grinsen diesmal war um einiges anzüglicher
und füllte meinen Kopf mit Erinnerungen, die ich lieber nicht mehr haben
wollte. „Und danach können wir endlich reden. Das ist längst überfällig.“
„Du hattest deinen Schwanz im
Arsch eines anderen – da gibt’s nichts mehr zu bereden!“ Okay, nun
war ich dem wahren Keifen schon um einiges näher. Das war nicht gut. Michael
war Geschichte und genau so sollte ich ihn auch behandeln.
„Babe, nicht hier“,
ermahnte er mich, „Ich habe die ganze Zeit versucht, dich zu erreichen, aber du
hast mich immer weggedrückt. Und als ich mich durchgerungen habe, Anita nach
deiner neuen Adresse zu fragen, wollte sie sie mir nicht geben.“
„Ich habe deine Nummer
blockiert“, erwiderte ich automatisch, „von deinen Anrufen hab ich nichts
mitbekommen.“ Und Anita wusste, dass ich ihn nicht sehen wollte. Die
blockierten Anrufe waren ja wohl deutlich genug.
„Oh.“
Ja, oh.
„Milo, es tut mir leid“,
begann er eindringlich, „Ich habe einen Fehler gemacht. Ich hatte
nicht … ich hatte mir eingeredet, dass …“ Da war er wieder, der
Blick, mit dem er mich immer kleingekriegt hatte. Und auch diesmal wollte ein
Teil von mir, ein kleiner, aber dennoch lautstarker Teil, dass ich ihm
zumindest zuhörte. Das konnte ja nicht schaden, oder?
„Ich vermiss dich. Die
Wohnung ist so leer und … können wir reden? Bitte.“ Michael nahm meine
Hand. „Irgendwo, wo wir unter uns sind.“
Die Berührung fühlte sich so
vertraut an, aber sie gab mir nicht mehr das Gefühl von Verbundenheit und
Wärme, dass sie mir vorher immer gegeben hatte. Nein. Ich wollte nicht reden
und ich wollte nicht mit ihm ‚unter uns‘ sein. Ich wollte, dass er ging und
mich den Rest des Abends genießen ließ. Aber ich wollte ihm hier auch keine
Szene machen, sonst würde Mischa die nur mitbekommen und dann wäre der Abend
sicher gelaufen.
„Milo, ist alles in Ordnung?“
Wenn man vom Mischa
sprach …
Er stand mit zwei heißen
Pappbechern schräg hinter Michael. „Sie hatten keine sauberen Tassen mehr“,
fügte er hinzu und kam dann um das Sofa herum, um die Becher auf den Tisch zu
stellen. Er musterte Michael, dann zu unseren Händen.
Mein Herz fiel mir in den
Magen und ich zog meine Hand weg, als hätte ich mich verbrannt. Mischa würde
das doch nicht falsch verstehen, oder?
Michael sah von mir zu Mischa
und taxierte ihn mit einem überraschten Blick, bevor sich Verstehen auf seinem
Gesicht ausbreitete.
„So schnell?“, fragte er
leise und sah mich geschockt an.
„Michae…“
Er lachte, aber es war nicht
sein schönes Lachen. „Scheiße, du hast ja echt nix anbrennen
lassen – und er passt auch perfekt in dein Beuteschema. Gut für
dich!“ Er stand auf. Sein Blick wandelte sich zu wütend
und – verletzt. Warum zum Teufel sah er mich so an?
„Als du mich wegen dem
Kleinen verlassen hast, da dachte ich echt, ich hätte mich getäuscht, aber dir
kann nicht viel an uns gelegen haben, wenn du so schnell Ersatz für mich
gefunden hast! Und das, wo du immer gesagt hast, dass du bei so was Zeit
brauchst.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich Idiot hab mir auch noch ein schlechtes
Gewissen gemacht.“
„Das – Mischa ist
nicht dein Ersatz!“, fuhr ich ihn an, aber er lachte nur wieder.
„‚Mischa‘? Zu geil.“
Er wandte sich zu Mischa und grinste ihn an. „Bist also echt nur ’ne billige
Kopie. Ich hoffe für dich, dass du nur ’nen heißen Fick
suchst – darin ist er gut, geht richtig ab, aber es geht ihm am Arsch
vorbei, wer da gerade in ihm steckt, solange derjenige trainiert genug ist.“
„Micha!“, rief ich und sprang
vom Sofa auf. Fantastisch, nun machte ich – oder machten wir –
doch eine Szene. Ich wollte ihn am Arm packen und ihn zu mir umdrehen, aber er
ignorierte mich.
Mischa musterte Michael und
erwiderte: „Lass das mal meine Sorge sein.“
Wenigstens einer blieb hier
ruhig.
