Meine Lernprobleme. Seine Zombies. Unser Zimtfrühstück.
Eine Woche später musste ich
Thomas schon wieder vertrösten, was den Mitbewohnerabend anging. Genauso wie
ich Anita eine Nachricht hatte schreiben müssen, um das Treffen am Nachmittag
abzusagen. Manchmal war das Leben einfach absoluter Mist, da konnte man nichts
machen – und wenn man nach acht Stunden immer noch keinen Schritt
weiter war, dann durfte man auch mal kurzzeitig ausrasten.
„So ’ne verdammte Scheiße!“,
rief ich und fegte Buch, Heft, Notizzettel, Bleistift, Radierer und
Taschenrechner vom Schreibtisch, „Absolute Mistkacke!“
Und natürlich musste Mischa
in meiner Tür stehen, als ich den Kopf hob. In seiner ganzen Pracht und für die
Disco chic gemacht. Das einzig Gute an meiner Laune war, dass sie verhinderte,
dass er den üblichen Effekt auf mich ausübte.
„Was ist denn los?“ Er ließ
die Hand, die er zum Klopfen erhoben hatte, sinken, kam herein und sammelte die
Sachen auf. „Waren sie frech zu dir?“
„Nein, ich bin nur zu dumm
für den Scheiß und werde am Montag die Wiederholungsprüfung in den Sand
setzen.“ Und das war’s dann mit Psychologie im Nebenfach. Dabei mochte ich es
wirklich. Ich hatte mir sogar überlegt, entweder ins Hauptfach zu wechseln oder
es nach meinem Abschluss als Hauptfach zu studieren, aber mit Statistik als
Pflichtmodul konnte ich das getrost wieder vergessen.
Ich hielt demonstrativ die
Hand hin. Das Letzte, was ich jetzt brauchen konnte, war, dass mein Hirn doch
noch registrierte, wie gut er heute wieder aussah.
Zu spät.
„Danke“, murmelte ich und
drehte mich ab, vordergründig, weil ich den Statistikmist wieder auf dem
Schreibtisch ausbreiten musste, aber eigentlich, weil ich nicht seine Hüften
anstarren wollte, die in der Jeans wirklich verdammt gut zur Geltung kamen.
„Viel Spaß heute!“ Da, bitte,
ich hatte sogar ein Lächeln hingekriegt.
Mischa sah mich mit dem Blick
an, den ich schon öfters bemerkt hatte, aber nie wirklich verstand. Er schien
dann immer mehrere Dinge gegeneinander abzuwägen, aber was, das wusste nur er
selbst. Dann wandte er sich ab und verließ ohne ein Wort mein Zimmer. Nett.
Gleich darauf hörte ich seine
Stimme vor meiner Tür.
„Jan? Sorry, mir ist was
dazwischen gekommen … Ja, kein Problem. Viel Spaß, trinkt einen für
mich mit.“
Er entfernte sich und ich
schalt mich einen Idioten. Was hatte ich denn eine Millisekunde lang gedacht?
Dass er meinetwegen hier bleiben würde? Und wem genau würde das helfen?
Dennoch machte mein Herz
einen Hüpfer, als Mischa wieder zurückkam, eine Flasche Cola unterm Arm, zwei
Gläser in der einen und seinen Schreibtischstuhl in der anderen Hand.
„Was wird das?“ Ich wollte
nicht so unhöflich klingen, ich schwöre, aber konnte es nicht verhindern. Hatte
er wirklich wegen mir seinen Freunden abgesagt? Wozu? Was konnte er schon tun?
„Na, was wohl?“ Er schob den
Stuhl neben meinen und füllte die Gläser. „Ich werde dir helfen.“
„Und wie? Positive Energie
kannst du mir auch aus der Entfernung zukommen lassen.“
Er grinste. „Das wäre dann
Plan B. Aber erst wollte ich versuchen, dir Statistik zu erklären.“ Ich glaube,
mein Gesichtsausdruck muss verdammt vielsagend gewesen sein, denn er fügte
hinzu: „Ich studiere es, im Nebenfach.“
Nun konnte ich wirklich nur
noch starren. „Wer studiert den bitte Statistik?!“
„Jemand, der Mathe im
Hauptfach hat?“
Mischa und Mathe. Mischa
studierte Mathematik. Und Statistik. Ich hatte mitbekommen, dass er studierte,
aber ich hatte angenommen, es wäre Sportwissenschaften oder ähnliches. Und
jetzt – ausgerechnet Mathe?!
