Ich küsste Leon. Er machte Bauchpressen.
Der ausradierende Effekt von
Leons Küssen auf mein Mischa-Kopfkino hielt nicht nur an, er schien sich sogar
kontinuierlich zu verstärken. Wenn er auch noch Langzeitwirkung entwickelte, hatte
ich bis zum nächsten Morgen vielleicht ein Problem weniger. Der zweite Long
Island Iced Tea war zur Hälfte ausgetrunken und hatte seine Wirkung bisher
darin gezeigt, dass ich mich plötzlich auf Leons Schoss wiederfand. So viel
Zeit konnte noch nicht vergangen sein, aber dennoch spürte ich, dass wir beide
nicht vorhatten, noch viel länger zu bleiben. Halbvolles Glas hin oder her.
Als ich mich das nächste Mal
von ihm löste, konnte ich an seinem Blick sehen, dass aus ‚nicht mehr lange‘
‚keine zwei Minuten mehr‘ geworden war. Und wieso sollte ich nicht mitgehen?
Mischa hatte ja auch keine Probleme, jemanden
abzuschleppen – natürlich nicht. Wir waren ja nicht zusammen, ich war
nur ungewollterweise scharf auf ihn. Auf seinen Körper, nicht mehr. Mehr war da
nicht.
Ich lächelte Leon verheißend
an. „Ich geh nur noch kurz aufs Klo.“
Er erwiderte das Lächeln und
schnappte nach meinen Lippen. „Beeil dich!“ Genau das hatte ich vor.
Aufstehen erwies sich als
einfacher als gedacht – gut, vielleicht war der Drink noch ein wenig
mehr als halbvoll; dreiviertelvoll traf es besser – und die Toiletten
waren auch nicht versteckt, was ich schon mal positiv fand. Clubs, in denen man
das Gefühl hatte, eine Schatzkarte fürs Klo zu brauchen, waren für’n Arsch.
Meiner bescheidenen Meinung nach.
Ich drückte die Tür auf und
stellte erleichtert fest, dass die Musik hier drinnen nicht so laut war. Und
dann bemerkte ich den Jungen, der laut schimpfend hin- und hermarschierte und
die Musik sowieso übertönt hätte.
„Ich kann’s einfach nicht
glauben – was für’n Arschloch! Hat mich einfach von sich geschoben.
So’n verdammtes Arschloch!“
„Der weiß nicht, was er
verpasst“, versuchte ein ebenso kleiner, ebenso dürrer Witz von einem Kerl den
anderen zu beruhigen. Hmpf. Gegen die beiden sah Maxi aus wie’n Mittvierziger.
Die waren nie und nimmer schon achtzehn.
Ich wollte an ihnen vorbei,
aber irgendwas am nächsten Satz ließ mich mitten in der Bewegung stoppen.
„Nur weil bei ihm ein paar
Muskeln an der richtigen Stelle sitzen, heißt das nicht, dass er das Recht hat,
mich einfach so abzuservieren – wenn er wirklich kein Interesse an
mehr hätte, warum hat er dann so mit mir getanzt, hm?“ Der Twink drehte
sich auf dem Absatz um und marschierte wild gestikulierend wieder auf seinen
Kumpel zu. „Und dann lässt er mich auch noch plötzlich auf der Tanzfläche
stehen! Von Manieren hat der ja wohl noch nie was gehört!“
„Echt, was für ein Arsch“,
pflichtete ihm der andere bei, „du bist besser dran ohne ihn.“
So ganz hatte ich die Puzzleteilchen noch nicht
zusammengesetzt, aber da war irgendwas, das mein Hirn mir mitteilen wollte. Und
dann wandte sich der Spargeltarzan mir zu und fauchte mich an.
„Was stehst du so blöd in der
Gegend rum, hm?! Geh pissen oder verpiss dich, du Schwachmat!“
Braune Wuschelhaare, hübsches
Gesicht, enge Hose. Das war nicht nur irgendein Spargeltarzan, das war Mischas
Spargeltarzan! Und er war eben abserviert worden, weil sein Tanzpartner nicht
mehr wollte – weil Mischa nicht mehr wollte.
