Update-Info

07.01.2015: Ich wünsche allen ein (verspätetes) frohes neues Jahr! :)

Bei uns hat das Jahr leider mit einer Krebsdiagnose begonnen. Nicht meine, aber dennoch werden die Kapitel in absehbarer Zeit nur sehr unregelmäßig erscheinen.

Dienstag, 4. Dezember 2012

Wieder und wieder 03:


Meine Lernprobleme. Seine Zombies. Unser Zimtfrühstück.


Eine Woche später musste ich Thomas schon wieder vertrösten, was den Mitbewohnerabend anging. Genauso wie ich Anita eine Nachricht hatte schreiben müssen, um das Treffen am Nachmittag abzusagen. Manchmal war das Leben einfach absoluter Mist, da konnte man nichts machen – und wenn man nach acht Stunden immer noch keinen Schritt weiter war, dann durfte man auch mal kurzzeitig ausrasten.
„So ’ne verdammte Scheiße!“, rief ich und fegte Buch, Heft, Notizzettel, Bleistift, Radierer und Taschenrechner vom Schreibtisch, „Absolute Mistkacke!“
Und natürlich musste Mischa in meiner Tür stehen, als ich den Kopf hob. In seiner ganzen Pracht und für die Disco chic gemacht. Das einzig Gute an meiner Laune war, dass sie verhinderte, dass er den üblichen Effekt auf mich ausübte.
„Was ist denn los?“ Er ließ die Hand, die er zum Klopfen erhoben hatte, sinken, kam herein und sammelte die Sachen auf. „Waren sie frech zu dir?“
„Nein, ich bin nur zu dumm für den Scheiß und werde am Montag die Wiederholungsprüfung in den Sand setzen.“ Und das war’s dann mit Psychologie im Nebenfach. Dabei mochte ich es wirklich. Ich hatte mir sogar überlegt, entweder ins Hauptfach zu wechseln oder es nach meinem Abschluss als Hauptfach zu studieren, aber mit Statistik als Pflichtmodul konnte ich das getrost wieder vergessen.
Ich hielt demonstrativ die Hand hin. Das Letzte, was ich jetzt brauchen konnte, war, dass mein Hirn doch noch registrierte, wie gut er heute wieder aussah.
Zu spät.

„Danke“, murmelte ich und drehte mich ab, vordergründig, weil ich den Statistikmist wieder auf dem Schreibtisch ausbreiten musste, aber eigentlich, weil ich nicht seine Hüften anstarren wollte, die in der Jeans wirklich verdammt gut zur Geltung kamen.
„Viel Spaß heute!“ Da, bitte, ich hatte sogar ein Lächeln hingekriegt.
Mischa sah mich mit dem Blick an, den ich schon öfters bemerkt hatte, aber nie wirklich verstand. Er schien dann immer mehrere Dinge gegeneinander abzuwägen, aber was, das wusste nur er selbst. Dann wandte er sich ab und verließ ohne ein Wort mein Zimmer. Nett.
Gleich darauf hörte ich seine Stimme vor meiner Tür.
„Jan? Sorry, mir ist was dazwischen gekommen … Ja, kein Problem. Viel Spaß, trinkt einen für mich mit.“
Er entfernte sich und ich schalt mich einen Idioten. Was hatte ich denn eine Millisekunde lang gedacht? Dass er meinetwegen hier bleiben würde? Und wem genau würde das helfen?
Dennoch machte mein Herz einen Hüpfer, als Mischa wieder zurückkam, eine Flasche Cola unterm Arm, zwei Gläser in der einen und seinen Schreibtischstuhl in der anderen Hand.
„Was wird das?“ Ich wollte nicht so unhöflich klingen, ich schwöre, aber konnte es nicht verhindern. Hatte er wirklich wegen mir seinen Freunden abgesagt? Wozu? Was konnte er schon tun?
„Na, was wohl?“ Er schob den Stuhl neben meinen und füllte die Gläser. „Ich werde dir helfen.“
„Und wie? Positive Energie kannst du mir auch aus der Entfernung zukommen lassen.“
Er grinste. „Das wäre dann Plan B. Aber erst wollte ich versuchen, dir Statistik zu erklären.“ Ich glaube, mein Gesichtsausdruck muss verdammt vielsagend gewesen sein, denn er fügte hinzu: „Ich studiere es, im Nebenfach.“
Nun konnte ich wirklich nur noch starren. „Wer studiert den bitte Statistik?!“
„Jemand, der Mathe im Hauptfach hat?“
Mischa und Mathe. Mischa studierte Mathematik. Und Statistik. Ich hatte mitbekommen, dass er studierte, aber ich hatte angenommen, es wäre Sportwissenschaften oder ähnliches. Und jetzt – ausgerechnet Mathe?!
Er lachte, aber es sah nur zu fünfzig Prozent amüsiert aus; die andern fünfzig zeigten schlecht verhüllte Enttäuschung.
„Du hast wirklich keine Ahnung von mir, oder?“
Offenbar nicht. Aber ich hatte ja auch versucht, ihm aus dem Weg zu gehen – tat das in gewissem Maße immer noch, wenn ich ehrlich war. Er war einfach zu gefährlich, auch wenn er ganz in Ordnung zu sein schien, solange man nur mit ihm befreundet war. Aber Michael hatte ja auch Kumpels und zu denen war er auch kein Arsch.
„Sorry, das habe nicht mitbekommen …“
„Schon klar.“ Er lächelte, aber die fünfzig Prozent waren zu siebzig oder noch mehr geworden. „Na komm, zeig mir, was ihr können müsst, und wo du Probleme hast.“