„Ja, genau das habe ich
anfangs auch gedacht. Wetten, in ein paar Monaten stehst du an meiner
Stelle – wenn du schlau bist. Wenn nicht, belügst du dich halt noch
länger selbst.“
„Was soll die Scheiße?!“,
knurrte ich und riss ihn nun doch zu mir herum, „Du kannst mir nicht vorwerfen,
dass ich über drei Monate nach der Trennung mit jemandem einen Kaffee
trinken gehe, wo du noch nicht einmal auf die Trennung gewartet hast, um dir
wen Neues zu suchen! Hör gefälligst auf, hier einen auf Opfer zu machen!“
„Ich habe mir nicht ‚wen
Neues‘ gesucht!“ Michael machte sich mit einer heftigen Bewegung von mir los.
„Ich bin auch nicht mit ihnen ‚Kaffee trinken‘ gegangen – und hättest
du mir nicht wieder und wieder bewiesen, dass es dir scheißegal war, wenn mich
ein anderer Kerl angemacht hat – verdammt noch mal, sogar wenn ich in
deiner Gegenwart drauf eingestiegen bin! – dann wäre ich gar nicht
erst auf die Idee gekommen, andere Kerle zu ficken! War für mich schließlich
auch das erste Mal.“
„Jetzt ist es also meine
Schuld, dass du deinen Schwanz nicht in der Hose behalten konntest? Hast du sie
eigentlich noch alle?!“ Ich hatte alle Mühe, ihn nicht anzuschreien; eigentlich
hätte ich mir das sparen können, wir hatten uns sowieso schon längst die
Aufmerksamkeit des gesamten Coffeeshops gesichert. „Ich habe dir vertraut, du
Arschloch!“, zischte ich.
„Sorry, Schätzchen, aber du
verwechselst Vertrauen mit Gleichgültigkeit. Ich habe ja noch nicht mal
versucht, es vor dir zu verstecken, also erzähl mir nicht, dass du es wirklich
erst bei dem Letzten kapiert hast.“
Ich setzte zu einer Antwort
an, aber plötzlich fiel meine Wut in sich zusammen.
Kerle.
„Andere Kerle.“
„Was?“ Michael sah mich verständnislos
an, aber ich erklärte mich nicht. Ich starrte ihn an, sah direkt in seine
schönen, himmelblauen Augen und brachte keinen Ton heraus.
Kerle. Plural.
Ich hatte es vermutet, ja,
aber etwas zu vermuten und es vom Exfreund ins Gesicht geknallt zu bekommen,
war etwas anderes. Der Spargeltarzan war nicht der einzige gewesen, bei Weitem
nicht. Und er hatte nicht einmal versucht, es zu verheimlichen. Ich war
schlichtweg zu dumm gewesen, es zu sehen.
„… Milo?“
Als wäre Mischas Stimme der
Auslöser, spürte ich, wie meine Augen anfingen zu brennen, während ich Michael
immer noch anstarrte.
Schnell wandte ich mich ab
und schnappte meinen Mantel. Ich wollte hier weg. Weg von den Leuten, weg von
Michael, weg von allem.
„Kommst du?“, fragte ich in
Mischas Richtung, ohne ihn direkt anzusehen. Und bevor ich noch vor
versammelter Mannschaft heulte, wandte ich mich ab und ging.
***
Okay, ich ‚ging‘ aus dem
Coffeeshop, aber ich eilte die Straße runter, während ich meinen Mantel
anzog. Ich wollte einfach nur noch weg.
Wie konnte er mir die Schuld
daran geben? Ich war treu geblieben, verdammt noch mal! Ich hatte keine anderen
Kerle gebraucht, um mir die einsamen Stunden zu versüßen.
‚Einsame
Stunden‘ – waren sie das gewesen, für Michael?
„Hey!“ Mischa kam neben mir
an, schlitterte von Rennen zu Gehen und stieß kleine Atemwölkchen in die kalte
Novemberluft. „Renn doch nicht so.“
„Ich renne nicht.“ Ich hatte
gefasst und distanziert klingen wollen, aber ich klang einfach nur müde, sogar
in meinen Ohren.
Hatte ich wirklich Micha das
Gefühl gegeben, er sei mir egal?
„Aber du gehst verdammt
schnell.“
Michael war mir nicht
gleichgültig gewesen. Wie konnte er das sagen?
Am Anfang war er stärker in
mich verliebt gewesen als ich in ihn, ja, aber … das hieß nicht, dass
ich keine Gefühle für ihn entwickelt hatte. Ich hatte nur etwas länger dafür
gebraucht als er. Und vielleicht hatte ich ihm nicht täglich aufs Neue meine
unsterbliche Liebe geschworen, aber als gleichgültig konnte man mein Verhalten
sicher nicht bezeichnen. Ich war mit ihm zusammengezogen, verdammt, obwohl ich
mich im Studentenheim wohl gefühlt hatte und die sogar halbe Miete seines
Apartments ein ganzes Stück teurer als die Zimmermiete gewesen war! So was tat
man nicht für jemanden, der einem egal war – das musste er doch
wissen!