Er lachte, aber es sah nur zu
fünfzig Prozent amüsiert aus; die andern fünfzig zeigten schlecht verhüllte
Enttäuschung.
„Du hast wirklich keine
Ahnung von mir, oder?“
Offenbar nicht. Aber ich
hatte ja auch versucht, ihm aus dem Weg zu gehen – tat das in gewissem
Maße immer noch, wenn ich ehrlich war. Er war einfach zu gefährlich, auch wenn
er ganz in Ordnung zu sein schien, solange man nur mit ihm befreundet war. Aber
Michael hatte ja auch Kumpels und zu denen war er auch kein Arsch.
„Sorry, das habe nicht
mitbekommen …“
„Schon klar.“ Er lächelte,
aber die fünfzig Prozent waren zu siebzig oder noch mehr geworden. „Na komm,
zeig mir, was ihr können müsst, und wo du Probleme hast.“
***
Wie sich herausstellte,
wusste Mischa nicht nur, wovon er sprach, wenn es um Statistiken ging, sondern
er konnte auch verständlich erklären – so, dass auch ich es
verstand, und das hieß was, vor allem, wenn mein Hirn schon Barrikaden
errichtet hatte.
Allerdings merkte ich nach
einiger Zeit nicht nur, dass ich schon viel zu lange an meinem Schreibtisch saß
und mein Hirn hinter den Barrikaden langsam den Geist aufgab, sondern es
schaltete sich gleichzeitig auch ein anderer Teil von mir ein, der Mischas Nähe
je länger desto stärker spürte. Vor allem, als er aufstand und sich streckte,
während ich einige Aufgaben lösen sollte, war es schwer, den Blick auf dem
Papier zu halten. Und als er sich zum Korrigieren auch noch von hinten über
meine Schulter beugte, eine Hand auf meiner Stuhllehne abgestützt, wusste ich,
dass meine Paukphase gelaufen war. Ich benötigte meine ganze Willensstärke
dafür, den Kopf nicht nach hinten an seine Brust fallen zu lassen.
„Na also!“ Er unterstrich das
Resultat mit zwei energischen Strichen. „Fünf von sechs und noch dazu ist es
nur ein Flüchtigkeitsfehler.“
Ja, war es, aber er sollte
nicht erwarten, dass ich so weitermachen würde.
Mischa roch wirklich gut,
ganz leicht nach einem Männerparfüm, aber vor allem nach ihm, auch wenn ich
nicht beschreiben konnte, was seinen Duft ausmachte.
„Das ist super, Milo!“ Er
drehte den Kopf zu mir und strahlte mich regelrecht an.
Mensch, war er nah!
Ich konnte die grünen Sprenkel in seinen Augen zählen. Es waren fünf, drei
links, zwei rechts. Was ich nicht konnte, war, meinen Blick abzuwenden. Ich
versuchte, mit einem schiefen Lächeln als Antwort davonzukommen.
„Was hältst du davon, wenn
wir den Rest morgen anschauen und uns jetzt erst ein Bier gönnen?“ Mein Magen
knurrte laut und sein Grinsen wurde noch breiter. „Und vielleicht ’ne Pizza
oder zwei?“
Ich fühlte, wie mein Gesicht
heiß wurde, und nickte hastig. „Bin dabei.“ Räuspern wäre eine Idee gewesen,
aber krächzen war auch okay.
Er sah mich noch einen Moment
lang an, dann entfernte er sich von mir und ich sagte meinem Puls, dass er nun
wieder langsamer machen konnte. Seltsamerweise hörte er nicht sofort auf mich.
Nach ein paar
Verschnaufsekunden streckte ich mich und folgte ihm aus dem Zimmer. Er kam
gerade aus der Küche zurück, zwei Bier plus die Karte des Lieferservices in den
Händen. Er stellte die Flaschen auf den Fernsehtisch und ließ sich auf die
Couch fallen.