***

Wie sich herausstellte, wusste Mischa nicht nur, wovon er sprach, wenn es um Statistiken ging, sondern er konnte auch verständlich erklären – so, dass auch ich es verstand, und das hieß was, vor allem, wenn mein Hirn schon Barrikaden errichtet hatte.
Allerdings merkte ich nach einiger Zeit nicht nur, dass ich schon viel zu lange an meinem Schreibtisch saß und mein Hirn hinter den Barrikaden langsam den Geist aufgab, sondern es schaltete sich gleichzeitig auch ein anderer Teil von mir ein, der Mischas Nähe je länger desto stärker spürte. Vor allem, als er aufstand und sich streckte, während ich einige Aufgaben lösen sollte, war es schwer, den Blick auf dem Papier zu halten. Und als er sich zum Korrigieren auch noch von hinten über meine Schulter beugte, eine Hand auf meiner Stuhllehne abgestützt, wusste ich, dass meine Paukphase gelaufen war. Ich benötigte meine ganze Willensstärke dafür, den Kopf nicht nach hinten an seine Brust fallen zu lassen.
„Na also!“ Er unterstrich das Resultat mit zwei energischen Strichen. „Fünf von sechs und noch dazu ist es nur ein Flüchtigkeitsfehler.“
Ja, war es, aber er sollte nicht erwarten, dass ich so weitermachen würde.
Mischa roch wirklich gut, ganz leicht nach einem Männerparfüm, aber vor allem nach ihm, auch wenn ich nicht beschreiben konnte, was seinen Duft ausmachte.
„Das ist super, Milo!“ Er drehte den Kopf zu mir und strahlte mich regelrecht an.
Mensch, war er nah! Ich konnte die grünen Sprenkel in seinen Augen zählen. Es waren fünf, drei links, zwei rechts. Was ich nicht konnte, war, meinen Blick abzuwenden. Ich versuchte, mit einem schiefen Lächeln als Antwort davonzukommen.
„Was hältst du davon, wenn wir den Rest morgen anschauen und uns jetzt erst ein Bier gönnen?“ Mein Magen knurrte laut und sein Grinsen wurde noch breiter. „Und vielleicht ’ne Pizza oder zwei?“
Ich fühlte, wie mein Gesicht heiß wurde, und nickte hastig. „Bin dabei.“ Räuspern wäre eine Idee gewesen, aber krächzen war auch okay.
Er sah mich noch einen Moment lang an, dann entfernte er sich von mir und ich sagte meinem Puls, dass er nun wieder langsamer machen konnte. Seltsamerweise hörte er nicht sofort auf mich.
Nach ein paar Verschnaufsekunden streckte ich mich und folgte ihm aus dem Zimmer. Er kam gerade aus der Küche zurück, zwei Bier plus die Karte des Lieferservices in den Händen. Er stellte die Flaschen auf den Fernsehtisch und ließ sich auf die Couch fallen.
„Zombiefilm?“
Ich setzte mich neben ihn hin, mit so viel Abstand wie möglich aber nicht ganz außen, damit es nicht so aussah, als würde ich mich möglichst in die Ecke quetschen, um ihn ja nicht zu berühren. Natürlich war das ziemlich genau, was ich tat, aber es musste ja nicht ganz so offensichtlich sein.
„Actionfilm?“, fragte ich zurück und versuchte, möglichst unbeteiligt auf die inzwischen allzu bekannte Pizzaauswahl zu schauen.
„Angst?“ Ich brauchte ihn nicht anzusehen, um zu wissen, dass er grinste. „Du kannst dich auch an mich kuscheln, wenn’s zu schlimm wird.“
Nun schaute ich doch auf. Das war das erste Mal, dass er so etwas sagte, seit seinem Versprechen. Ich konnte sehen, dass er den Satz spätestens, als er meinen Gesichtsausdruck sah, bereute, aber er versuchte die Situation mit einem Grinsen zu überspielen.
„Komm schon, als Dank für Statistik?“
„Ich hoffe, du meinst damit den Film“, brummelte ich. Ein wenig wünschte ich mir, er hätte das Kuscheln gemeint, aber mir war klar, dass er das nicht sagen würde. Abstreiten tat er es aber auch nicht, denn nun wurde er wieder selbstsicherer und erwiderte:
„Das kannst du interpretieren, wie du willst.“
Wie großzügig.
Ich stand auf und wedelte mit der Karte des Lieferdienstes herum. „Weißt du’s schon?“
Ich brauchte Ablenkung.