Plötzlich hatte ich es gar
nicht mehr eilig, zu Leon zurückzukommen. Nein, seltsamerweise – es
war mir ja wirklich ganz und gar unverständlich wieso – fand ich
die Idee, den Abend mit Mischa und Thomas – aber vor allem
Mischa – zu verbringen, gar nicht mehr so schlimm.
Oh, großartig, nun fing ich
wie blöd an zu Grinsen und konnte es nicht abschalten. Warum verstanden meine
Lippen denn nicht, dass sie gerade kein Stretching brauchten? Vor allem, da sie
bereits leicht geschwollen waren.
„Hörst du nicht? Du sollst
dich verpissen!“, keifte der Spargeltarzan und – ach du Scheiße,
hatte der wirklich gerade mit dem Fuß gestampft? Wie alt war er noch
mal?
Ich musterte ihn kurz, dann
ging ich an ihm vorbei zu den Pissoirs. Wenn er für Mischa uninteressant war,
dann hatte ich auch keinen Grund, auch nur einen weiteren Gedanken an ihn zu
verschwenden.
Ich kam mit weitaus besserer
Laune zurück zu Thomas und den anderen, als ich sie verlassen hatte. Leon war bereits
vergessen, aber zu meiner Verteidigung: Ich war angetrunken und das verstärkte
meine Unfähigkeit, mich gleichzeitig auf mehrere Personen zu konzentrieren.
Thomas, Timmi, Konstantin und
Maxi saßen alle wieder auf den Sesseln und lachten gerade laut über etwas, das
wahrscheinlich nur für Leute ab einem gewissen Promillestand witzig war. Als
ich zu ihnen trat, sahen sie auf und lächelten – alle außer Thomas,
der sah mich an, als wäre ich das Krümelmonster und trüge einen Tanga.
Gleichzeitig.
„Ist Mischa noch am Tanzen?“,
fragte ich und ließ mich auf dem Zweiersessel nieder.
Kollektives Kopfschütteln.
Thomas sah mich immer noch seltsam an, aber nun weniger überrascht oder
ungläubig, mehr nachdenklich.
„Ich habe eine Nachricht
bekommen, dass er gegangen ist.“ Er schien keine Probleme zu haben, mit der
Stimme gegen die Musik anzukommen. Wahrscheinlich hatte er einfach Übung.
„Wie jetzt? Nach Hause?“ Mir
fehlte sowohl die Übung als auch das Stimmvolumen und ich musste mich nicht nur
nach vorne beugen, sondern auch so gut wie schreien.
Thomas nickte. „Ich dachte,
ihr wäret zusammen heimgegangen.“
Wieso sollten wir? Es war
doch immerhin der WG-Bewohnerabend und nicht der
Mischa-und-Milo-sitzen-zuasmmen-auf-der-Couch-Abend.
„Wo warst du denn? Du
wolltest dir doch nur ’nen Drink holen.“ Maxi sah mich fragend an und zeigte
auf den leeren Platz auf dem Tisch vor mir. „Du hast aber keinen Drink
mitgebracht.“
No shit, Sherlock.
„Hab wen kennengelernt. Und
die Zeit bis eben genutzt, um ihn noch etwas näher kennenzulernen.“
Vielleicht sollte ich doch zu
Leon zurück. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Mischa einfach alleine nach
Hause gegangen war. Schon gar nicht, ohne sich vorher persönlich von den Leuten
zu verabschieden, dazu war er einfach zu sozial. Also hatte er nach dem
Spargeltarzan wahrscheinlich jemanden getroffen, der nicht ganz so spargelig
war, und hatte den dann in Rekordzeit abgeschleppt und auch gleich auf direktem
Weg nach draußen verfrachtet, ohne noch einmal bei seinen Kumpels
vorbeizuschauen, weil er … möglichst nach Hause kommen wollte,
solange er wenigstens noch ein bisschen angetrunken war. Genau.
Bullenkacke. Das machte noch
weniger Sinn als Statistik ohne Mischas Erklärungen. Ich konnte nicht glauben,
dass das bisschen Alkohol – oder auch viel mehr
Alkohol – ihn so sehr veränderten. Das war einfach nicht der Mischa,
den ich die letzten Wochen über versucht hatte nicht kennenzulernen.