Mischa schlüpfte in seine
Jacke.
„Das war also Michael.“
„Lass es.“ Wieder war meine
Stimme kraftlos, aber wenigstens hatte ich das mit dem distanziert hinbekommen.
„Was denn?“ Er wich einem
entgegenkommenden Pärchen aus und sah mich verständnislos an. Als ich
weiterging, ohne zu antworten, hielt er mich am Arm fest und drehte mich zu
sich. „Hey …“, begann er leise, ließ meinen Ärmel los und hob die Hand.
Ich wich der Berührung aus.
Er meinte es nur gut, er wollte nur da sein, das wusste ich – aber
gerade wollte ich das nicht. Seine Nähe würde mich nur wieder beduseln und das
Unausweichliche hinauszögern.
‚Genau das habe ich
anfangs auch gedacht.‘
Sogar Michael hatte gleich
bemerkt, dass sie sich viel zu ähnlich waren. Spätestens jetzt musste Mischa es
ebenfalls eingesehen haben.
Michael hatte vorher auch
noch keinen seiner Freunde betrogen – das hatte er doch damit
gemeint, dass es auch für ihn das erste Mal gewesen war, oder? Und er hatte
definitiv eine Beziehung und nicht nur Sex gewollt. Genau wie Mischa. Und ich
hatte mich in ihn verliebt – genau wie in Mischa. Und ich hatte
gedacht, dass er das auch wusste. Aber stattdessen hatte er gedacht, er sei mir
egal, und hat sich schließlich anderen Männern zugewandt.
Als ich den Blick hob, hatte
Mischa wieder diesen Gesichtsausdruck. Natürlich hatte er den; wenn jemand vor
der eigenen Berührung zurückwich, tat das weh. Wenn es dann noch in einer
Situation wie dieser und mit einem Hintergrund wie dem unseren geschah,
besonders. Dennoch, ich würde ihm den Ausdruck nicht nehmen können. Nicht,
solange ich ihn nicht anlog und ihm eine
Friede-Freude-Eierkuchen-Schmetterlingswelt vorspielte.
„Das hat keinen Sinn.“
„Milo …“
„Nein“, unterbrach ich ihn.
Nachdenken war fehl am Platz. Ich hatte meine Entscheidung doch längst gefällt
und ich musste endlich anfangen, nach ihr zu handeln. „Das hier, wir
haben keinen Sinn.“
Der Schock und das
Unverständnis in seinen Augen schnitten mir direkt ins Fleisch. Und ein Teil
von mir hätte mich gerade am liebsten umgebracht. Es fühlte sich sogar an, als
ob dieser Teil der größere der beiden war, aber der andere hatte die Kontrolle.
Und dann wichen Schock und
Unverständnis und seine Augenbrauen zogen sich zusammen. „Wegen dem, was er
eben gesagt hat?“, fragte Mischa, „Wegen ihm?“
„Du hast doch selbst …“
„Nein, ich habe verdammt noch
mal nicht!“, unterbrach er diesmal mich, „Vor allem habe ich keine
Ahnung, wo ich bitte Ähnlichkeit mit diesem blonden Armani-Model-Verschnitt
haben soll! Oder hat er etwa Recht und du siehst, wenn du mich anschaust,
wirklich nur ein paar Muskeln mit einem Schwanz?“
„Nein!“, rief ich und machte
einen kleinen Schritt auf ihn zu. Das dachte er nicht wirklich, oder?
„Wo also?“, fragte er lauter
als nötig und schob rasch hinterher: „Und wenn du jetzt auch nur andeutest,
dass wir charakterlich ähnlich seien, kann ich echt für nichts garantieren. Ich
habe meine Fehler, aber so erbärmlich, meinem Partner die Schuld für meine Fehltritte
zuzuschieben, war ich noch nie – und werde ich hoffentlich auch
nicht.“
„Michael ist nicht
erbärmlich“, widersprach ich ihm automatisch, „Er war verletzt und wütend und
du hast doch gehört, er …“ Ich brach ab.
„Er hat dich betrogen“,
erwiderte er wieder etwas ruhiger, „Sogar, wenn er wirklich dachte, du würdest
ihn nicht lieben, ist es nicht deine Schuld, wenn er so feige ist, und die
Beziehung absichtlich mit Fremdgehen ruiniert, statt den Mumm zu haben dich
darauf anzusprechen.“
„Du verstehst das nicht,
er …“ Ich wusste selbst nicht, was ich sagen wollte, und brach ab, bevor
ich es herausfand, denn Mischas Blick hatte sich verändert und er schüttelte
ganz leicht den Kopf.