***

„Du magst die wirklich, oder?“
„Was, Zombiefilme oder Thunfischpizza?“
„Beides?“
Ich hatte ein Grinsen erwartet, bekam aber ein Lächeln und entschied, dass es ein Fehler gewesen war, ihn darauf anzusprechen.
„Du bemerkst ja doch etwas.“
Ja, tat ich, aber gegen meinen Willen. So ganz konnte ich ihm halt nicht aus dem Weg gehen. Manchmal, wie gerade in diesem Moment, als er mich so zufrieden ansah, fragte ich mich, warum ich ihm überhaupt aus dem Weg ging, denn eigentlich mochte ich es, wie ich mich in seiner Gegenwart fühlte. Ich liebte Schmetterlinge, schon immer, und Mischa verursachte jeden Tag einen mehr. Und dann sah ich Micha vor mir, in seiner Wohnung, auf seinem Bett, mit seinem Spargeltarzan. Stimmte ja, anfangs erschienen sie immer nett und bemüht. Außerdem war es Michael, nicht Micha. Nicht mehr.
Der Film hatte ganz okay angefangen. Er war zum Glück schön trashig und ich dachte, dass es doch nicht so schlimm werden würde, immerhin sah man, dass es nur Leute mit grau-grünem Make-up waren, die langsam und behäbig in den Straßen herumschlurften. Auch als die Pizzen gekommen waren, hatte ich ihn noch als aushaltbar empfunden, aber so langsam steigerten sich dann Spannung und Grusel und damit auch mein Unwohlsein. Ich wünschte, ich hätte meine Pizza nicht so schnell vertilgt! Zu essen hatte geholfen, mich zu erinnern, dass ich nicht zu der immer kleiner werdenden Truppe gehörte, die sich mit lebenden Toten herumschlagen musste.
Urgs.
Okay, vielleicht war es doch ganz gut, dass ich schon fertig war. Die Gesichtshälfte, die dem Zombie da gerade abgezogen wurde, sah ein bisschen zu realistisch aus für meinen Geschmack, auch wenn ich wusste, dass es nur ein bisschen Silikon mit Farbe war. Dennoch, das machte es irgendwie nicht besser.
„Alles okay?“
Ich rechnete Mischa an, dass er nicht spöttisch klang, aber dennoch brachte ihm die Situation hier am Ende keine Pluspunkte, denn ohne ihn hätte ich mir diesen Film niemals angetan.
Ärgs, schon wieder Körperteile, wo sie nicht hingehörten.
Ich nickte. Natürlich nickte ich, schließlich wollte ich ja nicht wie ein Waschlappen rüberkommen – aber Horrorfilme waren einfach nicht meins, da konnte ich nichts für. Es war schon immer so gewesen und ich verstand auch nicht, warum es das Genre überhaupt gab. Wieso standen Leute darauf, sich Angst einjagen zu lassen?
Oh, Scheiße, das waren eindeutig zu viele Zombies und zu wenige Ausgänge für die Überlebenden. Das konnte gar nicht gut gehen! Nein, nein, nein …!
Zu meiner Rechten bewegte sich etwas und ich schreckte zusammen, doch als ich hinschaute, war es nur Mischas Hand. Sie lag offen neben mir, die Handfläche nach oben. Ich sah auf, aber er hatte den Blick auf den Fernseher gerichtet.
Ich zögerte, bis als die Kamera plötzlich auf einen Zombie in Großaufnahme wechselte – dann nahm ich das Angebot an. Von da an waren die Zombies zweitrangig.

