Update-Info

07.01.2015: Ich wünsche allen ein (verspätetes) frohes neues Jahr! :)

Bei uns hat das Jahr leider mit einer Krebsdiagnose begonnen. Nicht meine, aber dennoch werden die Kapitel in absehbarer Zeit nur sehr unregelmäßig erscheinen.

Dienstag, 31. Dezember 2013

Erkenntnisse und Pet Peeves des Monats, December Edition:

Erkenntnisse:

1. Man ist nie zu alt für märcheninspirierte Disney-Animationsfilme. Nie.
... Und wenn doch, dann hat man etwas falsch gemacht.

2. Nicht meine, aber egal: Eine Freundin von mir musste 28 Jahre alt werden, um zu erkennen: "Diät machen und Kekse backen gehen nicht gleichzeitig." Das hätte ich ihr auch gleich sagen können – habe ich aber nicht, da ich hausgemachte Kekse haben wollte. Daraus folgt:

3. Ich weiß nicht, ob man tatsächlich noch Chaos in sich haben muss, um einen tanzenden Stern gebären zu können – aber man muss definitiv einen kleinen Soziopathen in sich haben, um an die besten hausgemachte Kekse zu kommen. Und der muss mindestens groß genug sein, dass man die eigenen Keksgelüste über ein oder zwei Kilo (größtenteils eingebildetes) Hüftgold bei der besten Freundin stellt. Wenn ich deswegen in die Hölle kommen sollte, hat es sich dennoch gelohnt.

Mittwoch, 25. Dezember 2013

Von Edelsteinen und Papierengländern 09:


„Vyvy, endlich!“, rief Kitty, sprang vom Sofa runter und auf mich zu, „Warum hast du so lange gebraucht?“ 
„Hm, ich weiß nicht“, antwortete ich und sah sie dann an, „Vielleicht, weil sechs Leute einen ganzen Haufen dreckiges Geschirr machen? Außerdem, wenn du gewollt hättest, dass ich schneller fertig werde, hättest du mir ja helfen können.“
„Rubin hat dir doch schon geholfen …“
„Ja, aber drei sind meist schneller als zwei.“
Stimmte diesmal nicht, wahrscheinlich hätte sie sowieso nichts zu tun gehabt, so schnell wie Rubin im Abtrocknen war, aber ich liebte es, wenn sie ein verknautschtes Gesicht machte.
„Ich durfte nicht“, antwortete sie dann mit einem großen, tiefen und überaus dramatischen Seufzen. „Mum hat’s verboten.“
Okay, das war neu. Seit wann war meine Mutter gegen Kinder, die freiwillig Hausarbeiten erledigten?
„Wie, verboten?“, fragte ich und wandte mich und Kitty, die ihre Arme um meine Hüfte geschlungen hatte, so dass ich Mum meinen besten skeptisch-fragenden Blick zuwerfen konnte. „Ich dachte, das sei gegen die Regeln der antiautoritären Erziehung?“
„Ist es auch und genau deshalb sind wir alle froh, dass die achtundsechziger vorbei sind. Zumindest in diesem Haus, hier habe immer noch ich das Sagen“, antwortete Mum unbekümmert und ich sah, wie Pa mit übergroßen Augen und gespielt ernster Miene mehrmals bedeutend nickte. Zu seinem Glück bemerkte sie es nicht.
„Und du brauchst gar nicht so zu schauen, mein Lieber – wir alle wissen, dass du und Kate zusammen beim Spülen mehr Arbeit macht als erledigt“, fuhr sie an mich gewandt fort.
Rubin, der neben mir stand, verstand offensichtlich nicht, was sie damit meinte. Sue kicherte und erklärte ihm:
„Es endet fast ausnahmslos immer in einer Wasserschlacht, bei der sie die halbe Küche unter Wasser setzen – und dann natürlich zu nass sind, um selber zu putzen.“
„Gar nicht wahr!“, entgegnete Kitty und sah äußerst indigniert zu Sue, „Das haben wir nur zwei oder drei Mal gemacht!“
„Öfter habt ihr in diesem Jahr ja auch nicht abgewaschen …“
Pa!“, riefen wir gleichzeitig und er hatte wenigstens den Anstand uns entschuldigend anzulächeln.
„Das wäre doch schon mal ein guter Vorsatz fürs neue Jahr: Wir werden die Küche nicht mehr überfluten.“ Mum grinste engelsgleich und ich beschloss, dass Rubin bereits genug hatte, womit er mein Image ruinieren konnte. Und ja, es war mir peinlich. Ich hob Kitty hoch und trug sie zu dem breiten, bequemen Sessel, den wir grundsätzlich für uns beschlagnahmt hatten, setzte mich drauf und sie krabbelte auf meinen Schoss.
„Themawechsel“, sagte ich und Kitty ging sofort darauf ein.

Mittwoch, 18. Dezember 2013

Von Edelsteinen und Papierengländern 08:


Am nächsten Morgen fühlte ich mich verkatert, obwohl ich doch gar nichts getrunken hatte. Dafür – und das muss ich zu meiner Schande gestehen – hatte ich einige Einschlafschwierigkeiten gehabt. Aber mal ehrlich: So überraschend war das nicht, nicht nach allem, was gestern passiert war, oder? Es wäre viel seltsamer gewesen, wenn ich einfach rums, bums wie ein Baby eingeschlafen wäre – zumindest redete ich mir das so lange ein, bis ich es glaubte, ob es nun stimmte oder nicht.
Meine Einschlafschwierigkeiten kamen nicht davon, dass ich darüber nachdachte, wie ich so etwas mit einem Jungen tun konnte, oder was die Tatsache, dass es aufregender gewesen war als der Sex mit meiner Ex, für meine sexuelle Orientierung bedeutete.
Zumindest nicht nur.
Mir war seit Längerem klar, dass ich männliche Körper anziehender fand als weibliche. Seit über vier Jahren, um genau zu sein – seit meiner dreizehnten Geburtstagsfeier, um ganz genau zu sein. Und seit ich mir sieben Monate danach aus zweiter Reihe hatte mit ansehen dürfen, wie der soziale Mikrokosmos ‚Schule‘ darauf reagierte, wenn sich ein halbwegs beliebter Kerl outete, wusste ich, dass ich mir das nicht antun würde. Eine Woche später hatte ich meine erste Freundin, ein gutes Jahr danach hatte ich mir mit meiner zweiten Freundin dann bewiesen, dass er auch bei Frauen funktionierte.
… Zugegeben, manchmal brauchte es dazu ein wenig Kopfarbeit, aber das nahm ich gerne in Kauf, wenn es um meine Zukunft ging. Und in meiner Zukunft kam weder ‚Tunte‘ noch ‚Schwuchtel’ und schon gar nicht ‚Schwanzlutscher’ vor, vielen Dank auch.

Mittwoch, 11. Dezember 2013

Von Edelsteinen und Papierengländern 07:


Der Rest des Nachmittags war irgendwie … nein, nicht irgendwie, er war seltsam, einfach nur verflucht seltsam. Unwirklich. Wir gingen doch tatsächlich dazu über, die verbleibenden Aufgaben zu lösen – und das zweifellos konzentrierter als zuvor – so dass wir irgendwann nach neunzehn Uhr die allerletzte hinter uns brachten – aber obwohl ich die paar davor meisterhaft gelöst hatte, musste mir natürlich genau diese eine, letzte, verdammte Mistaufgabe Probleme bereiten.
Egal, am Ende hatte ich meinen Fehler dennoch verstanden und ich ging – nicht ohne dabei ein fast schon schadenfreudiges Kribbeln in den Fingerspitzen zu fühlen – dazu über, die Blätter zu ordnen, ordentlich zu stapeln und schließlich auf meinem Schreibtisch abzulegen; später würde ich Mum fragen, ob sie einen Ordner hatte, den ich dafür benutzen konnte.
Wie gesagt, waren wir beide nach unserer ‚Pause’ konzentrierter gewesen – was nicht sonderlich erstaunte, wenn man bedachte, dass gewisse Spannungen auf verdammt effiziente Weise abgebaut worden waren – aber dafür herrschte eine neue, nicht weniger aufreibende Spannung zwischen uns. Allerdings war es diesmal keine sexuelle Spannung, es war vielmehr eine … nun, eine Nicht-Spannung. Ja, das ist eine scheiß Beschreibung, aber ihr wisst: ich und Deutsch ... Nicht-Spannung jedenfalls in der Hinsicht, dass eine Spannung bestand, aber nicht wegen etwas, das da war, sondern wegen etwas, das eben nicht da war; etwas, das nicht existierte – so wie unser Gespräch über das, was passiert war.
Ach, scheiße! Ich konnte meine Gedanken schon selbst nicht mehr hören – ‚das, was passiert war‘, was für eine nette Umschreibung für gegenseitiges Wichsen! Ich hatte normalerweise keine Probleme, die Dinge beim Namen zu nennen, aber wenn ich verunsichert war, dann wich ich auf Umschreibungen aus – und das war ich, als Rubin – diesmal mit ein wenig mehr Abstand – einfach wieder dazu überging, mir grammatische Regeln zu erklären, als wäre nichts gewesen – so, als ob das, was verdammt noch mal passiert war, nicht aufregender gewesen wäre, als wenn wir stattdessen Mums Sandwichs gegessen hätten. Seine Ganze Haltung – so betont lässig, so betont ruhig und vor allem so betont unbewegt – sagte:
Bilde dir nur nichts ein, da gibt es nichts zu reden.
Das war doch nicht normal, oder? Da durfte ich doch verunsichert sein! Oder seit wann war es denn gang und gäbe, seinem Mitschüler mal schnell in der Lernpause einen runterzuholen? Den Trend hätte ich sicher mitbekommen, verdammte Scheiße!
An der Stadt konnte es auch nicht liegen, wir waren hier schließlich nicht in Köln oder Barcelona und in San Francisco schon gar nicht.
Scheiße.

Mittwoch, 4. Dezember 2013

Von Edelsteinen und Papierengländern 06:

„W – was machst du?“
Es war ein Scherz. Ein Missverständnis. Es passierte gar nicht.
Es konnte nicht passieren.
„Nach was fühlt es sich an?“
Das würde ich nicht beantworten. Wäre ja noch schöner, wenn ich auch noch aussprechen würde, dass seine Lippen gerade – nicht daran denken.
„Sag mal, spinnst du?“, knurrte ich, konnte aber die Panik, die mich erfasst hatte, nicht ganz aus meiner Stimme heraushalten. Dieselbe Panik, die mich wie versteinert stehenbleiben ließ, wenn ich mich eigentlich umdrehen und ihn weit, weit wegschubsen sollte.
„Maybe, a little.“ Rubin nahm beim Sprechen die Lippen nicht von meiner Haut, so dass ich nicht nur seinen Atem, sondern auch jede einzelne Bewegungen fühlen konnte – aber das war kein Problem, denn es passierte nicht wirklich und deshalb konnte es auch nicht bewirken, dass sich das Kribbeln über den ganzen Rücken ausbreitete. Das konnte doch nicht wahr sein! Nicht hier, nicht jetzt, nicht mit ihm …
„Sprich gefälligst Deutsch mit mir!“
… und nicht während Englisch! Auch nicht auf Englisch – einfach gar nicht!
Ich wollte mich umdrehen, wollte mir selbst beweisen, dass ich ihn anschauen und wegschieben konnte, aber er legte seine Linke auf meine Hüfte – und ich blieb, wo ich war.
Scheiß Körper, scheiß Hormone! Das war doch unfair.
„Ich habe eine Freundin!“
„Felizitas“, erwiderte er und wanderte mit dem Mund langsam, fast ohne mich zu berühren, von meiner Halsbeuge zu meinem Nacken, „wir wissen beide, dass sie nur ein Accessoire ist.“ Als er bei meinem Halswirbel ankam, dort, wo es am stärksten prickelte, zog ich scharf die Luft ein.
„Du bist hier sensibel.“ Das war keine Frage, das war noch nicht einmal wirklich eine Feststellung, es war mehr … eine Aussage, die er damit bekräftigte, indem er seine Lippen ein wenig stärker darauf presste. Diesmal hatte ich meinen Atem unter Kontrolle, aber dass ich meinen Kopf unbewusst ein wenig nach vorne beugte, konnte ich nicht verhindern.
Scheiße, scheiße, scheiße! Wie zum Hades waren wir in diese Situation geraten?

Mittwoch, 27. November 2013

Von Edelsteinen und Papierengländern 05:


Der nächste Morgen war seltsam. Einerseits begann er wie jeder andere dreiundzwanzigste Dezember bei uns, und das hieß: Er startete um acht Uhr mit einer riesigen Portion Eierkuchen mit Schokostückchen, wahlweise mit Honig, Marmelade, Schokocreme, Rohzucker oder Ahornsirup bestrichen, und dazu literweise Kakao, Tee, O-Saft oder Cola, je nach Wunsch. Normalerweise mochte es Mum nicht, wenn wir uns mit Zucker vollstopften, deshalb war das ein seltenes Frühstücksvergnügen in meiner Familie. Damit Mum nicht die ganze Arbeit alleine machen musste, standen wir alle abwechselnd am Herd und nachdem die erste Ladung gegessen war, machte sich jeder selber neue, wenn er noch welche wollte. Das war die beste Lösung, denn wenn wir den ganzen Teig gleich zu Anfang verarbeitet hätten, wären die Dinger spätestens nach wenigen nur noch lauwarm gewesen – und mal ehrlich: Lauwarme oder gar kalte Eierkuchen schmeckten scheiße. Genau das wurde mir immer wieder bestätigt, wenn mir einer auf dem Teller kalt wurde, während ich zu sehr in unsere Unterhaltung vertieft war – Kitty amüsierte sich dann köstlich über mein Gesicht, wenn ich es doch noch hinunterwürgte, aber sie selber war nicht weniger wählerisch – sie konnte nur besser essen, zuhören und reden zur gleichen Zeit – Frauen und ihr Multitasking, eben.
Das Frühstück zog sich auf diese Weise bis zehn oder halb elf hin und dann teilten wir uns auf: Die eine Hälfte – normalerweise Pa und Sue – spülten das Geschirr und räumten die Küche auf, während Mum, Kitty und ich in den Keller gingen, den Weihnachtsschmuck heraussuchten und dann Kiste für Kiste nach oben trugen – und das ging mindestens ebenso lange wie das Geschirrspülen, denn wir hatten mehr als ein Weihnachtsschmuckset und jedes Jahr mussten alle ins Wohnzimmer, damit man am besten bestimmen konnte, wie und in welchen Farben dieses Jahr dekoriert werden sollte. Ich liebte es, in den Keller zu gehen, denn es war jedes Mal wie eine Entdeckungsreise, ein kleines Abenteuer, dessen versteckter Schatz aus unseren schönsten Familienerinnerungen bestand.
Wenn die Küche fertig und das Wohnzimmer überstellt war, rumorten wir meistens noch etwas in den Schachteln, suchten schon einmal unsere liebsten Kugeln und Figürchen heraus und vertrieben uns die Zeit mit reden und suchen und uns entspannen, bis es am Nachmittag auf den Weihnachtsmarkt ging und es Zuckerwatte und Pfefferkuchen und – für alle außer Kitty – auch Glühwein gab. Am Abend wurde dann der Baum ins Haus geholt und geschmückt, was meist in der einen oder anderen Auseinandersetzung endete, da unsere Geschmäcker doch recht verschieden waren. Trotzdem war der dreiundzwanzigste Dezember meine persönliche Vorstellung von Harmonie und mir sogar fast lieber als Weihnachten selbst – auch wenn ich natürlich nichts gegen Geschenke einzuwenden hatte.
Das war ‚einerseits‘. Andererseits aber wusste ich, dass dieser dreiundzwanzigste Dezember nicht wie die anderen werden würde, denn heute konnte ich mich nicht im Schoß meiner Familie verstecken, und es würde auch weder Zuckerwatte noch Glühwein für mich geben und der Pfefferkuchen, der würde höchstens aus der hauseigenen Keksdose kommen. Heute musste ich den mir liebsten Nachmittag im Jahr mit Rubin verbringen.
Und Englisch.
Mit Englisch und Rubin und seinem Amerikanisch.

Mittwoch, 20. November 2013

Von Edelsteinen und Papierengländern 04:


„Ich war überrascht dich hier zu sehen; ich dachte, du würdest direkt nach Hause gehen um Deutsch zu lernen. Wie bin ich nur auf diese Idee gekommen?“
Zwei Meter vor mir gingen Megan und Kitty Hand in Hand, etwa ein Meter neben mir ging Rubin – wir natürlich nicht Hand in Hand. Wir waren schon fast beim Rand des Parks angekommen, als er das sagte; ich hatte die Stille vorgezogen.
Ich warf ihm einen ärgerlichen Blick zu, da ich ganz genau wusste, auf was er anspielte: Fee. Und darauf, dass ich sie mit der Ausrede abgewimmelt hatte, dass ich lernen müsste. Musste ich ja auch und die Schneeballschlacht war nicht geplant gewesen, aber ich würde mich nicht rechtfertigen, nicht vor ihm.
„Ich war selbst überrascht, als ich mit Kitty am Sankt Katharina vorbeiging und sah, dass deine Freundin immer noch in der Kälte wartete, obwohl du mindestens eine viertel Stunde vor mir gegangen warst.“
Wir hatten beide geradeaus gesehen, doch nun wandte er den Kopf, sah mich an und verlangsamte sogar seine Schritte, was ich ihm aber nicht nachtat. Warum sollte ich?
„Und du hast gewusst, dass Megan auf mich wartet, weil …?“
„Ich habe euch letzte Woche zusammen gesehen, als ich Miss Kitty abgeholt habe.“
Ich spürte seinen Blick auf mir, als er wieder aufholte, dachte aber nicht daran, ihn anzusehen, sondern hielt meine Augen fest auf Kitty gerichtet. Sie und Megan traten gerade aus dem Park hinaus auf den Gehsteig und Megan zeigte auf die gegenüberliegende Straßenseite, wo sich ein – zumindest von außen – altmodisches Café befand, über dessen Tür mit geschwungenen Lettern Orchid Garden stand. Wenigstens war es wirklich gleich um die Ecke.
„‚Miss Kitty‘, hm?“, fragte Rubin, „Sie ist süß, deine Schwester.“
Diesmal war ich es, der fast stehen blieb.
Ich mochte ihn nicht – wie ich vielleicht bereits erwähnt habe – und ich mochte es generell nicht, wenn meine Freunde oder Bekannten allzu freundlich zu Kitty waren. Und Rubin war für seine Verhältnisse unverhältnismäßig freundlich – man könnte fast schon sagen, lieb – zu Kitty gewesen.
Er betrachtete meine Reaktion und ich erkannte an seinem Blick, dass mir der Satz Hände weg! auf der Stirn geschrieben stand.
„Keine Angst, ich steh nicht auf Kinder, Vyvyan.“
„Das will ich hoffen. Du lässt sie trotzdem in Ruhe.“
Er grinste, ganz leicht nur, aber ich fand, dass er das diese Tage viel zu oft tat, vor allem heute hatte er es zu oft getan. Wenigstens war er danach ruhig.

Mittwoch, 13. November 2013

Von Edelsteinen und Papierengländern 03:


Es gab nur etwas, was mein Hirn noch stärker blockieren konnte, als wenn ein Lehrer mit Englisch ankam: wenn er mit einer Englischklausur ankam. Wenn ich normalerweise in Grammatik schlecht war, dann war ich in Klausuren und Tests einfach nur so unterirdisch, dass dagegen sogar der Hades wie ein luxuriöses Penthouse erschienen wäre.
Kein Wunder also, dass ich an diesem Montag nach der Klassenarbeit ziemlich mies gelaunt war. Alles, was Sue mir noch am Donnerstag erklärt hatte und was ich am Sonntag beim Wiederholen halbwegs hatte lösen können, war weg gewesen. Einfach schwupp und puff – wie gelöscht. Und dass Rubin neben mir schon nach zwanzig Minuten fertig gewesen war, den Stift weggelegt und den Rest der Stunde damit verbracht hatte, an mir vorbei aus dem Fenster zu schauen, hatte es nicht besser gemacht.
Ich konnte nicht anders, als mich über ihn aufzuregen. Wäre es nur Englisch gewesen, hätte ich ja nichts gesagt, aber er war einer der Menschen, die nur desinteressiert in ihrem Stuhl hingen, die man nie lernend sah und die dann doch immer locker super Noten kriegten. Jede Schule hatte einen oder zwei davon und mir war klar, dass vor allem Neid dafür verantwortlich war, dass ich mich so darüber ärgerte, aber für jemanden wie mich, dessen Noten zwar auch gut waren – Deutsch und Englisch mal außen vor gelassen – der sie sich aber hart erarbeiten musste, war es frustrierend. Sehr frustrierend.
Natürlich war er auch jetzt mit seinen Gedanken irgendwo anders – wo, wollte ich gar nicht wissen – und hatte den Blick starr aus dem Fenster gerichtet. Als er noch nicht neben mir gesessen hatte, war es mir nicht aufgefallen, aber er tat das wirklich oft, aus dem Fenster schauen. Und immer öfter, zumindest hatte ich das Gefühl. Ich folgte seinem Blick, aber außer ein paar Bäumen, Straßen und Häusern, alles mit einer dicken Schicht Neuschnee bedeckt, vor einem Himmel, bei dessen bloßem Anblick mir schon kalt wurde – das Wort eisblau bekam ganz neue Dimensionen – konnte ich nichts sehen. Es wehte kein Wind in den längst abgefallenen Blätter der Bäume, die Vögel waren auch alle schon in ihre Winterressorts geflüchtet und alles in allem konnte man sagen, dass der Anblick nicht an eine Szenerie hinter einem Fenster, sondern an ein Foto oder ein Gemälde erinnerte. Ein verdammtes Stillleben. Und trotzdem war es anscheinend interessanter als alles Lebendige hier im Zimmer. 
Ich schüttelte den Kopf und hörte wieder dem Lehrer zu, der gerade zum einhundertdritten Mal die Ursachen des ersten Weltkrieges wiederholte. Nicht sehr spannend, zugegeben. Trotzdem, konnte Rubin nicht wenigstens so tun, als ob er geistig anwesend wäre?

Mittwoch, 6. November 2013

Von Edelsteinen und Papierengländern 02:


Die nächsten Tage passte ich auf, ob er sich irgendwie anders verhielt, oder ob er Anstalten machte, etwas zu sagen, aber er tat nichts.
Natürlich tat er nichts. Was wollte, was konnte er schon tun? Allen sagen, dass ich nicht so war, wie ich mich gab?
Ah, große Überraschung! Wer war das schon.
Sogar wenn er ihnen sagen würde, dass ich ihnen nur vorspielte, sie zu mögen: Wer würde ihm glauben? Einem Außenseiter wie ihm? Beweise hatte er schließlich keine.
Und irgendwie konnte ich ihn mir nicht als Petze vorstellen – Petzen waren entweder feiger oder temperamentvoller und vor allem ambitionierter, denn irgendetwas wollten sie schließlich mit dem Petzen erreichen. Ehrgeiz aber war etwas, das man bei Rubin nie sah. Der Unterricht schien ihn nicht zu interessieren, die Mitschüler sowieso nicht, er war zwar Schulratspräsident, aber in keiner AG und er gehörte auch nicht zu den Leuten, die ein Buch oder Musik mitbrachten, um sich nicht mit den anderen unterhalten zu müssen; er tat es einfach so nicht.
Also begann ich mich zu entspannen und nach einer Woche war ich wieder in meinem üblichen Trott, Rubin hin oder her. Auch dass er neben mir saß veränderte nichts. Das Spiel war immer dasselbe: Ich fuhr morgens mit dem Rad zur Schule, unterhielt mich mit Theo und den anderen bis der Lehrer kam, Rubin setzte sich beim zweiten Läuten ohne ein Wort neben mich, in den kurzen Pausen unterhielt ich mich mit Theo & Co. und in der Mittagspause ging ich – ganz der Gentlemen – zu Fee, um mit ihr und ihren Freundinnen zu essen, da wir sonst so gar keine Zeit miteinander verbringen würden – das hätte mir nicht viel ausgemacht, aber ihr wisst ja, wie Mädchen sind. Und weil ich es auch wusste und jede Mittagspause wieder miterleben durfte, war ich froh, dass meine Freunde bald auch mitkamen, da ich und Fee ja sowieso nicht alleine waren. Danach war wieder Schule und wenn die überstanden war, ging ich mit Fee zum Fahrradständer, holte mein Rad, begleitete sie noch zur Bushaltestelle und war dann endlich erlöst.
Fee war, wenn ich das überhaupt erwähnen muss, natürlich meine Freundin – ansonsten hätte ich nicht so viel Zeit mit ihr verschwendet.
Mit Rubin sprach ich nur das Nötigste und das hieß im Klartext: Nur das, was während irgendwelchen Gruppenaufgaben im Unterricht unumgänglich war – zu meinem Glück aber bevorzugte er es auch, den Zusatz Arbeitet in Zweiergruppen mit eurem Nachbarn zu ignorieren und möglichst viel alleine zu lösen. Ein Hoch auf seine Asozialität!

Freitag, 1. November 2013

Von Edelsteinen und Papierengländern 01:


Blaue Augen, lange Wimpern, verschwitzte Locken. Sonnengeküsste Haut und kräftige Hände, die auf meinem Hintern lagen, über mein Kreuz fuhren, hoch zu den Schultern, und sich dann schließlich in meinen Haaren verkrallten. Mich hinunter zogen, zu ihm. Als sich unsere Lippen berührten, explodierte etwas in meinem Kopf …

Ich ließ mich neben Lukas fallen, keuchend, befriedigt, ausgelaugt.
„Wow. Das war … wow!“ Er drehte sich zu mir und grinste schelmisch. “Ich kann nicht glauben, dass es jedes Mal noch besser wird! Wie machst du das?”
„Es braucht zwei dazu, vergiss das nicht“, antwortete ich ohne das zufriedene Grinsen zu verstecken. Dass er Recht hatte und dass er seinen Teil dazu beitrug bedeutete nicht, dass mir sein Lob nicht gefiel. Oder unsere Treffen.
“Wir müssen damit aufhören”, sagte ich dennoch klar und deutlich und mit nicht wenig Bedauern in meiner Stimme. 
Lukas sah mich nur fragend an.
“Ich habe an jemand anderen gedacht, eben.”
“An wen?”
“Meinen verdammten Mitschüler.”

*********

Ich kann ihn nicht ausstehen.
Das, liebe Damen und Herren, war mein erster Gedanke als ich ihn traf, an meinem ersten Schultag: Ich kann ihn nicht ausstehen. Ich kam gerade vom Sekretariat, wo mir eine Zicke von Sekretärin mit zu viel Lippenstift und Männerparfüm einen Zettel in die Hand gedrückt und mich mit den Worten “Der Klassenlehrer ist heute krank, frag den, wenn irgendwas ist” weggescheucht hatte. Auf dem Zettel standen drei hingekritzelte Dinge:
  2OG
  N213
  Rubin Alexander
Etwas verloren hatte ich vor der verschlossenen Tür gestanden und auf das Papier gestarrt, bevor ich die Schultern gezuckt, mein bestes Lächeln aufgesetzt und ein Mädchen, das gerade den Flur hinunterlief, gefragt hatte, wo sich das Zimmer N213 befand. Natürlich hatte sie mir gerne Auskunft gegeben und mich sogar hingebracht; etwas anderes hatte ich gar nicht erwartet, denn wer würde mir schon nicht gerne Auskunft geben? Ich war nun mal ein sympathischer Junge – zumindest machte ich den Eindruck, was ich zu einem nicht unwesentlichen Anteil meinem Lächeln zuschrieb – zusammen mit der Tatsache, dass ich gelernt hatte, mich so zu verhalten, dass die anderen dachten, ich würde sie mögen, und das war ein wesentlicher Faktor dafür, dass sie mich mochten. Ganz nach dem Motto:
Es ist einfacher zu lieben, wenn man weiß, dass man zurückgeliebt wird.
Und wenn wir ehrlich sind, dann wissen wir alle, dass das Leben um vieles einfacher ist, wenn man, wenn schon nicht geliebt, dann mindestens gemocht wird. Ich war noch nie jemand, der sich die Dinge unnötig kompliziert macht. 
Nun stand ich also erneut vor einer Tür, diesmal einer offenen, und überlegte gerade, welcher Teil von Rubin Alexander der Vorname war – ich hoffte für den Kerl auf Alexander, aber da kein Komma dazwischenstand zweifelte ich daran – als ein Junge in mein Blickfeld trat.
„Hi“, sagte er ganz originell und musterte mich kurz, „suchst du wen?“
Ich nickte, warf noch einen Blick auf den Zettel und antwortete mit einem schiefen Grinsen: „Ja, ich suche einen … Rubin? Ich bin neu hier und die Sekretärin hat mir gesagt, ich soll mich an ihn halten.“
„Edelsteine wirst du hier keine finden.“
Junge Nummer eins und ich drehten uns um und ich sah mich einem weiteren Jungen gegenüber, dessen desinteressierter Ausdruck und die angehobene Augenbraue die Arroganz der Stimme perfekt widerspiegelten.
„Falls du nach mir suchst, dann lerne erst einmal, meinen Namen richtig auszusprechen. Die Betonung liegt auf der ersten Silbe. Rubin, nicht Rubihn.
Und als wären die Worte alleine nicht genug, sprach er seinen Namen in wundervoll grässlichem Amerikanisch aus – zumindest war ich mir fast sicher, dass es Amerikanisch gewesen war. Es musste Amerikanisch sein, denn es war die einzige Sprache, die ich so wenig leiden konnte, wie mir sein erster Eindruck sympathisch war. Und nein, Amerikanisch war für mich kein Englisch. Engländer sprachen Englisch, Iren und Schotten mitunter auch, wenn auch mit Akzent, und von mir aus auch Australier – verdammt, sogar Inder sprachen Englisch, aber das, was Amis von sich gaben, hatte kein Recht, sich Englisch zu schimpfen.

Donnerstag, 31. Oktober 2013

Erkenntnisse und Pet Peeves des Monats, Oktober-Edition:

Erkenntnisse:

1. Der Sommer macht keinen Spaß, wenn man ihn vor dem Computer verbringt und nur von anderen hört, wie toll die Sonne doch scheint. Ich wünschte, wir würden uns kollektiv dafür entscheiden, dass jedem Menschen mindestens eine Woche Sonnenschein zusteht, Job, Uni, Praktika und anderer langweiliger Scheiß für den CV zum Trotz.

2. Ich werde wohl nie lernen, mein Semester nicht übermäßig mit obligatorischen sowie optionalen Kursen und zusätzlich ner Menge Extramist zuzustopfen.

3. Folgt aus 2: Die grauen Herren sind zwar Arschlöcher, aber gerade beneide ich sie trotzdem. Wenn ich könnte, würde ich mir wohl auch ein bisschen Zeit stibitzen. (Nebenbei: Michael Ende ist genial, egal, in welchem Alter man ihn liest).

Sonntag, 30. Juni 2013

Erkenntnisse und Pet Peeves des Monats, Juni-Edition:

Erkenntnisse:


1. Schreibblockaden sind ansteckend. (Und ich wäre sehr dafür, dass jemand bald eine Impfung entwickelt!)

2. Insomnia ist eine Hure.

Pet Peeves:

1. Ich hasse, hasse, hasse es, wenn Leute zwischen Wort und Satzzeichen ein Leerzeichen setzen! Wie kann jemand auf die Idee kommen , das sei korrekt ? In welchem (professionell herausgegebenen) Buch, in welcher Zeitung oder Zeitschrift ist das denn bitte Gang und Gäbe? Welcher Lehrer, egal ob Deutsch oder Englisch, Geschichte oder Bio oder sonst was, wo man Texte schreiben muss, lässt einem das durchgehen? Himmel, Arsch und Zwirn, sogar im Internet trifft man diese Abscheulichkeit relativ selten an – woher also kommt es, dass manche bei ansonsten fehlerfreien Texten Satzzeichen einen Sicherheitsabstand verpassen müssen?
(Betonung liegt hierbei auf "ansonsten fehlerfrei", wohlgemerkt. Ein Freund von mir leidet an ausgeprägter Legasthenie; der macht das auch, wenn er private E-Mails verschickt (in geschäftlichen, auch bei noch nicht Korrektur gelesenen, lustigerweise nicht) und da rege ich mich auch nicht drüber auf. Im Gegensatz, ich freue mich bei ihm über jedes Satzzeichen, die lässt er nämlich meist partout weg, was bei den Texten, die nicht nur von falsch geschriebenen, sondern auch von falsch verwendeten und gänzlich weggelassenen Wörtern (und auch mal ganzen weggelassenen Satzteilen) das Verständnis nicht gerade erhöht. Aber ich kann verstehen, dass er für eine private E-Mail keine Stunde vorm PC sitzen und danach mit Kopfschmerzen aufstehen will. Und meist erschließt sich mir der Sinn auch spätestens nach dem zweiten Lesen.
… Äh, ja. Leicht vom Thema abgekommen, aber was soll's. Hab ja eh nix Besseres zu tun, solange ich in dieser Vorlesung festsitze. Was mich zum nächsten Punkt bringt:)

2. Professoren mit monotoner Sprechweise, Schlaftablettenstimme und genereller "Ick hab uff den Scheiß mal so jar keen Bock"-Attitüde sollten verdammt noch mal keine Vorlesungen geben dürfen! Ich bin eigentlich ein aufmerksamer, lernwilliger Student (bin ja schließlich an der Uni, weil ich was lernen will. Und ja, das Wort "Streber" ist auch schon gefallen, stört mich aber nicht im Geringsten. Je aufmerksamer ich im Unterricht bin, desto weniger Zeit muss ich zu Hause mit lernen verbringen und desto mehr Zeit habe ich für meine Hobbies, Freunde und Laster. Und ein Abschluss von mindestens 1,3 hat auch noch niemandem geschadet), aber! das hier ist zu viel für mich. Da ist das Meditationsgemurmel buddhistischer Mönche mitreißender, verfluchte Scheiße noch mal! Und das das ganze Semester lang. War wirklich ganz großes Tennis.

Donnerstag, 13. Juni 2013

Wieder und wieder 20:

Sein Schlafzimmer. Wir beide. Ich blieb.


Nein, ich war nicht nervös. Wozu auch? Weshalb sollte ich schon nervös sein? Ich kannte Mischa, Mischa kannte mich – und noch dazu war soweit alles geplant. Ich hatte mit Anitas Hilfe einen schönen Italiener gefunden, dort einen Tisch reserviert, dazu eine Cocktailbar in der Nähe ausfindig gemacht, falls es gut lief und wir danach noch etwas trinken gehen wollten – nein, falsch, neu formuliert: Ich hatte eine Cocktailbar in der Nähe ausfindig gemacht, falls wir nach dem Essen noch etwas trinken gehen wollten. So.
Und ich hatte das Boxtraining trotz Muskelkater in Schultern und Rücken überstanden. Es war nicht unbedingt gut fürs Ego, der Unerfahrenste in einer Anfängergruppe zu sein, aber Ecki hatte gemeint, das würde sich schnell geben. M-hm. Wenigstens bewegte sich der verdammte Sandsack bei den anderen auch kaum einen Zentimeter. In dem Filmen sah man immer, wie der Trainer oder ein Kumpane das Ding halten musste, weil es sonst wegfliegen würde, aber bei mir und den anderen fünfen bestand da absolut keine Gefahr.
Das Beste: Mischa war da gewesen. Er war gegen Ende der Stunde aufgetaucht und hatte auf mich gewartet – vor der Umkleide, diesmal, und ich hatte so schnell geduscht und mich angezogen wie noch nie in meinem Leben. Wir hatten die Zeit bis zu seinem Training zusammen auf dem Sofa vorne bei der Theke des Studios verbracht. Am liebsten hätte ich ihn schon da einfach mit mir gezerrt, denn es war so verdammt schwer, sich zurückzuhalten – und das musste ich, denn für das, was ich am liebsten mit ihm angestellt hätte, war das Studio auch heute zu öffentlich – und das würde das Restaurant nachher leider auch sein. Aber gut Ding wollte ja bekanntlich Weile haben – und manchmal eben auch blaue Kronjuwelen.

Montag, 15. April 2013

Wieder und wieder 19:


Ich boxte. Er schlug daneben. Essen?


„Gut, dann fangen wir jetzt an.“ Ecki stand vor mir und grinste breit und verdammt frech. Ja, wir fingen an. Jetzt. Er mich auch.
Scheiße, ich war wohl wirklich nicht in Form, wenn mich das Aufwärmen schon fast umgehauen hatte. Jetzt konnte ich auch den Karate Kid verstehen – Wax on, wax off sah einfach aus, hatte es aber sicher genauso in sich wie, sagen wir, die Arme kreisen lassen. Ich hatte den Mist echt unterschätzt. Hatte gedacht, es wäre eine Pause, nachdem ich beim Auf-der-Stelle-Laufen schon ein klein wenig aus der Puste gekommen war – aber nur, weil Ecki plötzlich mit solchen Späßen anfangen musste, wie: ‚Knie hoch, bis zur Hüfte!‘ Dann: ‚Knie runter, jetzt treten wir uns erst mal selber in den Arsch! Mit den Fersen, immer schön hoch!‘ Und natürlich wurde auch der Klassiker nicht vergessen: Seilspringen. Das musste ich definitiv noch üben, so oft wie ich mich verheddert hatte. Zum Glück war Mischa noch nicht da, das wäre peinlich geworden.
Nach dem Fast-auf-die-Schnauze-fallen per Springseil hätte ich jedenfalls echt eine Verschnaufpause brauchen können, auch wenn Ecki noch nicht mal merklich schneller atmete. Ich war zwar noch nicht K.O. gewesen, aber von ‚leichtem Aufwärmen‘ konnte meiner Meinung nach nicht die Rede sein. Aber wir hatten ja noch die Schultern und Arme richtig aufwärmen müssen. Und dafür erst mal die Arme kreisen lassen. Die ersten dreißig Sekunden waren easy gewesen. Die zweiten okay. Die dritten unangenehm. Und dann hatte es angefangen wie Hölle zu brennen.
Nach dem Aufwärmen hatte er mir gezeigt, wie ich die Boxbandagen richtig wickeln musste. Und nein, ich konnte mir die Wickelfolge natürlich nicht merken – alles, was ich noch wusste, war: Schlaufe über den Daumen, zweimal ums Handgelenk und dann gefühlte tausend Mal kreuz und quer mit System, irgendwann auch zwischen den Fingern durch, so dass am Ende nur dieser kleine Fleck auf der Handinnenfläche frei blieb. Als ich ihn gefragt hatte, wie man sich die richtige Reihenfolge jemals merken sollte, hatte Ecki gelacht und gesagt: „Keine Angst, wir haben ‘ne Anleitung, dann kannste zu Hause üben.“ Wenigstens etwas.

Freitag, 12. April 2013

Wieder und wieder 18:


Sein Anruf. Anitas wörtliche Interpretation. Hilfe?!



Der erste Januar verlief ruhig, mit hausgemachten Maultaschen, lesen und hartnäckigen Zweifeln. Egal, wie oft ich mir sagte, dass es richtig gewesen war, zu gehen, kam alle fünf Minuten der Gedanke zurück, dass ich hätte bleiben sollen. Dass Mischa heute morgen nicht hätte alleine aufwachen dürfen. Dass ich seinen ausgenüchterten aber verschlafenen Zustand hätte nutzen sollen, um ihn mit der Holzhammermethode davon zu überzeugen, dass Abstand eine wirklich ganz abscheuliche Idee war – und ich musste es ja wissen, immerhin war es ursprünglich meine gewesen!
Ein großer Teil dieser Zweifel kam davon, dass ich schlicht und einfach gerne neben ihm aufgewacht wäre. Und mir kurz, ganz kurz während er noch schlief, eingeredet hätte, dass alles in Ordnung war.
Er wollte nicht mehr in mich verliebt sein, das hatte er gesagt. Verdammt, das war doch ein beschissenes Statement! Das hieß doch gleichzeitig, dass er eben noch verliebt in mich war, und, dass er trotzdem, immer noch, Abstand wollte. Morgen wieder – als heute. So eine Scheiße!
Kämpfen, hatte Opi gesagt. Wenn er es wert war – und daran hatte sich gestern nichts geändert. Wie auch, wenn es mir doch nur bewiesen hatte, dass er auch betrunken und nach Tequila schmeckend nur einen einzigen Kuss brauchte, um mein Hirn auf Sparmodus zu schalten? Also kämpfen. Um ihn. Ich.
Guter Witz.
Wie kämpfte man denn, ohne dem anderen auf die Nerven zu gehen? Wie kämpfte man überhaupt? Anrufen? Mehrmals, bis er nachgab? Blumen schicken? Ihm ‚zufällig‘ über den Weg laufen? Wo war noch mal die Grenze zum Stalking?
Und wie viele Zurückweisungen würde ich wegstecken können? Ich hatte ja die leise Vermutung, dass es nicht allzu viele waren. Mit Hilfe von Anitas Ferse in meinem Hintern vielleicht noch ein oder zwei mehr, aber wenn er sich wirklich entschieden hatte und hartnäckig blieb – oder gar wütend wurde …
Und hier auf meinem Bett zu liegen und mir den Mut auszureden, bevor ich angefangen hatte, das würde mir garantiert nicht helfen! Ich soll…
Mein Handy klingelte und ich warf einen hoffnungsvollen Blick darauf. Vielleicht jemand, der mich auf andere Gedanken bringen – Mischa.

Montag, 1. April 2013

Erkenntnisse und Pet Peeves des Monats, März-Edition:

(Einen Tag zu spät, da ich aus Versehen das geplante Veröffentlichen ausgeschaltet hatte … is ja auch echt kompliziert, auf den richtigen Button zu klicken …)

Erkenntnisse:


1. Entweder der Wörterzähler auf ff.de oder der meines Programms ist echt verdammt ungenau, denn während ff.de mir für 17 Kapitel um die 80 000 Wörter angibt, sagt mein Programm, mein gesamtes "Manuskript" hätte ca. 60 000 Wörter ... Betonung lag auf verdammt ungenau, btw.

Pet Peeves:


1. kinda off topic: Wo zum Henker bleibt der verdammte scheiß Frühling? Ich kann echt keinen Schnee mehr sehen! Wie soll man da Lust auf irgendwas bekommen?

2. totally off topic, but: Warum zum Teufel können die Busse in unserer schönen Hauptstadt nicht einmal das tun, was sie sollten? Wozu stellt die BVG Fahrpläne zusammen, wenn sich doch kein Schwein dran hält? Wenn die Fahrer wenigstens alle obligatorisch gut aussehend wären, aber nein, das Gegenteil scheint der Fall zu sein – und als Sahnehäubchen sind se auch noch obligatorisch unfreundlich.

Montag, 25. März 2013

Wieder und wieder 17:


Er lallte. Wir tanzten. Ich ging.


Das Bifröst war groß, laut und möchtegern-schick, was bei dem Einrichtungsthema – nordische Mythologie, beziehungsweise Kitsch-Wikinger – echt seltsam kam. Die Spiegeldecke zum Beispiel gehörte zum ‚versucht schick‘, eine halb nackte Statue Thors mit deutlich erkennbarem Ständer unter dem Lendenschurz dagegen … nun ja. Eher nicht. Das ‚Highlight‘ war aber wohl der VIP-Bereich, der als Regenbogenbrücke einmal quer über den Hauptraum führte und dem Club den Namen gegeben hatte.
Ich gab meine Jacke und, seufzend, auch meinen Pullover an der Garderobe ab, als der Typ dahinter einen skeptisch-auffordernden Blick schenkte. Ja, ich wusste, dass ich nicht aufgebretzelt genug war, aber nachdem ich satte dreißig Euro Eintritt bezahlt hatte, sollten die gefälligst ihre Klappe halten. Dreißig Euro! Und das nach Mitternacht! Was für beschissene Clubs besucht Mischa denn?!
Den Pulli abzugeben, den mir meine Mutter heute morgen auf den Leib gedrängt hatte, war aber eine gute Idee, denn kaum öffnete ich die Tür, umschlang mich eine Hitzewelle, die meine Fluchtinstinkte innert Millisekunden auf Hochtouren brachte. Ich wollte da nicht hinein. Lieber lauerte ich ihm erneut im Boxstudio auf – scheiße, lieber nahm ich Boxstunden, als das hier! Und woher wollte ich wissen, ob Mischa nicht schon längst einen Typen ausgesucht und mit nach Hause genommen hatte?
Aber jetzt hatte ich eh schon bezahlt. Eine Runde durch den Club … die Masse an Leuten, von denen die Hälfte nicht mehr trug als der Plastik-Thor und die alle bereits seit Stunden betrunken waren … begleitet von schrecklicher Musik in tinitusverursachender Lautstärke … ja, das lag drin. Sicher lag das drin.

Montag, 18. März 2013

Wieder und wieder 16:


Opis Kreuze. Unverständliche SMS. Ein Neujahrsvorsatz.



Am einunddreißigsten Dezember schloss ich kurz vor zweiundzwanzig Uhr mit einem halb erledigten, halb erleichterten Ächzen die Haustür auf und trug meine und Anitas Taschen hinein, während sie und Klaus als erstes die Fresspakete in die Küche brachten. Weihnachten bei meiner Familie im Dorf war schön gewesen. So idyllisch, wie bei uns nur möglich, und anfangs sogar ablenkend. An Heiligabend war die ganze Verwandtschaft mütterlicherseits zu uns gekommen und wir hatten eine große und laute Bescherung gehabt. Laut vor allem dank meiner Kusinen und Vettern unter fünfzehn, von denen es sieben an der Zahl gab – und nur einer davon war halbwegs gut erzogen. Warum mussten sich ausgerechnet die Leute wie die Karnickel vermehren, die von Kindererziehung keine Ahnung hatten?
Der fünfundzwanzigste war um einiges ruhiger und entspannender gewesen, denn den hatten wir bei Omi und Opi verbracht. Die beiden lebten in einem Mehrfamilienhaus mit vier oder fünf anderen älteren Pärchen zusammen und teilten sich die Kosten für die Hilfe bei den Dingen, die sie nicht mehr eigenhändig erledigen konnten. Eine Art betreutes Wohnen auf eigene Faust.
Opi hatte mich nach dem Essen kurz beiseite genommen und mir einen Hunderter hingehalten. Da ich wusste, dass die beiden in Sachen Rente nicht gerade das große Los gezogen hatten, schüttelte ich vehement den Kopf, aber Opi stopfte ihn mir einfach in die Tasche meiner Jeans und flüsterte verschwörerisch: „Führ deine Herzdame damit richtig fein aus, die wird sich freuen. Man muss das Leben genießen, solange man noch jung ist!“

Dienstag, 12. März 2013

Wieder und wieder 15:


Mein Stammeln. Ungetrunkener Kaffee. Sein Abstand.



Zwanzig Minuten konnten verdammt lange dauern. Noch schlimmer: Sie konnte sich erst zu einer Ewigkeit ausdehnen und dann plötzlich zu wenigen Millisekunden zusammenfallen. So fühlte es sich jedenfalls an, als ich auf der harten Holzbank saß und wie in Trance dabei zusah, wie Mischa vor seinem Trainer herumtänzelte und mit beeindruckender Geschwindigkeit und Präzision Schlagkombinationen und Schrittverbindungen übte, während Mike sich wie ein Gegner bewegte, bloß, ohne selber anzugreifen. Dafür konnte ich die geknurrten Befehle hören, die nach mehr Geschwindigkeit, mehr Automatisierung, mehr Power verlangten. Ich an seiner Stelle hätte Angst gehabt, dass Mischa einmal, nur ein einziges Mal daneben schlug und statt der schwarzroten Pratze mein Gesicht traf.
Nein, Boxen war eindeutig nichts für mich. Ich hätte zu viel Angst, nicht nur mir, sondern auch dem anderen wehzutun. Soviel Körperbeherrschtheit und Rhythmusgefühl würde ich nie und nimmer aufbauen können. Zuschauen aber hatte etwas Faszinierendes. Es war wie ein Tanz, nein, es war ein Tanz. Und niemand kam dabei zu Schaden, zumindest nicht heute, außerhalb des Ringes.
Und dann war es zu Ende. Sie stoppten wie auf Kommando und während Mischa erst in ein lockerndes Auf-der-Stelle-Joggen überging, redete Mike leise auf ihn ein, zeigte ihm verlangsamt ein paar Schläge und Abfolgen und deutete ihn wohl generell auf die zu verbessernden Dinge hin. Mischa nickte, blieb irgendwann stehen, ging zu dynamischem Dehnen über, sagte selber etwas. Als Mike ihm schließlich auf die Schulter klopfte und sich verabschiedete, schloss er mit ein paar statischen Dehnübungen ab. Und sah dabei immer noch verboten gut aus.

Montag, 4. März 2013

Wieder und wieder 14


Meine Unschlüssigkeit. Seine Funkstille. Mikes Studio.


Drei Tage waren vergangen und mein Handy stumm geblieben. Ich war erleichtert – natürlich war ich das. Was sonst? Eben. Hätte er reagiert, wäre es nur peinlich geworden, für mich. Wegen vergessenen Wörtern und falsch platzierten Wörtern und falsch geschrieben Wörtern und … und wegen den Wörtern an sich. Genau.
Außerdem: Wahrscheinlich wusste er ja noch nicht mal, woher die SMS kam – klar, in seinem Leben gab es da sicher (hoffentlich!) nicht so viele Kandidaten, die sich generell für alles der letzten Zeit entschuldigen mussten, aber er kannte ja meine Nummer nicht. Und ich hatte meinen Namen nicht geschrieben. Bei einer solchen SMS von unbekanntem Absender würde ich garantiert denken, jemand hätte sich bei der Nummer vertan. Und da derjenige offensichtlich nicht ganz bei sich gewesen war, musste es auch nicht kommentiert werden. Genau.
Wenn er doch wusste, dass ich der unglückliche Absender war, sagte die ausgebliebene Reaktion auch genug.
Wieso sollte er auch antworten? Gerade, wenn er es wusste. Schließlich machte die Mini-Nachricht nichts wieder gut, war keine Entschädigung. War noch nicht einmal persönlich überreicht worden. Noch dazu namenlos. 
Aber … er reagierte eben nicht. Auch wenn ich darüber primär erleichtert war, kam die Enttäuschung doch auf einen gefährlich nahen zweiten Platz. Eine Reaktion, irgendeine Reaktion hätte schließlich auch eine Möglichkeit bedeutet, Kontakt aufzunehmen. Oder mir zumindest einen Anhaltspunkt gegeben, wie es ihm ging – denn die Frage ging mir seit Thomas’ Besuch und seiner Un-Antwort nicht mehr aus dem Kopf.