„Zombiefilm?“
Ich setzte mich neben ihn
hin, mit so viel Abstand wie möglich aber nicht ganz außen, damit es nicht so
aussah, als würde ich mich möglichst in die Ecke quetschen, um ihn ja nicht zu
berühren. Natürlich war das ziemlich genau, was ich tat, aber es musste ja
nicht ganz so offensichtlich sein.
„Actionfilm?“, fragte ich
zurück und versuchte, möglichst unbeteiligt auf die inzwischen allzu bekannte
Pizzaauswahl zu schauen.
„Angst?“ Ich brauchte ihn
nicht anzusehen, um zu wissen, dass er grinste. „Du kannst dich auch an mich
kuscheln, wenn’s zu schlimm wird.“
Nun schaute ich doch auf. Das
war das erste Mal, dass er so etwas sagte, seit seinem Versprechen. Ich konnte
sehen, dass er den Satz spätestens, als er meinen Gesichtsausdruck sah,
bereute, aber er versuchte die Situation mit einem Grinsen zu überspielen.
„Komm schon, als Dank für
Statistik?“
„Ich hoffe, du meinst damit
den Film“, brummelte ich. Ein wenig wünschte ich mir, er hätte das Kuscheln
gemeint, aber mir war klar, dass er das nicht sagen würde. Abstreiten tat er es
aber auch nicht, denn nun wurde er wieder selbstsicherer und erwiderte:
„Das kannst du
interpretieren, wie du willst.“
Wie großzügig.
Ich stand auf und wedelte mit
der Karte des Lieferdienstes herum. „Weißt du’s schon?“
Ich brauchte Ablenkung.
***
„Du magst die wirklich,
oder?“
„Was, Zombiefilme oder
Thunfischpizza?“
„Beides?“
Ich hatte ein Grinsen
erwartet, bekam aber ein Lächeln und entschied, dass es ein Fehler gewesen war,
ihn darauf anzusprechen.
„Du bemerkst ja doch etwas.“
Ja, tat ich, aber gegen
meinen Willen. So ganz konnte ich ihm halt nicht aus dem Weg gehen. Manchmal,
wie gerade in diesem Moment, als er mich so zufrieden ansah, fragte ich mich,
warum ich ihm überhaupt aus dem Weg ging, denn eigentlich mochte ich es, wie
ich mich in seiner Gegenwart fühlte. Ich liebte Schmetterlinge, schon immer,
und Mischa verursachte jeden Tag einen mehr. Und dann sah ich Micha vor mir, in
seiner Wohnung, auf seinem Bett, mit seinem Spargeltarzan. Stimmte ja, anfangs
erschienen sie immer nett und bemüht. Außerdem war es Michael, nicht Micha.
Nicht mehr.
Der Film hatte ganz okay
angefangen. Er war zum Glück schön trashig und ich dachte, dass es doch nicht
so schlimm werden würde, immerhin sah man, dass es nur Leute mit
grau-grünem Make-up waren, die langsam und behäbig in den Straßen
herumschlurften. Auch als die Pizzen gekommen waren, hatte ich ihn noch als
aushaltbar empfunden, aber so langsam steigerten sich dann Spannung und Grusel
und damit auch mein Unwohlsein. Ich wünschte, ich hätte meine Pizza nicht so
schnell vertilgt! Zu essen hatte geholfen, mich zu erinnern, dass ich nicht zu
der immer kleiner werdenden Truppe gehörte, die sich mit lebenden Toten
herumschlagen musste.
Urgs.
Okay, vielleicht war es doch
ganz gut, dass ich schon fertig war. Die Gesichtshälfte, die dem Zombie da
gerade abgezogen wurde, sah ein bisschen zu realistisch aus für meinen
Geschmack, auch wenn ich wusste, dass es nur ein bisschen Silikon mit
Farbe war. Dennoch, das machte es irgendwie nicht besser.
„Alles okay?“
Ich rechnete Mischa an, dass
er nicht spöttisch klang, aber dennoch brachte ihm die Situation hier am Ende
keine Pluspunkte, denn ohne ihn hätte ich mir diesen Film niemals angetan.
Ärgs, schon wieder
Körperteile, wo sie nicht hingehörten.
Ich nickte. Natürlich nickte
ich, schließlich wollte ich ja nicht wie ein Waschlappen
rüberkommen – aber Horrorfilme waren einfach nicht meins, da konnte
ich nichts für. Es war schon immer so gewesen und ich verstand auch nicht,
warum es das Genre überhaupt gab. Wieso standen Leute darauf, sich Angst
einjagen zu lassen?