***

Der Film war zu Ende, ganze zwei der ursprünglichen Gruppe hatten überlebt, ein Männlein und ein Weiblein. Warum überlebte nie ein schwules Pärchen? Oder ein lesbisches? Oder die Schlampe, warum starb die immer zuerst? 
Der Abspann rollte, aber Mischa machte keine Anstalten, sich zu bewegen. Dabei wäre ich ihm wirklich dankbar dafür gewesen, denn ob ich seine Hand von selbst loslassen konnte, bezweifelte ich – ich wollte auch nicht, schließlich wusste ich, dass das eine Ausnahme war. Das nächste Mal würde ich es mir wieder verbieten, aber solange es noch anhielt, wollte ich es genießen. Sie war warm und groß und schmetterlingserzeugend.
„Noch einen?“
Ich schüttelte meinen Kopf. „Der reicht für dieses Jahr.“
Er lachte und wandte sich mir zu. „So schlimm?“
Seine Augen funkelten, seine Lippen waren durch das Lachen ein wenig geöffnet und ich wusste, dass ich etwas tun musste, wenn ich nicht gleich etwas schrecklich Dummes tun wollte. Also zog ich meine Hand zurück. Mischas Armmuskeln spannten sich eine halbe Sekunde lang an, aber er versuchte nicht, mich festzuhalten. Das Lächeln schrumpfte, verschwand aber nicht.
„Einfach nicht mein Ding.“ Ich nahm die Pizzaschachteln und stand auf, um sie zu verräumen. Als ich kurz darauf wieder ins Wohnzimmer kam, hatte er die DVD wieder zurück an ihrem Platz gestellt.
„Ich bin müde.“
Mischa nickte.
Es stimmte, ich war erschöpft, aber ich flüchtete auch. Für einen Tag hatte ich mich lange genug in Versuchung gebracht.
Ich löschte das Licht und ging auf mein Zimmer zu. „Gute Nacht.“
Wieder nickte er. „Dir auch.“ Dann, als ich mich schon fast abgewandt hatte, hörte ich ihn sagen:
„Ich bin nicht er.“
Ich drehte mich noch einmal zu ihm. „‚Er’?“
„Thomas meinte, ich wäre deinem Ex ähnlich. Äußerlich.“
„Ihr habt über mich geredet? Über Michael?“
Mischa sah mich unverwandt an. „Ich habe ihn gefragt, warum du etwas gegen mich hast, obwohl ich dir nichts getan habe.“
 „Ich habe nichts gegen …“
„Ich weiß“, unterbrach er mich, „mittlerweile habe ich es verstanden.“
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich fühlte mich plötzlich schlecht, schuldig, weil ich ihm aus dem Weg gegangen war – und wahrscheinlich auch weiterhin gehen würde – und weil ich es offensichtlich gemacht hatte, dass ich nicht einmal an einer Freundschaft interessiert war. Zurückgestoßen zu werden war nie schön, doch wenn es dann auch noch scheinbar grundlos geschah, oder zumindest wegen etwas, wofür man nichts konnte …
 Aber Anita hatte Recht: Das war die erste vernünftige Entscheidung in Liebesdingen, die ich in meinem Leben getroffen hatte. Bei Michael hatte ich ja auch geglaubt, er würde es ernst meinen und dann war dem doch nicht so gewesen. Wie hieß es noch? Wer zweimal auf denselben Trick hereinfällt …
„Ich bin nicht er.“ Mischas Stimme war dunkel und ruhig, aber genau deswegen eindringlich. Wahrscheinlich konnte er einem die Einkaufsliste vorlesen und es hätte eindringlich geklungen. Und sexy.
„Und auch nicht wie er.“ Er sah mich an, hielt den Blickkontakt ein paar Sekunden lang, dann drehte er sich ab und ging in sein Zimmer.
War er nicht, nein. Michael hätte es nie bei Händchenhalten während des Filmes belassen, aber das war eines der Dinge gewesen, die ich an ihm gemocht hatte: Er hatte mir das Gefühl gegeben, unwiderstehlich zu sein. Dumm nur, dass ich nicht das einzige Unwiderstehliche für ihn gewesen war.
Allerdings hatten sie sehr wohl auch etwas gemeinsam: Sie wussten beide, wie man mein schlechtes Gewissen ankurbeln konnte.

***

Sonntagmorgen um halb zehn stand ich in der Küche vor einer brutzelnden Pfanne und hoffte, dass ich mich nicht geirrt hatte. Als ein Brummen hinter mir ertönte, atmete ich erleichtert auf.
„Riecht lecker.“
„Ich hoffe, du magst Zimt“, sagte ich und drehte mich zu Mischa um, „wenn nicht, kann ich auch welche ohne machen, dauert nur ein paar Minuten.“
Er sah mich an, als wäre ich entweder ein Außerirdischer oder hätte ihm gerade angeboten, dass ich das Zyanidfrühstück auf Wunsch auch mit etwas Arsen würzen konnte. Und dann fiel mein Blick auf seinen Oberkörper und ich hätte mich ohrfeigen können. Natürlich, wie konnte ich das vergessen? Wenigstens etwas hätte ich doch von dem Jahr mit Michael lernen sollen.
„Du machst mir Pancakes zum Frühstück?“, fragte Mischa, bevor ich etwas sagen konnte. Seine Mundwinkel zuckten und ich hatte plötzlich das Gefühl, dass er sich zurückhalten musste, um das, was ihm auf der Zunge lag, nicht zu sagen. Am liebsten hätte ich nachgefragt, aber wenn ich das amüsierte Funkeln in seinen Augen richtig interpretierte, tat ich nicht das besser nicht. Also nickte ich nur.
„Ich dachte, als Dank für gestern und als Hirnfutter für heute und … so …“ Scheiße, musste er mich noch nervöser machen, als ich so schon war? Er war sich doch garantiert bewusst, welche Wirkung dieser Blick von ihm auf andere hatte! „Aber du musst nicht – ich, ich hätte erst fragen sollen. Sorry.“
„Ich muss sie nicht ‚essen’, meinst du? Wieso sollte ich sie nicht essen wollen?“
„Na ja“, begann ich und konnte nicht verhindern, dass mein Blick kurz an ihm runter huschte, „ich dachte – so früh morgens …“ Und dann noch etwas Süß-fettiges, das ging gar nicht. Proteine waren toll, komplexe Kohlenhydrate gut, Fett musste gemäßigt genossen werden und Zucker und andere leere Kohlenhydrate am besten nur alle Schaltjahre, ansonsten hieß es: ‚Bye-bye Waschbrettbauch!‘ Ich hatte zwar schon mitbekommen, dass Mischa nicht so fanatisch darauf achtete wie Michael, aber irgendwo musste er wohl auch seine Grenzen ziehen.
Dachte ich zumindest, aber er grinste nur breit. „Ich lebe nicht, um zu trainieren, sondern ich trainiere, weil es Stress am effektivsten abbaut. Außerdem habe ich gute Gene.“ Er zwinkerte mir zu und setzte sich an den Tisch. „Also her mit den Pancakes!“
Ob es sein Zwinkern gewesen war, das mich kurz ins geistige Nirwana geschickt hatte, oder etwas anderes, konnte ich nicht sagen, aber ich nickte hastig um davon abzulenken und drehte mich wieder der Pfanne zu. Gerade noch rechtzeitig, bevor aus Goldbraun Schwarz wurde.

***

Jeweils vier Pancakes später streckte Mischa sich genüsslich.
„Die darfst du ruhig öfters machen.“
„Schön, wenn’s geschmeckt hat“, erwiderte ich und räumte das Geschirr in die Spüle.
„Und wie! Was hältst du davon, wenn wir uns jetzt in dein Zimmer zurückziehen?“
Ich drehte mich zu ihm um und starrte ihn an, aber Mischa grinste nur schelmisch.
„Um zu lernen.“
„Natürlich.“ Ich warf ihm einen verärgerten Blick zu und ließ Wasser in die beiden Gläser laufen. Zumindest hoffte ich, dass der Blick verärgert war, denn in mir herrschte mal wieder absolutes Chaos. Warum musste ich auch mit einem Typen zusammenwohnen, der mir mit einem Grinsen den Atem rauben konnte?
„Hey, wenn du in unschuldige Sätze was Schmutziges hineininterpretierst, ist das nicht meine Schuld.“
Von wegen unschuldig! Außerdem schien ihm das ganze viel zu viel Spaß zu machen und ich wollte ihn garantiert nicht ermutigen.
„Bin gleich soweit.“ Ich drehte das Wasser ab und stellte die Butter zurück in den Kühlschrank. „Schläft Thomas noch?“
„Der verbringt das Wochenende mit seiner Freundin bei deren Eltern.“
Oh. Das hatte ich gar nicht mitbekommen.
Warum schmunzelte Mischa denn jetzt?
Ich ging an ihm vorbei und in mein Zimmer. Juhu, Statistik! Schon wieder. Aber wenigstens war es dank Mischa kein Buch mit sieben Siegeln mehr; nur noch mit drei. 
„Wenigstens passiert dir das bei allen.“ 
„Was?“ Ich schaute auf, gerade als er die Tür ein wenig zuschob. Wenn Thomas sowieso nicht da war, war das eigentlich überflüssig, und das einzige, was es bei mir bewirkte, war ein unerwünschtes Kopfkino. Aber ich würde den Teufel tun und etwas sagen, immerhin wusste Mischa schon viel zu gut, wie attraktiv er auf mich wirkte. Und allzu sehr sollte man den Jagdinstinkt nicht reizen, vor allem nicht bei … einem Kerl wie ihm.
Seine Worte vom Vorabend wiederholten sich in meinem Kopf und mir kam erneut der Gedanke, dass ich mich vielleicht ein wenig unfair verhielt: Ich versuchte, so wenig über ihn zu erfahren wie möglich und steckte ihn wegen seines Äußeren in eine Schublade, ohne zu wissen, ob er da überhaupt reinpasste.
Als ich ihm dabei zusah, wie er auf mich zukam, fragte ich mich, ob ich, ganz im Stillen, nicht noch einmal von vorne anfangen sollte, was meine Mischa-Einordung anging.
„Dass du grundlegende Dinge nicht mitbekommst. Mein Studienfach, Thomas’ Ausflug …“ Er lächelte leicht und setzte sich auf den Stuhl, den er gestern in meinem Zimmer gelassen hatte. „Wenn es nur bei mir so gewesen wäre, hätte ich mir echt Sorgen gemacht.“
Ich musterte ihn schweigend und versuchte mir vorzustellen, wie ich ihn sehen würde, wenn ich ihn nicht mit Michael zusammen in eine Schublade gesteckt hätte. Nach etwa zwei Sekunden schlug ich diese mentale Tür überstürzt wieder zu. Gesunder Menschenverstand war, was ich brauchte und was mir gut tat, nicht Fairness.
„Na komm.“ Er klopfte auf meinen Stuhl. „Je schneller wir anfangen, desto schneller sind wir fertig und können den Rest des Tages genießen.“
„Falls es einen Rest gibt.“ Ich ließ mich so auf den Stuhl fallen, dass dieser noch ein wenig von ihm wegrollte. Möglichst unauffällig, natürlich.
„Pessimismus hält dich nur zurück.“
„Aha. Du bist also immer optimistisch?“
Mischa fing meinen Blick ein und hielt ihn mehrere Augenblicke lang. „Meistens. Immer, wenn es einen Grund zu hoffen gibt.“  

***

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