Thomas sah nun nicht mehr
nachdenklich, sondern besorgt aus. „Hat Mischa mitbekommen, wie du den Typen
‚näher kennengelernt‘ hast?“
Nein. Wieso auch, er war ja
mit Tanzen beschäftigt gewesen.
Obwohl, ich hatte ihn auch
sehen können, also war es zwar unwahrscheinlich, aber rein
theoretisch …
„Möglich?“
Im selben Moment, als Thomas
das Gesicht verzog, wurde mir bewusst, dass die Aufmerksamkeit der anderen drei
auf uns lag. Auf Thomas, aber nun, da er mich etwas gequält ansah, vor allem
auf mir.
Thomas’ Blick wollte mir
etwas sagen, so viel war klar. Nun blieb nur noch die nebensächliche Frage nach
dem Was. Ich hatte keine Ahnung. Telepathie gehörte leider nicht zu meinem
Repertoire, und im Lesen von Körpersprache war ich auch nur mäßig begabt.
Die Stille – sofern
man in einer überlauten Disco davon sprechen konnte – wurde
unangenehm, aber ich wusste nicht, wie ich sie brechen konnte, ohne wie ein
Vollhorst dazustehen, weil ich nicht wusste, was Thomas von mir erwartete.
„Der Kleine, der Mischa
angetanzt hat“, sagte schließlich Tim als wäre eben kein seltsames Blickduell
zwischen seinem großen Bruder und mir im Sand verlaufen, „war echt ganz schön
aufdringlich. Ich hätte nicht gedacht, dass Mischa da mitmacht. Ich seh ihn ja
öfter mal auf der Piste, aber ich hatte nicht den Eindruck, dass das sein Typ
ist.“
„Nicht gutaussehend genug?“,
fragte Maxi.
Thomas seufzte und grinste
mich schief an.
„Nicht volljährig genug“,
antwortete Tim und sah dann zu Konstantin, „Aber die beiden waren plötzlich
weg. Meinst du, sie sind in den Darkroom?“
Ich schüttelte den Kopf. „Hab
den Twink eben aufm Klo gesehen. War richtig fuchsig, weil Mischa ihn
abserviert hat.“
Und danach ist er nach Hause.
„Na also.“ Tim sah echt
erleichtert aus. „Ich wusste doch, dass er mehr Verstand hat.“
Mischa hatte sich einen Kerl
angelacht. Ich hatte mir einen Kerl angelacht.
Mischa hatte seinen
abserviert. Ich hatte meinen halb vernascht.
Mischa war ohne sich zu
verabschieden nach Hause. Ich …
Ich sah auf. Es dauerte keine
fünf Sekunden, bis ich Thomas’ Blick aufgefangen hatte.
„Vielleicht …“ Nein,
oder? Ich zog die Augenbrauen zusammen, aber leider half beim Denken nicht.
Wenigstens fühlte es sich besser an. „… Vielleicht sollte ich … auch
nach Hause? Ich meine, es ist schon spät und ich – ich mag Dissen
nicht besonders.“
„Vielleicht, ja.“ Thomas’
Lächeln war wie ein Schwall frischer Luft in dem verschwitzten Club. „Du hast
es lange genug ausgehalten, mehr kann ich als Mitbewohner nicht verlangen.“
Ich lächelte zurück, froh,
das Richtige gesagt zu haben, und stand auf.
Als ich mich schon
verabschiedet hatte, rief mir Thomas nach: „Ach ja: Ich schlaf heute bei Timi!“
Ich war mir ziemlich sicher,
dass Tims empörter Ausruf nur gespielt war, aber ich blieb nicht, um es
herauszufinden.
***
Als ich die Wohnungstür
öffnete, fragte ich mich, ob Thomas nicht etwas falsch verstanden hatte, denn
es war dunkel und ruhig. Was, wenn Mischa nur vor die Tür gegangen und nun
schon längst wieder im Club war? Oder vielleicht hatte er einfach keinen Bock
mehr gehabt und war woanders hin.