Oh, Scheiße, das waren
eindeutig zu viele Zombies und zu wenige Ausgänge für die Überlebenden. Das konnte
gar nicht gut gehen! Nein, nein, nein …!
Zu meiner Rechten bewegte
sich etwas und ich schreckte zusammen, doch als ich hinschaute, war es nur
Mischas Hand. Sie lag offen neben mir, die Handfläche nach oben. Ich sah auf,
aber er hatte den Blick auf den Fernseher gerichtet.
Ich zögerte, bis als die
Kamera plötzlich auf einen Zombie in Großaufnahme wechselte – dann
nahm ich das Angebot an. Von da an waren die Zombies zweitrangig.
***
Der Film war zu Ende, ganze
zwei der ursprünglichen Gruppe hatten überlebt, ein Männlein und ein Weiblein.
Warum überlebte nie ein schwules Pärchen? Oder ein lesbisches? Oder die
Schlampe, warum starb die immer zuerst?
Der Abspann rollte, aber
Mischa machte keine Anstalten, sich zu bewegen. Dabei wäre ich ihm wirklich
dankbar dafür gewesen, denn ob ich seine Hand von selbst loslassen konnte,
bezweifelte ich – ich wollte auch nicht, schließlich wusste ich, dass
das eine Ausnahme war. Das nächste Mal würde ich es mir wieder verbieten, aber
solange es noch anhielt, wollte ich es genießen. Sie war warm und groß und
schmetterlingserzeugend.
„Noch einen?“
Ich schüttelte meinen Kopf.
„Der reicht für dieses Jahr.“
Er lachte und wandte sich mir
zu. „So schlimm?“
Seine Augen funkelten, seine
Lippen waren durch das Lachen ein wenig geöffnet und ich wusste, dass ich etwas
tun musste, wenn ich nicht gleich etwas schrecklich Dummes tun wollte. Also zog
ich meine Hand zurück. Mischas Armmuskeln spannten sich eine halbe Sekunde lang
an, aber er versuchte nicht, mich festzuhalten. Das Lächeln schrumpfte,
verschwand aber nicht.
„Einfach nicht mein Ding.“
Ich nahm die Pizzaschachteln und stand auf, um sie zu verräumen. Als ich kurz
darauf wieder ins Wohnzimmer kam, hatte er die DVD wieder zurück an ihrem Platz
gestellt.
„Ich bin müde.“
Mischa nickte.
Es stimmte, ich war
erschöpft, aber ich flüchtete auch. Für einen Tag hatte ich mich lange genug in
Versuchung gebracht.
Ich löschte das Licht und
ging auf mein Zimmer zu. „Gute Nacht.“
Wieder nickte er. „Dir auch.“
Dann, als ich mich schon fast abgewandt hatte, hörte ich ihn sagen:
„Ich bin nicht er.“
Ich drehte mich noch einmal
zu ihm. „‚Er’?“
„Thomas meinte, ich wäre deinem
Ex ähnlich. Äußerlich.“
„Ihr habt über mich geredet?
Über Michael?“
Mischa sah mich unverwandt
an. „Ich habe ihn gefragt, warum du etwas gegen mich hast, obwohl ich dir
nichts getan habe.“
„Ich habe nichts gegen …“
„Ich weiß“, unterbrach er
mich, „mittlerweile habe ich es verstanden.“
Ich wusste nicht, was ich
sagen sollte. Ich fühlte mich plötzlich schlecht, schuldig, weil ich ihm aus
dem Weg gegangen war – und wahrscheinlich auch weiterhin gehen
würde – und weil ich es offensichtlich gemacht hatte, dass ich nicht
einmal an einer Freundschaft interessiert war. Zurückgestoßen zu werden war nie
schön, doch wenn es dann auch noch scheinbar grundlos geschah, oder zumindest
wegen etwas, wofür man nichts konnte …
Aber Anita hatte Recht: Das war die erste vernünftige
Entscheidung in Liebesdingen, die ich in meinem Leben getroffen hatte. Bei
Michael hatte ich ja auch geglaubt, er würde es ernst meinen und dann war dem
doch nicht so gewesen. Wie hieß es noch? Wer zweimal auf denselben Trick
hereinfällt …
„Ich bin nicht er.“ Mischas
Stimme war dunkel und ruhig, aber genau deswegen eindringlich. Wahrscheinlich
konnte er einem die Einkaufsliste vorlesen und es hätte eindringlich geklungen.
