Update-Info

07.01.2015: Ich wünsche allen ein (verspätetes) frohes neues Jahr! :)

Bei uns hat das Jahr leider mit einer Krebsdiagnose begonnen. Nicht meine, aber dennoch werden die Kapitel in absehbarer Zeit nur sehr unregelmäßig erscheinen.

Freitag, 7. Dezember 2012

Wieder und wieder 05:

Ich küsste Leon. Er machte Bauchpressen.


Der ausradierende Effekt von Leons Küssen auf mein Mischa-Kopfkino hielt nicht nur an, er schien sich sogar kontinuierlich zu verstärken. Wenn er auch noch Langzeitwirkung entwickelte, hatte ich bis zum nächsten Morgen vielleicht ein Problem weniger. Der zweite Long Island Iced Tea war zur Hälfte ausgetrunken und hatte seine Wirkung bisher darin gezeigt, dass ich mich plötzlich auf Leons Schoss wiederfand. So viel Zeit konnte noch nicht vergangen sein, aber dennoch spürte ich, dass wir beide nicht vorhatten, noch viel länger zu bleiben. Halbvolles Glas hin oder her.
Als ich mich das nächste Mal von ihm löste, konnte ich an seinem Blick sehen, dass aus ‚nicht mehr lange‘ ‚keine zwei Minuten mehr‘ geworden war. Und wieso sollte ich nicht mitgehen? Mischa hatte ja auch keine Probleme, jemanden abzuschleppen – natürlich nicht. Wir waren ja nicht zusammen, ich war nur ungewollterweise scharf auf ihn. Auf seinen Körper, nicht mehr. Mehr war da nicht.
Ich lächelte Leon verheißend an. „Ich geh nur noch kurz aufs Klo.“
Er erwiderte das Lächeln und schnappte nach meinen Lippen. „Beeil dich!“ Genau das hatte ich vor.
Aufstehen erwies sich als einfacher als gedacht – gut, vielleicht war der Drink noch ein wenig mehr als halbvoll; dreiviertelvoll traf es besser – und die Toiletten waren auch nicht versteckt, was ich schon mal positiv fand. Clubs, in denen man das Gefühl hatte, eine Schatzkarte fürs Klo zu brauchen, waren für’n Arsch. Meiner bescheidenen Meinung nach.
Ich drückte die Tür auf und stellte erleichtert fest, dass die Musik hier drinnen nicht so laut war. Und dann bemerkte ich den Jungen, der laut schimpfend hin- und hermarschierte und die Musik sowieso übertönt hätte.
„Ich kann’s einfach nicht glauben – was für’n Arschloch! Hat mich einfach von sich geschoben. So’n verdammtes Arschloch!“
„Der weiß nicht, was er verpasst“, versuchte ein ebenso kleiner, ebenso dürrer Witz von einem Kerl den anderen zu beruhigen. Hmpf. Gegen die beiden sah Maxi aus wie’n Mittvierziger. Die waren nie und nimmer schon achtzehn.
Ich wollte an ihnen vorbei, aber irgendwas am nächsten Satz ließ mich mitten in der Bewegung stoppen.
„Nur weil bei ihm ein paar Muskeln an der richtigen Stelle sitzen, heißt das nicht, dass er das Recht hat, mich einfach so abzuservieren – wenn er wirklich kein Interesse an mehr hätte, warum hat er dann so mit mir getanzt, hm?“ Der Twink drehte sich auf dem Absatz um und marschierte wild gestikulierend wieder auf seinen Kumpel zu. „Und dann lässt er mich auch noch plötzlich auf der Tanzfläche stehen! Von Manieren hat der ja wohl noch nie was gehört!“
„Echt, was für ein Arsch“, pflichtete ihm der andere bei, „du bist besser dran ohne ihn.“
 So ganz hatte ich die Puzzleteilchen noch nicht zusammengesetzt, aber da war irgendwas, das mein Hirn mir mitteilen wollte. Und dann wandte sich der Spargeltarzan mir zu und fauchte mich an.
„Was stehst du so blöd in der Gegend rum, hm?! Geh pissen oder verpiss dich, du Schwachmat!“
Braune Wuschelhaare, hübsches Gesicht, enge Hose. Das war nicht nur irgendein Spargeltarzan, das war Mischas Spargeltarzan! Und er war eben abserviert worden, weil sein Tanzpartner nicht mehr wollte – weil Mischa nicht mehr wollte.
Plötzlich hatte ich es gar nicht mehr eilig, zu Leon zurückzukommen. Nein, seltsamerweise – es war mir ja wirklich ganz und gar unverständlich wieso – fand ich die Idee, den Abend mit Mischa und Thomas – aber vor allem Mischa – zu verbringen, gar nicht mehr so schlimm.
Oh, großartig, nun fing ich wie blöd an zu Grinsen und konnte es nicht abschalten. Warum verstanden meine Lippen denn nicht, dass sie gerade kein Stretching brauchten? Vor allem, da sie bereits leicht geschwollen waren.
„Hörst du nicht? Du sollst dich verpissen!“, keifte der Spargeltarzan und – ach du Scheiße, hatte der wirklich gerade mit dem Fuß gestampft? Wie alt war er noch mal?
Ich musterte ihn kurz, dann ging ich an ihm vorbei zu den Pissoirs. Wenn er für Mischa uninteressant war, dann hatte ich auch keinen Grund, auch nur einen weiteren Gedanken an ihn zu verschwenden.

Ich kam mit weitaus besserer Laune zurück zu Thomas und den anderen, als ich sie verlassen hatte. Leon war bereits vergessen, aber zu meiner Verteidigung: Ich war angetrunken und das verstärkte meine Unfähigkeit, mich gleichzeitig auf mehrere Personen zu konzentrieren.
Thomas, Timmi, Konstantin und Maxi saßen alle wieder auf den Sesseln und lachten gerade laut über etwas, das wahrscheinlich nur für Leute ab einem gewissen Promillestand witzig war. Als ich zu ihnen trat, sahen sie auf und lächelten – alle außer Thomas, der sah mich an, als wäre ich das Krümelmonster und trüge einen Tanga. Gleichzeitig.
„Ist Mischa noch am Tanzen?“, fragte ich und ließ mich auf dem Zweiersessel nieder.
Kollektives Kopfschütteln. Thomas sah mich immer noch seltsam an, aber nun weniger überrascht oder ungläubig, mehr nachdenklich. 
„Ich habe eine Nachricht bekommen, dass er gegangen ist.“ Er schien keine Probleme zu haben, mit der Stimme gegen die Musik anzukommen. Wahrscheinlich hatte er einfach Übung.
„Wie jetzt? Nach Hause?“ Mir fehlte sowohl die Übung als auch das Stimmvolumen und ich musste mich nicht nur nach vorne beugen, sondern auch so gut wie schreien.
Thomas nickte. „Ich dachte, ihr wäret zusammen heimgegangen.“
Wieso sollten wir? Es war doch immerhin der WG-Bewohnerabend und nicht der Mischa-und-Milo-sitzen-zuasmmen-auf-der-Couch-Abend.
„Wo warst du denn? Du wolltest dir doch nur ’nen Drink holen.“ Maxi sah mich fragend an und zeigte auf den leeren Platz auf dem Tisch vor mir. „Du hast aber keinen Drink mitgebracht.“
No shit, Sherlock.
„Hab wen kennengelernt. Und die Zeit bis eben genutzt, um ihn noch etwas näher kennenzulernen.“
Vielleicht sollte ich doch zu Leon zurück. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Mischa einfach alleine nach Hause gegangen war. Schon gar nicht, ohne sich vorher persönlich von den Leuten zu verabschieden, dazu war er einfach zu sozial. Also hatte er nach dem Spargeltarzan wahrscheinlich jemanden getroffen, der nicht ganz so spargelig war, und hatte den dann in Rekordzeit abgeschleppt und auch gleich auf direktem Weg nach draußen verfrachtet, ohne noch einmal bei seinen Kumpels vorbeizuschauen, weil er … möglichst nach Hause kommen wollte, solange er wenigstens noch ein bisschen angetrunken war. Genau.
Bullenkacke. Das machte noch weniger Sinn als Statistik ohne Mischas Erklärungen. Ich konnte nicht glauben, dass das bisschen Alkohol – oder auch viel mehr Alkohol – ihn so sehr veränderten. Das war einfach nicht der Mischa, den ich die letzten Wochen über versucht hatte nicht kennenzulernen.
Thomas sah nun nicht mehr nachdenklich, sondern besorgt aus. „Hat Mischa mitbekommen, wie du den Typen ‚näher kennengelernt‘ hast?“ 
Nein. Wieso auch, er war ja mit Tanzen beschäftigt gewesen.
Obwohl, ich hatte ihn auch sehen können, also war es zwar unwahrscheinlich, aber rein theoretisch … 
„Möglich?“
Im selben Moment, als Thomas das Gesicht verzog, wurde mir bewusst, dass die Aufmerksamkeit der anderen drei auf uns lag. Auf Thomas, aber nun, da er mich etwas gequält ansah, vor allem auf mir.
Thomas’ Blick wollte mir etwas sagen, so viel war klar. Nun blieb nur noch die nebensächliche Frage nach dem Was. Ich hatte keine Ahnung. Telepathie gehörte leider nicht zu meinem Repertoire, und im Lesen von Körpersprache war ich auch nur mäßig begabt.
Die Stille – sofern man in einer überlauten Disco davon sprechen konnte – wurde unangenehm, aber ich wusste nicht, wie ich sie brechen konnte, ohne wie ein Vollhorst dazustehen, weil ich nicht wusste, was Thomas von mir erwartete.
„Der Kleine, der Mischa angetanzt hat“, sagte schließlich Tim als wäre eben kein seltsames Blickduell zwischen seinem großen Bruder und mir im Sand verlaufen, „war echt ganz schön aufdringlich. Ich hätte nicht gedacht, dass Mischa da mitmacht. Ich seh ihn ja öfter mal auf der Piste, aber ich hatte nicht den Eindruck, dass das sein Typ ist.“
„Nicht gutaussehend genug?“, fragte Maxi.
Thomas seufzte und grinste mich schief an.
„Nicht volljährig genug“, antwortete Tim und sah dann zu Konstantin, „Aber die beiden waren plötzlich weg. Meinst du, sie sind in den Darkroom?“
Ich schüttelte den Kopf. „Hab den Twink eben aufm Klo gesehen. War richtig fuchsig, weil Mischa ihn abserviert hat.“
Und danach ist er nach Hause.
„Na also.“ Tim sah echt erleichtert aus. „Ich wusste doch, dass er mehr Verstand hat.“
Mischa hatte sich einen Kerl angelacht. Ich hatte mir einen Kerl angelacht.
Mischa hatte seinen abserviert. Ich hatte meinen halb vernascht.
Mischa war ohne sich zu verabschieden nach Hause. Ich … 
Ich sah auf. Es dauerte keine fünf Sekunden, bis ich Thomas’ Blick aufgefangen hatte.
„Vielleicht …“ Nein, oder? Ich zog die Augenbrauen zusammen, aber leider half beim Denken nicht. Wenigstens fühlte es sich besser an. „… Vielleicht sollte ich … auch nach Hause? Ich meine, es ist schon spät und ich – ich mag Dissen nicht besonders.“
„Vielleicht, ja.“ Thomas’ Lächeln war wie ein Schwall frischer Luft in dem verschwitzten Club. „Du hast es lange genug ausgehalten, mehr kann ich als Mitbewohner nicht verlangen.“
Ich lächelte zurück, froh, das Richtige gesagt zu haben, und stand auf.   
Als ich mich schon verabschiedet hatte, rief mir Thomas nach: „Ach ja: Ich schlaf heute bei Timi!“
Ich war mir ziemlich sicher, dass Tims empörter Ausruf nur gespielt war, aber ich blieb nicht, um es herauszufinden.

***

Als ich die Wohnungstür öffnete, fragte ich mich, ob Thomas nicht etwas falsch verstanden hatte, denn es war dunkel und ruhig. Was, wenn Mischa nur vor die Tür gegangen und nun schon längst wieder im Club war? Oder vielleicht hatte er einfach keinen Bock mehr gehabt und war woanders hin.
Ich ließ den Kopf gegen die Tür fallen und schloss kurz die Augen. Die ganze U-Bahnfahrt lang hatte ich Herzklopfen wie blöd gehabt, weil ich mich geistig auf eine Konfrontation mit Mischa vorbereitet hatte, von der ich noch nicht einmal sicher war, was ihr Kernpunkt sein würde. Der selbstsichere, optimistische Teil von mir war der Meinung, dass Mischa auf Leon eifersüchtig gewesen war und deshalb das Weite gesucht hatte; aber der rationale, pessimistische Teil vertrat den Standpunkt, dass ich aufhören sollte, mich wie ein zwölfjähriges Mädchen zu verhalten, das in einen unerreichbaren, fünfzehn Jahre älteren Star verliebt war und sich wegen eines Verses in einem seiner Lieder einbildete, dass er die Gefühle erwiderte – oder, Moment, waren es Stalker, die so was taten? Meine Ratio war nicht up to date, was Kinder und Kriminelle betraf.
Ich lauschte, aber es war totenstill in der Wohnung. Ich war so dumm. Warum hatte ich die beiden Spargels und Thomas’ seltsamen Blick nicht einfach ignorieren können? Dann wäre ich aufs Klo, zurück zu Leon und schnurstracks zu ihm nach Hause – und anstatt jetzt hier in der leeren Wohnung zu stehen, hätte ich endlich wieder Sex. Und wenn er alles so tat, wie er küsste, dann hätte ich gerade verdammt guten Sex. Verdammt guten Sex, den ich mir nun, nachdem ich ohne Bescheid zu geben abgehauen war, für immer abschminken konnte.
So eine Scheiße.
Ich streifte die Schuhe ab und warf die Jacke an einen Haken, dann machte ich mich auf den Weg in mein Zimmer. Eigentlich achtete ich sonst nach dem Ausgehen darauf, dass ich vor dem Zubettgehen genug Wasser trank, um einen Kater zu verhindern (zumindest, wenn ich nicht schon zu betrunken dafür war), aber erstens hatte ich nicht genug getrunken, um einen Kater zu bekommen und zweitens würde ich ihn wahrscheinlich sogar begrüßen. Dann hätte ich wenigstens einen anderen Grund, mich schlecht zu fühlen als der, mir Hoffnungen gemacht zu haben ohne sie mir wirklich einzugestehen – und noch dazu einen wunderbar unkomplizierten One-Night-Stand in den Wind geschlagen zu haben.
Aber hey – wenigstens war ich zu Hause. Alles in Allem war es ein eher kurzer WG-Bewohnerabend geworden und ich würde für die nächste Zeit von Discos und Clubs verschont bleiben. Von unkomplizierten One-Night-Stands wahrscheinlich ebenfalls, aber das war halt so. So nötig, dass ich dafür freiwillig in einen Club ging, hatte ich es noch nicht.
Die Tür zu Mischas Zimmer stand einen Spalt offen. Ich warf aus Gewohnheit einen Blick darauf und wollte weitergehen, als ich plötzlich leise Geräusche bemerkte. Ganz leise, wie – rhythmisches Ausatmen?
Im ersten Moment wurde mir schlecht. Hatte er etwa doch jemanden mitgenommen?
Aber nein, dazu war es zu leise. Egal, wie ruhig jemand beim Sex war, irgendeinen Laut gab man von sich. Oder das Bett quietschte. Oder Haut traf auf Haut – irgendwas.
Ich trat einen Schritt an die Tür heran, dann noch einen. Und dann übernahm die Neugier meine motorische Kontrolle und drückte sie auf.
Mischa lag auf dem Boden und machte Bauchpressen. Jetzt, mitten in der Nacht.
Aber – hui! Das sah gut aus. Wirklich gut.
Leider hielt er bereits bei der dritten inne und sah hoch. Einen Herzschlag lang verharrte er, dann ließ er die Beine sinken und stützte sich mit den Armen auf dem Boden ab.
„Das muss ja schnell vorbei gewesen sein. Habt ihr es überhaupt noch in den Darkroom geschafft oder war das zuviel Privatsphäre?“ Seine Stimme war kalt und abweisend, auch wenn seine Atmung immer noch heftig ging und mich an ganz andere Dinge erinnerte.
„Ich …“
„Weißt du was? Ich will es nicht hören!“ Er stand auf und griff nach einem Handtuch, das auf dem Bett lag. Doch bevor er sich den Schweiß von den Schläfen wischen konnte, fuhr er zu mir herum und kam einen schnellen, großen Schritt näher. „Obwohl doch, erklär’s mir, verdammt noch mal: Wie kommt es, dass du mich von Anfang an zurückstößt, weil du von deinem Ex betrogen worden bist, dich aber dem erstbesten Kerl im Gayclub an den Hals wirfst? Noch dazu einem, der offensichtlich nur einen schnellen Fick sucht!“
Ich suchte nach Worten, aber er ließ mir nicht die Zeit, welche zu finden.
„Bin ich echt so ein Arschloch? Habe ich mich dir gegenüber so schlecht verhalten, dass du so was mir vorziehst? Oder hat sich in den letzten Wochen etwas grundlegend geändert und du hast mich aus dem Kopf gekriegt?!“
Im ersten Augenblick fragte ich mich, woher er wusste, dass er meine Gedanken gepachtet hatte, dann erinnerte ich mich an den Abend zurück, als ich mit Alex aus gewesen war. Stimmt ja, ich Intelligenzbestie hatte es ihm brühwarm erzählt. Gut gemacht, Milo.
Ich schüttelte den Kopf. Das schien das einzige zu sein, zu dem ich noch im Stande war, denn ich hatte die richtigen Worte, um ihm meine Reaktionen verständlich machen immer noch nicht gefunden.
„Warum denn dann? Warum hast du kein Problem damit, dich auf einen Playboy einzulassen, weigerst dich aber konsequent, mir auch nur den Hauch einer Chance zu geben?“
Ich sah zur Seite. War es nicht klar?
Offenbar nicht, denn er wiederholte: „Warum?
„Weil der Typ im Club mich nicht verletzen kann, sogar wenn er mich mitten in der Nacht rausschmeißen würde“, brach es schließlich aus mir heraus, „Weil ich ihn danach nie wieder sehen müsste.“
Mischa schüttelte ungläubig den Kopf. „Das ist nicht dein Ernst.“
„Ich wollte nicht …“
„Du hast vor meinen Augen mit ihm rumgemacht! Und sag nicht, dass du nicht gewusst hast, dass mich das verletzen würde – sogar Thomas ist aufgefallen, dass ich jedes Mal Herzchenaugen bekomme, wenn du den Raum betrittst!“
Mein Mund klappte auf, aber die Wörter hatten mich einmal mehr verlassen.
Herzchenaugen?!
„Ich dachte, du hättest mit dem Spargeltarzan rumgemacht“, erwiderte ich schließlich leise. Ich hatte mich zwar die ganze U-Bahnfahrt über genau auf das hier vorbereitet, aber dennoch fühlte ich mich der Situation nicht gewachsen. Mischa hatte … Mischa war wirklich wegen Leon nach Hause gegangen? Und ja, vielleicht war mir nicht gänzlich entgangen, dass er mich manchmal länger oder intensiver ansah als es ein reiner Kumpel normalerweise tat, aber – Scheiße noch mal, es gab einen Unterschied zwischen jemanden attraktiv finden und wegen eines Kusses abhauen! „Ich habe gesehen, wie er dich angesehen und die Arme um deinen Hals geschlungen hat und dir näher gekommen ist …“
Außerdem … wenn es ihn so gestört hatte, warum war er dann nicht rübergekommen und Klartext geredet? Mich weggezogen, gesagt, dass es schließlich ein Abend mit den Mitbewohnern werden sollte, irgend so was? Damit hätte er noch nicht einmal sein Versprechen gebrochen, mich nicht mehr anzuflirten.
Warum hatte er nicht einmal versucht zu kämpfen?
Mischa erwiderte nüchtern: „Ich habe ihn weggedrückt. Ich wollte nichts von ihm.“