Ich ließ den Kopf gegen die
Tür fallen und schloss kurz die Augen. Die ganze U-Bahnfahrt lang hatte ich
Herzklopfen wie blöd gehabt, weil ich mich geistig auf eine Konfrontation mit Mischa
vorbereitet hatte, von der ich noch nicht einmal sicher war, was ihr Kernpunkt
sein würde. Der selbstsichere, optimistische Teil von mir war der Meinung, dass
Mischa auf Leon eifersüchtig gewesen war und deshalb das Weite gesucht hatte;
aber der rationale, pessimistische Teil vertrat den Standpunkt, dass ich
aufhören sollte, mich wie ein zwölfjähriges Mädchen zu verhalten, das in einen
unerreichbaren, fünfzehn Jahre älteren Star verliebt war und sich wegen eines
Verses in einem seiner Lieder einbildete, dass er die Gefühle
erwiderte – oder, Moment, waren es Stalker, die so was taten? Meine
Ratio war nicht up to date, was Kinder und Kriminelle betraf.
Ich lauschte, aber es war
totenstill in der Wohnung. Ich war so dumm. Warum hatte ich die beiden
Spargels und Thomas’ seltsamen Blick nicht einfach ignorieren können? Dann wäre
ich aufs Klo, zurück zu Leon und schnurstracks zu ihm nach
Hause – und anstatt jetzt hier in der leeren Wohnung zu stehen, hätte
ich endlich wieder Sex. Und wenn er alles so tat, wie er küsste, dann hätte ich
gerade verdammt guten Sex. Verdammt guten Sex, den ich mir nun, nachdem ich
ohne Bescheid zu geben abgehauen war, für immer abschminken konnte.
So eine Scheiße.
Ich streifte die Schuhe ab
und warf die Jacke an einen Haken, dann machte ich mich auf den Weg in mein
Zimmer. Eigentlich achtete ich sonst nach dem Ausgehen darauf, dass ich vor dem
Zubettgehen genug Wasser trank, um einen Kater zu verhindern (zumindest, wenn
ich nicht schon zu betrunken dafür war), aber erstens hatte ich nicht genug
getrunken, um einen Kater zu bekommen und zweitens würde ich ihn wahrscheinlich
sogar begrüßen. Dann hätte ich wenigstens einen anderen Grund, mich schlecht zu
fühlen als der, mir Hoffnungen gemacht zu haben ohne sie mir wirklich
einzugestehen – und noch dazu einen wunderbar unkomplizierten
One-Night-Stand in den Wind geschlagen zu haben.
Aber
hey – wenigstens war ich zu Hause. Alles in Allem war es ein eher
kurzer WG-Bewohnerabend geworden und ich würde für die nächste Zeit von Discos
und Clubs verschont bleiben. Von unkomplizierten One-Night-Stands
wahrscheinlich ebenfalls, aber das war halt so. So nötig, dass ich dafür
freiwillig in einen Club ging, hatte ich es noch nicht.
Die Tür zu Mischas Zimmer
stand einen Spalt offen. Ich warf aus Gewohnheit einen Blick darauf und wollte
weitergehen, als ich plötzlich leise Geräusche bemerkte. Ganz leise,
wie – rhythmisches Ausatmen?
Im ersten Moment wurde mir
schlecht. Hatte er etwa doch jemanden mitgenommen?
Aber nein, dazu war es zu
leise. Egal, wie ruhig jemand beim Sex war, irgendeinen Laut gab man von sich.
Oder das Bett quietschte. Oder Haut traf auf Haut – irgendwas.
Ich trat einen Schritt an die
Tür heran, dann noch einen. Und dann übernahm die Neugier meine motorische
Kontrolle und drückte sie auf.
Mischa lag auf dem Boden und
machte Bauchpressen. Jetzt, mitten in der Nacht.
Aber – hui! Das sah
gut aus. Wirklich gut.
Leider hielt er bereits bei
der dritten inne und sah hoch. Einen Herzschlag lang verharrte er, dann ließ er
die Beine sinken und stützte sich mit den Armen auf dem Boden ab.
„Das muss ja schnell vorbei
gewesen sein. Habt ihr es überhaupt noch in den Darkroom geschafft oder war das
zuviel Privatsphäre?“ Seine Stimme war kalt und abweisend, auch wenn seine
Atmung immer noch heftig ging und mich an ganz andere Dinge erinnerte.