Und sexy.
„Und auch nicht wie
er.“ Er sah mich an, hielt den Blickkontakt ein paar Sekunden lang, dann drehte
er sich ab und ging in sein Zimmer.
War er nicht, nein. Michael
hätte es nie bei Händchenhalten während des Filmes belassen, aber das war eines
der Dinge gewesen, die ich an ihm gemocht hatte: Er hatte mir das Gefühl
gegeben, unwiderstehlich zu sein. Dumm nur, dass ich nicht das einzige
Unwiderstehliche für ihn gewesen war.
Allerdings hatten sie sehr
wohl auch etwas gemeinsam: Sie wussten beide, wie man mein schlechtes Gewissen
ankurbeln konnte.
***
Sonntagmorgen um halb zehn stand ich in der Küche
vor einer brutzelnden Pfanne und hoffte, dass ich mich nicht geirrt hatte. Als
ein Brummen hinter mir ertönte, atmete ich erleichtert auf.
„Riecht lecker.“
„Ich hoffe, du magst Zimt“, sagte ich und drehte
mich zu Mischa um, „wenn nicht, kann ich auch welche ohne machen, dauert nur
ein paar Minuten.“
Er sah mich an, als wäre ich entweder ein
Außerirdischer oder hätte ihm gerade angeboten, dass ich das Zyanidfrühstück
auf Wunsch auch mit etwas Arsen würzen konnte. Und dann fiel mein Blick auf
seinen Oberkörper und ich hätte mich ohrfeigen können. Natürlich, wie konnte
ich das vergessen? Wenigstens etwas hätte ich doch von dem Jahr mit Michael
lernen sollen.
„Du machst mir Pancakes zum Frühstück?“, fragte Mischa,
bevor ich etwas sagen konnte. Seine Mundwinkel zuckten und ich hatte plötzlich
das Gefühl, dass er sich zurückhalten musste, um das, was ihm auf der Zunge
lag, nicht zu sagen. Am liebsten hätte ich nachgefragt, aber wenn ich das
amüsierte Funkeln in seinen Augen richtig interpretierte, tat ich nicht das
besser nicht. Also nickte ich nur.
„Ich dachte, als Dank für gestern und als
Hirnfutter für heute und … so …“ Scheiße, musste er mich noch
nervöser machen, als ich so schon war? Er war sich doch garantiert bewusst,
welche Wirkung dieser Blick von ihm auf andere hatte! „Aber du musst
nicht – ich, ich hätte erst fragen sollen. Sorry.“
„Ich muss sie nicht ‚essen’, meinst du? Wieso
sollte ich sie nicht essen wollen?“
„Na ja“, begann ich und konnte nicht verhindern,
dass mein Blick kurz an ihm runter huschte, „ich dachte – so früh
morgens …“ Und dann noch etwas Süß-fettiges, das ging gar nicht. Proteine
waren toll, komplexe Kohlenhydrate gut, Fett musste gemäßigt genossen werden
und Zucker und andere leere Kohlenhydrate am besten nur alle Schaltjahre,
ansonsten hieß es: ‚Bye-bye Waschbrettbauch!‘ Ich hatte zwar schon mitbekommen,
dass Mischa nicht so fanatisch darauf achtete wie Michael, aber irgendwo musste
er wohl auch seine Grenzen ziehen.
Dachte ich zumindest, aber er grinste nur breit.
„Ich lebe nicht, um zu trainieren, sondern ich trainiere, weil es Stress am
effektivsten abbaut. Außerdem habe ich gute Gene.“ Er zwinkerte mir zu und
setzte sich an den Tisch. „Also her mit den Pancakes!“
Ob es sein Zwinkern gewesen war, das mich kurz ins
geistige Nirwana geschickt hatte, oder etwas anderes, konnte ich nicht sagen,
aber ich nickte hastig um davon abzulenken und drehte mich wieder der Pfanne
zu. Gerade noch rechtzeitig, bevor aus Goldbraun Schwarz wurde.