„Ich weiß.“ Ich seufzte. Ja, jetzt wusste ich es. „Ich hab’s vom Spargeltarzan persönlich erfahren, aber erst im Nachhinein. Ich hatte mich zu schnell abgewandt und wollte mich ablenken …“
„Mit dem Typ.“
Ich zuckte mit einer Schulter. „Ich habe nicht nachgedacht. Ich hatte Panik und Leon war … das Nächstgelegene.“
„Leon.“ Mischa verschränkte die Arme vor der Brust. „Warum bist du überhaupt mit dem in die dunkle Ecke? Da hatte der Kleine ja noch nicht versucht, mich zu küssen. Panik kann’s es also nicht gewesen sein.“
„Du hast mit ihm getanzt“, rutschte es mir heraus. Ich sah gerade rechtzeitig hoch in sein Gesicht, um die Überraschung darin zu erkennen. „Ihr hättet Dirty Dancing Konkurrenz machen können!“
„Was hätte ich denn tun sollen, verdammt? Du hast mich den ganzen Abend lang noch schlimmer ignoriert als sonst und das, nachdem es letzte Woche besser geworden war – und als der Junge plötzlich vor mir auftauchte, wollte ich ihn erst wegschicken, aber dann habe ich bemerkt, dass du rübergeschaut hast.“
„Natürlich gucke ich, wenn du mit einem Spargeltarzan fast auf der Tanzfläche rummachst!“ Nun war es an mir, die Arme zu verschränken. Das konnte er unmöglich mir anhängen – er hätte nicht mit dem Kleinen tanzen müssen. „Und das, nachdem ich dir gesagt hatte, dass mein Ex mich mit genau so einem betrogen hat!“
Mischas Augenbrauen zogen sich etwas zusammen, aber es sah nicht wütend, sondern hilflos aus. Er schien nach einer Antwort zu suchen, bis er schließlich fast schon entschuldigend murmelte:
„Ich habe dir gesagt, dass ich auf den Typ Mann nicht stehe.“
„Und das sollte ich glauben, wenn ich live miterleben konnte, wie er seine Hüften an dir gerieben hat? Welche Reaktion hast du denn von mir erwartet? Dass ich dadurch einsehe, dass du anders bist als alle anderen?“
„Ich hatte gehofft, dass du eifersüchtig wirst!“ Mischas Stimme war bei diesem Satz bedenklich laut geworden und er presste den Kiefer zusammen und atmete einmal deutlich ein und aus, bevor er weitersprach. „Ich habe mir eingebildet, du hättest eifersüchtig ausgesehen, als du rübergeschaut hast und …“ Er brach ab, fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und sackte dann ein wenig in sich zusammen. „Ich hab gehofft, dass du einsiehst, dass du viel besser zu – ich hab gehofft, dass du … keine Ahnung.“
‚Kämpfst‘, vielleicht? Super, wie’s aussah war ich auch nicht besser als er.
„Ich konnte ja nicht wissen, dass es dich dazu bringt, gleich mit einem andern Kerl rumzumachen!“ Mischa drehte sich um und ging einige Schritte in sein Zimmer hinein. Ich blieb, wo ich war, im Türrahmen. Wo hätte ich auch hin sollen? Einfach weglaufen konnte – wollte – ich nicht und ohne Einladung würde ich auch nicht in sein Zimmer. Vielleicht noch nicht einmal mit.
„Was hätte ich denn tun sollen?“ Ich sah ihn an, als er sich wieder zu mir drehte. „Zwischen uns ist nichts …“ Das stimmte nicht ganz, es war nicht nichts, egal, wie sehr ich versucht hatte, mein und auch sein Interesse zu ignorieren. Aber es war nicht genug. Nicht genug, um mein Hirn auszuschalten, nicht genug, um es noch einmal zu riskieren.  
Mischa ließ sich Zeit mit der Antwort. Er musterte mich lange, mit diesem Blick, den ich nie ganz verstand. Dann kam er wieder einen Schritt auf mich zu.
„Ich will aber, dass zwischen uns etwas ist.“  Noch ein Schritt und dazu sah er mir so bestimmt in die Augen, dass ich das Gefühl hatte, alleine von seinem Blick gelähmt zu werden. „Etwas Festes.“

***

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