„Ich …“
„Weißt du was? Ich will es
nicht hören!“ Er stand auf und griff nach einem Handtuch, das auf dem Bett lag.
Doch bevor er sich den Schweiß von den Schläfen wischen konnte, fuhr er zu mir
herum und kam einen schnellen, großen Schritt näher. „Obwohl doch, erklär’s
mir, verdammt noch mal: Wie kommt es, dass du mich von Anfang an zurückstößt,
weil du von deinem Ex betrogen worden bist, dich aber dem erstbesten Kerl im
Gayclub an den Hals wirfst? Noch dazu einem, der offensichtlich nur einen
schnellen Fick sucht!“
Ich suchte nach Worten, aber
er ließ mir nicht die Zeit, welche zu finden.
„Bin ich echt so ein
Arschloch? Habe ich mich dir gegenüber so schlecht verhalten, dass du so was
mir vorziehst? Oder hat sich in den letzten Wochen etwas grundlegend geändert
und du hast mich aus dem Kopf gekriegt?!“
Im ersten Augenblick fragte
ich mich, woher er wusste, dass er meine Gedanken gepachtet hatte, dann
erinnerte ich mich an den Abend zurück, als ich mit Alex aus gewesen war.
Stimmt ja, ich Intelligenzbestie hatte es ihm brühwarm erzählt. Gut gemacht,
Milo.
Ich schüttelte den Kopf. Das
schien das einzige zu sein, zu dem ich noch im Stande war, denn ich hatte die
richtigen Worte, um ihm meine Reaktionen verständlich machen immer noch nicht
gefunden.
„Warum denn dann? Warum hast
du kein Problem damit, dich auf einen Playboy einzulassen, weigerst dich aber
konsequent, mir auch nur den Hauch einer Chance zu geben?“
Ich sah zur Seite. War es
nicht klar?
Offenbar nicht, denn er
wiederholte: „Warum?“
„Weil der Typ im Club mich
nicht verletzen kann, sogar wenn er mich mitten in der Nacht rausschmeißen
würde“, brach es schließlich aus mir heraus, „Weil ich ihn danach nie wieder
sehen müsste.“
Mischa schüttelte ungläubig
den Kopf. „Das ist nicht dein Ernst.“
„Ich wollte nicht …“
„Du hast vor meinen Augen mit
ihm rumgemacht! Und sag nicht, dass du nicht gewusst hast, dass mich das
verletzen würde – sogar Thomas ist aufgefallen, dass ich jedes Mal
Herzchenaugen bekomme, wenn du den Raum betrittst!“
Mein Mund klappte auf, aber
die Wörter hatten mich einmal mehr verlassen.
Herzchenaugen?!
„Ich dachte, du hättest mit
dem Spargeltarzan rumgemacht“, erwiderte ich schließlich leise. Ich hatte mich
zwar die ganze U-Bahnfahrt über genau auf das hier vorbereitet, aber dennoch
fühlte ich mich der Situation nicht gewachsen. Mischa hatte … Mischa
war wirklich wegen Leon nach Hause gegangen? Und ja, vielleicht war mir
nicht gänzlich entgangen, dass er mich manchmal länger oder intensiver ansah
als es ein reiner Kumpel normalerweise tat, aber – Scheiße noch mal,
es gab einen Unterschied zwischen jemanden attraktiv finden und wegen eines
Kusses abhauen! „Ich habe gesehen, wie er dich angesehen und die Arme um deinen
Hals geschlungen hat und dir näher gekommen ist …“
Außerdem … wenn es
ihn so gestört hatte, warum war er dann nicht rübergekommen und Klartext
geredet? Mich weggezogen, gesagt, dass es schließlich ein Abend mit den
Mitbewohnern werden sollte, irgend so was? Damit hätte er noch nicht einmal
sein Versprechen gebrochen, mich nicht mehr anzuflirten.
Warum hatte er nicht einmal
versucht zu kämpfen?