***
Jeweils vier Pancakes später streckte Mischa sich
genüsslich.
„Die darfst du ruhig öfters machen.“
„Schön, wenn’s geschmeckt hat“, erwiderte ich und
räumte das Geschirr in die Spüle.
„Und wie! Was hältst du davon, wenn wir uns jetzt
in dein Zimmer zurückziehen?“
Ich drehte mich zu ihm um und starrte ihn an, aber
Mischa grinste nur schelmisch.
„Um zu lernen.“
„Natürlich.“ Ich warf ihm einen verärgerten Blick
zu und ließ Wasser in die beiden Gläser laufen. Zumindest hoffte ich, dass der
Blick verärgert war, denn in mir herrschte mal wieder absolutes Chaos. Warum
musste ich auch mit einem Typen zusammenwohnen, der mir mit einem Grinsen den
Atem rauben konnte?
„Hey, wenn du in unschuldige Sätze was Schmutziges
hineininterpretierst, ist das nicht meine Schuld.“
Von wegen unschuldig! Außerdem schien ihm das
ganze viel zu viel Spaß zu machen und ich wollte ihn garantiert nicht
ermutigen.
„Bin gleich soweit.“ Ich drehte das Wasser ab und
stellte die Butter zurück in den Kühlschrank. „Schläft Thomas noch?“
„Der verbringt das Wochenende mit seiner Freundin
bei deren Eltern.“
Oh. Das hatte ich gar nicht mitbekommen.
Warum schmunzelte Mischa denn jetzt?
Ich ging an ihm vorbei und in mein Zimmer. Juhu,
Statistik! Schon wieder. Aber wenigstens war es dank Mischa kein Buch mit
sieben Siegeln mehr; nur noch mit drei.
„Wenigstens passiert dir das bei allen.“
„Was?“ Ich schaute auf, gerade als er die Tür ein
wenig zuschob. Wenn Thomas sowieso nicht da war, war das eigentlich
überflüssig, und das einzige, was es bei mir bewirkte, war ein unerwünschtes
Kopfkino. Aber ich würde den Teufel tun und etwas sagen, immerhin wusste Mischa
schon viel zu gut, wie attraktiv er auf mich wirkte. Und allzu sehr sollte man
den Jagdinstinkt nicht reizen, vor allem nicht bei … einem Kerl wie
ihm.
Seine Worte vom Vorabend wiederholten sich in
meinem Kopf und mir kam erneut der Gedanke, dass ich mich vielleicht ein wenig
unfair verhielt: Ich versuchte, so wenig über ihn zu erfahren wie möglich und
steckte ihn wegen seines Äußeren in eine Schublade, ohne zu wissen, ob er da
überhaupt reinpasste.
Als ich ihm dabei zusah, wie er auf mich zukam,
fragte ich mich, ob ich, ganz im Stillen, nicht noch einmal von vorne anfangen
sollte, was meine Mischa-Einordung anging.
„Dass du grundlegende Dinge nicht mitbekommst.
Mein Studienfach, Thomas’ Ausflug …“ Er lächelte leicht und setzte sich
auf den Stuhl, den er gestern in meinem Zimmer gelassen hatte. „Wenn es nur bei
mir so gewesen wäre, hätte ich mir echt Sorgen gemacht.“
Ich musterte ihn schweigend und versuchte mir
vorzustellen, wie ich ihn sehen würde, wenn ich ihn nicht mit Michael zusammen
in eine Schublade gesteckt hätte. Nach etwa zwei Sekunden schlug ich diese
mentale Tür überstürzt wieder zu. Gesunder Menschenverstand war, was ich
brauchte und was mir gut tat, nicht Fairness.
„Na komm.“ Er klopfte auf meinen Stuhl. „Je
schneller wir anfangen, desto schneller sind wir fertig und können den Rest des
Tages genießen.“
„Falls es einen Rest gibt.“ Ich ließ mich so auf
den Stuhl fallen, dass dieser noch ein wenig von ihm wegrollte. Möglichst
unauffällig, natürlich.
„Pessimismus hält dich nur zurück.“
„Aha. Du bist also immer optimistisch?“
Mischa fing meinen Blick ein und hielt ihn mehrere
Augenblicke lang. „Meistens. Immer, wenn es einen Grund zu hoffen gibt.“
***
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen