Update-Info

07.01.2015: Ich wünsche allen ein (verspätetes) frohes neues Jahr! :)

Bei uns hat das Jahr leider mit einer Krebsdiagnose begonnen. Nicht meine, aber dennoch werden die Kapitel in absehbarer Zeit nur sehr unregelmäßig erscheinen.

Sonntag, 21. Dezember 2014

Von Edelsteinen und Papierengländern 30:


Mir fror langsam aber sicher alles ab, auch die Dinge, von denen ich nicht einmal gewusst hatte, dass sie abfrieren konnten. Doch das war nicht der Grund, warum ich mich schließlich bewegte. Nein, der Grund lag irgendwo zwischen Rubins Fingerspitzen auf meiner Wange und meiner Erschöpfung. Und das war ich, erschöpft. Nicht plötzlich, aber so richtig. Und der Drang, endlich Klarheit zu schaffen, dimmte, als die Angst in seinem Blick zu mir durchdrang. Einerseits machte mir das nur noch deutlicher, dass wir reden mussten, und das dringend; andererseits konnte ich nicht nicht auf die Angst Rücksicht nehmen, konnte mich nicht gegen den Drang wehren, sie ihm nehmen zu wollen. Wusste, dass ich das nicht vollkommen tun konnte, und hasste mich irgendwo tief drinnen für dieses Unvermögen.
Das Lächeln, das ich auf mein Gesicht zwingen wollte, wehrte sich hartnäckig und blieb schließlich im rechten Mundwinkel hängen.
„Echt scheiße kalt hier“, brachte ich irgendwie hervor und sah Erleichterung und noch etwas, das ich nicht erkannte, über sein Gesicht einbrechen.

Mittwoch, 10. Dezember 2014

Von Edelsteinen und Papierengländern 29:

Die Busfahrt zurück verlief in Schweigen. Rubin hatte sich entschuldigt, wofür genau – ob für Lukas’ blöde Anspielungen, dafür, dass er sich eine ganze Weile mit ihm unterhalten hatte oder für Lukas’ Existenz im Allgemeinen – wusste ich nicht. Wenn er schlau war, dann war es Letzteres, aber eigentlich war es auch egal. Dass sich die beiden mit Küsschen-Küsschen verabschiedeten, war auch egal. Wirklich. Auch, dass es eher nach einem Kuss statt zwei Küsschen ausgesehen hatte. War mir doch latte.
Was mich sehr wohl interessierte war, ob Rubin Lukas von … was auch immer zwischen uns war erzählt hatte oder ob es ein Schuss ins Blaue von Lukas’ Seite aus gewesen war … oder …
Oder.
Ob man es uns ansah.

Mittwoch, 3. Dezember 2014

Von Edelsteinen und Papierengländern 28:

‚Können wir diese Arrangements nicht auflösen? Können wir nicht einfach kuscheln, weil es schön ist?‘
Das war jetzt nicht sein Ernst. Dieser – er wollte mit meine Ausreden nehmen! Jetzt, wo ich mich halbwegs damit abgefunden hatte, jetzt, wo ich es halbwegs akzeptieren konnte – dank der Ausreden – jetzt wollte er sie mir wegnehmen! Das konnte er doch nicht tun – das war unfair, verdammt! Und sowieso, das hörte sich ja alles ganz toll hochtrabend an, aber die Realität sah nun einmal anders aus.
Ja, genau! Die Realität, die kam mir endlich mal zu Hilfe. Ansonsten war sie ja eher gegen mich – mit der sexuellen Orientierung und der Wanderlust meiner Eltern – aber heute, endlich, stellte sie sich auf meine Seite! Besser spät als nie, Bitch!
„Aber du bekommst eine Empfehlung dafür, dass du mir Nachhilfe gibst“, gab ich zu bedenken und war recht stolz auf mich, dass meine Stimme dabei gefasst und normal wirkte. Schon interessant, auf was für Dinge ich plötzlich stolz war – vor allem, da ich sonst meine Stimme so gut wie immer im Griff hatte. Keine Ahnung, wie meine ganze erarbeitete Persona bei ihm so schnell den Bach runter gegangen war.
Rubin verzog das Gesicht zu etwas, das wohl ein Lächeln darstellen sollte, aber nie ganz eins wurde. „Vyvyan“, begann er, stockte, presste kurz die Lippen aufeinander und redete dann doch weiter, „ich habe meine Bewerbungen längst abgeschickt.“

Mittwoch, 26. November 2014

Von Edelsteinen und Papierengländern 27:


Rubin lag still da, die Augen geschlossen, den Kopf auf die Decke gelegt. Und harrte der Dinge, die da kamen. Die ich da tun würde. Ich konnte gar nicht in Worte fassen, wie sehr mich das anmachte. Einfach nur die Tatsache, dass er sich mir anbot, dass er sich mir hingab, und dass ich sehen konnte, wie er sich beherrschen musste. Das leichte Zittern, das seinen Körper erfasste, als mein Atem seine Lenden streifte. Die Hitze, die sein Körper verströmte. Sein Geruch. Weniger Zitronengras hier unten und mehr … Rubin.
Ich drückte meine Lippen auf die Stelle, die eben noch von meinem Atem gewärmt worden war, und spürte, wie er sich unter mir anspannte. Es war nicht so, dass ich ihn auf die Folter spannen wollte oder dass ich mir nicht sicher war; vielmehr wollte ich diesen Moment auskosten, die Erwartung, das Kribbeln, das über meinen Rücken und bis in meine Zehenspitzen lief, ja, sogar die Angst, es falsch zu machen. Das alles war neu und aufregend und ich wusste, dass es nie wieder so sein würde. Es würde nie wieder das erste Mal sein.

Mittwoch, 19. November 2014

Von Edelsteinen und Papierengländern 26:

Während wir so auf Betsy lagen und kuschelten, wurde ich nach und nach von einer seltsamen, lähmenden Unruhe erfasst, die ich mir nicht ganz erklären konnte. Ich wollte liegen bleiben und aufstehen, die Lider schließen und ihn nicht aus den Augen lassen, damit ich keine mögliche Bewegung verpasste. Ich wollte näher an ihn heranrutschen und ihn von mir schieben. Als er eine Hand unter seinem Schopf hervorzog und den Arm um meine Schulter legte, wurde das Gefühl, etwas tun zu müssen, so stark, dass ich glaubte jeden Moment platzen zu müssen. Es kribbelte und zwickte und machte es mir unmöglich, an irgendetwas anderes zu denken. Und dann löste sich meine Starre. Nicht komplett, aber zumindest in meiner Hand und ich begann, seinen Bauch zu erkunden. Ich fing klein an, spreizte erst nur die Finger, und ballte sie danach in Zeitlupe zur Faust, kratze dabei leicht über seine Haut, und das half, das seltsam drängende Kribbeln loszuwerden. Oder nein, nicht loszuwerden, aber umzuleiten. Erst war ich mir nicht sicher, aber als ich begann, meine flache Hand auf ihm zu bewegen und mir die Form seines Körpers allein durch Berührung einzuprägen, wurde es deutlich: Je mehr Freiheit ich meiner Hand gab, desto angenehmer wurde es für mich. Aus tausend Nadelstichen in meinem Innern wurde Champagnerprickeln.
Rubins Bauchmuskeln zuckten unter mir und sein Atem beschleunigte sich mit jedem Millimeter, den ich mich bewegte. Als ich schließlich, nach einem gemächlichen Umweg über seine Brust, seinen Bauchnabel ertastete, keuchte er auf und flüsterte:
„Mediumkuscheln?“

Donnerstag, 13. November 2014

Von Edelsteinen und Papierengländern 25:


Diesmal konnte ich um einiges länger im post-orgasmischen Glücksnebel verweilen. Und auch, als ich langsam auftauchte, kam keine Panik auf. Hätte sie vielleicht sollen, wenn man bedachte, dass ich die ganze Zeit über nackt auf Rubins Schoß gesessen hatte, aber irgendwie – nah, es gab Schlimmeres. Er würde es schon nicht weitererzählen.
… Alleine die Tatsache, dass ich das dachte, war erschreckend. Und dennoch war mir das in diesem Moment egal; vielleicht würde ich meine Meinung ändern, wenn mein Kopf nicht mehr von Zitronengras und Grübchen vernebelt wurde, vielleicht aber auch nicht. Irgendwann wurde mir aber zumindest klar, dass ich nackt auf Rubins Schoß saß und immer noch die Arme um ihn geschlungen hatte.
Und, dass er noch nicht gekommen war. Ups.

Mittwoch, 5. November 2014

Von Edelsteinen und Papierengländern 24:

Wie lange wir so dalagen, konnte ich in Retrospektive nicht sagen, denn irgendwann driftete ich ab. Es war so warm und gemütlich und roch so gut und es war ruhig – was es bei uns zu Hause nach acht Uhr nie war – und ich hatte so wenig geschlafen und mein Kopf war endlich still. Nachdem ich mir den ganzen Morgen über Gedanken gemacht hatte, war das eine unglaubliche Erleichterung. Vor allem, da es Gedanken gewesen waren, die ich mir nicht hatte machen wollen, die ich am liebsten ganz tief begraben und nie wieder hervorkommen lassen hätte. Rubin und ich, klar.
Aber eben, mein Kopf hatte endlich eingesehen, dass die Panikmache nichts bringen würde und dass ein bisschen den Moment genießen und Schlaf nachdösen nicht schaden konnte. Bis, ja, bis sich die Situation änderte. Es begann schleichend, so dass ich den Anfang verpasste. Irgendwann mussten Rubins Finger angefangen haben, sich zu bewegen, langsam erst, in kleinen Kreisen oder kurzen Linien vielleicht. Warum sollte ich das auch bemerken? Da hatte sich ja noch nichts geändert – es war immer noch warm, schön, ruhig und wohlig – und ich döste zufrieden vor mich hin. Auch, als die Bewegungen größer und nicht mehr ganz so federleicht wurden, blendeten sie sich perfekt in meine Welt ein. Seine Lippen, die über meine Schulter geisterten, spürte ich zwar, aber sie gehörten einfach dazu und waren noch kein Grund, mit dem Dösen aufzuhören. Erst, als sie langsam über meinen Hals zur Kehle wanderten und ab und an von Zähnen abgelöst wurden, kroch mein Bewusstsein in meinen Körper zurück.

Mittwoch, 29. Oktober 2014

Von Edelsteinen und Papierengländern 23:


Es war acht Uhr fünfzehn am neunundzwanzigsten Dezember und ich saß im Bus, ohne wirklich zu wissen, warum. Meine einzige, unzureichende Begründung war: Rubin hatte gesagt, früher sei besser. Das entsprach zwar der Wahrheit, aber wenn man bedachte, dass er garantiert noch im Bett lag und bei meinem Glück die Klingel nicht hören und ich deshalb elendig draußen erfrieren würde, verpuffte die Ausrede in tausend zerbrochene Schneeflocken. Ich würde mir sonst was abfrieren, das wusste ich jetzt schon – ganz abgesehen davon, dass ich auch keinen Plan hatte, was ich ihm als Begründung für das frühe Auftauchen geben wollte; aber mittlerweile war das egal, denn umkehren und wieder nach Hause konnte ich nicht – es würde seitens Mum nur zu unangenehmen Fragen führen – und woanders hin auch nicht. Also was blieb? In den sauren Eiszapfen beißen und ihn wenn nötig wachklingeln, mit Handy und Türklingel im Kombipack. Wenn nötig sogar ganz fernsehreif mit Kieselsteinchen gegens Fenster. Oder Backsteinen.
Blöder Morgenmuffel.

Mittwoch, 22. Oktober 2014

Von Edelsteinen und Papierengländern 22:


Den Rest des Nachmittags lang waren wir nicht mehr alleine und irgendwie hatte ich das Gefühl, dass das Rubin ganz recht war. Nur wie es mit mir selbst aussah wusste ich nicht. Einerseits hätte ich ihm gerne zu verstehen gegeben, dass er wegen meinem dummen Verplapperer nicht mit dem Küssen aufhören musste; andererseits war mir nicht nur klar, dass ich keine Ahnung hatte, wie ich es ihm denn ‚zu verstehen geben‘ wollte, denn ‚geradeheraus sagen‘ kam nicht in Frage, nein, noch dazu fand ein Teil von mir auch, dass das grundsätzlich eine schlechte Idee war. Ihn dazu zu bringen, das Küssen sein zu lassen, war nicht geplant gewesen – aber ihn zu küssen ebenso wenig. Mit ein bisschen kreativem Verdrängen wäre es sicher möglich, wenigstens diese Erfahrung irgendwo nach ganz weit unten zu verstauen.
Aber er hatte so verletzt ausgesehen. Da ich mich gestern nicht umgedreht hatte, wusste ich nicht, wie es im Verhältnis zum Nebensächlich-Debakel stand, aber auch alleine war es unschön. Dass ich das Gefühl hatte, dass er sich den Rest des Nachmittags zurückzog, machte es nicht besser. Das fing schon auf Betsy an, wo er sich an den Rand neben Megan legte – klar, da sie beide vorlesen sollten war es praktischer, wenn sie nebeneinander lagen, aber trotzdem, irgendwie … war er so weit weg. Und eine Stimme in mir flüsterte, dass er das nicht nur deshalb war, weil zwei Personen zwischen uns lagen. 
Nachdem wir eine Weile alle zusammen so Peter Pan gelesen hatten, wurde Kitty unruhig.
„Wann essen wir denn?“, fragte sie und sah mich erwartungsvoll an.
„Na, erst müssen wir kochen.“
„Zitronenrisotto, ja?“
Ich nickte 
„Können wir es jetzt machen? Ich hab Hunger.“
Ich schmunzelte und warf Rubin einen Blick zu. „Da musst du schon den Hausherren fragen.“

Mittwoch, 8. Oktober 2014

Von Edelsteinen und Papierengländern 21:


Als wir ins Wohnzimmer kamen, begrüßte uns Megans gleichmäßige Stimme.
„There was another light in the room now, a thousand times brighter than the night-lights, and in the time we have taken to say this, it had been in all the drawers in the nursery, looking for Peter's shadow, rummaged the wardrobe and turned every pocket inside out …“
Uäch. Ami-Englisch, ganz viel davon.
Als ich hochsah, erblickte ich Kitty mit Megan auf Betsy, beide bäuchlings auf der Fleecedecke liegend. Megan hielt inne und sah zu uns.
„Hey Jungs!“ Sie lächelte uns freundlich an und sah von mir zu Rubin. Bei ihm wurde ihr Blick fragend. „Na, habt ihr’s überstanden?“ Nach einer Sekunde – noch vor Rubins Antwort – wurde ihr Lächeln um einiges breiter.
Äh …
Nein. Darüber wollte ich nicht nachdenken. Sollte ich auch nicht, denn ich wusste auch so, was für paranoide Schlüsse ich daraus ziehen und wie ich auf diese Schlüsse reagieren würde.
Megan wusste von nichts. Garantiert nicht. Bitte nicht.
Vyvyan macht große Fortschritte.“
„Das freut mich zu hören.“
„Meinst du, Vyvy besteht den Test?“, fragte Kitty Rubin mit großen, hoffnungsvollen Augen.
Und er warf doch echt Megan einen Blick zu, bevor er Kitty anlächelte und, freundlich wie eh und je, antwortete: „Ich bin guter Dinge, ja.“

Mittwoch, 7. Mai 2014

Von Edelsteinen und Papierengländern 20:


„Das ist Rubins Haus?“
Ich nickte.
„Wow, es ist hübsch!“
Schulternzucken. Als sie mich erwartend ansah, fragte ich wenig enthusiastisch: „Findest du?“
„Voll!“
Kitty hatte schon den ganzen Morgen über gute Laune, im Gegensatz zu mir. Ich hatte keine Ahnung, was mich erwarten würde. Mein … Gehen gestern war ja nun nicht die feine Englische gewesen, und ich war mir nicht sicher, wie Rubin es aufgenommen hatte – und wie er einen halben Tag später darüber dachte. Verdammt, ich war mir noch nicht einmal sicher, ob er die Tür öffnen würde – fast hätte ich gestern Abend per SMS nachgefragt, aber dann hatte ich mich nicht dazu überwinden können. Ich wollte es nicht wissen. Und, wenn ich ehrlich war, dann lag das nicht nur daran, dass Miss Kitty sehr, sehr enttäuscht wäre, wenn sie Betsy doch nicht kennenlernen dürfte. Sehr enttäuscht und wahrscheinlich auch trotzig-wütend. Keine gute Kombination – aber eben, das war nur ein Teil des Grundes. Ich versuchte mir zu sagen, dass mir Rubins Reaktion egal sein konnte, dass es mich nicht tangierte, wie er sich nach gestern verhalten würde, doch das funktionierte nicht. Ich hatte mich wie ein Arschloch verhalten, das war die traurige Wahrheit. Und das, nachdem ich angefangen hatte, mit – mit – ich hatte die Kontrolle verloren und danach … das tat man nicht. Rubin mochte ein Außenseiter sein, aber das war dennoch kein akzeptables Verhalten. Vielleicht sollte ich anfangen, von ihm als normalen Mitschüler zu denken und ihn auch so zu behandeln. Einem anderen Mitschüler hätte ich nie und nimmer so etwas gesagt – gut, einem anderen wäre ich auch nicht an die Wäsche, aber daran konnte ich auch nichts mehr ändern. Verdrängen und ignorieren hörte sich in meinem Kopf nach einer verdammt guten Taktik an, aber irgendetwas sagte mir, dass das nicht funktionieren würde, wenn Rubin immer noch … gut aussah, eben. In meinen Augen. Ich hoffte ja, dass er einfach wieder zu ‚blond, dunkle Augen, blasse Haut, Außenseiter‘ wurde, aber … ja. Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. Und in meinem Fall war zuletzt sobald ich ihm gegenüberstehen würde, also in etwa einer Minute.
Fantastisch.

Donnerstag, 24. April 2014

Von Edelsteinen und Papierengländern 19:


Ich rutschte näher. Berühren tat ich ihn noch nicht, aber viel fehlte nicht mehr. Das … das war nicht mein Ding. Ehrlich nicht. Kuscheln. Mit Männern. Nein.
Also, klar, theoretisch wahrscheinlich schon, wenn man in Betracht zog, dass ich homosexuell war. Aber … aber das war nicht geplant gewesen! Irgendwann, wenn ich es nicht mehr anders aushielt, Sex, okay – wenn es nicht anders ging. Gehörte wohl einfach zum Schwulsein dazu. Aber mehr nicht. Kein Kuscheln, keine Gefühle, am liebsten auch keine Küsse. Nur Triebbefriedigung – für den Trieb konnte ich ja nichts, da war bereits vor meiner Geburt was schief gelaufen. So wie das Intermezzo an meiner Zimmertür: Das war reine Triebbefriedigung gewesen. Viel zu früh – ich hatte von mir selbst mehr Selbstkontrolle erwartet – aber wenigstens ohne Ballast. Angekuschelt werden, so wie gestern – das konnte man auch noch durchgehen lassen. Ich hatte ja nichts getan, nur dagelegen. Selber kuscheln aber, das war ein ganz anderes Kaliber. Das implizierte, dass ich es wollte. Was ich nicht tat.
Dann kannst du ja gehen, erklang Rubins Stimme in meinem Kopf, niemand hält dich auf.
Warum hatte er das auch sagen müssen? Dass ich nichts ‚musste‘? Dass er auf keinerlei Gegenleistung bestand? Das war doch beschissen! Wer wollte so was schon hören? War ihm denn nicht klar, dass es einfacher für mich war, wenn ich mir sagen konnte, dass ich keine andere Wahl hatte?
Bastard, wirklich.

Mittwoch, 16. April 2014

Von Edelsteinen und Papierengländern 18:


„Sollten wir nicht langsam aufstehen?“
„Nein.“
„Wie spät ist es?“
„Interessiert mich nicht.“
Ich seufzte. Ich hatte keine Ahnung, wie lange wir nun schon hier lagen, aber es war sicher später, als ich in diesem Jahr je aufgestanden war. Und langsam wurde ich unruhig. Ich war einfach nicht der Typ, der gerne unnötig lange im Bett herumlag. Rubin offensichtlich schon, denn der kuschelte immer noch. Mittlerweile wieder inklusive Daumenstreicheln, also war er wach. Wieso ließ ich das eigentlich mit mir machen?
Mein Verstand brabbelte etwas von einer ‚Rubins Drohung von versauter Laune‘, und auch wenn sich das nach einer äußerst fadenscheinigen Ausre…Erklärung anfühlte, beließ ich es dabei. Eine bessere hatte ich nämlich nicht – was wirklich fantastisch war. Wirklich, genial. Aber absolut. Ich hatte schon seit Ewigkeiten davon geträumt, so einmal meinen Tag zu beginnen: mit schlechten Begründungen an meinen amerikanischen Nachhilfelehrer gekuschelt. Yippie.
„Lässt du mich dann wenigstens los, damit ich auf die Uhr schauen kann?“ Und ja, er hielt mich wirklich fest, umschlungen, irgendwie. Das an sich war nicht so schlimm, eigentlich, irgendwie – ach, keine Ahnung, ich wollte einfach aufstehen!
„Wir haben Weihnachtsferien, du hättest heute sowieso herkommen müssen – also ist es doch egal, wie spät es ist“, sagte er, seufzte dann und rollte sich plötzlich über mich.
Äh – was wird das, wenn’s fertig ist?
Er streckte die Hand aus, kramte einen Moment in der Nachttischschublade und hielt mir dann plötzlich eine Armbanduhr vor die Nase.
„Zufrieden?“
Zwölf Uhr siebzehn.
Zwölf Uhr siebzehn?!
„Es ist bereits Mittag!“
Rubin sah selbst auf die Uhr und zuckte dann mit den Schultern.
„Und?“
Und? Wir müssen endlich aufstehen, verdammt! Wir haben so schon den halben Tag verschlafen.“
„Wir sind ja auch spät zu Bett gegangen.“
Ich sah ihn unbeeindruckt an und er seufzte und ließ den Kopf auf meine Schulter fallen.
„Du hast keine Kuschelausdauer.“
„Hab ich auch nie behauptet.“
Er schnaubte unwillig.
„Was denn“, fragte ich, „wirfst du mich jetzt deswegen raus?“
„Nein“, erwiderte er nonchalant, „Ich hab mich nur gefragt, wo ich die Handschellen hingetan habe.“ Dann richtete er sich auf und stieg kurzerhand aus dem Bett. „Das macht dann abgerundet neun Stunden kuscheln – also bekomme ich noch einmal neun.“

Mittwoch, 9. April 2014

Von Edelsteinen und Papierengländern 17:


Ich war weit entfernt von jeglicher Art Entspannung, allen voran Schlaf. Auf der Seite liegend, mit Rubin im Rücken, am Rücken, seinen Arm um mich, seinen Atem auf meiner Haut – wer konnte es mir verdenken? Keine optimale Situation für Schlaf. Noch weniger, weil er auf die Idee kam, seine Nase in meinen Haaren zu vergraben. Keine Ahnung, wer ihm das erlaubt hatte, aber ich war es sicher nicht gewesen. Ihn davon abhalten oder ihn deswegen wegschieben tat ich aber trotzdem nicht, weil …
Also, weil …
Mist.
Alles seine Schuld.
Aber ehrlich, ich hatte mir schon die Blöße gegeben und dem Kuscheln zugestimmt. Und, auch wenn ein erhöhter Puls auf Dauer ungesund war, fühlte er sich auf eine masochistische Weise gut an. Das Herzklopfen, die Anspannung – ich wusste, dass Rubin nichts tun würde, aber dennoch war es da, zusammen mit den bisherigen Bildern; denen von der ersten Nachhilfe, aber auch unschuldigere: von heute, wie er sich ausgezogen hat; wie er am Weihnachtsmorgen nach der Dusche ausgesehen hatte; wie er entspannt auf Betsys Bank saß und mit mir über die Bedingungen für eine Patenschaft diskutierte. Grübchen. Die wenigen Male, als er gelacht hatte.
Oh, verflucht. Ich war nicht grundsätzlich dumm, aber ich wollte gerade ein ganzes Stück dümmer sein, als ich war. Begriffsstutziger, vor allem.

Mittwoch, 2. April 2014

Von Edelsteinen und Papierengländern 16:


Nikki-Graus hatte sein Abenteuer beendet, Weihnachten war gerettet und die schaurig-schöne Musik, die fast jeder kannte, leitete den Abspann ein. Rubin neben mir gähnte leise, schaltete den DVD-Player aus und das Licht an.
„Ich bin müde.“
Ja, das sah man ihm an, sogar dann, wenn man, wie ich gerade, geblendet war.
Ich nickte, nahm unsere Teller und brachte sie in die Küche, wo ich sie halbpatzig abspülte und in den Geschirrspüler packte. Rubin schob unterdessen den Fernseher wieder an seinen angestammten Platz und kam dann zu mir, murmelte ein Danke, ging vor mir in den ersten Stock hinauf.
Mein Magen fand offensichtlich, dass Treppensteigen ein guter Zeitpunkt war, um mit neumodischen Mätzchen anzufangen. Und mit jeder Stufe wurden sie schlimmer.
Rubin öffnete ein Schränkchen im Bad und griff sogar in seinem übermüdeten Zustand zielsicher nach einer neuen Zahnbürste – so zielsicher, dass ich mir wiederum sicher war, dass er nicht das erste Mal jemandem eine Zahnbürste gab, obwohl er fast aus den Latschen kippte. Hm. Das … hm.
„Hier, Zahnbürste. Der Waschlappen da, der rechte, ist auch frisch. Das rechte Handtuch auch. Ich schau noch mal nach Betsy; du weißt ja, wo das Bett steht.“
Ich nickte, auch wenn mir bei dem Gedanken nicht so wohl war. Sicher, ich wusste, wo das Bett stand – wo ein Bett, nämlich seines, stand. Und ich wusste auch, dass es, genauso wie der Raum an sich, groß genug für zwei war, aber – wie sagt man so schön? Die Größe ist nicht wichtig – und das galt auch für mich, denn auch wenn ein breites Bett besser als ein schmales Bett war, war es immer noch ein einziges Bett und mir ein einziges Bett mit Rubin zu teilen erschien mir nicht gerade wie die beste Idee des Jahrhunderts.
„… Gästebett?“

Mittwoch, 26. März 2014

Von Edelsteinen und Papierengländern 15:


Rubin verteilte die Sauce auf dem zweiten Teller Gnocchi, deckte die Pfanne zu und drehte sich zu mir.
„Was hältst du davon, wenn wir beim Essen einen Film gucken?“
Nun ja. Einerseits würden wir uns nicht unterhalten müssen – und ich hatte mich die letzten Minuten bereits mental auf ein Essen in unangenehmer Stille vorbereitet. Denn, ganz ehrlich: Wirklich etwas zu reden hatten wir nicht. Keine gemeinsamen Interessen, keine gemeinsamen Freunde … und das Geplänkel beim Kochen oder bei der Nachhilfe lief doch nur gut, weil wir da etwas zu tun hatten und wir darüber reden konnten. Aber beim Essen sah die Situation wieder anders aus.
Andererseits dauerte ein Film meist zwei Stunden und ich hatte nicht vorgehabt, so lange zu bleiben. Mein Plan hatte fünfzehn Minuten plus Abräumen und Winterklamotten anziehen umfasst. Mitten im Film abzuhauen wäre aber auch verdammt unfreundlich – was mir eigentlich egal sein konnte.
Ja.
Trotzdem … ich musste ihn ja nicht unnötig vor den Kopf stoßen. Von wegen Neuanfang und so.
Wäre es sehr seltsam, wenn ich vorschlagen würde, stattdessen lieber eine alte Loony Tunes-Folge zu gucken? Oder Two and a Half Men?
„Wir könnten den Fernseher rüberschieben und es uns auf Betsy gemütlich machen“, fügte er hinzu und –
„Okay.“
Zu schnell. Das war eindeutig zu schnell.
Rubin lachte und hob amüsiert eine Augenbraue. „Sicher?“
Bastard.

Mittwoch, 29. Januar 2014

Von Edelsteinen und Papierengländern 14:

Ich mag dich nicht nicht.
Wow, der Blick war intensiv. Konnte ich wieder die Grübchen haben, bitte? Mein Nacken kribbelte und ich wusste nicht, ob das in seinen Augen Wut oder doch etwas anderes war.
Scheiße, das – das …
Ich wollte hier weg – und gleichzeitig auch … nicht.
Doch, natürlich wollte ich weg. Und ich wollte, dass er mich losließ, sofort.
„Ich habe nichts gegen dich“, sagte er nach einer kurzen Pause, „du bist mir sympathisch; ansonsten hätte ich Kirstens Angebot nie angenommen.“ Sein Blick verlor an Intensität, wurde wieder distanzierter, und sein Griff um meine Hand weniger fest. Ich entspannte mich ein bisschen.
Sympathisch, das … hm.
„Dann hast du eine verdammt charmante Art, das zu zeigen.“
„Das am Anfang war nichts gegen dich persönlich, da habe ich dich ja noch nicht gekannt. Deine Freunde dagegen mag ich nicht – und ich habe nicht vor, das zu überspielen.“
Das war’s dann wohl für Theo und seine Nachhilfe in Mathe bei Rubin. Ich konnte nicht sagen, dass ich das schade fand.
Ich erwiderte den Blick noch einen Moment, dann wandte ich mich ab und entwand meine Hand seiner.
„Du willst, dass ich die Zeit von August bis heute ‚vergesse‘? Sogar wenn ich wollte, das funktioniert nicht.“ Und meinem Nacken zuliebe nahm ich noch ein wenig mehr Abstand, indem ich zum Tisch hinüber ging und mich an die Kante lehnte.
Rubins Blick verfolgte mich. „Ganz ‚vergessen‘ sicher nicht, aber ein Neuanfang könnte trotzdem funktionieren. Natürlich nur, wenn wir es versuchen.“
„Und was soll mir das bringen?“
„Angenehmere Ferien ohne dass zu denkst, dich immer über mich aufregen zu müssen?“
„Vielleicht tue ich das ja trotzdem noch.“
„Dann haben wir Pech gehabt.“ Er lehnte sich mit der Hüfte an die Anrichte und verschränkte die Arme vor der Brust.

Mittwoch, 22. Januar 2014

Von Edelsteinen und Papierengländern 13:


Während ich auf Fee wartete, fiel mir ein, dass es vielleicht höflicher wäre, Rubin Bescheid zu geben, wann ich etwa bei ihm sein würde. Ehrlich gesagt hatte ich große Lust, es aus Trotz sein zu lassen und einfach irgendwann bei ihm aufzutauchen, aber sogar ich wusste, wie kindisch das Verhalten wäre. Und wenn ich ganz, ganz ehrlich war (etwas, das mir meist Kopfschmerzen bereitete), dann wusste ich, dass er an dem Streit mit Mum keine Schuld trug – noch nicht einmal indirekte, denn er konnte ja nicht wissen, was für ein Mensch sie war und wie sie auf die Idee mit der Nachhilfe und sein freundliches Getue reagieren würde. Bei Hera, noch nicht einmal ich hatte das vorausgesehen und ich war seit über siebzehn Jahren ihr Sohn, die Zeit in ihrem Bauch nicht mitgerechnet.
Also rechnete ich noch einmal kurz nach, wie lange das Kino dauern würde, dann die Busfahrt zu ihm, plus ein Abstecher in den nächsten Supermarkt, und schrieb ihm eine kurze Nachricht. Seine Antwort war ebenso kurz, aber irgendwie schaffte er es, sich dabei trotzdem auf die desinteressierteste Art, die mir je begegnet war, für die Benachrichtigung zu bedanken. Wenigstens konnte ich nun meine dicken Handschuhe wieder anziehen.
„Vyvyan!“ Fee kam auf mich zu und rannte die letzten paar Schritte. „Hast du lange gewartet?“
„Keine zehn Minuten“, erwiderte ich und zog sie an mich, küsste sie. Und wie immer, wenn ich sie küsste, richtig küsste, schmiegte sie sich sofort noch näher an mich und legte die Arme um meinen Hals. Und wie immer war Fee zu küssen – nun, wie immer eben. Es war angenehm, es gab mir ein warmes Gefühl im Magen, aber da war kein Feuerwerk und es war nichts, ohne dass ich nicht leben konnte. Aber was hieß das schon? Das waren doch sowieso nur Übertreibungen, die man uns in Büchern und Filmen vorsetzte, damit wir uns schön danach sehnen konnten und brav weiter neue Bücher/Filme darüber kauften, unser Leben lang, denn im richtigen Leben begegnete man so etwas eben nicht. Küssen war schön, keine Frage, aber nichts Weltbewegendes. Und daran würde ein anderer Kusspartner nichts ändern: Beim Küssen brauchte man schließlich nur Lippen und Zähne und Zunge und bei diesen Dingen unterschieden sich Männchen und Weibchen nicht, solange die Weibchen intelligent genug waren und sich nicht mit Lippenstift oder – noch schlimmer – Gloss einschmierten. Also sollte es mir, rein logisch betrachtet, bei beiden gleich viel Spaß machen.
… Natürlich würde ich die Theorie nicht auf die Probe stellen. Es wäre Fee gegenüber auch unfair, denn so wie Rubin Samstag rangegangen war, war er nie und nimmer unerfahren. Und Fee, nun … soweit ich wusste, hatte sie sich mit Beziehungen bisher zurückgehalten. Außer ihrem Exfreund hatte es da nur einen anderen gegeben, aber das war in einem Alter gewesen, in dem man Küssen noch mit Sex gleichgestellt hatte. Wenn mir bei ihren Küssen also etwas fehlte, dann gab es eine einfache und direkte Methode, dem Abhilfe zu schaffen: Mit ihr zu üben.
Vielleicht hatte ich beschlossen, bald mit ihr Schluss zu machen musste, aber noch war ich ihr Freund. Und sie hier. Es sprach also nichts gegen ein bisschen üben.
Ich intensivierte den Kuss, ließ ihn ein bisschen heftiger, ein wenig leidenschaftlicher werden, und Fee ging darauf ein, was ich als guten Anfang betrachtete. Doch, vielleicht würde das doch noch etwas werden, mit dem Küssen.
„Das habe ich vermisst“, flüsterte ich in ihr Ohr, als ich mich schließlich von ihr löste.
Sie lachte und flüsterte zurück: „Nur das?“
Ich grinste, sah sie einen Moment an und gab ihr dann einen Eskimokuss.
„Natürlich, was hast du denn gedacht? Wir sind schließlich nur zusammen, weil ich deine Lippen so unwiderstehlich finde – du hattest da auch kein Mitspracherecht, wenn ich dich erinnern darf.“
Sie boxte mich leicht in die Schulter und schürzte die Lippen. „Fieser Kerl!“
Fieser Kerl? An deinen Beleidigungen musst du echt noch arbeiten.“ Ich zwinkerte ihr zu, legte dann den Arm um sie und fragte: „Und, worauf hast du Lust?“
„Da du mich einlädst: Aufs Ritz.“

Mittwoch, 15. Januar 2014

Von Edelsteinen und Papierengländern 12:


„Hey Vyvyan!“ Theos Stimme dröhnte durch den Telefonhörer. „Ich hätte nicht gedacht, dass du so früh anrufst.“
Ja, ich auch nicht. Aber wenn ich später noch zu Rubin musste, konnte ich nicht bis zum Mittag warten, um mich mit Theo und den anderen zu verabreden.
„Ich konnt’s halt nicht erwarten.“
Theo lachte. „Ja, sicher. Erzähl das deiner Oma.“
„Die würde es mir auch nicht glauben – Nein, im Ernst: Ich rufe so früh an, weil Rubin noch eine Nachhilfestunde reingedrückt hat.“
„Rubin? Was … Moment – Rubin gibt dir Nachhilfe?! Wer hat das denn verbrochen?“
Oh, stimmt ja. Theo wusste davon noch nichts.
„Kirsten“, antwortete ich, „wer denn sonst?“
Einen Moment lang war es am anderen Ende still, dann sagte er:
„Das tut mir echt leid für dich. Deine Ferien sind gelaufen.“
„Wem sagst du das?“
Bei seinen nächsten Worten konnte ich das Grinsen heraushören.
„Und warum rufst du jetzt schon frühmorgens an? Um abzusagen oder um mich darauf vorzubereiten, dass du vorhast, dir den Frust von der Leber zu saufen?“
„Keins von beidem. Ich würde mich nur gerne mit euch treffen, bevor ich in die Nachhilfe muss; ansonsten zieht die sich noch in die Länge und dann ist der Tag plötzlich vorbei. Von meiner Laune ganz zu schweigen.“
„So schlimm?“
„So lang.“
Er lachte wieder, aber das war nicht verwunderlich. Theo lachte oft, im Gegensatz zu einem gewissen Jemand.
„Okay, was hältst du von eins? Ich habe gestern Abend mit Aaron gechattet und er meinte, es liefe ein guter Film im Kino, jeweils um zwei, sechs und acht Uhr.“
Dann wäre ich was, so gegen fünf bei Rubin? Warum nicht.
„Hört sich gut an. Sagst du Kim und so Bescheid? Ich muss noch Fee anrufen.“
„Sicher. Schreib mir eine SMS, ob sie auch kommt, okay? Damit ich die Karten bestellen kann.“
Ich bestätigte, verabschiedete mich und legte auf. Und um es hinter mich zu bringen, wählte ich gleich darauf Fees Nummer. Als sie abnahm, konnte man die Freude aus ihrer Stimme heraushören, so, wie bei Theo vorher das Grinsen.
„Vyvyan! Wie war deine Festtage?“
„Ganz angenehm dafür, dass Weihnachten mein Lieblingsfest ist“, antwortete ich, „wir hatten Kekse, Glühwein und Geschenke – was gibt’s Besseres?“
„Nun ja, ich kann nur für mich sprechen, aber ich glaube, den süßen Typen, den man sich vor kurzem geangelt hat, zu küssen, kommt ziemlich nah ran.“
Da mochte sie Recht haben – da ich mir aber keinen süßen Typen geangelt hatte, konnte ich leider nicht mitreden.

Mittwoch, 8. Januar 2014

Von Edelsteinen und Papierengländern 11:


Am nächsten Morgen hatte ich so wenig Lust wie selten, aufzustehen. Irgendwann war ich doch eingeschlafen, aber von Tiefschlaf oder erholend konnte nicht die Rede gewesen sein, denn ich fühlte mich wie gerädert – nein, wie gerädert, zermantscht, mit dem Mörser bearbeitet, durchgekaut und wieder ausgespuckt. Ein Blick zur Seite zeigte mir, dass Rubin nicht im Zimmer war. Wenigstens etwas, wenigstens einen Moment für mich, um mich auf heute vorzubereiten. Der Tagesplan soweit: Frühstück mit Rubin, Nachhilfe mit Rubin. Ju. Hu. Aber immerhin würde ich morgen – mit Theo und Kompanie weg müssen. Doppel-Juhu. Und am Tag danach wieder Nachhilfe. Verdammt noch mal, war es denn wirklich zu viel verlangt, in den Weihnachtsferien einen Tag lang nur auf dem Sofa herumzulümmeln und kleine Schwester-Prinzessinnen vor bösen Drachen zu retten?
Aber jammern brachte bekanntlich wenig. Je schneller ich die Sache anging, desto schneller würde mein Lümmel-Tag kommen. Und das gestern Abend, das war ein guter Anfang gewesen; es hatte mich zwar eine halbe Nacht Schlaf und ein paar blaue Kronjuwelen gekostet, aber ich hatte es überlebt. Wenn ich brav so weitermachte, war der Moment geistiger Umnachtung von vorgestern bald weit entfernte, fast vergessene Vergangenheit. Ganz abgesehen davon, dass die Nachhilfe auch einfacher und stressfreier werden würde, wenn mein Körper endlich kapierte, dass er auf Rubin nicht zu reagieren hatte. Genau. Ich setzte mich auf, schlug die Decke zurück und streckte mich ausgiebig. Auf in den Kampf!
Die Tür wurde leise geöffnet und Rubin trat ein, in Jeans, ohne Socken und mit einem Handtuch um den Schultern anstatt des Hemdes. Nasse Haare. Nasse, verstrubbelte Haare.
Hera, Hades und Hephaistos, warum hatte mir niemand gesagt, wie Rubin mit nassen, verstrubbelten Haaren und vom heißen Wasser leicht geröteter Haut aussah?!
Das war nicht fair. So früh am Morgen – einfach nicht fair. Plötzlich fühlte ich mich gar nicht mehr so müde und gerädert. Und das gerade dann, wenn ich mich entschieden hatte … aber so etwas passierte ja oft, nicht wahr? Der Verstand entschied etwas und bis der Körper das mitbekam, verging eben einige Zeit. Das war wie in der Geisterbahn: Der Verstand wusste, dass es nur ein alter Säufer im Bettlaken war, die Beine rannten trotzdem los und der Mund rief nach Mama.
Genau dasselbe Phänomen. Absolut.
Einhundertprozentig.
Wirklich.