Mischa erwiderte nüchtern:
„Ich habe ihn weggedrückt. Ich wollte nichts von ihm.“
„Ich weiß.“ Ich seufzte. Ja, jetzt
wusste ich es. „Ich hab’s vom Spargeltarzan persönlich erfahren, aber erst im
Nachhinein. Ich hatte mich zu schnell abgewandt und wollte mich
ablenken …“
„Mit dem Typ.“
Ich zuckte mit einer
Schulter. „Ich habe nicht nachgedacht. Ich hatte Panik und Leon
war … das Nächstgelegene.“
„Leon.“ Mischa verschränkte
die Arme vor der Brust. „Warum bist du überhaupt mit dem in die dunkle Ecke? Da
hatte der Kleine ja noch nicht versucht, mich zu küssen. Panik kann’s es also
nicht gewesen sein.“
„Du hast mit ihm getanzt“,
rutschte es mir heraus. Ich sah gerade rechtzeitig hoch in sein Gesicht, um die
Überraschung darin zu erkennen. „Ihr hättet Dirty Dancing Konkurrenz
machen können!“
„Was hätte ich denn tun
sollen, verdammt? Du hast mich den ganzen Abend lang noch schlimmer ignoriert
als sonst und das, nachdem es letzte Woche besser geworden war – und
als der Junge plötzlich vor mir auftauchte, wollte ich ihn erst wegschicken,
aber dann habe ich bemerkt, dass du rübergeschaut hast.“
„Natürlich gucke ich, wenn du
mit einem Spargeltarzan fast auf der Tanzfläche rummachst!“ Nun war es an mir,
die Arme zu verschränken. Das konnte er unmöglich mir anhängen – er
hätte nicht mit dem Kleinen tanzen müssen. „Und das, nachdem ich dir
gesagt hatte, dass mein Ex mich mit genau so einem betrogen hat!“
Mischas Augenbrauen zogen
sich etwas zusammen, aber es sah nicht wütend, sondern hilflos aus. Er schien
nach einer Antwort zu suchen, bis er schließlich fast schon entschuldigend
murmelte:
„Ich habe dir gesagt, dass
ich auf den Typ Mann nicht stehe.“
„Und das sollte ich glauben,
wenn ich live miterleben konnte, wie er seine Hüften an dir gerieben hat?
Welche Reaktion hast du denn von mir erwartet? Dass ich dadurch einsehe, dass
du anders bist als alle anderen?“
„Ich hatte gehofft, dass du
eifersüchtig wirst!“ Mischas Stimme war bei diesem Satz bedenklich laut
geworden und er presste den Kiefer zusammen und atmete einmal deutlich ein und
aus, bevor er weitersprach. „Ich habe mir eingebildet, du hättest eifersüchtig ausgesehen,
als du rübergeschaut hast und …“ Er brach ab, fuhr sich mit der Hand übers
Gesicht und sackte dann ein wenig in sich zusammen. „Ich hab gehofft, dass du
einsiehst, dass du viel besser zu – ich hab gehofft, dass
du … keine Ahnung.“
‚Kämpfst‘, vielleicht? Super,
wie’s aussah war ich auch nicht besser als er.
„Ich konnte ja nicht wissen,
dass es dich dazu bringt, gleich mit einem andern Kerl rumzumachen!“ Mischa
drehte sich um und ging einige Schritte in sein Zimmer hinein. Ich blieb, wo
ich war, im Türrahmen. Wo hätte ich auch hin sollen? Einfach weglaufen
konnte – wollte – ich nicht und ohne Einladung würde ich
auch nicht in sein Zimmer. Vielleicht noch nicht einmal mit.
„Was hätte ich denn tun
sollen?“ Ich sah ihn an, als er sich wieder zu mir drehte. „Zwischen uns ist
nichts …“ Das stimmte nicht ganz, es war nicht nichts, egal, wie
sehr ich versucht hatte, mein und auch sein Interesse zu ignorieren. Aber es
war nicht genug. Nicht genug, um mein Hirn auszuschalten, nicht genug, um es
noch einmal zu riskieren.
Mischa ließ sich Zeit mit der
Antwort. Er musterte mich lange, mit diesem Blick, den ich nie ganz verstand.
Dann kam er wieder einen Schritt auf mich zu.
„Ich will aber, dass zwischen
uns etwas ist.“ Noch ein Schritt
und dazu sah er mir so bestimmt in die Augen, dass ich das Gefühl hatte,
alleine von seinem Blick gelähmt zu werden. „Etwas Festes.“
***
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