„Wieso verteidigst du ihn?“
Ich – weil …
Aus Gewohnheit vielleicht,
weil ich ihn vor Anita immer verteidigt hatte?
„Ich weiß nicht“, antwortete
ich schließlich.
Mischa zögerte. „Hast du noch
Gefühle für ihn?“
„Nur negative.“
Er musterte mich, bevor er
fragte: „Und warum verteidigst du ihn trotzdem ohne zu zögern, während du noch
nicht mal in Erwägung ziehst, mir eine Chance zu geben?“
Es war kalt hier draußen, so
dass das Blut sich aus meinen Fingerspitzen zurückzog und sie taub zurückließ.
Das Licht der Straßenlampen und der umliegenden Geschäfte war hart und weiß;
Mischas Gesicht sah durch die Schatten älter aus. Nein, nicht nur wegen der
Schatten. Scheiße, es lief gerade verdammt schief.
„Abgesehen davon, dass ich
dich – warum auch immer – an ihn erinnere, habe ich
irgendetwas getan, dass dich denken lässt, ich würde so handeln wie
Michael?“
Ich schüttelte den Kopf.
Nein, rational gesehen, hatte ich keinen Grund, das zu denken. Nicht wahr?
Sogar wenn sie sich äußerlich wie ein Ei dem anderen ähneln würden, würde das
nicht bedeuten, dass sie gleich dachten und handelten. Aber dennoch, meine
Zweifel blieben.
… Wann hatten Herz und
Verstand eigentlich die Plätze getauscht? Am Anfang war es das Vernünftige
gewesen, mich von ihm fernzuhalten, aber mein Herz hatte dennoch allein beim
Gedanken an ihn Überstunden gemacht. Und nun sagte mir mein Verstand, dass
Mischa Recht hatte, aber ich konnte mich dennoch nicht fallenlassen.
„Milo, die einzige Art, wie
ich dir beweisen kann, dass ich treu bin, ist, es zu sein – aber
dazu musst du mir eine Chance dazu geben. Ich kann dir nicht beweisen, dass du
mir vertrauen kannst, wenn du mich auf Sicherheitsabstand hältst.“
„Ich weiß“, antwortete ich
leise. Ich wusste das ja, eigentlich.
Mischas Stimme war ebenso
leise, doch im Gegensatz zu meiner trotzdem fest. „Aber das ändert nichts,
oder?“
Ich schloss die Augen. Ich
wollte nicht darauf Antworten, aber Schweigen war Antwort genug.
Als er seufzte, hob ich den
Blick wieder. Er fuhr sich übers Gesicht, sah mich an und schien in meinem
Gesicht nach etwas zu suchen. Schließlich schloss er ebenfalls kurz die Augen
und schien innerlich auf fünf zu zählen. Als er mich wieder ansah, sah er
enttäuscht, verletzt und entschlossen aus.
„Aussichtslos passt
also doch besser.“
Ich brauchte einen Moment,
bis ich verstand, wovon er sprach.
„Sorry, ich hätte es gleich
kapieren sollen. Warst ja von Anfang an deutlich genug.“ Er wollte sich
abwenden, aber ich hielt ihn am Ärmel zurück. Wenn er jetzt ging, dann war es
vorbei, das war mir klar.
„Mischa …“
Er sah mich an.
„Ich …“ Es wäre gut
gewesen, wenn ich wenigstens jetzt gewusst hätte, was ich sagen wollte. Aber
das tat ich nicht. Ich hatte keine Ahnung, wie wir innert einer halben Stunde
von zufrieden knutschend auf dem Coffeeshopsofa
zu – zu – zu dem hier gekommen waren. Wie hatte der
Abend nur so den Bach runter gehen können? Wir hatten doch nur ins Kino gehen
wollen. Uns ein bisschen besser kennenlernen, das hatte er selbst gesagt. Ein
bisschen Zeit zusammen verbringen. Genau! Genau das hatte er gesagt.
„Können wir
nicht – einfach Freunde sein?“ So, wie er es vorgeschlagen hatte?
Natürlich war klar gewesen, dass er eigentlich mehr sein wollte als Freunde,
aber konnten wir nicht erst mal auf diese Stufe zurück und dann weitersehen?
Wenigstens, bis ich das Chaos in meinem Kopf geordnet hatte.
Aber Mischa schüttelte den
Kopf. „Ich bin ich dich verliebt, Milo. Ich will nicht daneben stehen, wenn du
jemanden kennenlernst, und ich werde mich nicht für dich freuen können, wenn du
eine Verabredung hast.“ Er hielt inne und sah mir dabei fast schon
herausfordernd fest in die Augen. „Ich kann nicht dein Freund sein.“
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